Entscheidungsstichwort (Thema)
Ursächlicher Zusammenhang iS der Verschlimmerung, nicht aber der Entstehung
Leitsatz (redaktionell)
Beim Vorliegen einer Arteriosklerose, die bereits Veränderungen an der Aorta hervorgerufen hat, und die ein krankhaftes Geschehen ist, das von einem bestimmten Lebensalter ab im Körper des Betroffenen fortschreitend Veränderungen verursacht, kann ein Herzleiden durch eine akute Erkrankung an Dystrophie lediglich verschlimmert worden sein. Dabei bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob es sich um eine richtunggebende oder eine abgegrenzte Verschlimmerung handelt.
Normenkette
BVG § 1 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, Abs. 3 Fassung: 1950-12-20
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 12. Juli 1957 dahin abgeändert, daß der Beklagte verpflichtet ist, den beim Kläger bestehenden Herzmuskelschaden mit zeitweiliger Unregelmäßigkeit des Herzens (Arrhythmia absoluta) als durch eine Schädigung verschlimmert anzuerkennen.
Im übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Das Versorgungsamt erkannte durch Bescheid vom 28. Juli 1954 beim Kläger als Schädigungsfolge im Sinne des § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) eine belanglose Narbe nach Granatsplitterverletzung in der Gegend der rechten Beckenschaufel an, lehnte jedoch die Anerkennung eines weiter geltend gemachten Herzleidens ab, weil dieses nicht auf einer während der Kriegsgefangenschaft erlittenen schweren Dystrophie beruhe, sondern auf einer unabhängig hiervon bestehenden Anlage.
Nachdem der Widerspruch des Klägers erfolglos geblieben war, hat des Sozialgericht (SG.) den Beklagten verurteilt, auch das Herzleiden als Schädigungsfolge - und zwar im Sinne der richtunggebenden Verschlimmerung - anzuerkennen und Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE.) um 30 v.H. zu gewähren.
Auf die Berufung des Beklagten und die Anschlußberufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG.) das Urteil des SG. dahin abgeändert, daß der Beklagte verurteilt worden ist, die Herzmuskelschädigung mit zeitweiliger Unregelmäßigkeit des Herzens als durch eine Schädigung mitverursacht anzuerkennen. Es hat ausgeführt, nach dem Gutachten des Facharztes Dr. H... sei zu erwarten gewesen, daß ohne die Veranlagung des Klägers zu einer Arteriosklerose der Herzmuskelschaden allmählich ausheilen würde. Dies sei nicht geschehen. Deshalb sei die schwere Dystrophie keine alleinige Ursache für die noch bestehende Herzerkrankung; die als Anlage anzusehende Arteriosklerose und die Schädigung durch die Dystrophie seien jedoch für das Herzleiden als gleichwertige Bedingungen anzusehen. Das LSG. hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils der Berufung mit der Maßgabe stattzugeben, daß die anerkannten Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG mit
1. belanglose Narbe über der rechten Beckenschaufel nach entferntem Steckschuß und am rechten Unterbauch nach Streifschuß,
2. Herzmuskelschädigung mit zeitweiliger Unregelmäßigkeit des Herzens (Arrhythmia absoluta),
und zwar zu 1. hervorgerufen und zu 2. abgegrenzt verschlimmert durch schädigende Einwirkungen, bezeichnet werden und die Höhe der MdE. auf 30 v.H. ab 1. September 1952 (Monat der Antragstellung) festgesetzt und die Klage im übrigen abgewiesen werde.
Er hat sich gegen die vom LSG. ausgesprochene Anerkennung des beim Kläger bestehenden Herzmuskelschadens als durch eine Schädigung mitverursacht gewandt.
Der Kläger hat Zurückweisung der Revision beantragt. Er hält das Urteil des LSG. für zutreffend.
Die Anerkennung der Narben in der Gegend der rechten Beckenschaufel und am rechten Unterbauch als Schädigungsfolgen im Sinne des § 1 BVG sowie die Gewährung von Rente nach einer MdE. um 30 v.H. sind unstreitig. Der Streit geht nur um die Art der Anerkennung des Herzleidens. Insoweit ist die Revision infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Der Beklagte ist auch durch die Entscheidung des LSG. beschwert. Denn nach seiner Auffassung kann das Herzleiden nur im Sinne der abgegrenzten Verschlimmerung anerkannt werden, während das LSG. Mitverursachung angenommen hat. Die Revision ist teilweise auch begründet.
Das LSG. hat festgestellt, daß beim Kläger vor der Kriegsgefangenschaft ein Herzmuskelschaden nicht bestanden habe, und daß das Leiden in den Jahren nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft im Jahre 1947 weder ausgeheilt sei noch sich erheblich verschlimmert habe. Es bestehe ferner eine Arteriosklerose, die im Jahre 1948 röntgenologisch nachgewiesene Veränderungen an der Aorta herbeigeführt habe. Diese Feststellungen sind nicht angegriffen worden; sie binden nach § 163 SGG das Revisionsgericht.
Daraus hat das LSG. gefolgert, ohne die Arteriosklerose wäre der Herzmuskelschaden wahrscheinlich ausgeheilt, nachdem sich die in der Kriegsgefangenschaft erworbene Dystrophie und ihre Erscheinungen zurückgebildet hätten. Für das Herzleiden sei deshalb die Dystrophie nicht allein verantwortlich. Dies ist nicht zu beanstanden. Dagegen bestehen gegen die weiteren Folgerungen erhebliche Bedenken.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG.) können nicht alle Bedingungen im erkenntnistheoretischen Sinne als Ursachen im Rechtssinne angesehen werden. Vielmehr sind in Anlehnung an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts und des Reichsversorgungsgerichts nur diejenigen Einzelbedingungen als Ursachen im Rechtssinne anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben danach mehrere Umstände zu einem Erfolg beigetragen, so sind sie rechtlich nur dann nebeneinanderstehende Mitursachen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolgs annähernd gleichwertig sind (Urt. des erkennenden Senats v. 14. Juli 1955, BSG. 1 S. 150 ff. [156-157]). Der Senat hat im Urteil vom 30. Oktober 1957 (8 RV 47/56, SozR. BVG § 1 Ca 5 Nr. 15) weiter entschieden, daß der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Schädigung im Sinne des BVG und den Schädigungsfolgen sowohl die Entstehung als auch die Verschlimmerung einer Gesundheitsstörung durch ein schädigendes Ereignis umfasse.
Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall hat das LSG. bei seiner Entscheidung nicht gebührend berücksichtigt, daß der Kläger im Jahre 1948, zur Zeit des ersten Nachweises von Veränderungen durch die Arteriosklerose, 40 Jahre alt war, daß er sich also in einem Alter befand, in dem eine Arteriosklerose anfängt, in ihren Folgen erkennbar zu werden, wenn sie auch nicht immer eine Behandlungsbedürftigkeit verursacht. Im Hinblick auf den Nachweis der Arteriosklerose beim Kläger durch eine Röntgenaufnahme im Alter von 40 Jahren hätte das LSG. nicht annehmen dürfen, der Dystrophie komme für das Herzleiden die gleiche Bedeutung wie der Arteriosklerose zu. Das Berufungsgericht hat verkannt, daß die Arteriosklerose des Klägers keine ruhende Anlage gewesen ist, die etwa durch die Dystrophie aktiviert worden wäre und erst danach Veränderungen im Körper gezeitigt hätte. Schon ihrem Wesen nach ist die Arteriosklerose keine ruhende Anlage, sondern ein krankhaftes Geschehen, das von einem bestimmten Lebensalter ab im Körper des Betroffenen fortschreitend Veränderungen verursacht. Infolgedessen hat die Dystrophie bei ihrem Auftreten ein tätiges Geschehen an der Aorta vorgefunden. Im Hinblick hierauf hätte das LSG. annehmen müssen, daß das Herzleiden des Klägers sich durch das auf einer Anlage beruhende Krankheitsgeschehen der Arteriosklerose nach deren eigen-gesetzlicher Entwicklung herausgebildet hat, und daß es entsprechend den Beobachtungen der medizinischen Wissenschaft nach der aus dem Wesen der Arteriosklerose sich ergebenden Weise verläuft. Es durfte der akuten Erkrankung durch die Dystrophie nicht die gleiche Bedeutung zumessen wie der schon vorhandenen und Veränderungen verursachenden Arteriosklerose.
Wenn hier das LSG. trotzdem der Dystrophie die gleiche Bedeutung wie der Arteriosklerose zugemessen hat, so hat es den Begriff der Kausalität verkannt und durch die unrichtige Abwägung der einzelnen zur Entwicklung des Leidens beitragenden Umstände einen rechtlich unzutreffenden Schluß gezogen. Die angefochtene Entscheidung beruht auf dieser Verkennung des Ursachenbegriffs (§ 162 Abs. 2 SGG) und war deshalb aufzuheben. Der Senat konnte in der Sache selbst entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG), da er den Rechtsstreit als spruchreif angesehen hat.
Im vorliegenden Fall bleibt nach den vom LSG. getroffenen Feststellungen die Dystrophie mit ihren Auswirkungen auf das Herz hinter der Arteriosklerose so erheblich zurück, daß sie dieser in ihrer Bedeutung und Tragweite auch nicht annähernd gleichwertig ist und demnach als Mitursache nicht in Betracht kommt. Die Dystrophie kann also das Leiden lediglich verschlimmert haben und demgemäß nur zu einer Anerkennung des Leidens im Sinne der Verschlimmerung führen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob es sich um eine richtunggebende oder eine abgegrenzte Verschlimmerung handelt. Denn die Entscheidung darüber, ob eine einmalig abgegrenzte oder eine richtunggebende Verschlimmerung vorliegt, betrifft nur die Frage, welchen Anteil die Verschlimmerung an der festgestellten Gesamtminderung der Erwerbsfähigkeit hat (vgl. Beschl. des 11. Senats v. 18. Dezember 1957 - 11/9 RV 992/55 - SozR. BVG § 1 Bl. Ca 6 Nr. 17). Insoweit aber besteht kein Streit. Auch muß, wie der Senat in dem oben bezeichneten Urteil vom 30. Oktober 1957 ausgeführt hat, bei einer neuen Bescheiderteilung auf Grund des § 62 BVG in jedem Fall erneut geprüft werden, ob bei einem im Sinne der Verschlimmerung anerkannten Leiden eine geltend gemachte weitere Verschlimmerung noch auf Einflüsse des Wehrdienstes zurückgeführt werden kann. Dies gilt ebenfalls bei einer richtunggebenden Verschlimmerung eines Leidens; denn auch hier braucht eine weitere spätere Verschlimmerung nicht mehr auf Einflüssen des Wehrdienstes zu beruhen; sie kann durch davon gänzlich unabhängige Umstände verursacht sein.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen