Leitsatz (amtlich)
SVAG BE § 55 Abs 6 ist nicht revisibel.
Die Revisibilität einer landesrechtlichen Vorschrift kann nicht damit begründet werden, daß ein Begriff dieser Vorschrift (zB "Monatsbeiträge" in SVAG BE § 55 Abs 6) auch in revisiblen Normen enthalten ist. Sein Inhalt kann im Revisionsverfahren nur dann nachgeprüft werden, wenn er in einer revisiblen Norm festgelegt ist (zB durch eine Begriffsbestimmung im Gesetz) und diese nach der Ansicht des Berufungsgerichts auch im irrevisiblen Landesrecht unmittelbar gilt.
Normenkette
SGG § 162 Abs. 2 Fassung: 1953-09-03; SVAnpG BE § 55 Abs. 6 Fassung: 1950-12-03
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 25. November 1955 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger begehrt die Erhöhung des Grundbetrags eines Ruhegeldes. Er entrichtete von 1903 bis 1945 1060 Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung und von 1945 bis 1952 66 Monatsbeiträge als Selbständiger in halber Höhe und 13 freiwillige Monatsbeiträge zur einheitlichen Rentenversicherung in Berlin.
Die Landesversicherungsanstalt Berlin, die damals die Aufgaben der Angestelltenversicherung wahrnahm, bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 22. August 1952 vom 1. Februar 1952 an eine "Versichertenrente". Hierbei setzte sie für seine 66 Pflichtbeiträge zur einheitlichen Rentenversicherung einen Grundbetragsteil von 6/15 des halben Grundbetrags und für seine 13 freiwilligen Beiträge einen Grundbetragsteil von 1/15 des vollen Grundbetrags fest. Seine Beschwerde, ihm für seine Pflichtbeiträge zur einheitlichen Rentenversicherung 6/15 des vollen - statt des halben - Grundbetrags zu gewähren, wies der Beschwerdeausschuß der Landesversicherungsanstalt Berlin am 25. November 1952 zurück: Der Kläger habe als selbständiger Nadlermeister nur die halben Pflichtbeiträge entrichtet. Daher sei bei der Berechnung seines Grundbetragsteils vom halben Grundbetrag auszugehen. Dies gelte nur dann nicht, wenn der Versicherte, bevor oder nachdem er als Selbständiger versicherungspflichtig geworden sei, 60 Monatsbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet habe (§ 55 Abs. 6 des Berliner Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes vom 3.12.1950 - BSVAG -). Dies sei aber nicht der Fall, weil der Kläger außer seinen Beiträgen zur einheitlichen Rentenversicherung nur Wochenbeiträge zur Invalidenversicherung geleistet habe.
Das Sozialgericht Berlin (Urteil vom 1. Februar 1955) und das Landessozialgericht Berlin (Urteil vom 25. November 1955) bestätigten die Entscheidung der Landesversicherungsanstalt: Nach dem Wortlaut und dem Sinn des § 55 Abs. 6 BSVAG seien unter "Monatsbeiträgen zur Rentenversicherung" nur Beiträge zur Angestelltenversicherung zu verstehen. Das Landessozialgericht ließ die Revision zu. An die Stelle der Landesversicherungsanstalt Berlin ist die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte nach ihrer Errichtung als Beklagte getreten.
Der Kläger legte gegen das ihm am 20. Januar 1956 zugestellte Urteil des Landessozialgerichts Berlin am 18. Februar 1956 Revision ein und begründete sie am 19. März 1956. Er beantragte, das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 7/15 des vollen Grundbetrags der Angestelltenversicherung zu gewähren: Obwohl es sich im vorliegenden Fall um die Auslegung einer Vorschrift handele, die nur in Berlin gelte, habe das Landessozialgericht die Revision mit Recht zugelassen. Streitig sei die Bedeutung des Begriffs "Monatsbeitrag", der auch in Bundesgesetzen verwendet werde. Die Auffassung der Vorinstanzen, Monatsbeiträge seien immer Beiträge zur Angestelltenversicherung, sei unrichtig.
Die Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen: Die Vorschrift des § 55 BSVAG gelte nur in Berlin und sei daher nicht revisibel.
Die Revision ist zulässig, aber unbegründet.
Die Revision kann nur damit begründet werden, daß die Entscheidung auf der Nichtanwendung oder unrichtigen Anwendung einer Vorschrift des Bundesrechts oder einer sonstigen im Bezirk des Berufungsgerichts geltenden Vorschrift beruht, deren Geltungsbereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt (§ 162 Abs. 2 SGG). Der Kläger rügt die Verletzung des § 55 Abs. 6 BSVAG, dessen Inhalt die Berechnung der Renten aus der Rentenversicherung betrifft. Bei dieser Vorschrift handelt es sich um Berliner Recht. Es gilt seiner Herkunft und seinem Inhalt nach nur in Berlin, also nur im Bezirk des Berufungsgerichts. Der Berliner Gesetzgeber hat durch diese Vorschrift den Grundsatz der Rentenversicherung, die Renten nach Grund- und Steigerungsbetrag zu berechnen, wiederhergestellt und dadurch auf dem Gebiet der Rentenberechnung das Recht der Sozialversicherung in Berlin an das in der Bundesrepublik geltende Recht angepaßt, nachdem in der ersten Nachkriegszeit die Renten der Rentenversicherung in Berlin abweichend vom Recht der Reichsversicherungsordnung festgestellt worden waren. Die gerügte Vorschrift ist deshalb nicht revisibel. Die Revision kann nicht auf ihre Verletzung gestützt werden.
Die Revision kann auch nicht damit begründet werden, daß der Begriff "Monatsbeitrag" umstritten ist. Dieser Begriff ist zwar - außer in § 55 Abs. 6 BSVAG - auch in sozialrechtlichen Vorschriften des Bundesrechts, also in revisiblen Vorschriften, enthalten. Nach der Auffassung des Landessozialgerichts ist er dort sogar "geprägt" und in einem bestimmten Sinn gebraucht worden. "Monatsbeitrag" ist jedoch nur ein Begriff innerhalb der Vorschrift des § 55 Abs. 6 BSVAG. Sein Inhalt könnte im Revisionsverfahren nur dann nachgeprüft werden, wenn er in einer revisiblen Norm festgelegt wäre (z.B. durch eine Begriffsbestimmung im Gesetz) und diese nach der Ansicht des Landessozialgerichts auch im irrevisiblen Landesrecht unmittelbar gelten soll (RGZ. 120 S. 198; 158 S. 362). So verhält es sich im vorliegenden Rechtsstreit aber nicht. Es kann dahingestellt bleiben, ob - wie das Landessozialgericht annimmt - der Begriff "Monatsbeitrag" im revisiblen Recht eindeutig bestimmt ist. Das Landessozialgericht geht bei seiner Auslegung des § 55 Abs. 6 BSVAG davon aus, daß der Berliner Gesetzgeber nicht klar erkennbar von dem für das revisible Recht entwickelten Sinn des streitigen Begriffs hat abweichen wollen, daß also revisibles Recht nicht unmittelbar angewendet werden sollte. Hieran ist das Revisionsgericht gebunden.
Das Bundessozialgericht darf die rechtliche Beurteilung durch das Landessozialgericht auch nicht dadurch nachprüfen, daß es untersucht, ob das Landessozialgericht die zur Unterstützung seiner Auffassung herangezogenen Vorschriften des Bundesrechts (§§ 31, 36, 171 AVG; §§ 1262, 1263, 1390, 1419a RVO) richtig ausgelegt hat. Diese Vorschriften enthalten zwar revisibles Recht, sie dienen im vorliegenden Fall aber nur der Auslegung einer irrevisiblen Norm und sind in diesem Zusammenhang nicht nachprüfbar. Die angewandte Vorschrift im Sinn des § 162 Abs. 2 SGG ist allein der § 55 Abs. 6 BSVAG. Diese Vorschrift ist aber, wie schon ausgeführt, nicht revisibel. Die Verletzung einer anderen revisiblen Vorschrift ist auch nicht ersichtlich.
Die Revision war daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen