Entscheidungsstichwort (Thema)
Berichtigung von Bescheiden. tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses
Orientierungssatz
Bescheide über Rechtsansprüche nach § 41 Abs 1 VerwVG (juris: KOVVfG) können zu Ungunsten eines Versorgungsberechtigten durch einen neuen Bescheid (Berichtigungsbescheid) nur abgeändert oder aufgehoben werden, wenn sowohl ihre tatsächliche als auch ihre rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel steht, dass also eine Berichtigung nicht schon dann erfolgen kann, wenn nur eine der beiden Arten der Unrichtigkeit - der rechtlichen oder der tatsächlichen - vorliegt (vgl BSG vom 23.10.1958 - 8 RV 619/57 = BSGE 8, 198; BSG vom 13.4.1961 - 10 RV 687/58; BSG vom 18.1.1963 - 11 RV 244/62 = SozR Nr 19 zu § 41 VerwVG).
Normenkette
KOVVfG § 41 Abs. 1; SVD 27
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 09.09.1960) |
SG Dortmund (Urteil vom 20.09.1957) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen in Essen vom 9. September 1960 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Kläger bezog gemäß Bescheid des Versorgungsamtes (VersorgA) S vom 15. Januar 1923 vom 1. Juni 1922 an bis zum Zusammenbruch im Jahre 1945 wegen
"1.) Narben im Rücken,
2.) Neurasthenie",
hervorgerufen durch Dienstbeschädigung im ersten Weltkrieg, eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v. H.
Bei der ersten ärztlichen Nachuntersuchung und Begutachtung im November 1936 verneinte der Gutachter Dr. R das wehrdienstbedingte Bestehen einer MdE beim Kläger; die noch bestehende erhebliche Nervosität sei als Dienstbeschädigungs-Folge nicht mehr anzusehen, da sie auf endogener Veranlagung beruhe; durch die belanglosen Narben im Rücken und auf der Scheitelhöhe werde die Erwerbsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Zu der gleichen Beurteilung kam am 8. April 1937 der Neurologe Dr. M in M und schlug deshalb die Anwendung des Art. 2 des 5. Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen vom 3. Juli 1934 - mit dem Ziel der Aberkennung der Neurasthenie - vor. Von der Anwendung des Art. 2 wurde jedoch auf Anraten des ärztlichen Sachbearbeiters des Hauptversorgungsamtes Westfalen abgesehen, da ein krasser Fall unberechtigten Rentenbezuges nicht angenommen werden könne und der Kläger überdies ehrenvoll am Kriege teilgenommen habe.
Nach Unterbrechung der Rentenzahlungen infolge des Zusammenbruches im Jahre 1945 wurden - ohne ärztliche Nachuntersuchung - mit Bescheid vom 17. Februar 1948 "1.) Narben im Rücken, 2.) Neurasthenie", erneut als Schädigungsfolgen (nach der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 - SVD 27) anerkannt und dem Kläger wiederum eine Rente nach einer MdE um 30 v. H. gewährt. Die Leidensbezeichnungen und die Höhe der MdE wurden in gleicher Weise auch in dem nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erteilten Umanerkennungsbescheid vom 5. März 1952 übernommen.
Am 1. Juni 1953 wurde der Kläger von dem Vertragsarzt des VersorgA D Dr. G nachuntersucht; dieser stellte eine wesentliche Besserung fest und bewertete die MdE mit 10 v. H.; hinsichtlich der Neurasthenie verneinte er einen Ursachenzusammenhang mit wehrdienstlichen Einflüssen. Am 21. August 1953 erging daraufhin ein Neufeststellungsbescheid des VersorgA, mit dem unter Hinweis auf § 86 Abs. 3 BVG und in Anwendung dieser Vorschrift die MdE des Klägers wegen "allgemeiner nervöser Reizbarkeit und Schwäche, fester Narben am Brustkorb und auf der Scheitelhöhe" auf 10 v. H. herabgesetzt wurde; die laufende Rentenzahlung wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 1953 an eingestellt. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid wurde mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 1954 zurückgewiesen.
Mit der zum Sozialgericht (SG) Dortmund erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen die Herabsetzung der MdE und den Entzug der Rente gewandt und zusätzlich vorgetragen, der von ihm angefochtene Bescheid vom 21. August 1953 könne nicht, wie die Versorgungsbehörde es getan habe, auf § 86 Abs. 3 BVG gestützt werden, da der Umanerkennungsbescheid vom 5. März 1952 den Vermerk getragen habe: "Eine Nachuntersuchung ist bei Ihnen nicht mehr beabsichtigt"; im übrigen sei bei ihm auch keine Änderung der Verhältnisse eingetreten. Das SG hat gemäß § 106 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) die Untersuchung und Begutachtung des Klägers in der Neurologischen Abteilung des Kreiskrankenhauses H. veranlaßt; in dem aus diesem Anlaß erstatteten Gutachten vom 8. Dezember 1956 haben die Dres. B und F die Beschwerden des Klägers als vegetative Allgemeinstörungen bei konstitutioneller vegetativer Übererregbarkeit bezeichnet, die anlagegemäß bedingt und mit den Besonderheiten des Wehrdienstes nicht in Verbindung zu bringen seien; der Befund sei im übrigen seit Jahren unverändert geblieben.
Noch während des sozialgerichtlichen Verfahrens hat der Beklagte unter dem 4. Mai 1957 dem Kläger einen Berichtigungsbescheid nach § 41 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (VerwVG) erteilt, mit dem die Bescheide vom 17. Februar 1948, 5. März 1952 und 21. August 1953 abgeändert worden sind; die frühere Anerkennung von "Neurasthenie" bzw. "allgemeiner nervöser Reizbarkeit und Schwäche" als Schädigungsfolgen sei zweifelsfrei unrichtig gewesen, denn sie stehe im Gegensatz zu der schon im Jahre 1948 herrschenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung, daß eine jahrelang anhaltende Neurasthenie nicht durch Kriegseinwirkungen ursächlich hervorgerufen worden sei, sondern daß sie auf konstitutioneller Grundlage beruhe. Durch die weiterhin als Schädigungsfolgen anzuerkennenden "festen Narben am Brustkorb und auf der Scheitelhöhe" werde die Erwerbsfähigkeit nicht gemindert. Demgegenüber hat der Kläger vorgetragen, daß die Voraussetzungen zur Erteilung eines Berichtigungsbescheides nach § 41 VerwVG durch den Beklagten nicht gegeben seien. Der Berichtigungsbescheid vom 4. Mai 1957 ist nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden.
Mit Urteil vom 20. September 1957 hat das SG unter Abänderung des Berichtigungsbescheides des VersorgA Dortmund vom 4. Mai 1957, Aufhebung des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Westfalen - Außenstelle D - vom 18. Januar 1954 sowie Abänderung des Bescheides des VersorgA Dortmund vom 21. August 1953 den Beklagten verurteilt, die alte Leidensbezeichnung "allgemeine nervöse Reizbarkeit und Schwäche, feste Narben am Brustkorb und auf der Scheitelhöhe" wiederherzustellen und dem Kläger über den 30. September 1953 hinaus für die anerkannten Schädigungsfolgen Rente nach einer MdE um 30 v. H. zu zahlen. Für die Anwendung des § 86 Abs. 3 BVG durch die Verwaltungsbehörde sei im Hinblick auf den im Bescheid vom 5. März 1952 enthaltenen Vermerk "eine Nachuntersuchung ist bei Ihnen nicht mehr beabsichtigt", kein Raum.
Der angefochtene Bescheid vom 21. August 1953 lasse sich auch nicht nach § 62 Abs. 1 BVG aufrechterhalten, weil die in dieser Vorschrift vorgeschriebene Zweijahresfrist nicht eingehalten worden sei. Schließlich könne vorliegend auch nicht § 41 VerwVG zu Ungunsten des Klägers angewandt werden.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen in Essen hat - nach Einholung eines Gutachtens (vom 8. April 1960) von den Städtischen Krankenanstalten - Medizinische und Nervenklinik - in W (Prof. Dr. S und Dr. K) - mit Urteil vom 9. September 1960 die Berufung des Beklagten als unbegründet zurückgewiesen: Die Anerkennung der Neurasthenie beim Kläger als Schädigungsfolge und insbesondere die Umanerkennung dieses Leidens nach der SVD 27 und dem BVG sei rechtlich zweifellos unrichtig gewesen. Jedoch habe keine tatsächliche Unrichtigkeit vorgelegen. Denn von einer solchen könne nur gesprochen werden, wenn der zu Grunde gelegte Sachverhalt objektiv falsch gewesen sei. Daß zwischen den Nervenbeschwerden des Klägers und dem Wehrdienst kein Zusammenhang bestehe, habe schon im Jahre 1936 der herrschenden ärztlichen Lehrmeinung entsprochen; diese habe sich seitdem auch nicht mehr geändert. Dieser eindeutige Sachverhalt sei der Versorgungsbehörde bei Erlaß der hier im Streit befindlichen Bescheide bekannt gewesen, sie habe jedoch fehlerhaft rechtlich unrichtige Folgerungen aus diesem ärztlich begründeten Sachverhalt gezogen. Die Unrichtigkeit der Bescheide sei also lediglich durch Umstände verursacht worden, die ausschließlich in den Verantwortungsbereich des Beklagten gehörten. Die Fehlerhaftigkeit solcher Bescheide rechtfertige abgesehen davon, daß es an der tatsächlichen Unrichtigkeit fehle, keine Berichtigung durch die Verwaltungsbehörde; sie habe diesen Mangel vielmehr zu vertreten, weil der Kläger auf die Gültigkeit der Bescheide habe vertrauen können und sein Interesse an deren Bestand das allgemeine öffentliche Interesse an der Änderung oder Aufhebung überwiege. Der gemäß § 96 SGG zum Gegenstand des Verfahrens gewordene Berichtigungsbescheid vom 4. Mai 1957 sei deshalb vom SG im Ergebnis zu Recht aufgehoben worden. Das SG habe auch zutreffend erkannt, daß der Bescheid vom 21. August 1953 im Hinblick auf den im Bescheid vom 5. März 1952 enthaltenen Vermerk nicht aufrechterhalten werden könne. Schließlich sei auch eine Umdeutung des Bescheides vom 21. August 1953 in einen solchen nach § 62 Abs. 1 BVG nicht möglich, weil nach dem übereinstimmenden Urteil der Sachverständigen die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers seit vielen Jahren unverändert geblieben seien und insbesondere eine Besserung des Nervenleidens nicht eingetreten sei. Das LSG hat die Revision zugelassen.
Gegen dieses ihm am 11. Oktober 1960 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. Oktober 1960, eingegangen beim Bundessozialgericht (BSG) am 27. Oktober 1960, Revision eingelegt; der Schriftsatz enthält auch die Begründung der Revision. Der Beklagte rügt die Verletzung der §§ 41 VerwVG, 128 SGG und trägt vor, es treffe nicht zu, daß eine Berichtigungsmöglichkeit entfalle, wenn ein unrichtiger Bescheid auf von der Versorgungsbehörde zu vertretende Umstände zurückzuführen sei; denn dem § 41 VerwVG seien Vertretbarkeits- und Verschuldensfragen, anders als z. B. dem § 47 VerwVG, fremd. Darüber hinaus habe das LSG, weil es die ihm vorliegenden Versorgungsakten nicht hinreichend ausgewertet habe, den Begriff der tatsächlichen Unrichtigkeit eines Bescheides verkannt bzw. nicht richtig angewandt. Sein weiteres schriftliches Vorbringen, im übrigen seien - entgegen der Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. BSG 8, 198) - die Voraussetzungen für eine Berichtigung nach § 41 VerwVG schon dann erfüllt, wenn die rechtliche Unrichtigkeit eines Bescheides festgestellt sei, einer Prüfung, ob auch eine tatsächliche Unrichtigkeit vorliege, bedürfe es dann nicht mehr, hat der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht mehr aufrechterhalten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 9. September 1960 und das Urteil des SG Dortmund abzuändern und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Auf die Schriftsätze des Beklagten vom 19. Oktober und 18. November 1960 sowie auf die des Klägers vom 5. Dezember 1960 und 9. Januar 1961 wird verwiesen.
Die Revision des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGG) und durch Zulassung (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG) statthaft. Sie ist jedoch nicht begründet.
Wie bereits dargelegt, hat das Berufungsgericht bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 41 VerwVG die rechtliche Unrichtigkeit des Bescheides nach der SVD 27 vom 17. Februar 1948 und der darauffolgenden Bescheide nach dem BVG bejaht, dagegen die tatsächliche Unrichtigkeit verneint. Dabei ist es davon ausgegangen, daß Bescheide über Rechtsansprüche nach § 41 Abs. 1 VerwVG zu Ungunsten eines Versorgungsberechtigten durch einen neuen Bescheid (Berichtigungsbescheid) nur abgeändert oder aufgehoben werden können, wenn sowohl ihre tatsächliche als auch ihre rechtliche Unrichtigkeit im Zeitpunkt ihres Erlasses außer Zweifel steht, daß also eine Berichtigung nicht schon dann erfolgen kann, wenn nur eine der beiden Arten der Unrichtigkeit - der rechtlichen oder der tatsächlichen - vorliegt. Diese Auffassung trifft zu (s. Urteile des erkennenden Senats vom 23. Oktober 1958 - BSG 8, 198 ff -, des 10. Senats vom 13. April 1961 - 10 RV 687/58 - und des 11. Senats vom 18. Januar 1963 - SozR VerwVG § 41 Bl. Ca 14 Nr. 19 -).
Im vorliegenden Falle war bei dem Kläger mit Bescheid vom 15. Januar 1923 neben "Narben im Rücken" eine "Neurasthenie" als Dienstbeschädigung nach den Vorschriften des Reichsversorgungsgesetzes (RVG) anerkannt worden. Bei der Neuregelung der Versorgung nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 hat die SVD 27 die Gewährung von Leistungen an Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene grundsätzlich von der Stellung eines Versorgungsantrages abhängig (SVD 27 § 14 Abs. 1) gemacht; dabei konnte Versorgung grundsätzlich nur gewährt werden, wenn nach sachlicher Prüfung durch die Verwaltungsbehörde die Voraussetzungen dafür (SVD 27 § 4) als erfüllt festgestellt worden waren. Lediglich in solchen Fällen, in denen bereits nach früheren Gesetzen und Verordnungen über Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene Entscheidungen getroffen worden waren, bedurfte es keines besonderen neuen Antrages (SVD 27 § 14 Abs. 1 Satz 1); hier konnte die Entscheidung über den Zusammenhang der Beschädigung oder des Todes mit den im § 4 der SVD 27 bezeichneten Ursachen und über den Grad des Verlustes der Erwerbsfähigkeit vorläufig als maßgebend angenommen werden, jedoch vorbehaltlich weiterer Anordnungen (SVD 27 § 14 Abs. 2 Satz 2). Dabei fehlte jedoch eine dem § 85 BVG entsprechende gesetzliche Vorschrift über die Rechtsverbindlichkeit früherer (nach früheren versorgungsrechtlichen Vorschriften ergangener) Entscheidungen zur Zusammenhangsfrage. Im Falle des Klägers hat die Verwaltungsbehörde nach Erlaß der SVD 27 von ihrer Befugnis, dessen Versorgungsanspruch sachlich zu überprüfen, unbestritten keinen Gebrauch gemacht; sie hat vielmehr die nach dem RVG ergangene frühere Entscheidung als maßgebend angenommen, mit Bescheid vom 17. Februar 1948 "Narben im Rücken und Neurasthenie" ohne eine ärztliche Nachuntersuchung des Klägers auch als Schädigungsfolgen im Sinne der SVD 27 erneut anerkannt und Rente nach einer MdE um 30 v. H. wiedergewährt. Die Leidensbezeichnungen und die Höhe der MdE sind nach dem Inkrafttreten des BVG in derselben Weise auch in dem Umanerkennungsbescheid nach dem BVG vom 5. März 1952 übernommen worden. Das bedeutet, daß im Hinblick auf § 85 BVG der Umanerkennungsbescheid vom 5. März 1952 nur Bestand haben kann, wenn auch der Bescheid vom 17. Februar 1948 (nach der SVD 27) nicht nachträglich zu Ungunsten des Klägers geändert werden kann. Deshalb ist für die Erteilung eines Berichtigungsbescheides nach § 41 VerwVG der maßgebliche Zeitpunkt im Sinne dieser Vorschrift der Tag der Erteilung des Bescheides vom 17. Februar 1948; nur wenn im Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheides dessen tatsächliche und rechtliche Unrichtigkeit außer Zweifel steht, können beide Bescheide, der vom 17. März 1948 (nach der SVD 27) und der vom 5. März 1952 (nach dem BVG), durch einen neuen Bescheid (Berichtigungsbescheid) zu Ungunsten des Klägers geändert oder aufgehoben werden.
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Berichtigungsbescheid vom 4. Mai 1957, der nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden ist, den gesetzlichen Voraussetzungen des § 41 VerwVG nicht entspricht. Denn die Anerkennung dieses Leidens mit Bescheid vom 17. Februar 1948 ist nicht tatsächlich und rechtlich, sondern nur rechtlich zweifelsfrei unrichtig gewesen.
Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen und nicht angegriffenen Feststellungen ist der Kläger im ersten Weltkrieg Soldat gewesen, während dieser Militärdienstzeit sind seine Nervenbeschwerden erstmalig aufgetreten, und sie haben auch nach der Entlassung aus diesem weiterbestanden. Nervenbeschwerden bestanden unbestritten auch im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 17. Februar 1948, ebenso wie sie noch heute bestehen. Wenn nun die Verwaltungsbehörde diese Nervenbeschwerden unter der Leidensbezeichnung "Neurasthenie" in den Bescheid vom 17. Februar 1948 aufgenommen hat, so war dies im Hinblick darauf, daß das Leiden tatsächlich bestand, nicht tatsächlich unrichtig. Daran ändert nichts, daß nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der medizinischen Wissenschaft schon im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides - und vorher - durch den Militär- und Frontdienst gegebenenfalls verursachte Erschöpfungszustände, wie sie vom Kläger als Ursache für sein Nervenleiden angeschuldigt werden, allenfalls einen vorübergehend verschlimmernden Einfluß auf eine vorhandene Anlage ausgeübt haben können, und daß nach diesen Erkenntnissen und Erfahrungen die Anerkennung einer wie beim Kläger allein auf konstitutionellen Faktoren beruhenden Neurasthenie spätestens im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides vom 17. Februar 1948 medizinisch nicht mehr gerechtfertigt war. Wenn der Beklagte deshalb trotzdem die - tatsächlich bestehende - Neurasthenie als Schädigungsleiden anerkannt hat, so hat er einen ihm aus den Nachuntersuchungen schon in den Jahren 1936 und 1937 richtig bekannten Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt. Daraus folgt, daß der Bescheid vom 17. Februar 1948 - ebenso wie der auf ihm beruhende vom 5. März 1952 - im Zeitpunkt des Erlasses rechtlich unrichtig gewesen ist. Das aber reicht wie ausgeführt zu seiner Änderung oder Aufhebung durch einen Berichtigungsbescheid nicht aus, weil für dessen Erlaß neben der rechtlichen die noch erforderliche tatsächliche Unrichtigkeit nicht vorliegt. Dieser Auffassung stehen auch die vom Vertreter des Beklagten im Termin zur mündlichen Verhandlung am 4. Juli 1963 angeführten Urteile des BSG - des 9. Senats vom 15. November 1957 (BSG 6, 106), des 11. Senats vom 18. Januar 1963 (BSG im SozR VerwVG § 41 Bl. Ca 14 Nr. 19) und des 11. Senats vom 21. August 1962 - 11 RV 800/61 - nicht entgegen. Das Urteil des 9. Senats hat die Voraussetzungen der "tatsächlichen und rechtlichen Unrichtigkeit" als gleichbedeutend angesehen und die Frage geklärt, was unter "außer Zweifel stehen" zu verstehen ist. Das Urteil vom 18. Januar 1963 ist davon ausgegangen, daß das Berufungsgericht einen ihm richtig mitgeteilten und von ihm richtig aufgefaßten Sachverhalt rechtlich unrichtig beurteilt hat. Das Urteil vom 21. August 1962 befaßt sich zwar mit der Abwägung der beiderseitigen Interessen und stellt dabei das öffentliche Interesse hervor. Es betrifft aber einen Bescheid, der vor dem Inkrafttreten des VerwVG ergangen ist, und behandelt daher die für diese Zeit anzuwendenden Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts, befaßt sich aber nicht mit der speziellen Regelung des § 41 VerwVG. Die Revision kann daher aus diesen Urteilen keine Schlußfolgerungen für ihre Auffassung ziehen.
Bei dieser Sach- und Rechtslage hätte das LSG im übrigen nicht mehr zu erörtern brauchen, daß die Ermächtigung der Verwaltungsbehörde, einen von ihr erteilten Bescheid nach § 41 VerwVG zurückzunehmen, auch schon deshalb entfalle, weil ihr ein wie hier eindeutiger Sachverhalt schon bei Erteilung des von ihr nach § 41 VerwVG berichtigten Bescheides bekannt gewesen sei, weil sie lediglich fehlerhafte und rechtlich unrichtige Folgerungen aus dem ärztlich begründeten Sachverhalt gezogen habe, und weil deshalb die Unrichtigkeit des Bescheides allein durch Umstände verursacht worden sei, die in den Verantwortungsbereich des Beklagten fielen; der Beklagte habe es deshalb zu vertreten, wenn der Kläger auf die Gültigkeit des Bescheides vertraut habe und sein Interesse am Bestand des Bescheides das allgemeine öffentliche Interesse an der Änderung oder Aufhebung überwiege. Darüber hinaus gehen diese Erörterungen des Berufungsgerichts auch fehl. Denn die Befugnis der Verwaltungsbehörde, von Anfang an rechtswidrige, d. h. tatsächlich und rechtlich unrichtige Bescheide nach § 41 VerwVG zurückzunehmen und damit das Rechtsverhältnis zwischen den Beteiligten mit der wahren Sach- und Rechtslage in Übereinstimmung zu bringen, entfällt nicht schon deshalb, weil die Umstände, durch die die Rechtswidrigkeit verursacht worden ist, dem Verantwortungsbereich der Verwaltungsbehörde zuzurechnen sind. Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob die Verwaltungsbehörde die Rechtswidrigkeit eines Bescheides hätte erkennen können oder sogar hätte erkennen müssen und ob sie von einer rechtlichen Möglichkeit zur richtigen Bescheiderteilung, die ihr früher zugestanden hat, hätte Gebrauch machen können. Ein begünstigender Verwaltungsakt kann, ohne daß der Verantwortungsbereich eines der Beteiligten eine Rolle spielt, zurückgenommen werden, wenn er auf der tatsächlichen und rechtlichen Unrichtigkeit des Rentenbewilligungsbescheides beruht hat und die sonstigen Voraussetzungen des § 41 VerwVG vorgelegen haben. Denn das Gesetz selbst hat in der Regelung des § 41 VerwVG schon das allgemeine öffentliche Interesse, fehlerhafte Bescheide über wiederkehrende Leistungen zu beseitigen, und das Interesse des Berechtigten an dem Schutz seines Vertrauens auf den Fortbestand des Bescheides gegeneinander abgewogen; es hat deshalb die Befugnis der Versorgungsbehörde, einen von Anfang an rechtswidrigen, aber bindend gewordenen Bescheid zurückzunehmen, an Voraussetzungen geknüpft, die in vollem Umfang dem Gesichtspunkt Rechnung tragen, daß die Rücknahme des Bewilligungsbescheides eine einschneidende Maßnahme für den Berechtigten darstellt (vgl. BSG im SozR VerwVG § 41 Bl. Ca 4 Nr. 10).
Im vorliegenden Falle steht der Berichtigung des Bescheides vom 17. Februar 1948 - und des darauffolgenden vom 5. März 1952 (nach dem BVG) - deshalb allein, aber auch zwingend, der Umstand entgegen, daß er im Zeitpunkt seines Erlasses nicht ohne Zweifel tatsächlich und rechtlich, sondern nur rechtlich unrichtig gewesen ist. Der Beklagte war deshalb nicht befugt, eine Berichtigung nach § 41 VerwVG vorzunehmen. Das hat zur Folge, daß, wie das LSG im Ergebnis zutreffend entschieden hat, der Berichtigungsbescheid vom 4. Mai 1957, mit dem die frühere Anerkennung der beim Kläger bestehenden Neurasthenie bzw. allgemeinen nervösen Reizbarkeit als Schädigungsfolge aufgehoben worden ist, keinen Bestand haben kann. Bei dieser Sach- und Rechtslage braucht der erkennende Senat auf die vom Kläger noch erhobene Verfahrensrüge nicht einzugehen. Für sie ist hier kein Raum.
Das LSG hat, ohne daß wirksame und begründete Revisionsgründe dagegen vorgebracht worden sind, festgestellt, daß der dem Kläger vom Beklagten nach dem BVG erteilte Umanerkennungsbescheid vom 5. März 1952 den Vermerk getragen hat: "Eine Nachuntersuchung ist bei Ihnen nicht mehr beabsichtigt". Bei diesem Vermerk handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl. BSG 6, 175, 176, 177) um einen gestaltenden, den Betreffenden begünstigenden Verwaltungsakt, der dieselbe Rechtslage schafft, die sonst erst entsteht, wenn eine ärztliche Nachuntersuchung nach § 86 Abs. 3 BVG durchgeführt worden ist. Das bedeutet, daß die Möglichkeit einer Neufeststellung nach § 86 Abs. 3 BVG auch dann entfällt, wenn später eine ärztliche Nachuntersuchung ergibt, daß die frühere Bewertung der MdE den tatsächlichen Verhältnissen und den Grundsätzen des BVG nicht mehr entspricht. Deshalb konnte der Beklagte den Bescheid vom 21. August 1953, mit dem er unter Bezugnahme auf § 86 Abs. 3 BVG - unter Beibehaltung der anerkannten Schädigungsfolgen - die MdE des Klägers auf 10 v. H. herabgesetzt hat, nicht erteilen. Der Bescheid muß daher aufgehoben werden. Daran vermag auch nichts zu ändern, daß der in den Versorgungsakten enthaltene Bescheidentwurf den Vermerk "Eine Nachuntersuchung ist bei Ihnen nicht mehr beabsichtigt", nicht trägt. Entscheidend ist vielmehr allein, daß dieser Vermerk dem Kläger auf dem ihm erteilten Bescheid zugegangen ist.
Schließlich ist auch nicht zu beanstanden, wenn das LSG die Umdeutung des Bescheides vom 21. August 1953 in einen solchen nach § 62 BVG nicht für möglich gehalten hat. Zwar kann die Rechtsgrundlage eines Verwaltungsaktes (z. B. § 86 Abs. 3 BVG) im Laufe des Verfahrens durch Nachschieben einer anderen rechtlichen Begründung (z. B. § 62 BVG) grundsätzlich geändert werden, wenn der Verwaltungsakt hierdurch in seinem Wesen nicht verändert und die Rechtsverteidigung des Versorgungsberechtigten nicht beeinträchtigt wird (vgl. BSG 11, 236). Im vorliegenden Falle mußte aber das Nachschieben der anderen rechtlichen Begründung, nämlich daß der Bescheid vom 21. August 1953 auf § 62 BVG gestützt werde, schon daran scheitern, daß nach den in Übereinstimmung mit den gehörten Gutachtern (Prof. Dr. S und Dr. K von den Städtischen Krankenanstalten W und Dr. B und Dr. F vom Kreiskrankenhaus H) getroffenen Feststellungen des LSG eine die Höhe der MdE beeinflussende wesentliche Änderung des Nervenleidens des Klägers nicht eingetreten ist; die Beschwerden sind durch die erhobenen Befunde "hinreichend objektiviert", eine Besserung gegenüber dem Zeitpunkt der Anerkennung als Schädigungsleiden liegt "subjektiv und auch zweifellos objektiv" nicht vor.
Nach allem konnte die Revision des Beklagten keinen Erfolg haben; sie mußte als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.
Fundstellen