Leitsatz (amtlich)

War nach dem RVG anerkannt worden, daß ein Leiden durch eine Schädigung entstanden war, so ist diese Schädigungsfolge gemäß BVG § 85 S 1 auch dann verbindlich geblieben, wenn sie in einer formlosen Benachrichtigung (SVD 27 § 14) und in einem nach BVG § 86 Abs 3 erteilten Umanerkennungsbescheid nicht mehr aufgeführt worden ist. Falls sie sich wesentlich ändert, muß sie bei der Neufeststellung nach BVG § 62 Abs 1 berücksichtigt werden.

 

Normenkette

BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1950-12-20, § 85 S. 1 Fassung: 1950-12-20, § 86 Abs. 3 Fassung: 1956-06-06; SVD 27 § 14

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. April 1960 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Auf Grund des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) - Bescheid vom 14. Juli 1930 in Ausführung eines Urteils des Versorgungsgerichts Münster vom 8. Mai 1930 - bezog der Kläger Versorgungsrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 v. H.; als Schädigungsfolgen im Sinne der Entstehung waren anerkannt:

Verlust des rechten Beines im oberen Drittel und Senkfußanlage links.

Nach vorübergehendem Wegfall der Versorgungsleistungen im Jahre 1945 nahm die damals für die Gewährung von Kriegsopferversorgung zuständige Ruhrknappschaft (der Kläger ist Knappschaftsinvalide) die Zahlung der Versorgungsgebührnisse ohne ärztliche Untersuchung durch die formlose Benachrichtigung vom 25. Oktober 1947 nach der Sozialversicherungsdirektive (SVD) Nr. 27 wieder auf. Als Leiden wurde "Verlust des rechten Oberschenkels durch Granatsplitter" aufgeführt und die MdE mit 80 % bezeichnet. Durch Umanerkennungsbescheid vom 15. Juni 1951 erkannte das Versorgungsamt (VersorgA) - ebenfalls ohne ärztliche Untersuchung - als Schädigungsfolge Verlust des rechten Oberschenkels durch Granatsplitter mit einer MdE um 80 v. H. an und gewährte dementsprechend Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

Am 25. März 1954 beantragte der Kläger, die Rente zu erhöhen, weil sich die seinerzeit als Wehrdienstbeschädigung anerkannte Senkfußanlage verschlimmert habe. Nach Anhörung des Facharztes für Orthopädie Dr. P und des Prüfarztes Dr. M lehnte das VersorgA durch Bescheid vom 21. Dezember 1954 auf Grund des § 62 Abs. 1 BVG den Antrag auf Erhöhung der Rente ab, weil in dem Zustand der durch den Umanerkennungsbescheid vom 15. Juni 1951 bezeichneten Schädigungsfolgen keine wesentliche Änderung eingetreten sei; die Fuß- und Beinbeschwerden beruhten auf einer Spreiz-Senkfußstellung mittleren Grades; diese sei keine Folge der anerkannten Schädigungsfolgen. Der Widerspruch ist nach einer Stellungnahme des ärztlichen Beraters zurückgewiesen worden, weil die Bezeichnung Spreiz-Senkfuß lediglich eine präzisere Bezeichnung als die Bezeichnung Senkfuß sei; weder die Senkfußanlage noch die Senk-Spreizfußstellung sei anerkannt und könne auch nicht anerkannt werden, weil diese Erscheinungen als konstitutionell bedingt aufzufassen seien.

Mit der Klage hat der Kläger die weitere Berücksichtigung der früher anerkannten Senkfußanlage links und die Bewilligung einer höheren Rente begehrt. Durch Urteil vom 7. Februar 1957 hat das Sozialgericht (SG) den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 21. Dezember 1954 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides (vom 25. März 1955) verurteilt, zusätzlich als Wehrdienstbeschädigung Senkfußanlage links anzuerkennen und dem Kläger ab 1. März 1954 Rente nach einer MdE um 90 v. H. zu gewähren.

Der Beklagte hat Berufung eingelegt und ausgeführt, durch die bindenden Bescheide vom 25. Oktober 1947 und 15. Juni 1951 sei nur der Oberschenkelverlust anerkannt worden; außerdem sei die MdE auch unter Einbeziehung der Senkfußanlage links mit 80 v. H. zutreffend beurteilt worden. Durch Urteil vom 13. April 1960 hat das Landessozialgericht (LSG) die Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es hat ausgeführt, die Benachrichtigung vom 25. Oktober 1947 und der Umanerkennungsbescheid vom 15. Juni 1951 erfüllten die Voraussetzungen des § 85 BVG nicht, weil sie keine Entscheidung über die Frage des ursächlichen Zusammenhangs enthielten. Die zusätzliche Anerkennung der Senkfußanlage links, die nach dem Gutachten des Dr. P nicht unerhebliche Beschwerden verursache, müsse zu einer Erhöhung der MdE auf 90 % führen, zumal diese Beschwerden den Kläger als Beinamputierten besonders beeinträchtigten. Die Rente sei nach § 86 Abs. 3 BVG neu festzustellen; denn nach dieser Vorschrift könne der Grad der MdE nicht nur herabgesetzt, sondern auch erhöht werden.

Der Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,

unter Abänderung der Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 13. April 1960 und des Sozialgerichts Münster vom 7. Februar 1957 die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das Urteil des Landessozialgerichts aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Er rügt mit näherer Begründung eine Verletzung der §§ 54, 103, 106 und 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); §§ 1, 85, 86 BVG; §§ 22, 40 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG).

Der Kläger hält das Urteil des LSG für zutreffend und macht die Entscheidungsgründe zu seinem Vortrag.

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG); sie ist form- und fristgerecht nach § 164 SGG eingelegt und begründet worden. Mithin ist sie zulässig. Das Rechtsmittel ist aber nicht begründet, weil die vom Beklagten gerügten Gesetzesverletzungen nicht durchgreifen.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, daß das Urteil des Versorgungsgerichts vom 8. Mai 1930 bzw. der Bescheid vom 14. Juli 1930 eine Entscheidung nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften im Sinne des § 85 BVG darstelle, die auch nach dem BVG rechtsverbindlich sei, und daß dementsprechend die Senkfußanlage links als Schädigungsfolge betrachtet werden müsse. Dies ist frei von Rechtsirrtum und entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl. statt anderen BSG 8, 16 ff, 19; BSG in SozR BVG § 86 Bl. Ca 6 ff Nr. 10). Danach sind unter "bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften" im Sinne des § 85 BVG alle früheren versorgungsrechtlichen Regelungen, nicht nur die unmittelbar vor Inkrafttreten des BVG geltenden Versorgungsgesetze zu verstehen.

Hiernach hat der Beklagte zu Unrecht gerügt, § 85 BVG sei verletzt worden. Insbesondere hat er keine Gründe vorgetragen, welche Anlaß geben könnten, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Wenn er der Ansicht ist, die Auslegung des BSG könne zu unbilligen und unterschiedlichen Ergebnissen in den Fällen führen, in denen ein auf Grund des RVG Berechtigter keine Ansprüche nach der SVD 27 oder den übrigen zwischenzeitlich gültigen Versorgungsgesetzen erhoben habe, so kann ihm insoweit nicht gefolgt werden. Er geht bei diesen Darlegungen anscheinend davon aus, daß ein anerkanntes Versorgungsleiden in der Zwischenzeit weggefallen ist. In diesen Fällen aber greift nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 2, 113 ff; BSG in SozR § 85 Bl. Ca 3 Nr. 5) die bindende Wirkung des § 85 BVG hinsichtlich der früheren versorgungsrechtlichen Entscheidungen nicht durch.

Entgegen der Auffassung des Beklagten weichen die Entscheidungen des BSG, die in BSG 4, 116 ff und 5, 34 ff veröffentlicht sind, nicht voneinander ab. Denn in beiden Fällen ist ausgeführt, daß § 85 BVG eine bindend gewordene Entscheidung voraussetzt. In beiden Fällen war die Entscheidung nach dem unmittelbar vorangehenden Recht, nämlich dem Berliner Kriegsopferversorgungsgesetz (KVG) bzw. der SVD 27 nicht bindend geworden. Der zweite Fall bot die Besonderheit, daß vor der Entscheidung nach der SVD 27 eine solche nach dem RVG ergangen war; dies traf im ersten Fall nicht zu. Dieser unterschiedliche Sachverhalt hat die in den Ergebnissen nicht gleichlautenden Entscheidungen hinreichend gerechtfertigt; sie weichen in der rechtlichen Beurteilung des § 85 BVG nicht voneinander ab.

Dem LSG kann auch darin gefolgt werden, daß eine bindende Entscheidung nach der SVD 27 nicht vorliegt. Dabei hat es zu Recht die Äußerung des Obervertrauensarztes Dr. W vom 21. Oktober 1947 nicht als ärztliche Nachuntersuchung für die Gewährung von Leistungen nach dieser SVD angesehen, weil sie sich nur auf die Knappschaftsrente und deren Ruhen bezogen hat. Die Benachrichtigung vom 25. Oktober 1947 belehrt nicht über das zulässige Rechtsmittel, stellt sich also schon äußerlich nicht als echter Bescheid dar. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist in ihr keine Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang und mithin keine Aberkennung der bis dahin anerkannten Senkfußanlage zu erblicken. Denn es sind keine Gründe dafür angegeben, warum die Bezeichnung der Schädigungsfolgen geändert worden ist. Nach der neueren Rechtslehre und Rechtsprechung über den Verwaltungsakt, die auch auf Bescheide nach der SVD 27 anzuwenden sind, muß dieser hinsichtlich seines Rechtsausspruchs und seiner Begründung klar sein und das erkennen lassen, was die angenommene Rechtsfolge begründet. Der Verletzte muß hierdurch die Möglichkeit erhalten, gegen die Begründung im Rechtszuge Stellung zu nehmen und sie substantiiert anzugreifen. Dies hat das BSG in Fortführung der Rechtsprechung auf dem Gebiete der Sozialversicherung (Rek E des RVA Nr. 1490 AN 1896, 240) für die Versagung von Pflegezulage entschieden (BSG 3, 271 ff, 274). Es muß auch im vorliegenden Fall gelten. Infolgedessen hat das LSG in der formlosen Mitteilung auf Grund des § 14 II SVD 27 zutreffend eine echte Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang der Wehrdienstbeschädigung mit der Senkfußanlage links nicht gesehen. Es kommt hinzu, daß gemäß § 14 II Satz 2 SVD 27 das Versorgungsrechtsverhältnis des Klägers durch diese formlose Benachrichtigung nur vorläufig und vorbehaltlich weiterer Anordnungen geregelt worden ist. Bei dieser Sachlage kann unerörtert bleiben, daß bei der Bezeichnung der Schädigungsfolge auf eine jetzt nicht mehr auffindbare Blattzahl Bezug genommen worden ist und daß - worauf das SG in seiner Entscheidung noch eingegangen ist - die Ruhrknappschaft als damaliger Träger der Kriegsopferversorgung die Leidensbezeichnung in der Benachrichtigung nicht als abschließend angesehen, sondern später die "Senkfußanlage links" mit aufgeführt hat. Auch dies hätte das LSG bei der Auslegung der Benachrichtigung als Stütze seiner - wie bereits dargelegt - zutreffenden Rechtsauffassung heranziehen können. Jedenfalls ist mit dem Berufungsgericht davon auszugehen, daß bindende Entscheidung im Sinne des § 85 Satz 1 BVG hier der ursprüngliche Bescheid des VersorgA vom 14. Juli 1930 gewesen ist, welcher auf Grund des Urteils des Versorgungsgerichts ergangen war.

Demnach hätte das VersorgA bei der Umanerkennung der Rente nach dem BVG berücksichtigen müssen, daß die Senkfußanlage links gemäß § 85 Abs. 1 BVG eine anerkannte Schädigungsfolge war. Wenn es dem nicht entsprochen hat, kann der Kläger hierdurch nicht benachteiligt werden. Diese Schädigungsfolge ist auch nicht etwa deshalb aberkannt worden, weil sie im Umanerkennungsbescheid nicht aufgeführt worden ist. Denn nach den oben dargelegten rechtlichen Gesichtspunkten über das Erfordernis einer ausdrücklichen Verwaltungsentscheidung bei der Ablehnung einer Versorgungsleistung oder der Aberkennung einer anerkannten Schädigungsfolge muß ein Bescheid - das gilt besonders für einen belastenden Bescheid - klar sein und erkennen lassen, wie er das Versorgungsrechtsverhältnis regelt und was die angenommene Rechtsfolge begründet. Durch bloßes Übergehen oder Nichterwähnen kann eine Rechtsfolge nicht herbeigeführt werden. Außerdem ist folgendes zu beachten: Der Umanerkennungsbescheid hat sich nicht auf eine ärztliche Untersuchung gestützt, sondern hat nach § 86 Abs. 3 BVG den bis dahin anerkannten Grad der MdE und die ihn stützenden Feststellungen von Schädigungsfolgen übernommen, welche nach den bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften maßgebend gewesen waren. Das Versorgungsrechtsverhältnis ist somit nicht in dem Sinne gestaltet worden, wie es im allgemeinen durch einen Bescheid geschieht. Denn eine ärztliche Nachuntersuchung wäre - wie auch aus Nr. 3 Abs. 1 der Verwaltungsvorschrift zu § 86 BVG hervorgeht - an sich erforderlich gewesen, um die für eine Gestaltung des Rechtsverhältnisses notwendigen tatsächlichen Feststellungen treffen zu können. Aus diesen beiden Gründen hat der Umanerkennungsbescheid das Versorgungsrechtsverhältnis nicht erschöpfend geregelt. Es kam also nicht darauf an, daß die Verwaltung ihn gemäß § 86 Abs. 3 BVG innerhalb von vier Jahren nach dem Inkrafttreten des BVG hätte richtig stellen können. Vielmehr mußte sie den Umanerkennungsbescheid jederzeit - unabhängig von dieser Frist - ergänzen, nachdem sie bemerkte, daß die linksseitige Senkfußanlage als Schädigungsfolge übergangen worden war. Somit hat dieses Leiden bei der Entscheidung über den Antrag auf Erhöhung der Rente vom März 1954 als Schädigungsfolge berücksichtigt werden müssen.

Das LSG ist also zu Recht davon ausgegangen, daß die Senkfußanlage als Schädigungsfolge zu behandeln ist. Es hat, gestützt auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. P, ausgeführt, daß diese Anlage nicht unerhebliche Beschwerden verursache und daß ihretwegen die MdE auf 90 v. H. erhöht werden müsse, weil diese Beschwerden den Kläger als Beinamputierten besonders beeinträchtigen. Damit hat das Berufungsgericht festgestellt, daß sich die hier nach der Rechtsprechung des BSG (BSG 15, 26 ff) maßgebenden Verhältnisse wesentlich geändert haben, auf die sich die Beurteilung der MdE nach dem Bescheid vom 14. Juli 1930 gestützt hat. Demgegenüber fällt es nicht ins Gewicht, daß das Berufungsgericht der Ansicht gewesen ist, die Versorgungsbezüge könnten nicht gemäß § 62 BVG neu festgestellt werden. Denn gegenüber dieser - nicht zutreffenden - Rechtsansicht sind allein die tatsächlichen Feststellungen des LSG maßgebend; nach diesen haben sich die Verhältnisse wesentlich geändert im Sinne des § 62 Abs. 1 BVG. Der Senat ist auch berechtigt, als Rechtsgrundlage für den angefochtenen Verwaltungsakt nicht mehr § 86 Abs. 3, sondern § 62 Abs. 1 BVG anzusehen, weil dieser hierdurch in seinem Wesen nicht verändert und die Rechtsverteidigung des Beklagten und Revisionsklägers nicht beeinträchtigt wird (BSG 7, 8 ff, 12; 11, 236 ff, 239).

Nach § 62 Abs. 1 BVG aF, die hier anzuwenden ist, wurden die Versorgungsbezüge neu festgestellt, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung maßgebend gewesen waren, eine wesentliche Änderung eintrat. Für die Rentenfeststellung nach dem BVG sind als Schädigungsfolgen der Verlust des rechten Oberschenkels und - gemäß § 85 BVG - die Senkfußanlage links zu berücksichtigen. Wie der Kläger geltend macht und das LSG festgestellt hat, hat sich die Senkfußanlage wesentlich verschlimmert und verursacht nunmehr eine erhebliche MdE. Infolgedessen ist der Umanerkennungsbescheid vom 15. Juni 1951 durch eine wesentliche Änderung der Verhältnisse nachträglich insoweit unrichtig geworden, als zur Zeit des Erhöhungsantrags die MdE nicht mehr der wirklichen Sachlage entsprochen hat. Infolgedessen war dieser rechtswidrig gewordene Bescheid insoweit zurückzunehmen und durch eine Neufeststellung zu ersetzen. Der Bescheid des VersorgA vom 21. Dezember 1954 und der Widerspruchsbescheid sind deshalb rechtswidrig, weil sie dem nicht Rechnung getragen und eine Neufeststellung abgelehnt haben. Deshalb hat das LSG zu Recht die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, durch welches die Senkfußanlage links als Schädigungsfolge bezeichnet und Rente nach einer MdE um 90 v. H. zugesprochen worden ist. Bei dieser Rechtslage braucht nicht darauf eingegangen zu werden, ob das Berufungsgericht hier die Vorschrift des § 86 Abs. 3 BVG zu Recht angewandt hat.

Der Beklagte rügt ebenfalls zu Unrecht, daß er hier nur zur Erteilung eines neuen Bescheides, nicht aber zur Leistung habe verurteilt werden können. Er geht insoweit von der unzutreffenden Auffassung aus, daß durch das Übergehen der Senkfußanlage diese ursprünglich anerkannte Schädigungsfolge aberkannt worden sei. Seine Erwägungen beruhen auf der früheren Rechtsansicht, daß alle die Versorgungsleiden, die nicht ausdrücklich anerkannt worden sind, als aberkannt anzusehen sind. Diese Rechtsauffassung ist durch die Rechtsprechung des BSG nicht aufrechterhalten worden (BSG 3, 274). Abgesehen davon, daß es befremden muß, wenn die Versorgungsverwaltung aus einem vielleicht auf einem Versehen beruhenden, jedenfalls fehlerhaften Verwaltungsakt nur deshalb, weil er bindend geworden ist, einen verfahrensrechtlichen Vorteil herleiten will, wird sie hier außerdem der besonderen, durch § 85 in Verbindung mit § 62 BVG geschaffenen Rechtslage nicht gerecht. Es handelt sich - wie bereits dargelegt - durch die Bindung gemäß § 85 Satz 1 BVG nicht um einen Fall einer echten Berichtigung nach dem VerwVG, sondern vielmehr um eine teilweise Neufeststellung des Versorgungsrechtsverhältnisses auf Grund des § 62 BVG. In diesen Fällen können die Gerichte, da ein fehlerhaft gewordener Verwaltungsakt streitig ist, auch zur Leistung verurteilen.

Demgemäß hat das LSG im Ergebnis zutreffend die Senkfußanlage links weiter als Schädigungsfolge angesehen. Seine Entscheidung ist auch insoweit nicht fehlerhaft, als es tatsächliche Feststellungen hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der anerkannten Senkfußanlage und dem derzeitigen Leidenszustand getroffen und die MdE festgestellt hat.

Der Beklagte bemängelt ferner zu Unrecht, das LSG habe § 128 SGG verletzt. Nach Abs. 1 dieser Vorschrift entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Hier hat der Sachverständige Dr. P den Zustand des linken Beins beschrieben. Er hat auch ausgeführt, die vom Kläger vorgetragenen Fuß- und Beinbeschwerden beruhten auf einer Spreiz-Senkfußstellung. Hiermit stimmt die Äußerung des ärztlichen Beraters im Widerspruchsverfahren überein. Das Berufungsgericht konnte ohne Rechtsverstoß von der weiteren Bemerkung des Dr. P absehen, die Fußfehlstellung sei auf die konstitutionell bedingte Gewebsschwäche des Fußes zurückzuführen, weil der Gutachter von der unrichtigen Auffassung ausgegangen ist, daß dieses Leiden nicht bindend anerkannt sei. Wenn sich das LSG bei der oben dargelegten Rechtslage mit dieser Bemerkung und den Ausführungen des Prüfarztes Dr. M über den ursächlichen Zusammenhang des Senkfußes mit dem Verlust des rechten Beins nicht auseinandergesetzt hat, so begründet dies keinen Verstoß gegen § 128 SGG. Denn jedenfalls ergibt sich aus dem Tatbestand des angefochtenen Urteils, daß das Berufungsgericht die Stellungnahme des Prüfarztes Dr. M berücksichtigt und seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gebildet hat.

Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht schließlich auch nicht § 103 SGG verletzt. Es hatte für die von ihm vorgenommene Beurteilung, inwieweit die Erwerbsfähigkeit durch den derzeitigen Zustand der anerkannten Schädigungsfolge des Senk-Spreizfußes beeinträchtigt war, ausreichende ärztliche Unterlagen durch den Sachverständigen Dr. P und den ärztlichen Berater im Widerspruchsverfahren.

Da sonach die gerügten wesentlichen Mängel des Verfahrens nicht vorliegen und die angefochtene Entscheidung rechtlich im Ergebnis nicht zu beanstanden ist, ist die Revision nicht begründet; sie mußte daher nach § 170 Abs. 1 SGG zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379893

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