Leitsatz (redaktionell)

1. Die Voraussetzungen für die Bestellung eines besonderen Vertreters nach SGG § 72 Abs 1 liegen nur vor, wenn der Beteiligte prozeßunfähig ist (SGG § 71 Abs 1).

Die Prozeßfähigkeit wird nicht schon durch die Unfähigkeit eines Beteiligten, seine Rechte in einer mündlichen Verhandlung selbst wahrzunehmen, beseitigt; es gibt nicht eine "beschränkte" Prozeßunfähigkeit.

Zwar kann der Kläger unter den Voraussetzungen des BGB § 1910 Abs 2 auch für die Besorgung "einzelner seiner Angelegenheiten" und damit auch - nur - zur Wahrnehmung eines gerichtlichen Verhandlungstermins einen Pfleger erhalten, für die Bestellung eines solchen Pflegers ist jedoch nur das Vormundschaftsgericht, nicht aber ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit zuständig.

2. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der mündlichen Verhandlung ist nur dann genügt, wenn ein Beteiligter - falls er nicht persönlich erschienen ist, sein Vertreter - Gelegenheit gehabt hat, in der mündlichen Verhandlung sachgemäße Erklärungen abzugeben.

Der Vertreter eines nicht erschienenen Beteiligten kann sachgemäße Erklärungen aber nur abgeben, wenn er sich mit dem Gegenstand der Verhandlung rechtzeitig und in vollem Umfang hat vertraut machen können.

3. Nach ZPO § 227 Abs 1 Abs 3 iVm SGG § 202 kann das Gericht auch nach Beginn der mündlichen Verhandlung "aus erheblichen Gründen" einen neuen Termin bestimmen.

Obwohl das Gericht dabei auch die gebotene Beschleunigung des Verfahrens zu berücksichtigen hat, darf es insoweit den Grundsatz des rechtlichen Gehörs aber nicht unberücksichtigt lassen; es darf dies auch dann nicht tun, wenn es selbst die Sache für entscheidungsreif hält (vergleiche BSG 1962-04-27 7 RAr 25/60 = BSGE 17, 44).

 

Normenkette

SGG § 72 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 71 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03; BGB § 1910 Abs. 2 Fassung: 1896-08-18; SGG § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 227 Abs. 1, 3; SGG § 62 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers vom 19. Mai 1964 wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. November 1963 aufgehoben; die Sache wird zu neuen Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

I

Der Kläger, geboren am 4. November 1910, von Beruf kaufmännischer Angestellter, erhielt von 1942 bis März 1945 von der früheren Reichsversicherungsanstalt für Angestellte Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit. Im Jahre 1947 gewährte ihm die Sozialversicherungsanstalt Mecklenburg "Sozialversicherungsrente". Nach seiner Übersiedlung nach B und später in die Bundesrepublik beantragte der Kläger im Juli 1956 bei der Beklagten Ruhegeld wegen Berufsunfähigkeit, diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12. April 1957 ab. Die Klage blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Ulm vom 27. Oktober 1959). Der Kläger legte Berufung ein. Das Landessozialgericht (LSG) ließ den Kläger in der Universitätsklinik ... in H stationär untersuchen und begutachten, diese Klinik zog einen Befundbericht der Universitäts-Augenklinik und ein Zusatzgutachten der Psychiatrischen und Neurologischen Klinik der Universität H bei. Die Gutachten wurden dem Kläger vom LSG im November 1962 übersandt. Nachdem der Kläger sich auf den Vorschlag der Beklagten vom Dezember 1962, als Heilverfahren eine stationäre Krankenhausbehandlung in der Medizinischen Universitätsklinik H durchzuführen, nicht geäußert hatte, wurde Termin vor dem LSG auf den 26. November 1963 anberaumt, der Kläger wurde am 28. Oktober 1963 zu diesem Termin geladen. Am 14. November 1963 beantragte der nunmehr in Bad M wohnhafte Kläger, ihm für die Wahrnehmung seiner Rechte vor dem LSG einen Vertreter zu bestellen, er legte ärztliche Bescheinigungen des Facharztes für innere Krankheiten Dr. N vom 11. Oktober 1962, 30. Oktober 1963 und 8. November 1963 vor. Dr. N führte darin ua aus, der Kläger könne wegen nervöser Erregbarkeit seine Sache in einer mündlichen Verhandlung nicht selbst vertreten; der Kläger stellte zugleich in Aussicht, er werde Vertagung des Termins beantragen, damit sich der beizuordnende Rechtsbeistand in die Sache einarbeiten könne. Durch Beschluß vom 18. November 1963 bestellte der Vorsitzende des zuständigen Senats des LSG gemäß § 72 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als besonderen Vertreter für die Wahrnehmung des Termins am 26. November 1963 den beim LSG tätigen Sozialgerichts-Oberinspektor G. In einem am 25. November 1963 beim LSG eingegangenen Schreiben beantragte der Kläger selbst Vertagung. In der mündlichen Verhandlung des LSG beantragte der bestellte Vertreter in erster Linie Vertagung, hilfsweise beantragte er Aufhebung des Urteils des SG und des Bescheides der Beklagten vom 12. April 1957 und Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Rente an den Kläger wegen Berufsunfähigkeit. Durch Urteil vom 26. November 1963 wies das LSG die Berufung zurück: Nach den Gutachten der Universitätskliniken seien Folgen einer Hirnverletzung oder einer Granatsplitterverletzung der Wirbelsäule nicht nachzuweisen, die Erwerbsfähigkeit des Klägers in seinem Beruf als kaufmännischer Angestellter sei auch weder durch Folgen eines Bruches des zwölften Brustwirbels oder durch eine Bandscheibenverschmälerung noch durch die abnorme seelische Reaktionsbereitschaft des Klägers beeinträchtigt; die Gutachter der ...-Universität hätten zwar Verdacht auf das Vorliegen eines hormonproduzierenden Tumors geäußert, aber ausgeführt, diese "Verdachtsdiagnose" könne ohne einen längeren Klinikaufenthalt nicht gesichert werden; für die Gewährung von Rente wegen Berufsunfähigkeit reiche diese "Verdachtsdiagnose" nicht aus, zumal nach den ärztlichen Gutachten auch der Verdacht einer tendenziösen Aggravation und einer psychogenen Überlagerung der geklagten Beschwerden bestehe; die Entscheidung hänge ausschließlich von der Klärung der "Verdachtsdiagnose" ab, die hierfür allein wesentliche Erklärung, bei der Durchführung des von der Beklagten angebotenen mehrwöchigen Heilverfahrens mitzuwirken, habe der Kläger bis zum Termin nicht abgegeben, obwohl er nach der Überzeugung des Senats nicht prozeßunfähig und den Rechtsstreit zu übersehen in der Lage sei; unter diesen Umständen seien keine ausreichende Gründe für die Aufhebung oder Verlegung des Termins gegeben. Das Urteil wurde dem Kläger am 14. Dezember 1963 zugestellt.

Am 10. Januar 1964 beantragte der Kläger das Armenrecht für das Revisionsverfahren. Durch Beschluß vom 10. April 1964 wurde das Armenrecht bewilligt und dem Kläger Rechtsanwalt L, K, als Prozeßbevollmächtigter beigeordnet. Am 19. Mai 1964 legte der Kläger durch diesen Prozeßbevollmächtigten Revision ein, er beantragte,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Am 13. Juni 1964 wurde die Revision begründet: Das LSG habe gegen die §§ 72, 103 SGG, §§ 51 ff der Zivilprozeßordnung (ZPO) in Verbindung mit § 202 SGG verstoßen; es habe den Kläger für außerstande gehalten, den Verhandlungstermin wahrzunehmen, es habe den Kläger damit als "teilweise prozeßunfähig" angesehen; eine teilweise Prozeßunfähigkeit gebe es aber nicht, weil es keine teilweise Geschäftsunfähigkeit gebe. Die Bestellung eines Vertreters nach § 72 SGG sei nur bei Prozeßunfähigkeit des Klägers zulässig gewesen, das LSG habe deshalb klären müssen, ob der Kläger prozeßunfähig sei. Das LSG habe auch gegen § 62 SGG, § 227 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 202 SGG verstoßen; es habe dem Vertreter des Klägers die Akten am 22. November 1963 zur Verfügung gestellt, innerhalb der kurzen Zeit bis zum Termin am 26. November 1963 habe der Vertreter sich weder in den Rechtsstreit einarbeiten noch sich mit dem Kläger überhaupt in Verbindung setzen können; unter diesen Umständen habe das LSG dem Kläger das rechtliche Gehör versagt, wenn es dem Vertagungsantrag nicht entsprochen habe.

Der Kläger beantragte weiter in der Revisionsschrift und in der Revisionsbegründungsschrift, ihm wegen der Versäumung der Revisionsfrist und der Revisionsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

Die Beklagte beantragte,

die Revision als unzulässig zu verwerfen.

II

Die Revision des Klägers, die am 19. Mai 1964 durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten eingelegt und am 13. Juni 1964 begründet worden ist, entspricht den Formvorschriften der §§ 164 Abs. 2, 166 SGG; die Revision und die Revisionsbegründung sind jedoch erst nach Ablauf der gesetzlichen Fristen für die Einlegung der Revision (Fristablauf am 14. Januar 1964) und für die Begründung der Revision (Fristablauf am 14. Februar 1964) beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen. Dem Kläger ist aber auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; die Voraussetzungen des § 67 Abs. 1 und Abs. 2 SGG sind erfüllt. Der Kläger ist durch seine Armut und damit ohne sein Verschulden verhindert gewesen, diese Verfahrensfristen einzuhalten, dieses Hindernis ist erst mit der Gewährung des Armenrechts und der Beiordnung eines Rechtsanwalts durch den Beschluß vom 10. April 1964 weggefallen, dieser Beschluß ist dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 20. April 1964 zugestellt worden, der Kläger hat durch seinen Prozeßbevollmächtigten die Wiedereinsetzung am 19. Mai 1964 beantragt und zugleich die versäumte Rechtshandlung, nämlich die Revision nachgeholt; da die Revision am 13. Juni 1964 begründet worden ist, ist auch die Revisionsbegründung rechtzeitig nachgeholt (vgl. BSG 8, 207 ff).

Die frist- und formgerecht eingelegte Revision ist statthaft nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG. Der Kläger hat zu Recht einen wesentlichen Mangel in dem Verfahren des LSG gerügt. Die Rüge des Klägers, das LSG habe gegen die §§ 72 Abs. 1, 103 SGG verstoßen, macht die Revision allerdings nicht statthaft. Es ist zwar richtig, daß die Voraussetzungen für die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 Abs. 1 SGG nur vorliegen, wenn der Beteiligte prozeßunfähig ist; prozeßunfähig ist ein Beteiligter, soweit er sich nicht durch Verträge verpflichten kann (§ 71 Abs. 1 SGG), die Prozeßfähigkeit wird nicht schon durch die Unfähigkeit eines Beteiligten, seine Rechte in einer mündlichen Verhandlung selbst wahrzunehmen, beseitigt; es gibt nicht eine "beschränkte" Prozeßunfähigkeit. Zwar hat der Kläger unter den Voraussetzungen des § 1910 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) auch für die Besorgung "einzelner seiner Angelegenheiten" und damit auch - nur - zur Wahrnehmung eines gerichtlichen Verhandlungstermins einen Pfleger erhalten können, für die Bestellung eines solchen Pflegers ist jedoch nur das Vormundschaftsgericht, nicht aber ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit zuständig gewesen. Ob die Bestellung eines besonderen Vertreters nach § 72 Abs. 1 SGG deshalb unwirksam gewesen ist, weil der Kläger, wie auch in den Gründen des angefochtenen Urteils angenommen ist, nicht prozeßfähig gewesen ist, kann offenbleiben; selbst wenn dies zuträfe, hätte Sozialgerichts-Oberinspektor G den Kläger in dem Termin am 26. November 1963 jedenfalls deshalb rechtswirksam vertreten können, weil er dann als Bevollmächtigter des Klägers anzusehen wäre; der Kläger hat in seinem Schreiben vom 12. November 1963 jedenfalls dem Vertreter, der in der Verhandlung für ihn entsprechend seinem Antrag tätig werden sollte, stillschweigend auch Vollmacht erteilt; diese Vollmacht ist, falls der Kläger nicht prozeßunfähig gewesen wäre, rechtswirksam gewesen.

Der Kläger rügt jedoch zu Recht, das LSG habe ihm das rechtliche Gehör nicht in dem gebotenen Umfang gewährt. Das LSG hat über die Berufung des Klägers am 26. November 1963 mündlich verhandelt, es hat dem Vertreter des Klägers nach der Sitzungsniederschrift auch das Wort erteilt. Dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der mündlichen Verhandlung ist jedoch nur dann genügt, wenn ein Beteiligter - falls er nicht persönlich erschienen ist, sein Vertreter - Gelegenheit gehabt hat, in der mündlichen Verhandlung sachgemäße Erklärungen abzugeben. Der Vertreter eines nicht erschienenen Beteiligten kann sachgemäße Erklärungen aber nur abgeben, wenn er sich mit dem Gegenstand der Verhandlung rechtzeitig und in vollem Umfange hat vertraut machen können. Ob der Vertreter des Klägers, der, wie der Kläger in Übereinstimmung mit dem Vermerk dieses Vertreters in den Akten des LSG geltend macht, die Akten frühestens am 22. November 1963 (einem Freitag) zur Einsicht erhalten hat, damit Gelegenheit gehabt hat, sich mit den umfangreichen Akten bis zur mündlichen Verhandlung am 26. November 1963 vertraut zu machen, kann dahinstehen. Der Vertreter hat in dieser Sache jedenfalls keine sachgemäßen Erklärungen abgeben können, ohne daß er sich vorher mit dem Kläger in Verbindung gesetzt hat. Für die Entscheidung des LSG darüber, ob die Beklagte zu Recht die Rente wegen Berufsunfähigkeit abgelehnt hat, ist nach den Urteilsgründen "ausschließlich" die Frage erheblich gewesen, ob die "Verdachtsdiagnose" der Gutachter der Medizinischen Universitätsklinik H auf das Vorliegen eines hormonproduzierenden Tumors zutreffe oder nicht; das LSG hat eine Klärung dieser Verdachtsdiagnose auf Grund des dem Kläger von der Beklagten angebotenen mehrwöchigen Heilverfahrens für möglich gehalten, es hat die Berufung deshalb zurückgewiesen, weil der Kläger "die für die Entscheidung seines Falles allein wesentliche Erklärung ..., bei der Durchführung eines mehrwöchigen Heilverfahrens durch die Beklagte und der dadurch allein möglichen weiteren Aufklärung des Sachverhalts mitzuwirken", bis zur mündlichen Verhandlung nicht abgegeben habe. Diese Erklärung hätte der Kläger aber auch noch in der mündlichen Verhandlung des LSG durch seinen Vertreter abgeben können, in Betracht gekommen wäre dies jedoch nur dann, wenn der Vertreter zeitlich die Möglichkeit gehabt hätte, sich mit dem auswärts wohnhaften Kläger in Verbindung zu setzen. Die vom LSG festgestellte abnorme seelische Haltung des Klägers hat nicht ausgeschlossen, daß der Kläger nach mündlicher oder schriftlicher Fühlungnahme mit seinem Vertreter diese für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentliche Erklärung (§ 106 Abs. 1 SGG) doch noch abgegeben hätte, gerade die abnorme seelische Haltung des Klägers hat deshalb eine Fühlungnahme des Vertreters mit dem Kläger vor der mündlichen Verhandlung geboten erscheinen lassen. Wenn der Kläger, wie das LSG in den Gründen seines Urteils festgestellt hat, prozeßfähig und "durchaus in der Lage gewesen ist, (im Prozeß) rechtzeitig und sinnvoll zu handeln", hätte das LSG nicht nur davon absehen müssen, dem Kläger nach § 72 Abs. 1 SGG einen "besonderen Vertreter" zu bestellen, es hätte auch nach Ladung des Klägers bei dessen Nichterscheinen im Termin unter den Voraussetzungen des § 126 Abs. 1 SGG nach Lage der Akten entscheiden dürfen; in diesem Falle hätte der Kläger mit der Rüge, ihm sei das rechtliche Gehört versagt worden, nicht durchdringen können, weil er hinreichend Gelegenheit gehabt hat, sich im Verfahren schriftlich zu äußern (§ 62 SGG, 2. Halbs.). Nachdem der Kläger aber in der mündlichen Verhandlung vertreten gewesen ist, hat das LSG nicht unterstellen dürfen, der Kläger werde sich weiterhin so verhalten, daß eine Sicherung der "Verdachtsdiagnose" durch weitere Aufklärung des Sachverhalts nicht möglich sei, es hat die Berufung nicht auf Grund der Sachlage, die vor der mündlichen Verhandlung gegeben gewesen ist, zurückweisen dürfen. Der Vertreter des Klägers hat in der mündlichen Verhandlung nach der Sitzungsniederschrift in erster Linie Vertagung beantragt, den Sachantrag hat er nur hilfsweise gestellt. Nach § 227 Abs. 1, Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 202 SGG kann das Gericht auch nach Beginn der mündlichen Verhandlung "aus erheblichen Gründen" einen neuen Termin bestimmen. Obwohl das Gericht dabei auch die gebotene Beschleunigung des Verfahrens zu berücksichtigen hat, darf es insoweit den Grundsatz des rechtlichen Gehörs aber nicht unberücksichtigt lassen, es darf dies auch dann nicht tun, wenn es selbst die Sache für entscheidungsreif hält (vgl. auch Urteil des BSG vom 27. April 1962, BSG 17, 44 ff). Das Vorliegen "erheblicher Gründe" für die Vertagung hat das LSG aber hier nicht verneinen dürfen, weil damit dem Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht in ausreichendem Maße entsprochen worden ist. Dabei kann dahinstehen, ob sich die Ausführungen in den Urteilsgründen, die sich mit der Vertagung befassen, überhaupt auf den in der mündlichen Verhandlung von dem Vertreter gestellten Vertagungsantrag beziehen und nicht nur auf den Vertagungsantrag, den der Kläger selbst vor der mündlichen Verhandlung gestellt hat; da das LSG - im Widerspruch zu der Sitzungsniederschrift - den Vertagungsantrag des Vertreters in der mündlichen Verhandlung im Urteil nicht erwähnt hat, ist immerhin zweifelhaft, ob es auf diesen Antrag hin das Vorliegen "erheblicher Gründe" für die Vertagung überhaupt geprüft hat.

Da der Kläger zu Recht einen wesentlichen Mangel in dem Verfahren des LSG gerügt hat, ist die frist- und formgerecht eingelegte Revision zulässig. Die Revision ist auch begründet, weil nicht auszuschließen ist, daß das LSG, wenn es dem Kläger in vollem Umfang rechtliches Gehör gewährt hätte, eine weitere Beweisaufnahme in medizinischer Hinsicht für geboten hätte halten müssen und den Rechtsstreit zu Unrecht als entscheidungsreif angesehen hat. Die Sache ist deshalb unter Aufhebung des Urteils des LSG zu neuer Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).

Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380421

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