Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Oktober 1993 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Revisionsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Der schwer kriegsbeschädigte Ehemann der Klägerin ist 1984 an einem schädigungsunabhängigen Leiden gestorben. Der Beklagte lehnte zunächst den Antrag auf Witwenrente und dann (mit Bescheid vom 1. Oktober 1985) auch den Antrag auf Witwenbeihilfe nach § 48 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ab. Die Hinterbliebenenversorgung der Klägerin sei schädigungsbedingt nicht in dem erforderlichen Mindestumfang herabgesetzt. 1988 beantragte die Klägerin einen Zugun- stenbescheid. Sie wies auf die zwischenzeitlich ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu dem Vermutungstatbestand des § 48 Abs 1 Sätze 5 und 6 BVG hin (Urteil vom 25. Mai 1988 – 9/9a RV 56/86 – Soziale Sicherheit 1988, 380). Über die vom Beklagten bereits festgestellten seien weitere offensichtlich bestehende Ansprüche des Beschädigten auf Berufsschadensausgleich (BSchA) zu berücksichtigen, so daß der vom Gesetz geforderte Anspruch für mindestens fünf Jahre erreicht werde. Der Beklagte sah den Vermutungstatbestand des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG nicht als erfüllt an (Bescheid vom 25. November 1988).
Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 1990). Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 28. Oktober 1993). Bei Erteilung des Bescheides vom 1. Oktober 1985 habe sich – ohne Berücksichtigung erst nachträglich bei der Prüfung des Antrages auf Witwenbeihilfe gewonnener Erkenntnisse -einem Kundigen nicht aufgedrängt, daß der Beschädigte mindestens fünf Jahre Anspruch auf BSchA gehabt habe. Der Vermutungstatbestand des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG, auf den allein sich der geltend gemachte Anspruch stützen lasse, sei danach nicht erfüllt. Er könne auch nicht deshalb als erfüllt gelten, weil der Beklagte es in der Vergangenheit (1971 und 1977) pflichtwidrig unterlassen habe, die für den Anspruch auf BSchA erforderlichen Ermittlungen anzustellen und dann die notwendigen Feststellungen zu treffen.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie rügt eine Verletzung des § 48 Abs 1 BVG. Nach ihrer Auffassung mußte sich einem Kundigen im Zeitpunkt des Todes des Beschädigten aufdrängen, daß für mindestens fünf Jahre ein Anspruch auf BSchA bestanden hatte. Unabhängig davon sei die Klägerin im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so zu stellen, als hätte der Beklagte über den Anspruch des Beschädigten auf BSchA im April 1971 in der Sache positiv entschieden. Zum gleichen Ergebnis führe das Versäumnis des Beklagten, den Beschädigten anläßlich seines Antrages nach § 30 Abs 2 BVG im Jahre 1977 auf die Möglichkeit hinzuweisen, einen Antrag auch auf BSchA zu stellen.
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 28. Oktober 1993 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 20. Dezember 1990 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 25. November 1988 zu verurteilen, unter Rücknahme des Bescheides vom 1. Oktober 1985 der Klägerin ab 1. Juli 1984 Witwenbeihilfe nach § 48 BVG zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für richtig.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist nicht begründet. Anspruch auf Witwenbeihilfe besteht nicht, weil – was unumstritten ist – die Hinterbliebenenversorgung der Klägerin nicht wirklich in dem nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG erforderlichen Umfang gemindert ist, weil das Gesetz diese Voraussetzung hier auch nicht nach § 48 Abs 1 Satz 6 BVG vermutet, und weil der Vermutungstatbestand auch nicht mit Hilfe des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als erfüllt gelten kann.
Unabhängig von einer konkreten Minderung der Hinterbliebenenversorgung erhält die Witwe eines rentenberechtigten Beschädigten Witwenbeihilfe, wenn der Beschädigte mindestens fünf Jahre Anspruch auf BSchA gehabt hat (§ 48 Abs 1 Satz 6 BVG). In diesem Fall vermutet das Gesetz unwiderlegbar eine gesundheitliche Beeinträchtigung im Beruf, die einen schädigungsbedingten Einkommensverlust bewirkt und zu einem wirtschaftlichen Nachteil in der Hinterbliebenenversorgung führt. Der Vermutungstatbestand ist nicht erst erfüllt, wenn der Beschädigte BSchA bezogen hat, sondern schon dann, wenn der berufliche Schaden, der durch diese Leistung ausgeglichen werden soll, klar erkennbar vorgelegen hat (ständige Rechtsprechung des Senats: vgl SozR 3-3100 § 48 Nr 2 mwN). Im vorliegenden Fall hat der Beschädigte BSchA nicht bezogen; die tatsächlichen Voraussetzungen für einen solchen Anspruch waren auch nicht klar zu erkennen.
Ob das der Fall ist, richtet sich nach den Verhältnissen zur Zeit des Todes. Nur wenn aus den über den Beschädigten geführten Versorgungsakten zu diesem Zeitpunkt auf den ersten Blick für jeden Kundigen offensichtlich die gesetzlichen Voraussetzungen des Vermutungstatbestandes vorgelegen haben, so daß sich dieses Ergebnis der Verwaltung aufdrängen mußte, wird der Zweck des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG erreicht, durch Beweiserleichterung die Verwaltung zu vereinfachen (BSG SozR 3-3100 § 48 Nrn 3 und 6). Nachträglich gewonnene Erkenntnisse sind nur dann verwertbar, wenn der Beschädigte noch vor seinem Tod einen Antrag auf BSchA gestellt hat und die zur Entscheidung darüber notwendigen Ermittlungen bis dahin nicht abgeschlossen werden konnten (vgl BSG SozR 3-3100 § 48 Nr 6 und Urteil vom 23. Juni 1993 – 9/9a RV 26/91). Die auf Verwaltungsvereinfachung abzielende Vorschrift des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG soll bei der Entscheidung über Witwenbeihilfe Ermittlungen zur konkreten Minderung der Hinterbliebenenversorgung überflüssig machen. Die Vorschrift verbietet es zugleich, stattdessen Ermittlungen zum schädigungsbedingten Einkommensverlust des Beschädigten als tatsächliche Voraussetzung für den Anspruch auf BSchA anzustellen. Das wäre nur eine Verlagerung der Ermittlungsarbeit, würde aber das Verwaltungsverfahren nicht vereinfachen. Ist dagegen beim Tode des Beschädigten bereits ein Verwaltungsverfahren zum BSchA anhängig, so ist es unabhängig von der später beantragten Entscheidung über Witwenbeihilfe zu Ende zu führen. Das Ergebnis dieser unvermeidbar entstehenden Ermittlungsarbeit zur Frage eines schädigungsbedingten Einkommensverlustes ist deshalb ausnahmsweise verwertbar, obwohl es erst postum gewonnen worden ist.
Diese Grundsätze hat das LSG beachtet und danach rechtsfehlerfrei einen mindestens fünfjährigen Anspruch des Beschädigten auf BSchA verneint, weil dessen Voraussetzungen aufgrund der in den Verwaltungsakten festgehaltenen Ermittlungsergebnisse zu Anträgen des Beschädigten auf BSchA (1971) und auf Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins (1977) nicht klar erkennbar waren. Zu Recht hat das LSG dabei die Erkenntnisse nicht berücksichtigt, die vom Beklagten anläßlich des ersten Antrages der Klägerin auf Witwenbeihilfe im Zuge von Ermittlungen zur konkreten Minderung der Hinterbliebenenversorgung gewonnen worden waren. Als Ergebnis der Ermittlungen stand nämlich fest, daß die Voraussetzungen des Anspruchs auf Witwenbeihilfe zu verneinen sind. Es ist ausgeschlossen, mittels dieses Beweisergebnisses über die beweiserleichternde Rechtsvermutung des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG denselben Anspruch zu bejahen (vgl SozR 3-3100 § 48 Nr 3).
Witwenbeihilfe steht der Klägerin auch nicht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zu. Die Klägerin beruft sich ohne Erfolg darauf, daß über dieses von der Rechtsprechung des BSG entwickelte Rechtsinstitut im Zeitpunkt des Todes eine Beweislage fingiert werden müsse, die bestanden hätte, wenn der Beklagte 1971 und 1977 den hypothetischen und den wirklichen Berufsweg des Beschädigten pflichtgemäß aufgeklärt und dem behaupteten Ergebnis dieser Ermittlungen entsprechend BSchA bewilligt hätte. Welches Ergebnis zu Lebzeiten des Beschädigten pflichtwidrig unterlassene Ermittlungen gehabt hätten, läßt sich erst feststellen, wenn diese Ermittlungen postum nachgeholt werden. Solche nachträglichen Ermittlungen widersprechen dem Zweck des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG. Diese Vorschrift knüpft an eine bereits bestehende Beweislage an und will dadurch weitere Ermittlungen überflüssig machen. Genügt die bei Tod des Beschädigten bestehende Beweislage nicht, um darauf die Vermutung einer Minderung der Hinterbliebenenversorgung zu stützen, so ist nach § 48 Abs 1 Satz 1 BVG die konkrete Minderung im Einzelfall zu prüfen. Eine Nachbesserung der Beweislage findet auch im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht statt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen