Leitsatz (amtlich)
Die Fahrt eines Soldaten der Wehrmacht zum Abholen privat gewaschener Dienstkleidung und -wäsche war kein Dienstgang oder -weg iS des § 1 Abs 1 iVm § 4 Abs 1 S 1 Buchst b und c BVG (Ergänzung zu BSG 17.5.1977 10 RV 73/76 = SozR 3200 § 81 Nr 8).
Normenkette
BVG § 1 Abs 1, § 4 Abs 1 S 1 Buchst b, § 4 Abs 1 S 1 Buchst c
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 05.07.1984; Aktenzeichen L 5 V 1473/83) |
SG Darmstadt (Entscheidung vom 15.11.1983; Aktenzeichen S 7 V 201/80) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt in einem dritten Verfahren Versorgung wegen der Folgen einer Unfallverletzung. Diese zog er sich 1938, als er der Wehrmacht angehörte, in der Freizeit zu. Er verunglückte damals mit seinem eigenen Motorrad auf der Fahrt zu einem Kameraden in einer anderen Kaserne; von diesem wollte er seine Dienstkleidung und -wäsche abholen, die er zu Hause hatte waschen lassen und die der andere von dort mitgebracht hatte. Versorgungsanträge nach dem Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsgesetz und nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) waren erfolglos (Bescheid des Wehrmachtsfürsorge- und -versorgungsamtes vom 19. Juli 1939, Bescheid des Wehrkreiskommandos vom 26. August 1939; Bescheid des Versorgungsamtes vom 9. Januar 1970, Widerspruchsbescheid vom 28. April 1970, Urteile des Sozialgerichts -SG Darmstadt vom 12. Januar 1971 und des Hessischen Landessozialgerichts -LSG- vom 25. Oktober 1973, Beschlüsse des Bundessozialgerichts -BSG- vom 30. Januar 1975 und des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 18. April 1975). Auf den dritten Antrag vom März 1979, in dem sich der Kläger auf das Urteil des BSG vom 17. Mai 1977 - 10 RV 73/76 - bezog, lehnte der Beklagte einen Zugunstenbescheid ab (Bescheid vom 7. Juli 1979, Widerspruchsbescheid vom 22. September 1980). Klage und Berufung haben keinen Erfolg gehabt (Urteile des SG vom 15. November 1983 und des LSG vom 5. Juli 1984). Nach der Auffassung des Berufungsgerichts ist der rechtsverbindliche Bescheid vom 9. Januar 1970 nicht nach § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zugunsten des Klägers zurückzunehmen. Wenn nach neuer Rechtsprechung des BSG, auf die sich der Kläger beruft, das Reinigen einer Feldflasche zu Hause als Wehrdienstverrichtung eines Soldaten beurteilt werden soll, so seien damit nicht alle dienstbezogenen Tätigkeiten in der Freizeit derart zu bewerten.
Der Kläger vertritt mit seiner - vom LSG zugelassenen - Revision die Ansicht, er habe eine Wehrdienstbeschädigung durch eine Dienstverrichtung erlitten. Als solche müsse das Wäschereinigen, das dienstlichen Zwecken gedient habe, angesehen werden, mithin auch das Abholen der gereinigten Stücke. Die Kleidung, die durch Stall- und Instandsetzungsarbeiten besonders verschmutzt gewesen sei, habe er zu Hause waschen lassen müssen, weil sie in der Kaserne, in der er einem Restkommando angehört habe, nicht hätte gesäubert werden können.
Der Kläger beantragt, die Urteile des SG und des LSG aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Juni 1979 und des Widerspruchsbescheides vom 22. September 1980 zu verurteilen, die bei ihm durch den Motorradunfall 1938 entstandenen Gesundheitsstörungen als Schädigungsfolgen iS des BVG anzuerkennen und entsprechende Beschädigtenversorgung ab Antrag zu gewähren.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
Das LSG hat zutreffend die Verwaltung nicht für verpflichtet gehalten, dem Kläger die begehrte Versorgung nach dem BVG zuzuerkennen. Nachdem der 1970 abgelehnte Anspruch rechtsverbindlich geworden ist (§ 77 Sozialgerichtsgesetz -SGG-), wäre unter im wesentlichen gleichen Voraussetzungen davon abzuweichen (BSGE 51, 139 = SozR 3900 § 40 Nr 15), und zwar ursprünglich durch einen Zugunstenbescheid nach § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung idF vom 6. Mai 1976 (BGBl I 1169) und mit Wirkung ab 1. Januar 1981 durch Rücknahme des Ablehnungsbescheides vom 9. Januar 1970 und des Widerspruchsbescheides vom 28. April 1970 zugunsten des Klägers nach § 44 SGB X vom 18. August 1980 (BGBl I 1469 - Art II § 37 Abs 1, § 40 Abs 1 und 2 Satz 1 und 2 SGB X; BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3). Nach der nunmehr allein maßgebenden Vorschrift des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, nachdem er rechtsverbindlich geworden ist, zugunsten des Betroffenen zu berichtigen, soweit bei seinem Erlaß das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Der Kläger hat wohl mit dem Hinweis auf ein BSG-Urteil gerade noch genügend zu seinem Antrag vorgetragen, um nicht unbedeutende Zweifel an der Richtigkeit der rechtsverbindlichen Entscheidungen zu begründen, und damit die Verwaltung veranlaßt, ein neues Verfahren zur Überprüfung zu eröffnen. Aber weder die eine noch die andere der genannten materiellen Voraussetzungen für eine von der Ablehnung abweichende Entscheidung über den umstrittenen Versorgungsanspruch ist gegeben.
Die rechtliche Beurteilung, die den verbindlichen Verwaltungsakten zugrundeliegt, war nicht rechtswidrig.
Der Kläger hat den Unfall, der sich beim Abholen seiner zu Hause gereinigten Dienstkleidung und -wäsche ereignete, nicht durch einen Vorgang erlitten, der als militärische Dienstverrichtung iS des § 1 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Buchstabe a BVG zu beurteilen wäre, so daß ihm Versorgung nach § 1 Abs 1 und Abs 3 Satz 1 BVG zustände. Er behauptet selbst nicht, ihm sei diese Tätigkeit oder das Waschen zu Hause dienstlich befohlen worden, was eine Dienstverrichtung in erster Linie kennzeichnen würde (BSG SozR 3200 § 81 Nrn 14, 17).
Den Unfall erlitt er auch nicht während der Ausübung des militärischen Dienstes iS der zweiten Alternative des § 1 Abs 1 BVG (vgl dazu BSGE 8, 264, 270 = SozR Nr 32 zu § 1 BVG). Die Freizeit eines Soldaten, in der der Kläger verunglückte, ist grundsätzlich nicht versorgungsrechtlich geschützt; ausnahmsweise kann sich der Dienstbereich in die Freizeit hinein erstrecken, soweit sich der Soldat trotz seiner Dienstbefreiung nach den Befehlen seiner Vorgesetzten richten muß (BSGE 33, 141, 143 = SozR Nr 1 zu § 81 SVG 1964; SozR 3200 § 81 Nrn 6, 11 und 19; 3200 § 85 Nr 5).
Eine Dienstausübung in jenem Sinn war das Abholen der Wäsche nicht ausnahmsweise als nach § 4 Abs 1 Satz 1 Buchstabe b BVG zum Dienst gehörender Dienstgang oder als nach § 4 Abs 1 Satz 1 Buchstabe c BVG ebenfalls versorgungsrechtlich geschütztes Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges von und nach der Dienststelle. Diese Zuordnung hätte vorausgesetzt, daß das Säubern der Wäsche im Elternhaus dem Dienst zuzurechnen wäre und der Kläger beim Zurückschaffen der gereinigten Sachen in die Kaserne zu dienstlicher Funktion hätte mitwirken müssen. Das war nicht der Fall.
Die Soldaten der Wehrmacht, nach deren Rechtsverhältnissen diese Sache zu beurteilen ist (nicht der Reichswehr, wie der Kläger meint; vgl § 1 des Gesetzes über den Aufbau der Wehrmacht vom 16. März 1935 -RGBl I 375-; Absolon, Die Wehrmacht im Dritten Reich, Band III, 1975, S 9 Fn 44), hatten für das Reinigen der Leibwäsche selbst zu sorgen und hatten, falls sie sie nicht selbst wuschen, die Kosten der Säuberung, die uU in Standortwaschanstalten der Wehrmacht möglich war, aus ihrem Einkommen zu bestreiten (Nr 149 der Vorschrift über die Bekleidungswirtschaft der Truppen im Frieden vom 1. April 1935 -H.Dv. 121-). Dem einzelnen Soldaten blieb es überlassen, seine Wäsche auf eigene Kosten ua zu Hause reinigen zu lassen, falls er dies nicht selbst besorgen wollte. Das Waschen, auch der übrigen überlassenen Kleidungsstücke, oblag den Soldaten, soweit sie dies mit Wasser, Seife und einer weichen Bürste ausführen konnten (Nr 150 Satz 1 H.Dv. 121). Das Sauberhalten der Kleidung könnte den Soldaten, denen Dienstkleidung und -wäsche unentgeltlich überlassen wurde (§ 20 Abs 1 Besoldungsgesetz vom 16. Dezember 1927 -RGBl I 349-, Nr 143 H.Dv. 121) und denen diese Ausstattung das Benutzen eigener Kleidungsstücke ersparte, demnach in ähnlicher Weise als private Angelegenheit übertragen gewesen sein, wie im bürgerlichen Recht der Entleiher die gewöhnlichen Kosten der Erhaltung der geliehenen Sache zu tragen hat (§ 601 Abs 1 Bürgerliches Gesetzbuch). Die Kleidungspflege könnte ebenso wie die Körperreinigung als allgemeine Grundvoraussetzung des menschlichen Daseins in einer zivilisierten Gesellschaft - entsprechend den Verhältnissen im zivilen Berufsleben (Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd II, S 481, 481a, 481n mwN) - vom versorgungsrechtlich geschützten Dienstbereich ausgeschlossen gewesen sein (BSG, BVBl 1973, 6; anders evtl für das Duschen unmittelbar nach einer dienstlichen Verschmutzung - BSGE 33, 141). Der Senat braucht dies im gegenwärtigen Fall nicht abschließend zu entscheiden. Bedenken könnten sich dadurch ergeben, daß das Sauberhalten der Uniform als eine für den Dienst bedeutsame Pflicht der Soldaten angesehen wurde (Nrn 146 und 148 H.Dv. 121; zur Art der Behandlung und Pflege im einzelnen: Nr 153 H.Dv. 121 iVm Nr 1 bis 5 der Anlage 10).
Jedenfalls fehlte der für Wege im Sinn des § 4 Abs 1 Satz 1 Buchstaben a und b BVG notwendige Bezug zum Dienst in einem Fall wie dem des Klägers, wenn ein Soldat seine zu Hause gewaschene Kleidung und Wäsche abholen wollte. Ihm war nicht vorgeschrieben, wo und von wem die Dienststücke zu reinigen waren. Die Säuberungsarbeiten zu Hause und der Transport standen auch in keiner Weise unter militärischer Aufsicht, Kontrolle und Weisungsgebundenheit. Damit war aber der übliche dienstferne Freiraum für den Soldaten gegeben, der allgemein seine nicht versorgungsrechtlich geschützte Freizeit kennzeichnet. Freizeitbetätigungen, die dem Befehls- und Gehorsamsverhältnis entzogen sind, können, wie eingangs dargelegt, nicht dem Dienstbereich zugerechnet werden. Versorgungsschutz und militärischer Befehlsbereich bedingen einander.
Der für die Kriegsopfer- und Soldatenversorgung nicht mehr zuständige 10. Senat des BSG hat allerdings in einem Einzelfall das Reinigen eines militärischen Ausrüstungsgegenstandes, der dem Soldaten überlassen wurde, in der Freizeit selbst dann als Dienstverrichtung beurteilt, wenn eine derartige Sache, und zwar eine Feldflasche, auch im Zivilleben verwendet wird (Urteil vom 17. Mai 1977 - 10 RV 73/76 - = SozR 3200 § 81 Nr 8). Dies ist nach der Auffassung des erkennenden Senats, die sich mit der gesamten übrigen einschlägigen Rechtsprechung deckt, nicht zu verallgemeinern.
Das Säubern von Dienstkleidung und -wäsche zu Hause und das Abholen sind auch nicht als wehrdiensteigentümlich iS der dritten Alternative des § 1 Abs 1 BVG zu bewerten; denn diese Tätigkeiten unterscheiden sich nicht in der gebotenen Weise grundlegend von zivilen Verhältnissen (BSG SozR 3200 § 81 Nrn 6 und 21). Gerade das Waschen im Haushalt der Eltern, der Ehefrau oder anderer Familienmitglieder ist ebenfalls unter Zivilisten vorherrschend, auch besonders unter solchen, die an einem anderen Ort als dem Familienwohnort beschäftigt sind. Gleiches gilt für das Reinigen uniformierter Arbeitskleidung, zB bei Mitarbeitern von öffentlichen Verkehrsbetrieben, Post- und Polizeibeamten.
Schließlich kann der Kläger eine Rücknahme zu seinen Gunsten nicht wegen eines Sachverhalts verlangen, der in den rechtsverbindlichen Entscheidungen noch nicht oder jedenfalls nicht zutreffend berücksichtigt worden wäre.
Wenn ein rechtsverbindlicher Verwaltungsakt grundsätzlich trotz einer Bestätigung durch ein rechtskräftiges Urteil (§ 141 SGG) nach dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit zugunsten des Betroffenen berichtigt werden kann (BSG SozR 1500 § 141 Nr 2; seitdem stRspr, zB BSG 13. Dezember 1984 - 9a RV 46/83 -; BSG 22. April 1986 - 1 RA 21/85 -), dann ist auch die Nichtbeachtung eines bestimmten Sachverhalts in der bestätigenden Gerichtsentscheidung rechtserheblich. Das ist mit den Wirkungen und Grenzen der Rechtskraft (§ 141 Abs 1, § 179 SGG) vereinbar; diese beschränkt sich auf die Beurteilung des Lebenssachverhalts, auf dem das Urteil beruht. Gegenüber der tatsächlichen Grundlage des Berufungsurteils vom 25. Oktober 1973 hat der Kläger indes nichts vorgebracht, was anders rechtlich zu beurteilen wäre, als damals geschehen ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, was der Kläger noch nicht im zuletzt eröffneten Verwaltungsverfahren vorgetragen hatte; denn die Gerichte sind zur umfassenden Sachaufklärung über Voraussetzungen des § 44 Abs 1 Satz 1 SGB X verpflichtet (BSG SozR 1500 § 103 Nr 16).
Der Kläger stützt seine Revision auf zwei tatsächliche Behauptungen: Seine Kleidung sei durch ihm übertragene Aufräumarbeiten besonders verschmutzt worden, und er habe als Angehöriger eines Restkommandos sie nicht in der Kaserne reinigen können. Darauf bezogen hat er keine formgerechten Verfahrensrügen gegenüber abweichenden Feststellungen des LSG erhoben (§ 164 Abs 2 Satz 3 SGG). Allerdings könnte im Berufungsurteil, in dem ein gleiches Vorbringen des Klägers bloß wiedergegeben wird, dies als Feststellung iS des § 163 SGG vorausgesetzt und stillschweigend in die rechtliche Würdigung einbezogen worden sein. Wenn im Revisionsverfahren von diesem Vortrag ausgegangen wird, so ist keine rechtliche Beurteilung geboten, die einen Versorgungsanspruch des Klägers begründen könnte.
Genauere Angaben über den Verschmutzungsgrad fehlen. Der Kläger behauptet aber gerade nicht, seine Kleidung sei durch den Dienst über das allgemein im Wehrdienst, besonders im Geländedienst übliche Ausmaß hinaus derart verdreckt worden, daß nicht wenigstens ein Familienangehöriger an seiner Stelle die Garderobe hätte waschen können. Nur wenn dies unmöglich gewesen wäre, hätte die Truppe auf ihre Kosten die Kleidungsstücke chemisch reinigen lassen müssen (Nr 150 Satz 2 und 3 H.Dv. 121). Falls dies ausnahmsweise nicht in Betracht gekommen wäre, hätte allenfalls die Übertragung der Reinigung auf den Soldaten selbst, uU mit Hilfe besonderer Mittel oder einer privaten Reinigungseinrichtung, als eine Dienstverrichtung gewertet werden können. Auch könnte in jenem Fall die Mitwirkung des Soldaten beim Transportieren zur Reinigungsanstalt der Wehrmacht dem Dienst zuzuordnen sein. Ein solcher Sachverhalt war aber hier nicht gegeben.
Ob der Kläger die Reinigung unter den 1938 in der Wehrmacht üblichen Bedingungen in der Kaserne gar nicht selbst besorgen konnte, ob das Säubern also nicht bloß erschwert war, wie das LSG im Urteil vom 25. Oktober 1973 angenommen hat, ist nicht klargestellt. Wenn das Vorbringen des Klägers so zu verstehen sein soll, daß er als Soldat überhaupt kein heißes Wasser beschaffen konnte, könnte dies nach allgemeiner Lebenserfahrung als wirklichkeitsfremder Sachverhalt völlig unbeachtlich zu bleiben haben (vgl zB BSG SozR Nr 20 zu § 128 SGG). Doch selbst bei einer solchen Sachlage hätte sich nach den eigenen Angaben des Klägers das Waschen durch Familienangehörige und das Transportieren durch ihn selbst außerhalb des militärischen Befehlsbereichs vollzogen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen