Entscheidungsstichwort (Thema)

Auslegung der Zustimmungserklärung iS des § 161 Abs. 1 S. 1 SGG. Wiedereinsetzung

 

Leitsatz (amtlich)

Wird die Zustimmung zur Sprungrevision schon vor der Urteilsverkündung schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung zur Niederschrift erklärt, so muß die schriftliche Erklärung mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, daß nicht (nur) der Zulassung, sondern der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt wird.

 

Orientierungssatz

1. Zur Auslegung der Zustimmung zur Sprungrevision in die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision.

2. Der Kläger ist nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Zustimmungserklärung rechtzeitig beizubringen, wenn der nach § 166 SGG zugelassene und damit sachkundige Prozeßbevollmächtigte bei Einlegung der Sprungrevision nicht prüft, ob die beizufügende Zustimmung des Rechtsmittelgegners ausreichend formuliert ist, und zwar sowohl bei privatschriftlichen als auch bei protokollierten Erklärungen. Im Zweifel hat er vorsichtshalber eine anderweitig gefaßte Erklärung anzufordern oder aber vorsichtshalber Berufung einzulegen. Eine Wiedereinsetzung kommt dann - selbst bei Anwendbarkeit des § 67 SGG auf die Zustimmungserklärung (vgl BSG 1978-03-15 1 RA 33/77 = SozR 1500 § 67 Nr 11) nicht in Betracht.

 

Normenkette

SGG § 161 Abs 1 S 1 Fassung: 1974-07-30

 

Verfahrensgang

SG Detmold (Entscheidung vom 02.12.1980; Aktenzeichen S 13 An 216/80)

 

Tatbestand

Die Beklagte lehnte die Durchführung der Nachversicherung des Klägers für die Zeit von Oktober 1961 bis April 1978 ab (Bescheid vom 23. November 1978, Widerspruchsbescheid vom 17. April 1979). Mit der hiergegen erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihn für die streitige Zeit nachzuversichern, hilfsweise rückwirkend den damaligen Befreiungsbescheid aufzuheben. Das Sozialgericht Detmold (SG) hat mit Urteil vom 2g Dezember 1980 die Klage abgewiesen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 14. Januar 1981 zugestellte Urteil die in der Urteilsformel zugelassene Sprungrevision mit Schriftsatz vom 15. Januar 1981 eingelegt. Mit Schriftsatz vom 19. Januar 1981 hat er eine beglaubigte Abschrift der Verhandlungsniederschrift vom 2. Dezember 1980 "mit der Zustimmung der Gegenseite zur Sprungrevision" vorgelegt. Nach dieser Verhandlungsniederschrift hatte der Kläger abschließend beantragt, im Unterliegensfall die Sprungrevision zuzulassen; sodann haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, der "Zulassung zur Sprungrevision" werde zugestimmt. Es folgen die Angaben über die Anträge der übrigen Beteiligten und die Verkündung des Urteils.

Der Kläger ist auf Bedenken gegen die Zulässigkeit der Sprungrevision hingewiesen worden. Er hat unter Beweisantritt vorgetragen, damals sei vor dem SG die Zustimmung zur Einlegung und nicht nur zur Zulassung der Sprungrevision zu Protokoll erklärt worden. Das müsse bei der Auslegung des insoweit unvollständigen Wortlauts berücksichtigt werden. Hilfsweise werde eine Protokollberichtigung beantragt.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihrer Bescheide und

der vorinstanzlichen Urteile zu verurteilen, die

Nachversicherung für die Zeit von Oktober 1961

bis April 1978 durchzuführen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

Das beigeladene Land Nordrhein-Westfalen stellt keinen Antrag.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers war als unzulässig zu verwerfen. Da das SG die Revision im Urteil zugelassen hat, war der Revisionsschrift die Zustimmung des Gegners, hier der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, beizufügen (§ 161 Abs 1 Satz 3 Alternative 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-). Der Kläger ist hierauf in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Urteils hingewiesen worden (vgl hierzu BSG SozR 1500 § 66 Nr 10). Die übersandte Verhandlungsniederschrift kann nach ihrem Inhalt nicht als schriftliche Zustimmungserklärung angesehen werden.

Die Rechtsprechung zu § 161 SGG war zwar stets bemüht, diese Vorschrift im Sinne einer erleichterten Rechtsverfolgung nicht formstreng auszulegen, soweit hierdurch berechtigte Belange des Rechtsmittelgegners nicht beeinträchtigt wurden. Insoweit hat das Bundessozialgericht (BSG) es als ausreichend angesehen, daß die Zustimmungserklärung nicht der Revisionsschrift beigefügt, sondern innerhalb der Rechtsmittelfrist nachgereicht oder daß auf eine innerhalb dieser Frist dem Revisionsgericht vorliegende Erklärung Bezug genommen wurde (vgl SozR Nr 6 zu § 161 SGG). Damit steht der Zulässigkeit nicht entgegen, daß der Kläger die Sprungrevision eingelegt hat, bevor er eine schriftliche Zustimmungserklärung in Händen hatte. Die Ausnutzung dieser Möglichkeit ist jedoch für den Rechtsmittelkläger, da nach § 161 Abs 5 SGG schon die Einlegung der Revision als Verzicht auf die Berufung gilt, nicht ohne Risiko, wenn die schriftliche Zustimmungserklärung nicht nachgereicht werden kann. Ferner hat die Rechtsprechung anerkannt, daß die geforderte Schriftform durch eine beglaubigte Abschrift der Verhandlungsniederschrift gewahrt wird, wenn in dieser die in der mündlichen Verhandlung abgegebene Zustimmungserklärung beurkundet ist (BSGE 12, 230 = SozR Nr 14 zu § 161 SGG; BVerwGE 14, 259). Eine solche Erklärung kann schließlich in der mündlichen Verhandlung auch schon vor Verkündung des Urteils abgegeben werden (BSG SozR 2200 § 182b Nr 9; BVerwGE 14, 259).

Im Interesse des Rechtsmittelgegners kann indes nicht davon abgesehen werden, daß die schriftliche Zustimmungserklärung ihrem Inhalt nach mit hinreichender Deutlichkeit ergeben muß, daß nicht nur der Zulassung, sondern auch der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt wird. Denn zwischen diesen beiden Erklärungen besteht aus der Sicht des Rechtsmittelgegners ein wesentlicher Unterschied. Die Zulassung der Sprungrevision bringt dem Rechtsmittelgegner ausschließlich Vorteile, da sie auf eine Erweiterung der Rechtsmittelmöglichkeiten zielt. In der Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision liegt dagegen ein Rechtsverzicht (zum Verzicht auf die Berufung vgl § 161 Abs 5 SGG, zur Bedeutung für die sogenannten Gegenrügen des Revisionsbeklagten vgl den Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes in SozR 1500 § 161 Nr 18 auf Blatt 39f). Das schließt es in der Regel aus, eine Erklärung zur Zulassung der Sprungrevision, jedenfalls sofern sie vor denen Zulassung abgegeben wurde, als Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision auszulegen, wie dies bereits der 3. und 12. Senat des BSG entschieden haben (SozR 1500 § 161 Nrn 3 und 5). Dem schließt sich der erkennende Senat an. Die in der vorgelegten Verhandlungsniederschrift beurkundete Zustimmungserklärung der "Beteiligten", also auch der Beklagten, bezieht sich nach ihrem Wortlaut nur auf die Zulassung, nicht auf die Einlegung der Sprungrevision. Besondere Umstände, die eine andere Auslegung rechtfertigen könnten, sind der Verhandlungsniederschrift entgegen der Ansicht des Klägers nicht zu entnehmen. Der Kläger meint zu Unrecht, die Protokollierung, daß er selbst die Revisionszulassung angeregt (beantragt) und ihr sodann (als Beteiligter) zugestimmt habe, sei sinnwidrig und müsse notwendig in die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision umgedeutet werden. Denn es ist durchaus möglich, daß in der Niederschrift dem Wortlaut entsprechend protokolliert werden sollte, der Kläger habe die Revisionszulassung angeregt und sei nach Erörterung dieser Frage mit den übrigen Beteiligten und deren Zustimmung bei dieser Ansicht verblieben. Im übrigen käme die vom Kläger gewollte Umdeutung auch dann nicht in Betracht, wenn man die im Wortsinne verstandene Niederschrift als so ungewöhnlich und sinnwidrig ansähe, daß eine Umdeutung erfolgen müsse. Denn dann läge es näher, die Erklärung dahingehend berichtigend auszulegen, daß nur die übrigen Beteiligten der Zulassung der Sprungrevision zugestimmt hätten. Die vom Kläger vorgeschlagene Umdeutung, daß die Beteiligten, also auch er selbst und der Beigeladene, der Einlegung der Sprungrevision zugestimmt hätten - die Einlegung der Sprungrevision durch den Kläger bedarf weder der Zustimmung des Beigeladenen noch der des Klägers - ist demgegenüber fernliegend. Unter Berücksichtigung dieser Umstände kann der Verhandlungsniederschrift nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen werden, daß die Beklagte entgegen dem Wortlaut nicht der Zulassung, sondern der Einlegung der Sprungrevision habe zustimmen wollen.

Soweit der Kläger zur Auslegung der Erklärung der Beklagten auf Erklärungen der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung und in einer Verhandlungspause zurückgreifen will, steht dem das Erfordernis der Schriftform entgegen, da diese Erklärungen keinen Niederschlag in der Verhandlungsniederschrift gefunden haben. Hieran vermag auch die vom Kläger beantragte Protokollberichtigung nichts zu ändern. Denn eine Protokollberichtigung wäre nur rechtserheblich, wenn das berichtigte Protokoll vor Ablauf der Rechtsmittelfrist bei dem Revisionsgericht eingegangen wäre oder wenn insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden müßte.

Beide Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Dem Kläger könnte insbesondere keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden. Dabei läßt der Senat offen, ob der Rechtsansicht des 1. Senats des BSG zu folgen ist, daß die Anwendung des § 67 SGG von vornherein ausscheide, weil die Vorlage der Zustimmungserklärung weder eine Prozeßhandlung sei noch für sie unmittelbar eine gesetzliche Verfahrensfrist gelte (SozR 1500 § 67 Nr 11). Denn insoweit ist auch an den Fall zu denken, daß die der Revisionsschrift beigefügte Zustimmungserklärung bei der Übermittlung an das Revisionsgericht ohne Verschulden des Revisionsklägers verloren geht. Der Senat sieht indes keine Veranlassung, hierauf näher einzugehen, da selbst bei Anwendbarkeit des § 67 SGG eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht kommt. Denn der Kläger war nicht ohne sein Verschulden gehindert, die Zustimmungserklärung rechtzeitig beizubringen. Bei der Einlegung einer Sprungrevision ist es Aufgabe des nach § 166 SGG zugelassenen und damit sachkundigen Prozeßbevollmächtigten zu prüfen, ob die beizufügende Zustimmung des Rechtsmittelgegners ausreichend formuliert ist, und zwar sowohl bei privatschriftlichen als auch bei protokollierten Erklärungen. Im Zweifel hat er vorsichtshalber eine anderweitig gefaßte Erklärung anzufordern oder aber vorsichtshalber Berufung einzulegen. Da der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die Verhandlungsniederschrift ohne eigene Prüfung an das Revisionsgericht weitergeleitet hat, kommt schon aus diesem Grunde eine Wiedereinsetzung nicht in Betracht. Der Senat brauchte daher der beantragten Protokollberichtigung nicht nachzugehen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Breith. 1982, 170

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