Leitsatz (redaktionell)

Das einem nichttechnischen Angestellten gemäß RKG § 57 Abs 1 idF vom 1926-07-01 gewährte Ruhegeld beruhte nicht auf dem Eintritt eines die Berufsunfähigkeit iS des RKG § 58 Abs 1 idF des KnVNG bedingenden Versicherungsfalles.

Erst der die Knappschafts-vollrente auslösende Versicherungsfall der Invalidität iS von RVO § 1254 aF kann für die Anwendung des RKG § 58 (Anrechnung einer Zurechnungszeit) zugrunde gelegt werden.

 

Normenkette

RKG § 57 Abs. 1 Fassung: 1926-07-01, § 58 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1254 Fassung: 1949-06-17

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. März 1960 aufgehoben.

Unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Koblenz vom 24. März 1959 wird die Klage abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Tatbestand

Der 1898 geborene Kläger, der als Tagesteiger, d. h. nichttechnischer Angestellter in einem Bergbaubetrieb, tätig war, erhielt von der Ruhrknappschaft durch Bescheid vom 14. Juni 1929 wegen einer Thrombose im linken Bein seit dem 1. August 1928 das Ruhegeld wegen dauernder Berufsunfähigkeit gemäß § 57 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) in der Fassung vom 1. Juli 1926. Die Ruhrknappschaft hatte dem Kläger dieses Ruhegeld im Jahre 1940 mit der Begründung, es sei eine wesentliche Besserung eingetreten, zwar wieder entzogen, sich im darauf folgenden Berufungsverfahren jedoch mit Rücksicht auf § 21 des Gesetzes über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 zur Weiterzahlung über den Entziehungszeitpunkt hinaus bereit erklärt. Seit dem 1. Juli 1949 erhielt der Kläger auf seinen Antrag die Knappschaftsvollrente (Gesamtleistung).

Mit Bescheid vom 9. Mai 1958 stellte die Beklagte die Rente des Klägers auf das geltende Recht um, ohne eine Zurechnungszeit gemäß § 58 Abs. 1 RKG nF bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen. Der gegen diesen Bescheid eingelegte Widerspruch hatte keinen Erfolg: Der Versicherungsfall der Invalidität sei erst am 15. Juni 1949 eingetreten; damals habe der Kläger zwar das 55. Lebensjahr noch nicht vollendet gehabt; eine Zurechnungszeit komme aber nicht in Betracht, weil der Zeitraum vom Eintritt in die Versicherung bis zum Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität nicht zur Hälfte mit Beiträgen belegt sei.

Das Sozialgericht (SG) in Koblenz verurteilte demgegenüber die Beklagte zur Anrechnung einer Zurechnungszeit.

Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz wies die Berufung gegen dieses Urteil zurück. Die Voraussetzungen des § 58 RKG nF seien erfüllt. Der Kläger sei bereits am 1. August 1928, vor Vollendung des 55. Lebensjahres, berufsunfähig im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG nF geworden. Der Begriff der Berufsunfähigkeit des nichttechnischen Angestellten im Bergbau in § 57 Abs. 1 RKG idF vom 1. Juli 1926 sei wörtlich aus § 30 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) idF vom 28. Mai 1924 entnommen und bis zum 1. Januar 1957 nicht geändert worden. Die Voraussetzungen des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG nF und des § 57 Abs. 1 RKG aF seien auch die gleichen. Soweit Unterschiede vorhanden seien, müßten sie als unerheblich angesehen werden. In den Verhältnissen des Klägers sei schließlich auch keine Änderung eingetreten, die Einfluß auf seine Berufsunfähigkeit gehabt habe. Ob der Kläger seit 1940 infolge einer wesentlichen Besserung seines Gesundheitszustandes wieder als kaufmännischer Angestellter hätte tätig sein können, sei unerheblich, da damals gemäß § 21 des Gesetzes über die weiteren Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15. Januar 1941 i. V. m. Nr. 2 des Durchführungserlasses des RAM vom 25. November 1941 die Entziehung des Ruhegeldes eines beschäftigten Rentners ausgeschlossen gewesen sei; daraus folge, daß eine damals eingetretene wesentliche Änderung in den Verhältnissen als versicherungsrechtlich nicht eingetreten gegolten habe. Der Kläger sei somit seit 1928 ununterbrochen berufsunfähig im Sinne des § 46 Abs. 2 RKG nF gewesen; von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt jenes Versicherungsfalles seien auch mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung belegt; es sei deshalb gemäß § 58 RKG nF bei Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre die Zeit zwischen dem Eintritt des Versicherungsfalles und der Vollendung des 55. Lebensjahres den zurückgelegten Versicherungs- und Ausfallzeiten zu zwei Dritteln hinzuzurechnen.

Gegen das der Beklagten am 22. Juni 1960 zugestellte Urteil hat diese am 6. Juli 1960 schriftlich unter Stellung eines bestimmten Antrages Revision eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist am 19. September 1960 begründet.

Die Begriffe der Berufsunfähigkeit in § 46 Abs. 2 RKG nF und in § 57 Abs. 1 RKG aF unterschieden sich im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsurteils wesentlich voneinander. Auf Grund der Berufsunfähigkeit nach § 57 Abs. 1 RKG aF habe der Kläger eine Rente bezogen, die vom 1. Januar 1943 an gemäß § 3 der Verordnung vom 4. Oktober 1942 in eine Knappschaftsrente umgewandelt worden sei. Diese Knappschaftsrente sei aber am 1. Januar 1957 durch die Bergmannsrente abgelöst worden (Art. 2 § 24 Abs. 1 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes - KnVNG -), die nur verminderte bergmännische Berufsfähigkeit voraussetze. Der Eintritt der verminderten bergmännischen Berufsfähigkeit begründe keine Anrechnung von Zurechnungszeiten. Der Begriff der Berufsunfähigkeit in § 46 Abs. 2 RKG sei dagegen dem der Invalidität im Sinne des § 1254 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vergleichbar, da die frühere Knappschaftsvollrente wegen Invalidität vom 1. Januar 1957 an durch die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit abgelöst worden sei. Der Versicherungsfall der Invalidität im Sinne des § 1254 RVO aF sei bei dem Kläger aber erst am 15. Juni 1949 eingetreten. Im übrigen könne schon deshalb nicht von dem Versicherungsfall im Jahre 1928 ausgegangen werden, weil die Berufsunfähigkeit im Sinne des § 57 Abs. 1 RKG zumindest seit 1940 nicht mehr vorgelegen habe, wobei unbeachtlich sei, daß die Rente nach den damaligen Bestimmungen nicht habe entzogen werden dürfen.

Schließlich könne, wie das Bundessozialgericht (BSG) in Band 14, 220 entschieden habe, für die Prüfung der Frage, ob und von welchem Zeitpunkt ab eine Zurechnungszeit zu berücksichtigen sei, auch nur von den Renten ausgegangen werden, auf die über den 31. Dezember 1956 hinaus ein Anspruch bestanden habe. Das sei im vorliegenden Fall aber nur die ab 1. Juli 1949 bewilligte Knappschaftsvollrente.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil sowie das Urteil des SG Koblenz vom 24. März 1959 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält die Auffassung der Beklagten, die alte Berufsunfähigkeitsrente entspreche der heutigen Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit, für falsch. Die Begriffe der Berufsunfähigkeit in § 46 Abs. 2 RKG nF und § 57 Abs. 1 RKG aF seien mit den Gründen des angefochtenen Urteils gleichzusetzen. Schließlich sei auch die seit dem 1. August 1929 bestehende Berufsunfähigkeit nicht später weggefallen, da insoweit kein rechtskräftiger Entziehungsbescheid vorliege.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist frist- und formgerecht unter Antragstellung eingelegt und begründet worden; sie ist vom LSG zugelassen und somit statthaft.

Die Revision ist auch sachlich begründet.

Die Entscheidung hängt allein davon ab, ob bei der nach Art. 2 §§ 23 und 24 KnVNG erfolgten Umstellung der Rente des Klägers, bei der über § 9 aaO insbesondere auch die Vorschrift des § 58 RKG nF zu berücksichtigen war, als Versicherungsfall auszugehen war von dem Eintritt der Berufsunfähigkeit im Sinne des alten Rechts, die bereits seit dem Jahre 1929 die Gewährung von Ruhegeld ausgelöst hatte, oder von dem Versicherungsfall, der im Jahre 1949 zur Gewährung der Knappschaftsvollrente führte. Nur wenn mit dem LSG der frühere von beiden Zeitpunkten zugrunde gelegt wird, könnte dem Kläger die zwischen den Parteien umstrittene Zurechnungszeit gutgebracht werden. Denn eine Anwendung des § 58 RKG im zweiten Fall scheitert bereits daran, daß der Kläger die Voraussetzung ausreichender Versicherungsseiten nicht erfüllt.

Entgegen der Ansicht des LSG ist das Ruhegeld, das der Versicherte gemäß § 57 RKG idF vom 1. Juli 1926 an aus der Angestellten-Pensionskasse der Reichsknappschaft bezogen hatte, nicht mit einer der Renten gleichzusetzen, für welche der heute geltende § 58 RKG die Berücksichtigung der Zurechnungszeit vorsieht. Freilich bezweckte auch jene knappschaftliche Pensionsleistung die endgültige Sicherung der Versicherten. Es ist daher auch zuzugeben, daß diese Leistung nicht nur in ihren Voraussetzungen, sondern ursprünglich auch in ihrer Funktion mit dem Ruhegeld des § 26 AVG aF übereinstimmte. Hinzu kommt, daß Bergbau - Angestellte - ebenso wie nach dem AVG versicherte Angestellte - nicht regelmäßig wie die Bergarbeiter entsprechend dem Grad ihrer Erwerbseinbuße in den Genuß neben- oder nacheinander zu gewährender Versicherungsleistungen kamen. Bei den nichttechnischen Angestellten führte die Entwicklung darüber hinaus sogar für die Zeit vom Jahre 1937 bis zum Jahre 1949 regelmäßig zu einer völligen Gleichstellung mit den übrigen Angestellten durch ihre Überführung aus der knappschaftlichen Versicherung in die Angestelltenversicherung.

Trotzdem berechtigt weder dieser Umstand noch die wörtliche Übereinstimmung des § 30 Abs. 1 AVG idF vom 28. Mai 1924 mit dem § 57 Abs. 1 RKG idF vom 1. Juli 1926 bei den nichttechnischen Bergbau-Angestellten zu einer Gleichsetzung des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit nach der letztgenannten Bestimmung mit den im § 58 RKG nF erwähnten Versicherungsfällen, soweit es sich dabei um die Anrechnung einer Zurechnungszeit für eine Knappschaftsrente handelt. Dem steht insbesondere entgegen die positive gesetzliche Regelung.

Aus der Gesetzesentwicklung läßt sich der eingetretene Wandel der Auffassung über die Ziele der knappschaftlichen Versicherung deutlich entnehmen. Mit der Verordnung über die Neuregelung der Rentenversicherung im Bergbau vom 4. Oktober 1942 (RGBl I, 569) wurde der grundlegende Schritt von der "knappschaftlichen Pensionsversicherung" zur "knappschaftlichen Rentenversicherung" getan. Dieser führte für die knappschaftlich versicherten Angestellten ebenso wie für die Bergarbeiter die stufenartige Aufeinanderfolge von Knappschaftsrente bei "Berufsunfähigkeit" und von Knappschaftsvollrente bei Invalidität (oder Vollendung des 65. Lebensjahres) ein. Da diese beiden Rentenarten gleichsam das Spiegelbild einerseits der früheren Invalidenpension nach dem RKG aF und andererseits der Invalidenrente nach der RVO waren, erscheint für den Bereich der Arbeiterversicherung die Kontinuität zwischen dem, was vor der Neuregelung im Jahre 1942 galt, und dem, was ihr folgte, gewahrt. Weniger glatt erweist sich hingegen die Überleitung auf dem Sektor der Angestelltenversicherung. Hier liegt die Frage nahe, welche der im Jahre 1942 neu geschaffenen Leistungen das Ruhegeld des damals aufgehobenen § 46 RKG aF ablöste. Es wäre verständlich erschienen, wenn an die Stelle dieses Ruhegeldes eindeutig die Knappschaftsvollrente und damit diejenige Leistung getreten wäre, die nach dem gesetzgeberischen Plan das Endziel jeder Rentenversicherung darstellt. So geschah es aber nicht. Die Leistungen, die bereits festgestellt waren, gingen zwar nach § 1 der genannten Verordnung als Verbindlichkeiten auf die knappschaftliche Rentenversicherung über; sie "galten" als deren Leistung, blieben aber in ihrer einmal begründeten Eigenart unangetastet (§ 18 Abs. 2 aaO). Sie wurden demnach nicht in das System der neu geschaffenen Leistungsarten einbezogen, sondern sollten bewußt ohne besondere Überleitung als eigenständige Rentenarten noch auslaufen. Gerade für die Gruppe der nichttechnischen Bergbau-Angestellten, der der Kläger angehörte, erscheint eine derartige Regelung auch durchaus sinnvoll, da - von dem Ausnahmefall des § 128 des Ausbaugesetzes vom 21. Dezember 1937 abgesehen - dieser Personenkreis damals ohnehin der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht angehörte. Die auf Grund früherer Verpflichtungen von den Knappschaften an bereits berechtigte Rentenempfänger gewährten Leistungen betrafen also bereits einen nicht normal überleitbaren Sonderfall. An diese Entscheidung, daß die früheren Berufspensionäre nicht auf das neue Recht abgestimmt werden sollten, ist die Rechtsanwendung gebunden.

Wenn auch die über das Jahr 1942 hinaus weitergewährte Pension ihrer ursprünglichen Zielsetzung nach eine "Vollrente" darstellte, so war sie doch nach dem Erlaß der Verordnung vom 4. Oktober 1942 kein Hindernis mehr für den Eintritt des Versicherten in eine höhere Stufe der Leistungsberechtigung. Erst mit dem Eintritt der Invalidität war seitdem der Endpunkt der Versicherung eingetreten. Damit steht im Einklang, daß die wegen der Invalidität zu erbringende Rente in ihrer durchschnittlichen Höhe eine wesentlich bessere Versorgung abgab, als dies bis dahin das Ruhegeld aus der Angestelltenpension gewesen war (vgl. Dobbernack, AN 1942 II, 523, 527). Jener "Endpunkt der Versicherung" nach früherem Recht war bei dem Kläger erst am 1. Juli 1949 mit der Gewährung der Knappschaftsvollrente und nicht bereits durch die zur Gewährung des Ruhegelds alten Rechts führenden Umstände erreicht. Erst der die Knappschaftsvollrente auslösende Versicherungsfall ist demnach für die Anwendung des § 58 RKG nF zugrunde zu legen.

Damit erweist sich die von der Beklagten vorgenommene Berechnung als zutreffend; die Urteile der Vorinstanzen konnten somit keinen Bestand haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2374998

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