Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Urteil vom 02.09.1971) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. September 1971 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger fordert von der beklagten Krankenkesse für die Zeit seiner – erneuten – Arbeitsunfähigkeit vom 25. Mai bis zum 20. August 1967 ein höheres Krankengeld. Er ist seit 1960 in einem Baubetrieb beschäftigt und war wegen eines Arbeitsunfalles (Riß der Achillessehne) vom 22. August 1966 bis zum 1. Mai 1967 arbeitsunfähig krank. Das für diese Zeit gezahlte Krankengeld berechnete die Beklagte nach einem Regellohn, der wesentlich auf Akkord- und Überstundenverdiensten des Klägers in den Monaten Mai bis Juli 1966 beruhte und zuletzt – nach Wegfall des Arbeitgeberzuschusses – 42 DM je Arbeitstag betrug (Höchstbetrag nach § 182 Abs. 5 vorletzter Satz RVO idF vom 24. August 1965).
Nach Wiederaufnahme der Arbeit am 2. Mai 1967 war der Kläger seit dem 25. Mai erneut arbeitsunfähig, zunächst wegen Folgen des alten Unfalls, seit dem 26. Mai wegen einer Leberentzündung. Die Beklagte berechnete den Regellohn nach dem in der Zeit vom 2. bis 24. Mai 1967 erzielten Entgelt. Da der Kläger während dieser Zeit keine Akkord- oder Überstundenarbeit geleistet hatte, betrug der Regellohn nur 37,05 DM.
Der Kläger hält die Berechnung der Beklagten für falsch. Seiner Ansicht nach muß auch für die streitige Zeit das Krankengeld nach einem Regellohn von 42 DM gezahlt werden: Nur dies entspreche der Vorschrift des Gesetzes, daß für die Berechnung des Regellohns das im letzten abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum, “mindestens jedoch während der letzten abgerechneten vier Wochen”, vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erzielte Entgelt maßgebend sei (§ 182 Abs. 5 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO-); auf die Beschäftigungszeit vom 2. Mai bis 24. Mai 1967 entfielen nicht vier abgerechnete Lohnwochen, wohl aber auf die früheren Beschäftigungszeiten des Jahres 1966.
Das Sozialgericht (SG) hat der Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verurteilt, den Regellohn nach dem vom 1. bis zum 21. August 1966 und dem vom 2. bis zum 24. Mai 1967 erzielten Entgelt zu berechnen. Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten und unter Zurückweisung der Anschlußberufung des Klägers die Klage abgewiesen: Der Gesetzgeber habe den Fall, daß vor Beginn der (neuen) Arbeitsunfähigkeit nicht mindestens vier abgerechnete Lohnwochen lägen, nicht geregelt; die Gesetzeslücke sei deshalb im Wege der richterlichen Rechtsfindung zu schließen. Da das Krankengeld entgangenen regelmäßigen Arbeitsverdienst ersetzen solle, müsse der Regellohn aus einem Lohnzeitraum berechnet werden, der so dicht wie möglich vor der fraglichen Arbeitsunfähigkeit liege. Auch wenn dieser Zeitraum kürzer als vier Wochen sei, “im Extremfall” sogar nur einen Tag betrage, sei der Berechnung nach einem unvollständigen, aber unmittelbar vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit liegenden Zeitraum der Vorzug vor einem zwar mindestens vier abgerechnete Wochen umfassenden, aber u.U. weit zurückliegenden Zeitraum zu geben. Dieses Ergebnis werde im allgemeinen auch besser der normalen, nach oben gerichteten Lohnentwicklung gerecht. Nachteile im Einzelfall müßten im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung hingenommen werden (Urteil vom 2. September 1971).
Der Kläger verfolgt mit der zugelassenen Revision sein Klagebegehren weiter. Seiner Ansicht nach muß in Wiedererkrankungsfällen auf Lohnperioden vor der ersten Erkrankung zurückgegriffen werden, wenn nur so mindestens vier abgerechnete Wochen zusammengebracht werden könnten. Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückzuweisen, ferner dessen Urteil und die Bescheide der Beklagten zu ändern und diese zu verurteilen, dem Kläger vom 25. Mai bis zum 20. August 1967 Krankengeld nach einem Regellohn von 42 DM zu zahlen.
Die Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
II
Auf die Revision des Klägers hat der Senat den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen, weil dessen Feststellungen für eine abschließende Entscheidung nicht ausreichen.
In welcher Höhe dem Kläger Krankengeld für die streitige Zeit (25. Mai bis 20. August 1967) zusteht, hängt von der Berechnung seines“Regellohns” ab. Maßgebend für diesen ist wiederum bei Arbeitern, deren Entgelt nicht nach Monaten bemessen ist – zu ihnen gehört auch der Kläger – “das im letzten abgerechneten Lohnabrechnungszeitraum, mindestens jedoch während der letzten abgerechneten vier Wochen, vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit erzielte Entgelt” (§ 182 Abs. 5 Satz 1 idF des Gesetzes vom 12. Juli 1961, BGBl I 913).
Als der Kläger am 25. Mai 1967 nach einer kurzen Zwischenbeschäftigung von weniger als vier Wochen (2. bis 24. Mai) erneut arbeitsunfähig wurde, war der Lohn aus dieser Zwischenbeschäftigung noch nicht abgerechnet, war mithin ein “abgerechneter Lohnabrechnungszeitraum”, der ein auf die Zwischenbeschäftigung bezogener Regellohn hätte entnommen werden können, nicht vorhanden. Außerdem war das Entgelt aus der Zwischenbeschäftigung, selbst wenn es bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit bereits abgerechnet gewesen wäre, nicht aus “mindestens … abgerechneten vier Wochen” erzielt worden. Andererseits lag, wie dem Kläger zuzugeben ist, ein im Wortsinne “letzter abgerechneter Lohnabrechnungszeitraum”, der zugleich vier abgerechnete Wochen umfaßte, vor Eintritt seiner ersten Arbeitsunfähigkeit im Jahre 1966 vor. Trotzdem darf dieser Zeitraum der Bemessung des Regellohns nicht zugrunde gelegt werden.
Wie der Senat in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamts zum früheren Recht, das die Berechnung des Krankengeldes nach einem Grundlohn vorsah (§ 182 Abs. 1 Nr. 2 RVO aF), entschieden hat, richtete sich die Höhe des Krankengeldes, wenn ein zunächst nur behandlungsbedürftiger Versicherter später arbeitsunfähig wurde, nicht nach dem Grundlohn bei Eintritt des Versicherungsfalls (Behandlungsbedürftigkeit), sondern nach dem bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit; demgemäß war bei wiederholter, durch Zwischenbeschäftigungen unterbrochener Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich der Grundlohn vor der “letzten” Arbeitsunfähigkeit maßgebend (BSG 5, 283; vgl. ferner BSG 16, 177, 180, 18, 122, 125; 20, 129, 131; 25, 37, 39). Diese Rechtsprechung ist in die neuen Berechnungsvorschriften zum Krankengeld (§ 182 Abse. 4 ff RVO idF der Gesetze vom 12. Juli 1961, 24. August 1965 und 27. Juli 1969) insofern eingegangen, als der Regellohn und damit das Krankengeld in jedem Fall – auch bei nachträglichem oder wiederholtem Eintritt von Arbeitsunfähigkeit – nach dem “vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit” erzielten Entgelt zu berechnen ist. Zugrunde zu legen sind also nicht die Verhältnisse bei Eintritt des Versicherungsfalls, sondern die bei Beginn der Arbeitsunfähigkeit. Auch bei wiederholter, durch eine Zwischenbeschäftigung unterbrochener Arbeitsunfähigkeit ist deshalb von demjenigen Entgelt auszugehen, das vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit, für die Krankengeld beansprucht wird, erzielt worden ist. Daß dies nur die “letzte” Arbeitsunfähigkeit sein kann, ergibt sich auch daraus, daß im Gesetz ausdrücklich vom “letzten” Lohnabrechnungszeitraum bzw. den “letzten” abgerechneten vier Wochen vor Beginn der Arbeitsunfähigkeit die Rede ist. Damit soll offenbar, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, sichergestellt werden, daß das – dem Lohnersatz dienende – Krankengeld allen Veränderungen in den Lohnverhältnissen des Versicherten so dicht wie möglich folgt, mithin das jeweils “aktuelle” Lohnniveau des Versicherten widerspiegelt (vgl. Schmatz-Fischwasser, Das Gesetz zur Verbesserung der wirtschaftlichen Sicherung der Arbeiter im Krankheitsfalle, 4. Auflage, S. 184).
Dabei sollen allerdings, wie verschiedene gesetzliche Vorkehrungen erkennen lassen, alle die Lohnhöhe beeinflussenden Zufälligkeiten außer Betracht bleiben (für einmalige Zuwendungen vgl. § 182 Abs. 5 Satz 2 RVO). Deshalb dürfen nur solche Lohnänderungen berücksichtigt werden, in denen ein gewisser Dauerzustand zum Ausdruck kommt, die also geeignet sind, den Lebensstandard des Versicherten zu repräsentieren (“Regellohn”). Diesem Ziel dient – ähnlich wie beim Mutterschaftsgeld (vgl. § 200 Abs. 2 RVO und dazu SozR Nr. 4 zu § 200 RVO) – die Vorschrift, daß der Regellohn aus dem Verdienst des letzten “Lohnabrechnungszeitraums”, der “mindestens … vier Wochen” umfassen muß, zu berechnen ist. Nicht der zufällig letzte Verdienst vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit ist also maßgebend, sondern ein aus mindestens vier Lohnwochen ermittelter Durchschnittsverdienst.
Auch dieser Durchschnittsverdienst soll indessen – damit kommt ein dritter Gedanke ins Spiel – im Interesse der Verwaltungsvereinfachung, um vor allem den Betrieben unzumutbare Mehrarbeit zu ersparen, nur dem letzten “abgerechneten” Lohnabrechnungszeitraum bzw. den letzten “abgerechneten” vier Lohnwochen entnommen werden (vgl. BT-Drucks. 2748/3. Wahlperiode, S. 2 rechte Spalte oben). Das kann dazu führen, daß nicht der “letzte” und damit aktuellste Durchschnittsverdienst, sondern ein zeitlich zurückliegender, häufig der “vorletzte”, dafür aber ein “abgerechneter” Durchschnittsverdienst der Regellohnberechnung zugrunde gelegt wird.
Das ist unbedenklich und vom Gesetzgeber offenbar auch in Kauf genommen worden, solange die zeitliche Entfernung zwischen der letzten abgerechneten Lohnperiode und dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit nicht allzu groß ist. Ob und wo hier möglicherweise eine Grenze zu ziehen wäre, kann für den vorliegenden Rechtsstreit unentschieden bleiben. Jedenfalls darf das Prinzip der “Aktualität” des Regellohns dem Erfordernis der Verwaltungsvereinfachung nicht so weit nachgeordnet werden, daß in Fällen wiederholter Arbeitsunfähigkeit noch auf eine Lohnperiode zurückgegriffen wird, die vor einer früheren Arbeitsunfähigkeitszeit liegt, zumal wenn, wie hier, zwischen ihr und der neuen Arbeitsunfähigkeit fast ein Jahr vergangen ist und ihr noch dazu völlig andere Lohnverhältnisse (Akkord- und Überstundenzuschläge) zugrunde liegen. Eine Interessenabwägung, die die verschiedenen genannten Gesichtspunkte nach ihrem sachlichen, ihnen vom Gesetzgeber erkennbar gegebenen Gewicht berücksichtigt, muß hier vielmehr dem Aktualitätsinteresse den Vorzug geben; alle Lohnperioden vor Eintritt einer früheren Arbeitsunfähigkeit, hier der des Klägers vom 22. August 1966, scheiden somit für die Regellohnberechnung aus (ebenso im Ergebnis Schmatz-Fischwasser aaO S. 185; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. bis 7. Auflage, S. 394a mit weiteren Nachweisen; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 17. Auflage, § 182 RVO, Anm. 18b und 19b).
Andererseits darf – entgegen der Ansicht des LSG und eines Teils des Schrifttums – der Regellohn nicht allein aus dem während der Zwischenbeschäftigung erzielten Entgelt berechnet werden, wenn diese Beschäftigung nicht mindestens vier Wochen gedauert hat. Andernfalls würde die Höhe des Regellohns, vor allem bei sehr kurzen Zwischenbeschäftigungen, ganz von der zufälligen Verdiensthöhe weniger Tage – nach Ansicht des LSG im “Extremfall” sogar nur eines Tages – abhängig sein. Daß dies den Absichten des Gesetzgebers nicht entspräche, ist schon begründet worden.
Wie in Fällen der vorliegenden Art eine befriedigende Lösung gefunden werden kann, hat der Gesetzgeber in § 200 Abs. 2 letzter Satz RVO vorgezeichnet. Danach ist, wenn eine Berechnung des Mutterschaftsgeldes nach den Regelvorschriften, d.h. aus dem durchschnittlichen täglichen Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Monate, nicht möglich ist, “das durchschnittliche kalendertägliche Arbeitsentgelt einer gleichartig Beschäftigten zugrunde zu legen”. Diese Bestimmung hat der Senat schon entsprechend angewendet, soweit es sich um die Feststellung der “regelmäßigen” Überstunden eines Beschäftigten handelt, der bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit dem Betrieb noch nicht drei volle Monate angehört hat (Urteil vom 23. Januar 1973, 3 RK 22/70). Eine entsprechende Anwendung der genannten Bestimmung ist auch hier unbedenklich. Umfaßt also, wie im Falle des Klägers, die Zwischenbeschäftigung nicht mindestens vier Wochen, so sind die fehlenden Zeiten aus den Verdiensten eines gleichartig Beschäftigten zu ergänzen. Die Ermittlung einer solchen Vergleichsperson wird in der Regel auch die Krankenkasse kaum zusätzlich belasten, weil sie häufig schon für die Frage der regelmäßigen Überstunden ermittelt werden muß.
Da die Beklagte hier mit Billigung des LSG den Regellohn des Klägers bisher nur aus dem während der Zeit vom 2. bis 24. Mai 1967 (ca. drei Wochen) erzielten Verdienst berechnet hat, muß somit noch geklärt werden, welchen Verdienst ein dem Kläger vergleichbarer Beschäftigter desselben Betriebes in der Woche vor dem 2. Mai 1967 erzielt hat, den vermutlich also auch der Kläger erzielt hätte, wenn er damals schon gearbeitet hätte. Zusammen mit diesem Verdienst ist sein Regellohn dann neu zu berechnen. Zur Nachholung der erforderlichen Feststellungen hat der Senat den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen, das bei seiner abschließenden Entscheidung auch über die Kosten mitzubefinden haben wird.
Unterschriften
Dr. Langkeit, Dr. Heinze, Spielmeyer
Fundstellen