Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrschulausbildung iS von § 1255a RVO
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob der Besuch einer Verwaltungsschule eine Fachschulausbildung nach Leistungsgruppe 2 der Anl 1 zu § 1255a RVO sein kann.
Orientierungssatz
Der Besuch einer Verwaltungsschule durch einen Beamten ist keine "Fachschulausbildung" nach der Leistungsgruppe 2 der Anl 1 zu § 1255a RVO, wenn eine Beziehung dieser - während der Beamtenzeit, auf Veranlassung des Dienstherrn, für die Zwecke der Beamtentätigkeit und unter Fortzahlung des Gehalts durchlaufenen - Ausbildung zu einer versicherungspflichtigen Beschäftigung weder bestand noch auch nur vorgesehen war. Dies muß jedenfalls dann gelten, wenn die Abschlußprüfung (Aufstiegsprüfung) lediglich zu einer höheren Laufbahn (hier: Eintritt in den gehobenen Dienst) berechtigt.
Normenkette
RVO § 1255a Abs 2 Anl 1 Fassung: 1982-12-20, § 1259 Abs 1 S 1 Nr 4 Fassung: 1972-10-16
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 27.04.1983; Aktenzeichen L 3 An 675/82) |
SG Stuttgart (Entscheidung vom 24.02.1982; Aktenzeichen S 6 An 1689/81) |
Tatbestand
Streitig ist, ob bei der Rentenberechnung den Ersatz- und Ausfallzeiten der Wert zugrunde zu legen ist, den die Anlage 1 zu § 1255a Reichsversicherungsordnung (RVO) der Leistungsgruppe 2 zuweist.
Der 1915 geborene Kläger entrichtete von April 1932 bis März 1933 als Verwaltungsangestellter Beiträge zur Angestelltenversicherung; anschließend war er als Beamtenanwärter versicherungsfrei. Nach dem Kriege leistete er zuletzt 1946 wirksame Beiträge an die beklagte Landesversicherungsanstalt. Im Februar 1952 wurde er zum Beamten auf Lebenszeit (Verwaltungssekretär) ernannt. Von Oktober 1953 bis Mai 1954 besuchte er in Vollzeitunterricht einen Lehrgang an der Staatlichen Verwaltungsschule S. und legte im September 1954 die Prüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst ab. Er war von Oktober 1953 bis September 1954 als Beamter unter Fortzahlung der Bezüge vom Dienst freigestellt.
Seit November 1979 erhält der Kläger Rente wegen Erwerbsunfähigkeit wegen eines im Juli 1979 eingetretenen Versicherungsfalles. Der Rentenberechnung liegt der Bescheid vom 1. Dezember 1980 (in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 1981) zugrunde, den die vorübergehend als zuständig angesehene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) erlassen und den sich die Beklagte zu eigen gemacht hat. Dabei sind 115 Monate in den Zeitraum von April 1936 bis Juli 1946 fallende Ersatzzeiten sowie zwei Monate pauschale Ausfallzeit mit Werteinheiten von monatlich 8,67 (Leistungsgruppe 3 der Anlage 1 zu § 1255a RVO) berücksichtigt.
Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg hat das die Klage abweisende Urteil des Sozialgerichts (SG) Stuttgart vom 24. Februar 1982 aufgehoben und die nach Klageänderung passiv legitimierte Beklagte durch Urteil vom 27. April 1983 verurteilt, bei der Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente die Ersatz- und Ausfallzeiten nach der Leistungsgruppe 2 der Anlage 1 zu § 1255a RVO zu bewerten. Es hat ausgeführt: Soweit das Bundessozialgericht (BSG) im Urteil vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 138/76 - die - allerdings nebendienstliche - Teilnahme an Kursen einer Verwaltungsschule nicht als Fachschulausbildung im Sinne der Anlage 1 zu § 1255a RVO gewertet habe, weil es sich um die Ausbildung während eines von vornherein versicherungsfreien Beamtenverhältnisses handele und deshalb nicht begünstigt zu werden brauche, stehe dem der Gesetzeswortlaut entgegen. Auch nach Sinn und Zweck des Gesetzes sei eine solche einengende Auslegung nicht gerechtfertigt; es komme auf die Verbesserung der beruflichen Qualifikation durch die Ausbildung an und sei ohne rechtliche Bedeutung, ob sich im Einzelfall Auswirkungen auf Versicherungszeiten ergäben.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts. Zwar sei die Staatliche Verwaltungsschule S. eine als Fachschule zu qualifizierende Ausbildungsstätte gewesen; es handele sich beim Kläger aber nicht um eine Fachschulausbildung iS des § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO, weil sie während eines versicherungsfreien Beamtenverhältnisses stattgefunden und keine Beitragsleistung verhindert habe. Der Gesetzeszweck, Ausbildungszeiten im Hinblick auf zu erwartende künftige Entgelte günstiger zu bewerten, könne auf Aus- und Fortbildungen während eines bei voller Weiterzahlung der Bezüge bestehenden Beamtenverhältnisses nicht übertragen werden.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 1983 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 24. Februar 1982 als unbegründet zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend, ist aber der Ansicht, das LSG habe irrtümlich eine Abweichung vom BSG-Urteil vom 15. März 1978 angenommen; denn dort sei entscheidend darauf abgehoben worden, daß es sich um keinen Vollzeitunterricht gehandelt habe.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, daß bei der Berechnung der Erwerbsunfähigkeitsrente den Ersatz- und Ausfallzeiten ein höherer Wert zugrunde gelegt wird.
Anspruchsgrundlage ist § 1255a RVO iVm Anlage 1. Dabei gelangt allerdings die Vorschrift - wenngleich das die zu entscheidende Rechtsfrage nicht berührt - entgegen der Auffassung der Vorinstanz nicht mehr idF des Zwanzigsten Rentenanpassungsgesetzes (20. RAG) vom 27. Juni 1977 (BGBl I 1040) zur Anwendung, sondern bereits in derjenigen des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 vom 20. Dezember 1982 (BGBl I 1857) - nF -. Denn nach Art 2 § 12b Abs 3 Satz 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) idF des Haushaltsbegleitgesetzes 1983 gilt § 1255a Abs 1 bis 3 RVO auch für Versicherungsfälle vor diesem Zeitpunkt.
Da der Kläger nicht mehr als 60 Kalendermonate mit Beiträgen belegt hat und der Wert der vor dem 1. Januar 1965 zurückgelegten Zeiten im Monatsdurchschnitt unter dem niedrigsten Tabellenwert der Anlage 1 liegt, ist nach § 1255a Abs 2 Satz 3 RVO nF mindestens der nach dieser Anlage maßgebende Wert zugrunde zu legen. Während die Beklagte (entsprechend dem Bescheid der BfA) die Leistungsgruppe 3 anwandte ("Versicherte, die nicht zu den Leistungsgruppen 1 und 2 gehören"), begehrt der Kläger die Einstufung in Leistungsgruppe 2 ("Versicherte mit einer in § 1259 Abs 1 Nr 4 bezeichneten Schul- oder Fachschulausbildung"), was anstatt eines monatlichen Wertes von 8,67 (nach altem Recht) einem solchen von 10,50 (neuen Rechts) ergäbe. Indessen kann der Kläger nicht der Leistungsgruppe 2 zugeordnet werden.
Mit den Tabellenwerten sollen Zufallsergebnisse, die bei einer Beitragszeit von weniger als 60 Kalendermonaten häufiger auftreten können, nach Möglichkeit begrenzt werden dadurch, daß auf die allgemeine Berufserwartung, soweit sich diese auf die Ausbildung stützen konnte, abgestellt wird (Urteil vom 29. Januar 1975 - 11 RA 200/73 = BSGE 39, 91 = SozR 2200 § 1255a Nr 1). Wenn das Gesetz dabei auf Versicherte mit einer in § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO bezeichneten Schul- oder Fachschulausbildung abhebt, so bedeutet dies zwar einerseits, daß es sich um keine "anzurechnende" Schul- oder Fachschulausbildung zu handeln braucht (wie dies die Anlage 2 zu § 1255a RVO aF nach dem bis 1982 geltenden Recht ausdrücklich forderte); andererseits muß es aber eine - hier: - Fachschulausbildung im Sinne der Bezugsvorschrift sein. Deshalb ist in die Auslegung des Begriffes "Fachschulausbildung" der Sinngehalt und Zweck des § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO einzubeziehen. Der 1. Senat hat im Urteil vom 7. Dezember 1977 - 1 RA 111/76 (= SozR 2200 § 1255a Nr 6) - entsprechend dem Grundgedanken des § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO - eine Beschränkung auf solche Ausbildungen angenommen, die üblicherweise schon aus zeitlichen Gründen versicherungspflichtige Beschäftigungen ausschließen und sich nach ihrem Abschluß auf solche Beschäftigungen beruflich auswirken. Nach der Ansicht des 1. Senats durften bei dieser "bewußt typisierenden" Bewertung Ausbildungen, die während eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses oder schon versicherungsfreien Beamtenverhältnisses durchlaufen werden und die zu einer aufsteigenden Beamtenstellung führen, außer acht gelassen werden.
Der Einwand des Klägers, in jenem Rechtsstreit sei erheblich gewesen, daß die theoretische Ausbildung nicht in Vollzeitunterricht, sondern nur "nebendienstlich" durchgeführt worden sei, läßt unberücksichtigt, daß die wiedergegebene Begründung zusätzlich und selbständig steht; im übrigen ist auch im Zusammenhang mit dem Vollzeitunterricht in dem Urteil ausgeführt worden, ein Fachschulunterricht komme als Ausfallzeit iS des § 1259 Abs 1 Nr 4 nur in Betracht, wenn er nicht gleichzeitig mit einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder versicherungsfreien Tätigkeit einhergehe, weil die Ausfallzeit gerade an die Stelle der infolge der Ausbildung nicht erreichbaren Beitragszeit treten solle. Mit ähnlichen Gründen hat der 1. Senat in dem vom LSG erwähnten Urteil vom 15. März 1978 - 1/5 RJ 138/76 - entschieden; außerdem ist in diesem Urteil festgestellt worden, Fortbildungsmaßnahmen seien dem Begriff der Ausbildung an einer Fachschule weder zuzuordnen noch rechtlich gleichzustellen.
Der gleiche Grundgedanke liegt dem Urteil des 11. Senats vom 13. Oktober 1983 - 11 RA 80/82 - zugrunde. Dort geht es allerdings darum, ob die Ausbildung an einer Fliegerakademie während des Wehrdienstes als Ausbildungs-Ausfallzeit vorgemerkt werden kann. Der 11. Senat hat das verneint, weil es Sinn und Zweck der Ausfallzeiten sei, vor Nachteilen zu schützen, die dadurch entstehen könnten, daß der Versicherte aufgrund des Ausfallzeittatbestandes an der Pflichtbeitragsleistung gehindert gewesen sei. Deswegen könnten solche Ausbildungszeiten keine Ausfallzeiten sein, die während eines zumindest an sich versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses zurückgelegt werden (Hinweis auf SozR 2200 § 1255 Nr 6, § 1255a Nr 6 sowie SozSich 1978, 252). Das müsse jedenfalls für Fälle gelten, in denen die Ausbildung Teil eines umfassenderen Beschäftigungsverhältnis gewesen sei, auch wenn sich die Ausbildung der Form und dem Inhalt nach dabei schulmäßig vollzogen habe. Dann könne nicht die Ausbildung, sondern nur das sie umschließende Beschäftigungsverhältnis für die Entrichtung oder die Nichtentrichtung von Pflichtbeiträgen maßgebend gewesen sein. Demzufolge müsse eine sich innerhalb eines allgemeineren Beschäftigungsverhältnisses vollziehende Ausbildung versicherungsrechtlich das Schicksal des Beschäftigungsverhältnisses teilen (S 9, 10).
Der erkennende Senat hält diese Überlegungen des 11. Senats für überzeugend; sie treffen auf das Beschäftigungsverhältnis (Dienstverhältnis) des Klägers mit mindestens ebenso großer Berechtigung zu, wie es in jenem Rechtsstreit hinsichtlich des Wehrdienstes der Fall war. Zwar hatte der 11. Senat über die Vormerkung einer Ausfallzeit nach § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO zu entscheiden, während hier im Rahmen der Rentenberechnung bei der Bewertung beitragsloser Zeiten in Frage steht, ob der Kläger ein "Versicherter mit einer in § 1259 Abs 1 Nr 4 bezeichneten ... Fachschulausbildung" ist. Gleichwohl sind die Leitgedanken jener Entscheidung für den vorliegenden Rechtsstreit beachtlich. Daß, wie bereits ausgeführt, keine "anzurechnende" (anrechnungsfähige) Fachschulausbildung erforderlich ist, bedeutet nicht notwendig, es genüge jedwede Ausbildung an einer Fachschule. Die Einbindung der Tabellenwerte in die Rentenberechnung sowie die Bezugnahme auf § 1259 Abs 1 Nr 4 RVO gebieten es vielmehr, zumindest solche Ausbildungen unberücksichtigt zu lassen, bei denen aufgrund ihrer Eigenart und Zielrichtung von vornherein eine rentenversicherungsrechtliche Relevanz ausschied. Deshalb kann die Ausbildung an einer Verwaltungsschule nicht die Zuordnung zur Leistungsgruppe 2 aa0 begründen, wenn sie während und im Rahmen eines Beamtenverhältnisses unter Fortzahlung der Dienstbezüge durchgeführt wird und der Dienstherr diese Ausbildung veranlaßt hat; dies muß jedenfalls dann gelten, wenn die Abschlußprüfung (Aufstiegsprüfung) lediglich zu einer höheren Laufbahn (hier: Eintritt in den gehobenen Dienst) berechtigt.
Auf die Revision der Beklagten war daher das vorinstanzliche Urteil aufzuheben und die Berufung gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.
Fundstellen