Leitsatz (amtlich)

Zur Wirksamkeit einer Namensunterschrift - hier: unter eine Rechtsmittelschrift - genügt es, daß jemand, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, in dem Schriftbild Buchstaben dieses Namens erkennen und auf dieser Grundlage den Namen herauslesen kann.

 

Normenkette

SGG § 151 Abs. 1, § 164 Fassung: 1974-07-30; BGB § 126 Fassung: 1969-08-28

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. September 1974 aufgehoben. Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt Rente wegen Berufs- bzw. Erwerbsunfähigkeit ab 1. November 1972. Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 19. April 1974 abgewiesen. Hiergegen ist innerhalb der vorgeschriebenen Frist beim Landessozialgericht (LSG) ein als "Berufung" bezeichneter Schriftsatz vom 27. Mai 1974 eingegangen, in dem als Absender die schon im erstinstanzlichen Verfahren für den Kläger aufgetretenen Bevollmächtigten E. J und Frau v. G im Bund hirnverletzter Kriegs- und Arbeitsopfer aufgeführt sind. Dieser Schriftsatz ist mit dem nachstehenden handschriftlichen Zeichen ...

unterzeichnet, von dem der Bevollmächtigte J behauptet, es stelle seine Unterschrift dar, das jedoch vom LSG nicht als ausreichende Unterschrift angesehen wurde. Das LSG hat deswegen die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Es hat dazu ausgeführt: Nach § 151 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sei die Berufung beim LSG schriftlich einzulegen. Das verlange eine eigenhändige Unterzeichnung des Berufungsschriftsatzes durch den Rechtsmittelkläger oder seinen Bevollmächtigten. Diesem Erfordernis entspreche die Berufung des Klägers nicht; sie sei deshalb nicht formgerecht eingelegt.

Mit der zugelassenen Revision, die wiederum von dem Bevollmächtigten J, und zwar in nahezu gleicher Weise wie der Berufungsschriftsatz, nämlich wie folgt ...

unterzeichnet ist, beantragt der Kläger,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Er bemängelt, daß das LSG nicht auch die an die Beklagte weitergegebene Berufungsschrift hinsichtlich der Unterzeichnung geprüft habe. Im übrigen habe das LSG zu Unrecht angenommen, daß der Berufungsschriftsatz nicht ordnungsgemäß unterzeichnet gewesen sei.

Die Beklagte hat davon abgesehen, einen bestimmten Antrag zu stellen und sich zur Sache zu äußern.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet.

Die Frage der ordnungsgemäßen Unterzeichnung stellt sich für den erkennenden Senat schon bei Prüfung der Revisionszulässigkeit. Der Prozeßbevollmächtigte J hat nämlich die Revisionsschrift in nahezu gleicher Weise wie die Berufungsschrift vom 27. Mai 1974 unterzeichnet. Entgegen der Auffassung des LSG ist jedoch der erkennende Senat der Ansicht, daß die Unterschrift unter die Berufungsschrift ebenso wie die Unterzeichnung der Revisionsschrift den Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Unterzeichnung genügt. Im Hinblick hierauf braucht der Senat nicht erneut darauf einzugehen, daß Berufungsschriften grundsätzlich handschriftlich unterschrieben sein müssen (vgl. BSG 6, 256; SozR Nr. 12 zu § 151 SGG und neuerdings BFH, Urteil vom 19. September 1974 - BStBl 1975 II S. 199).

Welche Anforderungen an eine eigenhändige Namensunterschrift zu stellen sind, hat bereits der 7. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) klargestellt (SozR Nr. 12 zu § 151 SGG); seine Auffassung wird in der Rechtsprechung allgemein vertreten (vgl. BGH NJW 1974, 1090). Verlangt wird danach ein individueller, sich als Namensunterschrift darstellender Schriftzug.

Im vorliegenden Fall ist die Individualität vom LSG nicht bezweifelt worden und auch zu bejahen. Das LSG hat jedoch das Schriftbild nur als "mehrere ineinander geschlungene Linien" gewertet und keine Ähnlichkeit mit Buchstaben erkennen können. Dem LSG ist darin zuzustimmen, daß auf eine Erkennbarkeit von Buchstaben nicht verzichtet werden kann. Die Rechtsprechung nimmt zwar Unleserlichkeit und Verstümmelungen des Namens in Kauf; sie verlangt aber, daß jemand, der den Namen des Unterzeichneten kennt, aus dem Schriftbild diesen Namen mit Hilfe erkennbarer Buchstaben herauslesen kann (vgl. SozR aaO sowie BGH, Beschluß vom 20. September 1974 - IV ZB 27/74, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung - HFR - 1975, S. 216, wonach in jedem Falle der erste Buchstabe individuell geformt sein muß). Das im vorliegenden Fall zu beurteilende Schriftbild läßt zumindest den Anfangsbuchstaben des Namens des Bevollmächtigten, nämlich ein verschnörkeltes "J" erkennen; ihm folgen noch zwei weitere buchstabenähnliche Schriftzeichen, die möglicherweise ein kleines "b" und ein kleines "s" darstellen (das "s" überdeckt in der auf S. 2 fotokopierten Unterschrift den Buchstaben c im Wort "Bevollmächtigte"). Es mag zwar sein, daß das Anfangszeichen auch als G bzw. F oder K gedeutet werden könnte - diese Deutungen haben, wie es im Berufungsurteil heißt, Richter des LSG bei "unbefangener Betrachtungsweise" geäußert. Das ist aber nicht entscheidend. Es genügt, daß jemand, der den Namen des Unterzeichnenden kennt, in dem Schriftbild Buchstaben dieses Namens erkennen und auf dieser Grundlage den ihm bekannten Namen herauslesen kann. Das trifft hier zu. Damit wird nicht ausgeschlossen, daß andere Personen Buchstaben und Namen anders deuten oder aus dem Schriftbild überhaupt keinen Namen herauszulesen vermögen.

Unter diesen Umständen sind hier die an eine Unterschrift zu stellenden Mindestanforderungen erfüllt. Dabei kann nicht unbeachtet bleiben, daß - wie schon der Große Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) im Beschluß vom 5. November 1973 - GrS 2/72 (BFHE 111, 278) dargelegt hat - Verfahrensvorschriften, also auch die des § 151 Abs. 1 SGG, nicht Selbstzweck sind, sondern lediglich der Wahrung der materiellen Rechte der Prozeßbeteiligten dienen. Die handschriftliche Unterzeichnung soll den Urheber des Schriftsatzes erkennen lassen, zugleich aber auch gewährleisten, daß dieser Schriftsatz mit Wissen und Willen seines Verfassers bei Gericht eingegangen ist. Diesem Anliegen ist im vorliegenden Fall entsprochen.

Zwar könnte - wie das LSG zu Recht betont - eine Unterschrift in abgekürzter Namensform, eine sogenannte Paraphe, nicht als Unterzeichnung durch den Prozeßbevollmächtigten anerkannt werden (vgl. BGH in Juristenzeitung 1967 S. 708). Im vorliegenden Fall läßt sich jedoch aus dem Schriftbild nicht folgern, daß der Prozeßbevollmächtigte mit abgekürztem Namen unterzeichnen wollte. Dagegen spricht auch seine in der mündlichen Verhandlung vom 27. September 1974 (Bl. 115R der LSG-Akten) protokollierte Erklärung. Inwieweit es im übrigen von Bedeutung ist, ob der Unterzeichnende auch sonst in gleicher Weise unterschreibt (vgl. BGH, HFR 1975 S. 216), kann hier dahingestellt bleiben.

Der Kläger hat danach entgegen der Meinung des LSG durch seinen Prozeßbevollmächtigten formgerecht Berufung eingelegt. Das LSG hätte deshalb in der Sache selbst entscheiden müssen. Auf die Revision des Klägers war somit das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen, das in seinem abschließenden Urteil auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben wird.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1652721

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