Leitsatz (redaktionell)
Arbeitslosigkeit oder eine mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Krankheit befreit nicht von dem Erfordernis der Beitragsentrichtung nach AnVNG Art 2 § 41 Abs 1 S 2.
Normenkette
AnVNG Art. 2 § 41 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Hamburg vom 1. März 1963 und des Sozialgerichts Hamburg vom 6. September 1960 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin die höhere Rente nach der Vergleichsberechnung zu gewähren. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Klägerin, geboren am 19. März 1894, beantragte im Dezember 1958 Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte bewilligte ihr mit Bescheid vom 10. September 1959 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit - nach neuen Recht - ab 1. Dezember 1958.
Mit der Klage begehrte die Klägerin eine höhere Rente, sie machte geltend, sie habe in den Jahren 1942 bis 1946 als Angestellte im Geschäft ihres Ehemannes Beiträge zur Angestelltenversicherung geleistet, die noch zu berücksichtigen seien; außerdem stehe ihr die höhere Rente nach altem Recht zu (Art. 2 § 41 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes - AnVNG -).
Das Sozialgericht (SG) Hamburg entsprach dem Klagebegehren (Urteil vom 6.9.1960).
Die Beklagte legte Berufung an das Landessozialgericht (LSG) Hamburg ein. Das LSG entschied mit Urteil vom 1. März 1963; es hob das Urteil des SG auf, soweit die Beklagte verurteilt worden war, die Zeit vom 1. Juli 1942 bis 30. September 1946 als Beitragszeit anzusehen und wies die Klage insoweit ab. Im übrigen (d. h. soweit die Beklagte verurteilt worden war, die nach der Vergleichsberechnung höhere Rente zu gewähren) wies es die Berufung zurück: Die Voraussetzungen für die Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 41 AnVNG seien erfüllt; die Anwartschaft aus den seit 1940 entrichteten Beiträgen bis zum 1. Januar 1957 sei erhalten; die Klägerin habe zwar im Jahre 1957 - also dem Jahr vor dem Jahr des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit, aus dem sie einen Rentenanspruch habe - nicht die nach Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG vorgeschriebenen 9 Monatsbeiträge geleistet; sie sei aber im Jahre 1957 bereits berufsunfähig und deshalb von der Beitragsleistung entbunden gewesen, obwohl sie bis Ende 1957 die Wartezeit noch nicht erfüllt, sondern nur eine Versicherungszeit von 58 Monaten zurückgelegt habe.
Das LSG ließ die Revision zu.
Die Beklagte legte Revision ein und beantragte,
die Urteile des LSG Hamburg und des SG Hamburg aufzuheben, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, der Klägerin "die nach der Vergleichsberechnung höhere Rente" zu gewähren, und auch insoweit die Klage abzuweisen.
Sie rügte, das LSG habe Art. 2 § 41 AnVNG unrichtig angewandt.
Die Klägerin ist nicht vertreten.
II.
Die Revision ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -), sie ist auch begründet.
Die Beklagte hat der Klägerin auf ihren Rentenantrag vom Dezember 1958 eine nach den Vorschriften des neuen (seit dem 1.1.1957 geltenden) Rechts berechnete Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab 1. Dezember 1958 bewilligt. Soweit das LSG entschieden hat, die Beklagte habe zu Recht Zeiten von 1942 bis 1946 nicht als Beitragszeiten berücksichtigt, ist das Urteil nicht mit der Revision angefochten und somit rechtskräftig. Streitig ist noch - auf die Revision der Beklagten - ob die Klägerin nach Art. 2 § 41 AnVNG die Rente nach dem für sie günstigeren alten Recht beanspruchen kann, obgleich sie im Jahr 1957, dem Jahr vor dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit, nicht 9 Beiträge entrichtet hat (Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG).
Das LSG hat festgestellt, die Anwartschaft aus den von der Klägerin seit 1940 bis zum 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen (insgesamt 54 Pflichtbeiträge) sei unter Berücksichtigung von Ersatzzeiten nach § 1267 Abs. 1 Nr. 4 (Krankheit) und Nr. 5 (Arbeitslosigkeit) der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF erhalten; die Klägerin sei im Jahre 1957 berufsunfähig geworden. Fest steht ferner, daß die Klägerin in der Zeit vom 1. Januar bis 12. April 1957 4 Pflichtbeiträge und in der Zeit vom 1. Januar bis 15. August 1958 7 Pflichtbeiträge geleistet hat; die Klägerin war vom 13. April 1957 bis 28. August 1957 arbeitslos, vom 29. August bis 26. September 1957 krank und vom 27. September 1957 bis 31. Dezember 1957 und ab 16. August 1958 wiederum arbeitslos gemeldet; sie bezog bis 13. März 1959 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung. Das LSG hat angenommen, die Klägerin habe in dem Jahr, in dem der Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit eingetreten sei (1957), nicht mehr 9 Beiträge entrichten müssen, um sich das Recht auf die Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 41 AnVNG zu erhalten. Der Senat vermag dieser Auffassung nicht zu folgen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat zwar in mehreren Urteilen ausgesprochen, daß sich Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG an das frühere Anwartschaftsrecht anlehne (BSG 11, 254, 256; SozR Nr. 11 zu Art. 2 § 42 Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - ArVNG -), es hat jedoch daraus nicht die Folgerung gezogen, daß nach Eintritt eines - ersten - Versicherungsfalles das Recht auf die Vergleichsrente nach Art. 2 § 41 AnVNG nicht mehr erlöschen könne; es hat vielmehr entschieden, daß der Eintritt eines früheren Versicherungsfalles jedenfalls dann ohne Einfluß auf das Erfordernis der Beitragsentrichtung nach Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG für die Durchführung der Vergleichsberechnung bei einem später eintretenden anderen Versicherungsfall sei, wenn der frühere Versicherungsfall wegen Fehlens der Anspruchsvoraussetzungen nicht zu einer Leistung geführt habe (BSG 13, 275, 278); insoweit ist die Rechtslage nicht zweifelhaft. Die Meinungen gehen lediglich in der Frage auseinander, ob auch nach Eintritt eines früheren Versicherungsfalles und Feststellung einer Rente für diesen Versicherungsfall weitere Beiträge nach Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG erforderlich sind, um später wegen eines anderen Versicherungsfalles den Anspruch auf Berechnung nach Art. 2 § 41 AnVNG zu begründen (vgl. hierzu auch Bescheid des BMA vom 31.3.1959 = BABl S. 240; Jantz/Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und Angestellten, S. 227 sowie Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. III S. 706 und 707 mit weiteren Hinweisen; vgl. auch BSG 11, 254). Diese Frage kann hier offen bleiben, weil die Klägerin aus dem im Jahre 1957 eingetretene Versicherungsfall der Berufsunfähigkeit keine Rente bezogen hat. Die Klägerin hat auch im Jahre 1957 keinen Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit gehabt; abgesehen davon, daß sie den Rentenantrag erst im Dezember 1958 gestellt hat (§ 67 Abs. 2 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG -), hat sie mit den bis zum Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit entrichteten Beiträgen die Wartezeit von 60 Monaten (§ 23 Abs. 1 und Abs. 3 AVG) noch nicht erfüllt gehabt, sie hat bis Ende 1957 erst 58 Monatsbeiträge geleistet. Die Klägerin hat allerdings - nach dem neuen Recht - auch nach dem Eintritt des Versicherungsfalles der Berufsunfähigkeit das Versicherungsverhältnis durch weitere versicherungspflichtige Beschäftigung und Leistung von Pflichtbeiträgen zur Sicherung gegen die Folgen eines anderen Versicherungsfalles fortsetzen können; sie hat dies auch getan und mit den bis zum Eintritt des Versicherungsfalles der Erwerbsunfähigkeit entrichteten weiteren Beiträgen (4 Pflichtbeiträge im Jahre 1957 und 7 Pflichtbeiträge im Jahre 1958) im Jahre 1958 die Wartezeit erfüllt. Da aber die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Rente wegen Berufs- oder wegen Erwerbsunfähigkeit überhaupt erst im Jahre 1958 erfüllt gewesen sind, hat die Klägerin im Jahre 1957 die nach Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG erforderlichen 9 Beiträge leisten müssen, um den Anspruch auf die Vergleichsrente zu erwerben. Daran ändert auch nichts, daß die Klägerin nicht berechtigt gewesen ist, freiwillige Beiträge zu entrichten, weil die Voraussetzungen zur Weiterversicherung für sie nicht vorgelegen haben (§ 10 AVG; Art. 2 § 5 AnVNG) und daß sie deshalb die erforderlichen 9 Monatsbeiträge nur durch Pflichtbeiträge hat leisten können. Der Umstand, daß die Klägerin teilweise durch Arbeitslosigkeit gehindert gewesen ist, ihre versicherungspflichtige Beschäftigung im Jahre 1957 auf 9 Monate auszudehnen, berührt das Erfordernis der Beitragsentrichtung nach Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG nicht. Das BSG hat bereits mehrfach dargelegt, daß "die Vergünstigung der das System des neuen Rechts durchbrechenden Ausnahmevorschrift des Art. 2 § 41 AnVNG" eine "qualifizierte Beitragsleistung" erfordere und daß diese Vergünstigung nur dem Versicherten zu gute kommen solle, der durch "vermehrte Beitragsleistung" zur Umstellung von der sozialen Mindestrente zur "beitragsbezogenen Rente" beigetragen habe (vgl. u. a. Urt. des BSG vom 16.5.63, SozR Nr. 14 zu Art. 2 § 42 AnVNG; Urt. des BSG vom 12.9.63, SozR Nr. 17 zu Art. 2 § 42 ArVNG); es hat deshalb verneint, daß in entsprechender Anwendung der früheren Vorschriften über die Erhaltung der Anwartschaft (§ 1267 RVO aF) eine mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Krankheitszeit in der Übergangszeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1961 die nach Art. 2 § 42 Satz 2 ArVNG = Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG zu entrichtenden Beiträge ersetzen kann (Urt. des BSG vom 16.5.63 SozR Nr. 14 zu Art. 2 § 42 ArVNG), dasselbe gilt auch für Zeiten der Arbeitslosigkeit. Ebensowenig kann aber auch die Berufsunfähigkeit, jedenfalls solange sie nicht zu Rentengewährung geführt hat, das Recht auf die Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG ohne weitere Beitragsleistungen erhalten; auch insoweit kommt die entsprechende Anwendung früherer Vorschriften über die Erhaltung der Anwartschaft (§ 1264 Abs. 3 RVO aF) nicht in Betracht; eine solche entsprechende Anwendung würde dem Sinn und Zweck der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 41 AnVNG nicht gerecht. An dem Ergebnis der Rentenneuregelung, daß Versicherte, die in der Vergangenheit nur wenige und niedrige Beiträge geleistet haben und nach dem 1. Januar 1957 nicht die nach Art. 2 § 41 Satz 2 AnVNG erforderlichen "vermehrten Beitragsleistungen" erbracht haben, nur die für sie ungünstigere "beitragsbezogene Rente" nach neuem Recht erhalten können, läßt sich auch aus Billigkeitserwägungen nicht ändern.
Das LSG hat danach, soweit es die Voraussetzungen der Vergleichsberechnung nach Art. 2 § 41 AnVNG bejaht hat, die Rechtslage unzutreffend beurteilt. Das Urteil des LSG ist daher insoweit aufzuheben; die Berufung der Beklagten ist auch insoweit begründet; die Klage ist daher auch insoweit abzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen