Entscheidungsstichwort (Thema)
Disziplinarmaßnahmen gegenüber Kassenarzt
Leitsatz (amtlich)
Der Disziplinarbescheid gegen einen Kassenarzt ist nicht rechtswidrig, wenn zwar einige der ihm zugrundeliegenden Vorwürfe entfallen, die übrigen aber nach der Wertung des Gerichts die ausgesprochene Maßnahme nach Art und Höhe rechtfertigen und dargelegte Ermessenserwägungen des Disziplinarausschusses nicht entgegenstehen.
Orientierungssatz
1. Die Voraussetzungen für eine zulässige Rechtsfolgenverhängung (Disziplinarmaßnahme) sind zum einen beispielhaft im Gesetz aufgeführt, im übrigen ist die Bestimmung über Ausmaß und Umfang dieser generalklauselartigen Formulierung (Pflichtverletzung) in die Satzungszuständigkeit der Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) verwiesen. Was einen "Pflichtenverstoß" darstellt, ist abhängig von der satzungsrechtlichen Regelung. Diese Tatbestandsvoraussetzung ist gerichtlich voll überprüfbar, ohne daß ein Beurteilungsspielraum bestünde.
2. RVO § 368m Abs 4 S 2 kann entnommen werden, daß bei Auswahl und Höhe der Maßnahme ein gewisser Spielraum für die Berücksichtigung und Abwägung verschiedener Rechtsgüter und Ziele offensteht, etwa das Funktionieren der von der Selbstverwaltungskörperschaft sicherzustellenden kassenärztlichen Versorgung und die Interessen des Arztes.
3. Bei Disziplinarmaßnahmen der KÄV ist im Hinblick auf die weitgehende Übereinstimmung mit dem Zweck der Entziehung die große Bedeutung der Mitgliedschaft in der KÄV zu beachten und muß zu einer intensiveren Überprüfung der Maßnahme durch die Gerichte führen.
bezwecken die auf die Gegenwart und Zukunft gerichtete sie sind Ahndungen besonderer Art, die sich sowohl von Kriminalstrafen als auch von Ordnungsmaßnahmen unterscheiden. Die Disziplinarmaßnahmen enthalten entsprechend der Ordnungsfunktion des Disziplinarrechts eine Pflichtenmahnung und stellen sich demgemäß als Erziehungs- und Abschreckungsmaßnahmen dar. Disziplinarmaßnahmen nach § 368m Abs 4 RVO bezwecken die auf die Gegenwart und Zukunft gerichtete Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung, nur in der Geldbuße kann unter Umständen auch eine Sühne für begangene Rechtsverstöße gesehen werden (vgl BSG vom 29.10.1986 6 RKa 4/86 = SozR 2200 § 368a RVO Nr 16).
5. Ist nicht mehr zu erwarten, daß der Arzt auf andere Weise zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner kassenärztlichen Pflichten angehalten werden kann, so ist der schwerste Eingriff einer Zulassungsentziehung erst zulässig; es hängt nicht entscheidend davon ab, daß vorher Disziplinarmaßnahmen getroffen worden sind, kann aber auch mit diesen Maßnahmen in Zusammenhang stehen, so daß bereits Auswahl und Höhe der Disziplinarmaßnahmen einer gewissen vom Gericht überprüfbaren Bindung unterliegen.
6. Die für die Disziplinarmaßnahme relevante Pflichtverletzung wird durch Wohlverhalten während des Anfechtungsprozesses nicht ausgeschlossen.
Normenkette
RVO § 368m Abs 4 S 2; SGG § 54 Abs 2 S 2
Verfahrensgang
Hessisches LSG (Entscheidung vom 17.04.1985; Aktenzeichen L 7 Ka 630/84) |
SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 28.03.1984; Aktenzeichen S 5 Ka 80/82) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarmaßnahme.
Der Kläger ist seit November 1976 in B. H. als Orthopäde niedergelassen und als Kassenarzt zugelassen. Vorher war er ab 1971 in O.-O. als Allgemeinarzt niedergelassen und als Kassenarzt zugelassen.
Dem Kläger war mit Beschluß des Zulassungsausschusses vom 17. Juli 1979 die RVO-Zulassung entzogen worden. Der Berufungsausschuß hatte mit Beschluß vom 16. Juli 1980 die Entziehung wieder aufgehoben.
Mit Beschluß vom 28. Juli 1982 verhängte der Disziplinarausschuß eine Geldbuße in Höhe von 3.000,-- DM. Er nahm folgende Pflichtverstöße an, die bereits Gegenstand des Entziehungsverfahrens waren:
1. Gleichzeitige Abrechnung von Leistungen mit der Krankenkasse und der Berufsgenossenschaft in 15 Fällen mit über 130 Positionen.
2. Mehrfachabrechnung der Nr 15 des Bewertungsmaßstabs für kassenärztliche Leistungen -BMÄ- (Brief ärztlichen Inhalts) durch Versendung durch Kopien in 155 Fällen.
3. Abrechnung von Leistungen während stationärer Behandlung der Patienten.
4. Abrechnung von Leistungen während des Urlaubs des Klägers.
5. Verstoß gegen § 31 Abs 3 Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä) wegen Ausstellens ärztlicher Bescheinigungen durch das Hilfspersonal.
6. Abrechnung nicht erbrachter Leistungen entsprechend einer durchgeführten Patientenanhörung.
7. Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in 16 Fällen für 21 Tage und länger.
8. Unwirtschaftliche Behandlungsweise entsprechend der Prüfbescheide in 7 Quartalen zwischen 1974 und 1979.
Das Sozialgericht (SG) Frankfurt am Main hat die Klage abgewiesen und den Kläger zur Erstattung der dem Gericht entstandenen Kosten in Höhe von 500,-- DM verurteilt. Es hat die Feststellungen des Disziplinarausschusses - bis auf zwei Pflichtverstoßarten - bestätigt und ausgeführt, hinsichtlich der Ausstellung von Bescheinigungen durch seine Helferinnen könne dem Kläger kein Verschuldensvorwurf gemacht werden. Weiter könne der Vorwurf fortlaufender unwirtschaftlicher Behandlungsweise nicht aufrecht erhalten bleiben, da die infrage stehenden Verstöße zum Teil aus Satzungsgründen nicht mehr verfolgt werden könnten, zum Teil mangels Rechtskraft der Kürzungsbescheide und weil sie zum Teil Ersatzkassenabrechnungen beträfen. Die Höhe der Geldbuße sei in Anbetracht der Art und des Umfangs der Pflichtenverstöße des Klägers als mild zu bezeichnen und nicht zu beanstanden.
Auf die Berufung des Klägers wurde mit Urteil des Hessischen Landessozialgerichts (LSG) vom 17. April 1985 das Urteil des SG Frankfurt sowie der Beschluß des Disziplinarausschusses aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Kläger unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Das LSG führt aus, das SG hätte bereits die Ermessensentscheidung des Disziplinarausschusses aufheben müssen, da sich im erstinstanzlichen Sozialgerichtsverfahren nicht alle Vorwürfe nachweisen ließen. Weiter ist das LSG der Ansicht, der Kläger habe sich hinsichtlich dreier Vorwürfe (Abrechnungen von Leistungen zugleich mit Krankenkasse und Berufsgenossenschaft, Auslegung von Ziffer 15 BMÄ und Abrechnung von Leistungen bei stationärer Behandlung) einsichtig gezeigt und seine Behandlungsweise umgestellt, so daß es am Verschulden des Klägers mangele. Hinsichtlich eines weiteren Vorwurfs (Abrechnung nicht erbrachter Leistungen einschließlich zu Unrecht berechneter Lastprofile analog BMÄ Nr 257) liege ebenfalls kein schuldhaftes Verhalten vor; eine Auslegungsfrage könne dem Kläger nicht als Verstoß gegen kassenärztliche Pflichten vorgeworfen werden. In bezug auf die übrigen Vorwürfe seien diese zum Teil gerechtfertigt und zum anderen Teil nicht durch ein nachweisbar schuldhaftes Verhalten des Klägers belegt. Das LSG gehe von einem teilweise fehlerhaften Verhalten des Klägers sowohl bei der Abrechnungsweise als auch bei der Behandlung der Patienten aus. Nach Auffassung des LSG seien die Vorwürfe bis auf zwei bis drei Punkte zu beschränken. Wie groß der Umfang der hieraus resultierenden Disziplinarmaßnahme - die keine Erziehungsstrafe darstelle - zu sein habe, sei vom LSG nicht zu entscheiden, sondern falle ins Ermessen der Beklagten. Das gerichtlich nicht voll nachprüfbare Ermessen der Beklagten habe diese nicht oder nur fehlerhaft benutzt. Die Höhe der verhängten Geldbuße und die Art der ergriffenen Maßnahme entsprächen nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel, es sei vielmehr zu prüfen, ob die nunmehrigen Einlassungen des Klägers überhaupt noch eine Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden.
Mit der vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Revision rügt die Beklagte, das Urteil sei erst sechseinhalb Monate nach Verkündung zugestellt worden, wobei eine Gesamtwürdigung des Urteils den Schluß zulasse, daß die schriftlich vorliegenden Urteilsgründe nicht denen des LSG im Zeitpunkt der Entscheidung entsprächen. Ebenfalls sei gegen eine ordnungsgemäße Beweiserhebung und -würdigung verstoßen worden, da das Vorliegen bzw Nichtvorliegen von Pflichtverstößen zu wenig nachvollziehbar dargelegt sei. Ferner habe das LSG bei der Anwendung materiellen Rechts den Sinn der Disziplinarmaßnahmen verkannt, indem es ihnen einen Erziehungscharakter abspreche.
Der Kläger hält das Urteil des LSG für zutreffend.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen LSG vom 17. April 1985 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Frankfurt am Main vom 28. März 1984 zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Hessischen LSG vom 17. April 1985 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen LSG vom 17. April 1985 zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des Hessischen LSG vom 17. April 1985 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Hessische LSG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet.
Die Rüge der Beklagten, das Urteil des LSG sei nicht mit Gründen versehen, greift nicht durch. Der Umstand, daß das Urteil erst sechseinhalb Monate nach Verkündung zugestellt wurde, reicht dafür nicht aus. Bei einer solchen Verzögerung ist das Urteil nur dann nicht mit Gründen versehen, wenn festgestellt wird, daß es infolge der späten Absetzung der Entscheidung die Verhandlungs- und Beratungsergebnisse nicht zutreffend wiedergibt (BSGE 53, 186, 188; BSG SozR 1750 § 551 ZPO Nr 12). Dafür bestehen im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte. Zwar hat das LSG zu einigen der gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe keine Feststellungen getroffen und noch nicht einmal erkennen lassen, welche dieser Vorwürfe es für gerechtfertigt hält. Auch eine derartige Dürftigkeit der Entscheidungsgründe läßt aber nicht auf eine unzutreffende Wiedergabe des Verhandlungs- und Beratungsergebnisses schließen.
Das Urteil des LSG war aufzuheben, da der Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt ist. Unzutreffend geht das LSG von der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aus, weil mehrere der ihm zugrunde liegenden Vorwürfe wegfielen. Das LSG hätte vielmehr tatsächliche Feststellungen zu den übrigen Verstößen treffen müssen. Dazu genügt keinesfalls die Äußerung in den Urteilsgründen, der Senat selbst gehe von einem teilweisen fehlerhaften Verhalten des Klägers sowohl bei der Abrechnungsweise als auch bei der Behandlung der Patienten aus.
Die gerichtliche Überprüfung von Disziplinarmaßnahmen gemäß § 368m Abs 4 RVO erfolgt in zwei Schritten. Die Beurteilung über das Vorliegen der "Tatbestandsvoraussetzungen" ist zu unterscheiden von der Frage, ob und gegebenenfalls welche Rechtsfolgen dafür angebracht sind. Nach § 368m Abs 4 RVO müssen die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen (KÄV) Bestimmungen enthalten über die Befugnisse der KÄV gegenüber Mitgliedern, die ihre kassenärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen, insbesondere gegen die für sie verbindlichen vertraglichen Bestimmungen und Richtlinien verstoßen oder unrichtige Bescheinigungen oder Berichte über das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit erteilen. Die Voraussetzungen für eine zulässige Rechtsfolgenverhängung (Disziplinarmaßnahme) sind somit zum einen beispielhaft im Gesetz aufgeführt, im übrigen ist die Bestimmung über Ausmaß und Umfang dieser generalklauselartigen Formulierung (Pflichtverletzung) in die Satzungszuständigkeit der KÄV verwiesen. Was einen "Pflichtenverstoß" darstellt, ist abhängig von der satzungsrechtlichen Regelung. Diese Tatbestandvoraussetzung ist gerichtlich voll überprüfbar, ohne daß ein Beurteilungsspielraum bestünde. In der Satzung der KÄV Hessen ist in § 20 Abs 1 im wesentlichen die Generalklausel des § 368m Abs 4 RVO wiederholt: Erfüllt ein Mitglied die ihm nach Gesetz, Satzung oder Vertrag als Kassenarzt obliegenden Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß, so kann eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden. Weiter sind dort einzelne Pflichten der Mitglieder aufgeführt.
Bei der Auswahl von Disziplinarmaßnahmen (Verwarnung, Verweis, Geldbuße, Ruhen der Zulassung) und bei der Festsetzung ihrer Höhe ist der Disziplinarausschuß grundsätzlich ermächtigt, nach seinem Ermessen zu handeln, so daß die Entscheidung gemäß § 54 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vom Gericht nur eingeschränkt nachzuprüfen ist. Der Senat hält insoweit an der Entscheidung vom 24. Oktober 1961 (BSGE 15, 161, 167) auch unter Berücksichtigung einer inzwischen eingetretenen Gesetzesänderung im Disziplinarrecht fest. Nach § 368m Abs 4 RVO müssen die Satzungen der KÄV'en Bestimmungen enthalten, über die Befugnisse der KÄV gegenüber Mitgliedern, die ihre kassenärztlichen Pflichten nicht oder nicht ordnungsgemäß erfüllen. Diese Weisung wendet sich nur an den Satzungsgeber und schränkt nur seine Satzungsfreiheit ein. Nach § 368m Abs 4 RVO idF des Gesetzes über Kassenarztrecht vom 17. August 1955 (BGBl I 513) konnten in der Satzung Verwarnung, Verweis und Geldbuße bis zu 1.000,-- DM (später 5.000,-- DM) vorgesehen werden. § 368m Abs 4 RVO wurde durch das Haushaltsbegleitgesetz (HBegleitG) 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1857) geändert. In Satz 2 heißt es jetzt: Die Befugnisse nach Satz 1 umfassen Verwarnung, Verweis, Geldbuße bis zu 20.000,-- DM oder die Anordnung des Ruhens der Zulassung bis zu 6 Monaten. Diese Formulierung bedeutet jedenfalls nicht, daß die Disziplinarentscheidungen hinsichtlich Auswahl und Höhe der Maßnahme als rechtlich gebundene Maßnahmen ausgestaltet würden oder daß der Satzungsgeber sie so ausgestalten müßte. In § 368m Abs 4 RVO ist es dem Satzungsgeber der Selbstverwaltungskörperschaft aufgegeben, die Disziplinarbefugnisse im einzelnen zu regeln. Der Bestimmung kann entnommen werden, daß bei Auswahl und Höhe der Maßnahme ein gewisser Spielraum für die Berücksichtigung und Abwägung verschiedener Rechtsgüter und Ziele offensteht, etwa das Funktionieren der von der Selbstverwaltungskörperschaft sicherzustellenden kassenärztlichen Versorgung und die Interessen des Arztes.
Die Entscheidung des Disziplinarausschusses ist auch durch die Satzung der Beklagten nicht als eine Gebundene ausgestaltet. Gegen eine gebundene Entscheidung sprechen die Formulierungen in § 20 der Satzung, wenn danach eine Disziplinarmaßnahme bei einem entsprechenden Pflichtenverstoß verhängt werden "kann" und der Disziplinarausschuß nach Abs 4 folgende Disziplinarmaßnahmen verhängen "kann".
Soweit der Disziplinarausschuß nach seinem Ermessen zu entscheiden hat, ist der Verwaltungsakt nach § 54 Abs 2 SGG nur bei Ermessensüberschreitung oder Ermessensfehlgebrauch rechtswidrig. Das Gericht hat dazu die Voraussetzungen des Ermessens festzustellen und insbesondere auch zu prüfen, ob die Behörde von einem richtigen und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist und sich von sachgerechten Gründen hat leiten lassen. Dabei ist es auf die im Verwaltungsakt mitgeteilten Ermessenserwägungen beschränkt (BSG 24. Februar 1987 - 11b RAr 26/86 -). Aus diesen Bedingungen der Nachprüfung durch das Gericht folgt aber nicht, daß eine Disziplinarmaßnahme aufgehoben werden müßte, weil einige der Pflichtverstöße, von denen der Disziplinarausschuß ausgegangen ist, wegfallen. Dagegen spricht die besondere Art dieser Entscheidung.
Bei Disziplinarentscheidungen sind Tatbestand (Pflichtenverstoß) und Rechtsfolge besonders eng verknüpft (vgl auch GmS-OGB in SozR 1500 § 54 SGG Nr 54). Die Entscheidung über die Art der Maßnahme und über ihre Höhe wird durch Art, Schwere und Häufigkeit der Pflichtverstöße geprägt und der Spielraum nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz erheblich eingeengt. Eine weitere Einengung ergibt sich aus der Funktion der Disziplinarmaßnahme. Ebenso wie die Entziehung der Kassenzulassung bezweckt sie die auf die Gegenwart und Zukunft gerichtete Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung (BSG SozR 2200 § 368a RVO Nr 16). Die vorherige Verhängung einer Disziplinarmaßnahme kann Voraussetzung für die Entziehung der Zulassung sein. Von diesem schwersten Eingriff in den Kassenarztstatus darf erst Gebrauch gemacht werden, wenn nicht mehr zu erwarten ist, daß der Arzt auf andere Weise zur ordnungsgemäßen Erfüllung seiner kassenärztlichen Pflichten angehalten werden kann (BSG aaO). Für die Entziehung kann es danach aber nicht entscheidend sein, daß überhaupt vorher eine Disziplinarmaßnahme getroffen wurde. Die Feststellung, ob nicht mehr zu erwarten ist, daß der Arzt auf andere Weise zur ordnungsmäßigen Erfüllung seiner kassenärztlichen Pflichten angehalten werden kann, hängt auch von Art und Höhe der bisher getroffenen Maßnahme ab. Die volle gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entziehung (vgl BSGE 60, 76, 77 = SozR 2200 § 368a Nr 15; BSG 29. Oktober 1986 - 6 RKa 32/86 in USK 86179 = KVRS-A-6000/28) weist daher auf eine gewisse Bindung auch hinsichtlich Auswahl und Höhe der Disziplinarmaßnahme hin.
Für eine weitgehende gerichtliche Nachprüfbarkeit und erhebliche Verengung des Ermessensspielraums sprechen auch sonstige rechtsstaatliche Erwägungen, nämlich zum einen die Schwere des möglichen Eingriffs, insbesondere des Ruhens der Zulassung. Außerdem ist die Mitgliedschaft in der KÄV faktisch nicht freiwillig, denn der Nichtbeitritt kommt einem Ausschluß vom Beruf des freipraktizierenden Arztes nahe. Insoweit kann auf die Rechtsprechung zum Vereinsrecht hingewiesen werden. Die Zivilgerichte prüfen eine satzungsmäßige Vereinsstrafe in bezug auf Tatsachen und Rechtsfragen voll nach (Palandt, Kommentar zum BGB, 45. Aufl § 25 Anm 4 f). Hinsichtlich der Bemessung der Strafe beschränken sich die Gerichte jedoch auf eine Prüfung, ob die Bestrafung offenbar unbillig ist. Die Maßnahme des Ausschlusses aus dem Verein erscheint aber um so eher als offenbar unbillig, je wichtiger für das betroffene Mitglied die Zugehörigkeit zu dem Verein ist (BGHZ 47, 381, 385; 75, 158, 159). Wenn statt des Ausschlusses nur eine Vereinsstrafe ausgesprochen wird, muß dasselbe gelten (Palandt aaO). Insbesondere ist bei Disziplinarmaßnahmen der KÄV im Hinblick auf die weitgehende Übereinstimmung mit dem Zweck der Entziehung die große Bedeutung der Mitgliedschaft zu beachten und muß zu einer intensiveren Überprüfung der Maßnahme durch die Gerichte führen.
Eine Änderung der Disziplinarmaßnahme durch die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ist freilich nicht zulässig. Wenn im Disziplinarrecht für Bundesbeamte, das der Disziplinarbefugnis der KÄV zum Teil vergleichbar ist, eine Änderung der Disziplinarmaßnahme zugunsten des Beamten gemäß § 31 Abs 4 Satz 4 Bundesdisziplinarordnung durch das Gericht möglich ist, so ist dort - im Gegensatz zu § 368m Abs 4 RVO - eine ausdrückliche, die Befugnisse des Gerichts über eine Regelung wie in § 54 SGG hinaus erweiternde Rechtsnorm vorhanden.
Die stärkere Eingrenzung des Ermessens bei der Auswahl und der Entscheidung über die Höhe einer Disziplinarmaßnahme wird eher als bei den anderen Ermessensentscheidungen zur Annahme einer Ermessensschrumpfung auf Null führen (vgl dazu BSGE 34, 252, 255 = SozR Nr 36 zu § 368a RVO). Aber auch schon ohne eine solche Schrumpfung wird das Gericht, wenn von mehreren dem Disziplinarbescheid zugrunde liegenden Vorwürfen einige wegfallen, möglicherweise aufgrund der bestehenbleibenden Vorwürfe die Rechtmäßigkeit des Bescheids bestätigen können. Die Verengung des zugrunde liegenden Sachverhalts führt nicht zwingend dazu, daß der Disziplinarausschuß sein Ermessen neu ausüben muß. Allerdings darf die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Disziplinarbescheids durch das Gericht nicht im Widerspruch zu dargelegten Ermessenserwägungen des Disziplinarausschusses stehen. Im vorliegenden Fall hat aber der Ausschuß im angefochtenen Bescheid nicht zu erkennen gegeben, welche der Vorwürfe gegen den Kläger er geringer und welche er stärker gewertet und ob überhaupt jeder der einzelnen Vorwürfe die Höhe der Geldbuße beeinflußt hat. Nach dem Rechtsgedanken des § 139 BGB können unwesentliche Vorwürfe ausgeschieden werden. Darüber hinaus hat aber das Gericht auch bei Wegfall von Einzelvorwürfen, die im Verhältnis zum ganzen wesentlich sind, den verbleibenden Pflichtverstoß selbst zu werten und aufgrund eigener Beurteilung zu entscheiden, ob sich die ausgesprochene Maßnahme nach Art und Höhe noch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hält.
Das LSG hat aus diesen Gründen die nach seiner Meinung bestehenbleibenden Verfehlungen im einzelnen aufzuklären und selbst zu prüfen, ob sie den Disziplinarbescheid nach Art und Höhe rechtfertigen. Wenn dies nicht der Fall ist, sind aber auch zu den vom LSG als erledigt angesehenen Vorwürfen noch Feststellungen zu treffen. Das gilt zunächst hinsichtlich der Vorwürfe Nr 5 und 8. Zu Unrecht geht das LSG davon aus, daß es diese Vorwürfe nicht mehr in die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids einzubeziehen hätte, weil sie sich beim SG als unhaltbar erwiesen hätten. Das Urteil des SG ist nicht etwa insoweit rechtskräftig geworden. Den Vorwurf Nr 8 - unwirtschaftliche Behandlungsweise - hat das SG auch deshalb ausgeschieden, weil die Kürzungen im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 28. März 1984 noch nicht rechtskräftig gewesen seien. Diese Begründung schlägt nach dem 28. März 1984 nicht mehr durch.
Das LSG hat ferner bei drei Vorwürfen (gleichzeitiges Abrechnen von Leistungen mit der Krankenkasse und der Berufsgenossenschaft, Mehrfachabrechnung der BMÄ Nr 15, Abrechnung von Leistungen während stationärer Behandlung von Patienten) einen Pflichtverstoß mit der unzulänglichen Begründung verneint, der Kläger sei seit Erlaß der Disziplinarmaßnahme einsichtig und habe seine Behandlungsweise umgestellt. Wohlverhalten während des Anfechtungsprozesses genügt grundsätzlich nicht, um den Pflichtenverstoß auszuräumen (BSGE 33, 161, 164; BSGE 43, 250, 253 = SozR 2200 § 368a RVO Nr 3). Das LSG hat auch den Sinn der Disziplinarmaßnahme insoweit verkannt, als es ihr den Erziehungscharakter abspricht. Disziplinarmaßnahmen sind keine Vertragsstrafen, sie sind Ahndungen besonderer Art, die sich sowohl von Kriminalstrafen als auch von Ordnungsmaßnahmen unterscheiden. Die Disziplinarmaßnahmen enthalten entsprechend der Ordnungsfunktion des Disziplinarrechts eine Pflichtenmahnung und stellen sich demgemäß als Erziehungs- und Abschreckungsmaßnahmen dar (vgl BVerfG NJW 1972, 93; BVerwGE 46, 64; Peters, Handbuch der Krankenversicherung, 81. Nachtrag § 368m Anm 7a). Disziplinarmaßnahmen nach § 368m Abs 4 RVO bezwecken die auf die Gegenwart und Zukunft gerichtete Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung, nur in der Geldbuße kann unter Umständen auch eine Sühne für begangene Rechtsverstöße gesehen werden (BSG SozR 2200 § 368a RVO Nr 16). Zum Vorwurf der Abrechnung nicht erbrachter Leistungen wird es einer näheren Begründung bedürfen, warum die falsche Auslegung des BMÄ nicht vom Kläger zu vertreten ist. Eine Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung - wie im Urteil des LSG angesprochen - scheidet aus, weil sie über den Antrag des Klägers (reine Anfechtungsklage) hinweggehen würde.
Die Sache war aus allen diesen Gründen zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen, das auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzuentscheiden haben wird.
Fundstellen