Entscheidungsstichwort (Thema)

Anerkennung einer Ersatzzeit trotz Beitragserstattung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Beitragserstattung nach AVG § 82 Abs 1 (= RVO § 1303 Abs 1) schließt nicht die Anerkennung einer Ersatzzeit aus, die auf einer von der Erstattung nicht erfaßten Beitragsleistung beruht (Weiterführung von BSG 1972-05-25 11 RA 144/71 = SozR Nr 13 zu § 1303 RVO).

 

Normenkette

AVG § 28 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 28 Abs. 2 S. 2 Buchst. c Fassung: 1972-10-16; RVO § 1251 Abs. 2 S. 2 Buchst. c Fassung: 1972-10-16; AVG § 82 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1303 Abs. 1 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 49a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; AnVNG Art. 2 § 54a Abs. 2 Fassung: 1972-10-16; RVO § 1303 Abs. 7 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 27. Februar 1975 aufgehoben.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 19. September 1974 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte in Änderung ihres Bescheides vom 8. Januar 1974 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1974 auch verpflichtet wird, die Zeit vom 16. März 1944 bis 20. April 1947 als Ersatzzeit anzuerkennen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, den militärischen Dienst des Klägers und die anschließende Kriegsgefangenschaft von März 1944 bis April 1947 als Ersatzzeit anzuerkennen.

Der 1925 geborene Kläger befand sich bis Mai 1943 in Schulausbildung und erhielt bei seiner Einberufung zum Wehrdienst im April 1944 den sogenannten Reifevermerk. Nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft besuchte er zunächst von Mai bis September 1947 die Schule weiter und studierte sodann bis April 1951 Rechtswissenschaften. Seine Promotion schloß er im August 1952 ab. Für die vom Kläger seit Oktober 1952 ausgeübte Beschäftigung waren bis April 1954 Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Danach war der Kläger wegen Überschreitens der Jahresarbeitsverdienstgrenze versicherungsfrei. Auf seinen Antrag wurden ihm durch den Bescheid der Beklagten vom 4. Mai 1959 die Arbeitnehmeranteile der geleisteten Beiträge in Höhe von 610,50 DM gemäß § 82 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) erstattet. Durch weiteren Bescheid vom 25. Juli 1968 wurde der Kläger antragsgemäß von der Versicherungspflicht nach Art. 2 § 1 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) vom 1. Januar 1968 an befreit. Im Dezember 1972 entrichtete der Kläger aufgrund des durch das Rentenreformgesetz (RRG) eingefügten Art. 2 § 49 a Abs. 2 AnVNG für die Zeit vom 1. Januar 1956 an Beiträge in Höhe von insgesamt 31.620,- DM nach und leistet seitdem freiwillige Beiträge weiter.

Im Oktober 1973 beantragte der Kläger sodann, die Zeiten seiner Schul- und Hochschulausbildung als Ausfallzeiten und die Zeiten des Kriegsdienstes und der Kriegsgefangenschaft als Ersatzzeiten anzuerkennen bzw. vorzumerken. Die Beklagte erkannte die Zeiten vom 19. Oktober 1941 bis 15. März 1944 sowie vom 1. Oktober 1947 bis 20. August 1952 als Ausfallzeiten an. Dagegen lehnte sie die Anerkennung der geltend gemachten Ersatzzeiten ab, weil durch die Erstattung der von Oktober 1952 bis April 1954 geleisteten Beiträge alle Ansprüche aus den bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten erloschen seien (Bescheid vom 8. Januar 1974, Widerspruchsbescheid vom 13. März 1974).

Die hiergegen erhobene Klage hatte Erfolg. Das Sozialgericht (SG) verpflichtete die Beklagte, dem Kläger die Zeit vom 16. März 1944 bis 20. April 1947 als Ersatzzeit gemäß § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG "anzurechnen" (Urteil vom 19. September 1974). Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht (LSG) die erstinstanzliche Entscheidung auf und wies die Klage ab. Zur Begründung führte es im wesentlichen aus: Ob die hier streitige Zeit als Ersatzzeit anzurechnen sei, könne - entgegen dem Tenor des SG-Urteils - nicht festgestellt werden, weil noch kein Versicherungsfall eingetreten sei. Das nach dem Klageantrag dagegen zutreffend auf Anerkennung oder Vormerkung als Ersatzzeit gerichtete Klagebegehren sei aber unbegründet. Das SG habe seine Entscheidung zu Unrecht auf Art. 2 § 54 a Abs. 2 AnVNG i. V. m. § 28 Abs. 2 Satz 2 c AVG gestützt. Mangels eines Versicherungsfalls lasse sich noch nicht feststellen, ob der Kläger die sogenannte Halbdeckung nach diesen Vorschriften erfüllt habe. Nach der vielmehr allein maßgeblichen Vorschrift des § 82 Abs. 7 AVG seien durch den Bescheid vom 4. Mai 1959 über die Rückerstattung der Beiträge alle bis dahin zurückgelegten Versicherungszeiten und damit - unter Berücksichtigung des § 27 Abs. 1 b AVG - auch die Ersatzzeiten im Sinne des § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG verfallen. Dies bedeute, daß die vom Kläger geltend gemachten Zeiten überhaupt keine Ersatzzeiten mehr seien unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für eine Anrechnung gegeben seien oder nicht. An der in § 82 Abs. 7 AVG getroffenen Regelung habe sich auch durch das RRG 1972 nichts geändert (Urteil vom 27. Februar 1975).

Der Kläger hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Er rügt Verletzungen des materiellen Rechts durch das Berufungsgericht.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte in Abänderung ihres Bescheides vom 8. Januar 1974 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. März 1974 zu verpflichten, die Zeit vom 16. März 1944 bis 20. April 1947 als Ersatzzeit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision ist auch begründet.

Da es die Beklagte durch die Bescheide vom 8. Januar und 13. März 1974 abgelehnt hat, die vom Kläger im militärischen Dienst und in der Kriegsgefangenschaft verbrachte Zeit vom 16. März 1944 bis 20. April 1947 als Ersatzzeit im Sinne von § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG anzuerkennen, ist die hiergegen gerichtete Klage vom LSG unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) in SozR Nr. 1 zu § 1412 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (= BSG 31, 226) zutreffend als zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage angesehen worden. Der Rechtsauffassung des LSG, daß die im Jahre 1959 erfolgte Beitragserstattung die Anerkennung des streitigen Zeitraums als Ersatzzeit absolut ausschließe, kann indes unter Beachtung der vom BSG im Urteil vom 25. Mai 1972 - 11 RA 144/71 - (SozR Nr. 13 zu § 1303 RVO) vertretenen Rechtsauffassung nicht gefolgt werden.

Nach § 82 Abs. 7 AVG (= § 1303 Abs. 7 RVO) schließt die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten aus. Solche sind nach § 27 Abs. 1 AVG Beitragszeiten und Ersatzzeiten. Der Kläger hatte allerdings die Zeiten seines Wehrdienstes und der Kriegsgefangenschaft schon "zurückgelegt", als ihm die Beiträge erstattet wurden. Offenbar ist das LSG der Meinung, daß dieses tatsächliche Zurücklegen der in § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG u. a. genannten Zeit für sich allein nach § 82 Abs. 7 AVG weitere Ansprüche ausschließe. Dieser Ansicht ist indes das BSG in dem genannten Urteil vom 25. Mai 1972 entgegengetreten. Es hat darauf hingewiesen, daß der Militärdienst und die Kriegsgefangenschaft als solche ohne versicherungsrechtlichen Bezug sind und es deshalb verfehlt ist, von einer Ersatzzeit bereits immer dann zu sprechen, wenn einer der Tatbestände des § 28 Abs. 1 AVG vorliegt. Erst die Vor- oder Anschlußversicherung im Sinne des § 28 Abs. 2 AVG macht aus den in § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG u. a. aufgeführten Zeiten des militärischen Dienstes und der Kriegsgefangenschaft Versicherungszeiten im Sinne des § 27 Abs. 1 AVG. Das BSG hat deshalb nur eine Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 AVG, die nach Abs. 2 der Vorschrift angerechnet werden kann, als zurückgelegte Versicherungszeit sowohl im Sinne des § 26 Abs. 1 AVG als auch im Sinne des § 82 Abs. 7 AVG angesehen (so Urteil vom 25. Mai 1972 aaO unter Hinweis auf die Entscheidung des BSG vom 25. Februar 1971 - 12 RJ 214/70 - in SozR Nr. 9 zu § 1249 RVO).

Der erkennende Senat teilt auch die in dem genannten Urteil des BSG vom 25. Mai 1972 des weiteren vertretene Rechtsauffassung, daß § 82 Abs. 7 AVG nur die Ansprüche aus Versicherungszeiten, die vor der Beitragserstattung liegen, ausschließen will und insoweit die Ersatzzeiten das Schicksal der Beitragszeiten teilen. Für den vorliegenden Fall folgt hieraus, daß der Kläger zwar die Anerkennung einer aus der Anschlußversicherung gemäß § 28 Abs. 2 Satz 2 a AVG abgeleiteten Ersatzzeit nicht mehr geltend machen kann, weil die der Anschlußversicherung zugrunde gelegenen Pflichtbeiträge aus den Jahren 1952 bis 1954 durch die 1959 erfolgte Erstattung verfallen sind. Gleiches gilt indes nicht für die vom Kläger nach der Erstattung dieser Beiträge aufgrund des Art. 2 § 49 a Abs. 2 An VNG für die Zeit vom 1. Januar 1956 an nachentrichteten und seit Dezember 1972 aufgrund des § 10 Abs. 1 AVG fortlaufend weiter entrichteten freiwilligen Beiträge, die für Zeiten vom 1. Januar 1968 an unter Berücksichtigung des Art. 2 § 54 a Abs. 2 AnVNG geeignet sind, eine Ersatzzeit nach § 28 Abs. 1 Nr. 1 AVG i. V. m. Abs. 2 Satz 2 c der Vorschrift zu begründen. Insoweit betrifft der streitige Zeitraum die durch Gesetzesänderung ermöglichte zusätzliche Anerkennung einer Ersatzzeit, weil die Zeit des militärischen Dienstes und der Kriegsgefangenschaft erst durch Art. 1 § 2 Nr. 8 und Art. 2 § 2 Nr. 17 RRG zu einer derartigen - neuen - Versicherungszeit gemacht worden ist und zwar unabhängig von den durch die Erstattung erfaßten Beiträgen aus den Jahren 1952 bis 1954. Da die vom Kläger nach Inkrafttreten der Art. 1 § 2 Nr. 4, Nr. 8 und Art. 2 § 2 Nr. 17 RRG (19. Oktober 1972) entrichteten Beiträge von der früheren Erstattung nicht erfaßt werden, ist es nur folgerichtig, die auf dieser Beitragsleistung beruhende Ersatzzeit in die Verfallswirkung der Erstattung ebenfalls nicht einzubeziehen (ebenso BSG-Urteil vom 25. Mai 1972 aaO).

Dem LSG ist allerdings zuzugeben, daß derzeit noch nicht gesagt werden kann, ob die in § 28 Abs. 2 Satz 2 c AVG genannten besonderen - nach den bisher vorliegenden (wirksamen) Beitragsentrichtungen jedoch im Falle des Klägers in Betracht kommenden - Voraussetzungen für die Anrechnung der Ersatzzeit bei Eintritt eines Versicherungsfalls erfüllt sein werden. Dieser Umstand steht indes der vorherigen Anerkennung durch den Versicherungsträger nicht entgegen, weil deren Verbindlichkeit noch keine Vorwegnahme der Anrechnungsfähigkeit der Ersatzzeit im Versicherungsfall bedeutet (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 8. Juli 1970 - 11 RA 164/67 - in BSG 31, 226, 229). Insoweit kann für die hier streitige Ersatzzeit nichts anderes gelten als für die von der Beklagten in den angefochtenen Bescheiden bereits anerkannte Ausfallzeit nach § 36 Abs. 1 Nr. 4 AVG. Diese wird nämlich ebenso wie jene nur angerechnet, wenn im konkreten Versicherungsfall die in § 36 Abs. 3 AVG bzw. in § 28 Abs. 2 Satz 2 c AVG des näheren umschriebene "Halbdeckung" vorliegt. Gerade deswegen muß dem Kläger ein rechtliches Interesse an der verbindlichen Klärung nicht nur der Ausfallzeit seiner Schul- und Hochschulausbildung, sondern auch des Ersatzzeitcharakters seiner Wehrdienst- und Kriegsgefangenschaftszeit bereits zum jetzigen Zeitpunkt zugebilligt werden. Denn seine Entschließung für oder gegen eine den genannten Halbdeckungsvorschriften genügende weitere Beitragsleistung dürfte wesentlich vom grundsätzlichen Bestehen auch der geltend gemachten Ersatzzeit abhängen (ebenso BSG-Urteil vom 8. Juli 1971 aaO).

Nach alledem ist die Beklagte zwar nicht - wie es im Tenor des erstinstanzlichen Urteils entgegen dem damaligen Klageantrag und jetzigen Revisionsantrag des Klägers ausgesprochen worden ist - zur "Anrechnung", wohl aber zur Anerkennung der streitigen Zeit als Ersatzzeit verpflichtet. Mit dieser Maßgabe war in der Sache selbst zu entscheiden (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1648000

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