Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 1995 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin deren außergerichtliche Kosten auch für das Revisionsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
I
Streitig ist der Anspruch der Klägerin auf Kindergeld (Kg) für die Zeit von Januar bis Mai 1989 sowie ab Februar 1991.
Die 1957 geborene deutsche Klägerin ist seit 1982 mit dem 1955 geborenen US-amerikanischen Staatsangehörigen A. … V. verheiratet. Aus der Ehe sind die Töchter Bianca, geboren am 19. Februar 1986, und Brandis, geboren am 23. Oktober 1989, hervorgegangen. Der seit 1977 in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ehemann der Klägerin war bis September 1982 Berufssoldat bei den hier stationierten US-Streitkräften und ist seit 1982 in unterschiedlichen Positionen bei dem „Army and Air Force Exchange Service Europe” (AAFES) tätig. Der dem US-Verteidigungsministerium zugeordnete AAFES stattet die Mitglieder der US-Army und deren Angehörige in Europa mit nicht-militärischen Gütern und Bedarfsgegenständen aus. Die Eheleute leben seit dem Ausscheiden des Ehemannes aus den US-Streitkräften außerhalb der US-amerikanischen Housing-areas. Die Tochter Bianca besuchte seit 1989 zunächst einen deutschen Kindergarten in Frankfurt, dann in Groß-Gerau und ist dort seit 1992 Schülerin in einer öffentlichen Grundschule. Die Tochter Brandis besucht seit August 1994 ebenfalls den Kindergarten in Groß-Gerau.
Die Beklagte gewährte der Klägerin Kg jeweils für Zeiträume, in denen die Klägerin Sozialleistungen bezog (Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Mutterschaftsgeld, Erziehungsgeld). Darüber hinausgehende Kg-Anträge (vom 28. September 1988, 30. August 1989, 31. Januar 1990, 12. Februar 1990) lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 18. Oktober 1988 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1989; Bescheide vom 13. September 1989 und 1. März 1990) und nahm Bewilligungen (für die Zeit von Februar 1991 bis September 1992 und ab Oktober 1992 durch Bescheid vom 29. Januar 1992) zurück (Rücknahmebescheide vom 25. September 1992 und 3. Dezember 1992). Sie führte zur Begründung aus, dem Anspruch stehe Art I Abs 1 des NATO-Truppenstatutes (NATOTrStat) iVm Art 13 des Zusatzabkommens zum NATOTrStat (NATOTrStatZAbk) entgegen; die Klägerin übe keine der Beitragspflicht zur Bundesanstalt für Arbeit unterliegende Beschäftigung aus und beziehe keine Leistungen bei Arbeitslosigkeit.
Die Klage hatte Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat durch Urteil vom 17. Juni 1991 die Bescheide der Beklagten vom 18. Oktober 1988, 13. September 1989 und 1. März 1990 sowie den Widerspruchsbescheid vom 24. Februar 1989 aufgehoben und den Änderungsbescheid vom 1. März 1990 abgeändert; es hat die Beklagte verurteilt, für die Kinder Brandis und Bianca Kg im gesetzlichen Umfang über den Monat Dezember 1988 hinaus zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 20. September 1995 zurückgewiesen und auf die Klage die Bescheide vom 29. Januar 1992, vom 25. September 1992 und vom 3. Dezember 1992 insoweit aufgehoben, als diese die Aufhebung und Ablehnung von Kg betreffen. Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, die Klägerin sei nicht mehr als Angehörige eines Mitglieds des zivilen Gefolges der US-Streitkräfte anzusehen. Ihr Ehemann habe im streitigen Zeitraum seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet gehabt, wo er sich seinerzeit seit mehr als zwölf Jahren aufgehalten habe, und gemeinsam mit der Klägerin seine gegenwärtige Lebensgestaltung und seine zukünftige Lebensplanung unzweifelhaft auf einen dauerhaften Verbleib in der Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet. Einer solchen Auslegung stehe auch Art 7 NATOTrStatZAbk nicht entgegen.
Mit der Revision rügt die Beklagte, das Urteil verstoße gegen Art I Abs 1b NATOTrStat, Art 13 Abs 1 NATOTrStatZAbk und gegen § 1 Abs 1 Bundeskindergeldgesetz (BKGG) iVm § 30 Abs 3 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I). Anders als im vom LSG zitierten Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 22. August 1990 – 10 RKg 5/89 – (SozR 3-6180 Art 13 Nr 1) habe der Ehemann der Klägerin im Bundesgebiet nie eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt und hier zum maßgeblichen Zeitpunkt der Beschäftigungsaufnahme keinen gewöhnlichen Aufenthalt genommen. Nach Art 7 NATOTrStatZAbk könnten Personen wie der Ehemann der Klägerin bei Fortdauer ihres Entsende-Status keinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet begründen (Hinweis auf das Urteil des Senats vom 22. August 1990 aaO).
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 20. September 1995 sowie das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 17. Juni 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt unter näherer Darlegung,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben übereinstimmend ihr Einverständnis mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Die Klägerin hat für die streitigen Zeiträume Anspruch auf Kg, und zwar von Januar bis Mai 1989 für ihre Tochter Bianca und ab Februar 1991 für beide Töchter.
Die Klägerin hat ihren Anspruch zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 4 SGG geltend gemacht, nachdem die Beklagte den Antrag vom 28. September 1988 durch Bescheid vom 18. Oktober 1988 (idF des Widerspruchsbescheides vom 24. Februar 1989) abgelehnt hatte. Während des Klageverfahrens hat die Beklagte lediglich für die Zeit von Februar bis Dezember 1988 durch Bescheid vom 1. März 1990 Kg bewilligt (Streitgegenstand gemäß § 96 SGG). Erst im Berufungsverfahren hat sie auch für die Zeit von Juni 1989 bis Januar 1991 durch Bescheid vom 29. Januar 1992 Kg zuerkannt (Streitgegenstand gemäß §§ 96, 153 Abs 1 SGG). Soweit in den verbleibenden Zeiträumen von Januar bis Mai 1989 sowie ab Februar 1991 Kg versagt wurde, haben SG und LSG die angefochtenen Bescheide zu Recht geändert.
Der Anspruch der Klägerin auf Kg folgt aus § 1 Abs 1 Nr 1 BKGG (in der damals geltenden Neufassung vom 21. Januar 1986, BGBl I 222). Sie lebt in der Bundesrepublik Deutschland und hat hier durchgehend einen Wohnsitz. Nach der Entscheidung des Senats vom 30. Mai 1996 – 10 RKg 6/94 –, SozR 3-6175 Art 1 Nr 1 stehen der Anwendung der Vorschriften des BKGG, entgegen der von der Revision vertretenen Meinung, zwischenstaatliche Kollisionsnormen, deren Regelungen gemäß § 30 Abs 2 SGB I unberührt bleiben, nicht entgegen. Insbesondere ist die Klägerin nicht Angehörige eines Mitglieds des zivilen Gefolges der US-amerikanischen Streitkräfte iS des Art I Abs 1 Buchst c NATOTrStat vom 19. Juni 1951 (BGBl II 1961, 1190). Denn ihr Ehemann gehörte jedenfalls im streitigen Zeitraum dem zivilen Gefolge der US-Streitkräfte nicht (mehr) an. Die Klägerin fiel daher auch nicht unter die Ausschlußbestimmung des Art 13 Abs 1 Satz 1 NATOTrStatZAbk vom 3. August 1959 (BGBl II 1961, 1218); NATOTrStat und NATOTrStatZAbk sind für die Bundesrepublik Deutschland am 1. Juli 1963 in Kraft getreten (BGBl II 1963, 745). Nach dieser Vorschrift werden ua die im Bundesgebiet geltenden Bestimmungen über soziale Sicherheit und Fürsorge (zu denen die Vorschriften des BKGG gehören) auf Mitglieder einer Truppe, eines zivilen Gefolges und auf deren Angehörige nicht angewendet, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes vorgesehen ist.
Zum „zivilen Gefolge” gehört nach der Begriffsbestimmung in Art I Abs 1 Buchst b NATOTrStat das die Truppe einer Vertragspartei begleitende Zivilpersonal, das bei den Streitkräften dieser Vertragspartei beschäftigt ist, dann nicht, wenn – was hier allein von Bedeutung ist – es sich um Personen handelt, die im Stationierungsland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben (Senatsurteil vom 22. August 1990, SozR 3-6180 Art 13 Nr 1). Unerheblich ist dabei, daß der Ehemann der Klägerin von den US-Streitkräften selbst – oder von den Behörden, die in seinem US-amerikanischen Reisepaß einen entsprechenden Vermerk eintragen – als Mitglied des zivilen Gefolges bezeichnet wird, denn hieran sind die deutschen Gerichte nicht gebunden. Dies gilt jedenfalls insoweit, als sein „gewöhnlicher Aufenthalt” im Streit steht und nicht Maßnahmen, durch die ein beamten- oder arbeitsrechtliches Rechtsverhältnis zum Entsendestaat oder ihren Streitkräften begründet wird (BSG vom 26. November 1985, SozR 6180 Art 73 Nr 1 S 6 ff mwN; Senatsurteil vom 22. August 1990 aaO S 3 f mwN). Entscheidungserheblich ist deshalb nur, ob der Ehemann der Klägerin in der streitigen Zeit seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Das ist der Fall. Dabei kann offenbleiben, ob der Ehemann der Klägerin jemals dem zivilen Gefolge im obigen Sinne angehört hat. Denn diesen Status hat er jedenfalls durch (spätere) Begründung eines gewöhnlichen Aufenthaltes im Bundesgebiet verloren.
Zur Konkretisierung des Begriffs des „gewöhnlichen Aufenthaltes” iS von Art I Abs 1 Buchst b NATOTrStat hat das BSG in Ermangelung einer Definition in dieser vertraglichen Regelung die in § 30 Abs 3 Satz 2 SGB I getroffene Regelung herangezogen (vgl BSG vom 8. Oktober 1981, SozR 6180 Art 13 Nr 3 S 24; auch hierzu wiederum Senatsurteil vom 22. August 1990 aaO S 3). Nach dieser Bestimmung hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Die hierfür in tatsächlicher Hinsicht maßgebenden Voraussetzungen lagen jedenfalls für den streitbefangenen Zeitraum bei dem Ehemann der Klägerin nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG vor. Diese hat die Beklagte mit ihrer Revision nicht angegriffen; sie sind daher für den Senat bindend (§ 163 SGG).
Auch vorliegend kann offenbleiben, ob der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland durch Zivilpersonal von ausländischen NATO-Streitkräften begründet werden kann, das – anders als der Ehemann der Klägerin – nicht über zusätzliche Bindungen zu Deutschland verfügt und sich vorwiegend auf dem Gelände der Stationierungsstreitkräfte aufhält (vgl Senatsurteil vom 30. Mai 1996 aaO). Denn das LSG hat gerade nicht nur an den bloßen Aufenthalt im Bundesgebiet als Zivilbediensteter der US-Streitkräfte angeknüpft, sondern an die Integration des Ehemannes der Klägerin in die deutsche Gesellschaft und die Absicht, selbst bei Wegfall seiner Arbeitsstelle unter gar keinen Umständen in die USA zurückzukehren. Damit entspricht der Ehemann der Klägerin auch nicht mehr dem typischen Bild eines Mitgliedes des die Truppe begleitenden zivilen Gefolges, das die Vertragspartner des NATOTrStat vor Augen gehabt haben.
Der ausländerrechtliche Status des Ehemannes der Klägerin im streitigen Zeitraum stand der Annahme seines gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland nicht entgegen (zur „Prognose”-Rechtsprechung des Senats s zuletzt Urteil vom 12. Dezember 1995 – 10 RKg 7/95 – mwN). Zwar entfällt mit dem Verlust des Status als Mitglied des zivilen Gefolges die Befreiung von den ausländerrechtlichen Bestimmungen des Aufnahmestaats nach Art III Abs 1 NATOTrStat. Dennoch muß der Ehemann der Klägerin nicht befürchten, Deutschland verlassen zu müssen, da er – auch nachträglich (§ 9 Abs 1 Satz 2 der Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes) – den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis (§ 23 Ausländergesetz) geltend machen kann.
Der Ehemann der Klägerin konnte einen gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet auch trotz Fortbestehens seines Dienstverhältnisses zu den US-Streitkräften bei dem AAFES begründen. Entgegen der Meinung der Revision ergibt sich aus Art 7 NATOTrStatZAbk nichts Gegenteiliges.
Diese Vorschrift lautet: „Bei der Anwendung zwischenstaatlicher Abkommen oder anderer im Bundesgebiet geltender Bestimmungen über Aufenthalt und Niederlassung, soweit sie sich auf Rückschaffungen, Ausweisungen, die Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen oder die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit beziehen, bleiben Zeiten unberücksichtigt, die eine Person als Mitglied einer Truppe, eines zivilen Gefolges oder als Angehöriger im Bundesgebiet zugebracht hat.” Hieraus kann, wie der Senat in seinem Urteil vom 30. Mai 1996 aaO grundsätzlich entschieden hat, nicht geschlossen werden, daß dem Ehemann der Klägerin – unter der Voraussetzung, daß er zunächst Mitglied des zivilen Gefolges der US-Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland war – kein Statuswechsel durch Begründung eines gewöhnlichen Aufenthalts im Bundesgebiet möglich war, solange seine Beschäftigung bei den US-Streitkräften (AAFES) andauerte.
Auf der geschilderten Grundlage kann unerörtert bleiben, ob und – wenn ja –, ab welchem Zeitpunkt der Klägerin – in Fortführung der Rechtsprechung des Senats zu Art 13 NATOTrStatZAbk (s wiederum Senatsurteil vom 30. Mai 1996 aaO mwN) – auch bei fortdauernder Zugehörigkeit ihres Ehemanns zum zivilen Gefolge Kg kraft beitragspflichtiger Beschäftigung bzw Bezuges von Leistungen bei Arbeitslosigkeit zugestanden hätte.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen