Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 02.03.1983; Aktenzeichen L 11 Kr 43/81) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 2. März 1983 – L 11 Kr 43/81 – wird als unzulässig verworfen.
Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist, ob der Kläger für seine Ehefrau Familienhilfe beanspruchen kann.
Der Kläger ist bei der Beklagten freiwillig versichert. Er ist selbständiger Gewerbetreibender und beschäftigte in seinem Betrieb die Ehefrau gegen ein monatliches Bruttoentgelt von 370, -- DM (1977 und 1978) und 390, -- DM (1979 und 1980). Die Eheleute sind zu gleichen Teilen Miteigentümer eines Mehrfamilienhauses. Nach der steuerlichen Ertragsrechnung 1978 ergab sich unter Berücksichtigung des Mietwertes der eigenen Wohnung ein Verlust aus Vermietung und Verpachtung von 64.902, -- DM. Davon entfielen 12.386, -- DM auf Absetzungen für Abnutzung nach § 7 Abs 1, 4 ff des Einkommensteuergesetzes (EStG). Im Einkommensteuerbescheid für das Jahr 1979 sind für die Ehefrau neben den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 34.090, -- DM berücksichtigt worden.
Der Kläger beantragte im Mai 1979 die Übernahme der Kosten einer Krankenhausbehandlung seiner Ehefrau. Mit Bescheid vom 23. Juli 1979 stellte die Beklagte fest, der Anspruch auf Familienhilfe für die Ehefrau habe am 30. April 1979 geendet, weil sie ein Einkommen von mehr als 390,-- DM habe. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 10. Januar 1980). Das Sozialgericht (SG) hat die Bescheide aufgehoben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen und festgestellt, daß dem Kläger über den 30. April 1979 hinaus bis zum 31. März 1980 für seine Ehefrau Anspruch auf Familienhilfe zugestanden habe. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die nach § 205 Reichsversicherungsordnung (RVO) erforderliche Unterhaltsberechtigung der Ehefrau des Klägers könne bei einem Arbeitsentgelt von monatlich 390, -- DM in den Jahren 1979 und 1980 nicht zweifelhaft sein. Für die Ermittlung ihres Gesamteinkommens sei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Verlust aus Vermietung und Verpachtung gegenüberzustellen. Die Ehefrau habe danach kein Gesamteinkommen von mehr als 390, -- DM gehabt.
Die Beklagte hat am 27. April 1983 Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG eingelegt und beantragt, die Revision zuzulassen; gleichzeitig hat sie erklärt: “Sollte dem Antrag entsprochen werden, legen wir hiermit Revision mit dem Antrag ein, unter Aufhebung der Urteile des Sozialgerichts Köln vom 18.05.1981 – Az.: S 19 Kr 11/80 und des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 02.03.1983 – Az.: L 11 Kr 43/81 LSG NW die Klage als unbegründet abzuweisen. “Mit Schriftsatz vom 2. Mai 1983 hat die Beklagte die Beschwerde und die Revision begründet. Sie hat gerügt, das Urteil weiche von mehreren Urteilen ab, in denen das Bundessozialgericht (BSG) die Differenztheorie entwickelt habe. Danach werde der Ehegatte mit den geringeren Einkünften als unterhaltsberechtigt angesehen. Aus einem geringen Arbeitsentgelt sei deshalb nicht zwangsläufig auf die Unterhaltsberechtigung zu schließen. Der Kläger habe 1979 ein Negativeinkommen erzielt, die Ehefrau dagegen ein positives, so daß der Kläger nicht mehr zum Unterhalt der Familie beigetragen habe als seine Ehefrau. Außerdem habe das LSG nicht berücksichtigt, daß derjenige, der eine Neubauwohnung erwirbt, ein entsprechendes Einkommen haben müsse, um die Wohnung bezahlen zu können. Durch die Nutzung der Wohnung im eigenen Haus werde ein geldwerter Vorteil Tag für Tag verbraucht, während die Steuervorteile erst danach bei der Steuererklärung in Anspruch genommen würden; der Ehefrau des Klägers sei der wirkliche Ertrag zuzurechnen. Der Kläger könne nicht für sich Vorteile in Anspruch nehmen, die die überwiegende Mehrheit der Kassenmitglieder nicht hätten.
Der Senat hat mit Beschluß vom 24. November 1983 – der Beklagten zugestellt am 8. Dezember 1983 – die Revision zugelassen. Danach ist erstmals am 6. April 1984 ein Schriftsatz der Beklagten eingegangen, in dem sie erklärt, es sei nicht beabsichtigt gewesen, die Revision spekulativ an eine unwägbare Voraussetzung zu knüpfen. Sie rege an zu prüfen, ob im Wege der Auslegung das unbedachte Vergreifen im Ausdruck geheilt werden könne.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist nicht zulässig.
Eine von der Vorinstanz nicht zugelassene Revision ist unzulässig, wenn sie unter der Bedingung der Zulassung durch das Revisionsgericht eingelegt wird. Zwar kann die Verbindung mehrerer prozessualer Anträge in der Weise, daß der eine als Haupt- und der andere als Hilfsantrag gestellt wird, zulässig sein. Der Kläger kann also einen Antrag mit der Einschränkung stellen, daß das Gericht darüber nur bei Eintritt einer bestimmten Bedingung entscheiden solle. Es darf sich allerdings nicht um eine außerprozessuale Bedingung handeln (BVerfGE 40, 272). Nach der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte sind aber Rechtsmittel bedingungsfeindlich (BSG SozR 1500 § 160 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- Nr 1; BFHE 110, 393; BVerwG Buchholz 310 § 138 Ziff 2 VwGO Nr 2; BVerwG DÖV 1961, 913), insbesondere zB auch, wenn das Rechtsmittel von der Bewilligung des Armenrechts abhängig gemacht wird (BGH VersR 1972, 490; BAG AP Nr 13 zu § 518 Zivilprozeßordnung -ZPO-). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat entschieden, eine bedingt erhobene Verfassungsbeschwerde sei unzulässig (BVerfGE 68, 132, 142). Für diese Unzulässigkeit ist das prozeßrechtliche Erfordernis der Klarheit maßgebend; das unter einer Bedingung eingelegte Rechtsmittel würde Unsicherheit darüber bewirken, ob die Sache im Rechtsmittelzug anhängig geworden und damit der Eintritt der Rechtskraft des Urteils der Vorinstanz verhindert worden ist (BGH VersR 1974, 194). Bei der Verbindung einer bedingten Revision mit einer unbedingten Nichtzulassungsbeschwerde ist allerdings die Rechtskraft des vorinstanzlichen Urteils schon durch die Einlegung der Beschwerde gehemmt (§ 160a Abs 3 SGG). Die Rechtsprechung geht aber dahin, daß die vom Erfolg der Nichtzulassungsbeschwerde und der Zulassung der Revision abhängig gemachte Revisionseinlegung unzulässig ist (BSG SozR 1500 § 160 SGG Nr 1; BFH 23. Mai 1984 – V R 81/84 –; BFH 29. März 1984 – VII B 11/84 – mwN). Dem schließt sich der Senat an. Die denkbaren Gründe für die Zulässigkeit einer solchen Revision wiegen nicht so schwer, daß deshalb die Rechtsprechung aufzugeben wäre. Dabei ist zu berücksichtigen, daß als verständige Gründe für die Häufung der beiden Rechtsmittel nur die Vereinfachung der Arbeit und das vorsorgliche Ausräumen der Gefahr von Fristversäumnissen in Betracht kommen.
Der Beschwerdeführer und Revisionskläger verspricht sich eine Zeitersparnis, wenn er die Einlegung und die Begründung der Rechtsmittel jeweils in einem Schriftsatz verbindet; außerdem würde er bei Zulässigkeit der Verbindung vermeiden, daß er später die Revisionseinlegungs- oder die Revisionsbegründungsfrist versäumt. Die Forderung, Revision erst nach ihrer Zulassung einzulegen und zu begründen, ist aber zumutbar, zumal da der Beschwerdeführer über die Revisionsund die Revisionsbegründungsfrist mit der Zulassung der Revision belehrt wird. Die Beklagte hat eine solche Belehrung erhalten. Dagegen besteht ein öffentliches Interesse, die Verbindung von Beschwerde- und Revisionsbegründung nicht zuzulassen. Diese Verbindung verwischt nämlich den Unterschied zwischen den beiden Prozeßhandlungen. An die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde werden in § 160a Abs 2 Satz 3 SGG andere Anforderungen gestellt als an die Revisionsbegründung gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG. Die Verbindung beider Begründungen kann den Beschwerdeführer und Revisionskläger leicht veranlassen, die eine oder die andere unzureichend darzulegen und erschwert dem Beschwerdegegner und Revisionsbeklagten das Eingehen auf die Gründe.
Allerdings wird auch die Meinung vertreten, eine Revision werde mit der Zulassung rückwirkend statthaft, wenn sie nur für den Fall eingelegt wurde, daß die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hat (Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG § 160 RdNr 29). Die dafür zitierten Entscheidungen des Bundesfinanzhofes (BFH) und des BVerfG sind aber nicht einschlägig. Der BFH hat ausgesprochen, daß eine gleichzeitig mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels eingelegte unbedingte Revision mit ihrer Zulassung durch den BFH rückwirkend statthaft werde. Dazu hat der BFH ausgeführt, die Revision sei im zu entscheidenden Fall nicht an die Bedingung eines Erfolgs der gleichzeitig eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde geknüpft worden; sie sei bedingungsund vorbehaltlos erhoben worden (BFHE 128, 135). In der Entscheidung vom 29. Oktober 1975 (BVerfGE 40, 272) hat das BVerfG ebenfalls eine unbedingte Revision angenommen.
Die Revision der Beklagten kann nicht als unbedingt aufgefaßt werden. Allerdings ist die Revision – wie alle Prozeßhandlungen – der Auslegung zugänglich. Nach den dafür im bürgerlichen Recht entwickelten und im Prozeßrecht anwendbaren Grundsätzen ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (BGH VersR 1974, 194; BFHE 127, 135). Das BVerfG hat deshalb eine neben einer Nichtzulassungsbeschwerde “hilfsweise” zum BFH eingelegte Revision als unbedingt ausgelegt (BVerfGE 40, 272, 275). In den Schriftsätzen der Beklagten vom 25. April 1983 und 2. Mai 1983 kommt aber eindeutig der Wille zum Ausdruck, eine durch die Zulassung bedingte Revision einzulegen. Die Annahme einer unbedingten Revision ist auch nicht geboten, um der Beklagten einen sachgerechten, ungehinderten Zugang zur Revisionsinstanz zu gewährleisten. Nach dem Wortlaut des Schriftsatzes vom 25. April 1983 ist diese Auslegung nicht möglich. Er läßt keinen Zweifel daran aufkommen, daß die Beklagte eine durch die Zulassung bedingte und keine bis zur Zulassung offensichtlich unstatthafte Revision einlegen wollte. Selbst wenn eine unbedingte Revision durch die Zulassung noch nachträglich hätte zulässig werden können, ist die Auslegung als unbedingte Revision nicht möglich.
Es hat sich schließlich um eine echte Bedingung und nicht um eine sogenannte “Rechtsbedingung” gehandelt, deren Hinzufügung auch bei bedingungsfeindlichen Rechtsgeschäften unschädlich wäre (Staudinger/Dilcher Kommentar zum BGB 12. Aufl – Allgemeiner Teil – Vorbem zu §§ 158 ff RdNr 21). Mit einer Rechtsbedingung wird eine gesetzliche Bedingung für das Zustandekommen und die Wirksamkeit eines Rechtsgeschäftes wiederholt (Palandt Kommentar zum BGB Einführung 2 vor § 168; Staudinger/Dilcher aaO RdNr 19). Als Rechtsbedingungen können alle gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Rechtsgeschäftes bezeichnet werden (Staudinger/Dilcher aaO RdNr 20). Die Zulassung der Revision ist aber keine Voraussetzung ihrer Wirksamkeit. Vielmehr bewirkt die Einlegung der Revision die Rechtshängigkeit der Sache beim BSG (§ 165 SGG iVm §§ 153, 94 Abs 1 SGG) und seine Pflicht zu prüfen, ob die Revision statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden ist (§ 169 SGG) sowie bei bestehender Zulässigkeit die Pflicht, die Begründetheit zu prüfen. Bei Unstatthaftigkeit ist die Revision als unzulässig zu verwerfen (§ 169 Satz 2 SGG), so daß auch die unstatthafte Revision ein wirksames Rechtsmittel ist und die Zulassung keine Bedingung für die Wirksamkeit darstellt. Die Beklagte, die die Revision nur für den Fall der Zulassung eingelegt hat, will damit etwas erreichen, was sich nicht von selbst aus dem Gesetz ergibt, daß nämlich das BSG erst nach Zulassung in die Prüfung der Statthaftigkeit der Revision eintritt. Damit hat sie eine bedingte Revision eingelegt.
Die Revision ist aus diesen Gründen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG als unzulässig zu verwerfen.
Fundstellen