Leitsatz (amtlich)
1. Soweit über Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu entscheiden ist, liegt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung (SGG § 51 Abs 1 SGG) vor. Die Entscheidung, ob daneben nach Grundsätzen des öffentlichen Dienstes sonstige Ansprüche bestehen, gehört dagegen nicht zu den Aufgaben der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit.
2. Der Geltungsbereich einer im Bezirk des Landessozialgerichts Berlin bestehenden landesrechtlichen Vorschrift erstreckt sich nur dann über den Bezirk dieses Gerichts hinaus (SGG § 162 Abs 2), wenn die Vorschrift außerdem wenigstens in Teilen der Bundesrepublik Deutschland gilt.
3. In der gesetzlichen Unfallversicherung ist der Grad der durch Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nach dem Umfang der verbleibenden Arbeitsmöglichkeit auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens zu beurteilen, wobei zur Vermeidung unbilliger Härten Ausbildung und bisheriger Beruf des Verletzten angemessen zu berücksichtigen sind.
4. Abgesehen von der Sondervorschrift des RVO § 564 Abs 4 S 3 hat der beamtenrechtliche Begriff der Dienstunfähigkeit für die Prüfung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne der Unfallversicherung keine Bedeutung.
5. Bei einem durch eine Handverletzung am Schreiben behinderten Behördenbediensteten kann der Umstand, daß er in seiner bisherigen Dienststelle überwiegend handschriftliche Tätigkeit zu verrichten hatte, nicht als wesentlich für die Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit betrachtet werden.
6. Eine Gesamtrente im Sinne des RVO § 559a Abs 5 kann nur gewährt werden, wenn für den früheren Unfall eine Rente niemals gewährt worden ist. (Bestätigung der Entscheidung des Reichsversicherungsamts vom 1939-04-05- AN 1939, IV 190 - Grundsatz Nr 11).
Normenkette
SGG § 51 Abs. 1, § 162 Abs. 2; RVO § 559a Abs. 5 Fassung: 1939-02-17, § 564 Abs. 4 S. 3 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 5. August 1954 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts ..., ..., wird auf 90,- DM festgesetzt.
Von Rechts wegen
Gründe
Der Kläger war als ... in der West-Berliner Justizverwaltung beschäftigt. Am 16. August 1950 erlitt er auf dem Wege zum Dienst einen Unfall. Dieser Unfall führte hauptsächlich eine Schädigung der rechten Hand herbei. Bei der Versicherungsanstalt Berlin (VAB), die den Unfall bearbeitete und dem Kläger Krankenbehandlung gewährte, beantragte der Kläger anfänglich nur die Zahlung des Krankengeldes; Anspruch auf Gewährung einer Unfallrente erhob er zunächst nicht, weil er der Meinung war, eine solche stehe ihm nicht zu wegen seiner vermutlich gegebenen Ansprüche auf Unfallfürsorge nach dem Beamtenrecht. Nachdem der Kläger in den Ruhestand versetzt worden war, stellte er mit Schreiben vom 23. April 1951 jedoch ausdrücklich den Antrag bei der VAB, die ihm zu bewilligende Verletztenrente unter Anwendung des § 559 a Abs. 4, 5 RVO festzusetzen, wobei er darauf hinwies, seine Kriegsbeschädigtenrente ruhe seit 1921. Mit Bescheid vom 28. Mai 1951 gewährte die VAB dem Kläger eine vorläufige Rente von 20 v. H.
In der hiergegen eingelegten Beschwerde erklärte sich der Kläger unzufrieden mit dem festgesetzten v. H.-Satz seiner Minderung der Erwerbsfähigkeit und bemängelte, daß weitere durch den Wegeunfall hervorgerufene Leiden nicht berücksichtigt worden seien. Der Beschwerdeausschuß der VAB wies die Beschwerde durch Entscheidung vom 27. November 1951 zurück.
Diese Entscheidung focht der Kläger bei dem Sozialversicherungsamt Berlin an. Während dieses Verfahrensabschnittes übernahm die Beklagte auf Grund des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin vom 29. April 1952 (BGBl. I S. 253) - in Berlin eingeführt durch das gleichlautende Gesetz vom 10. Juli 1952 (GVOBl. S. 583) - die Entschädigungspflicht an Stelle der VAB. Die Beklagte veranlaßte alsbald eine Nachuntersuchung und entzog daraufhin die Rente mit Bescheid vom 5. Dezember 1952, der gleichfalls Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialversicherungsamt wurde. Der Bezirksberufungsausschuß des Sozialversicherungsamts zog die beim Versorgungsamt II Berlin über den Kläger geführten Akten bei und ließ den Kläger chirurgisch sowie nervenfachärztlich begutachten. Mit Urteil vom 26. November 1953 hob der Bezirksberufungsausschuß den Rentenentziehungsbescheid vom 5. Dezember 1952 auf und verurteilte die Beklagte, dem Kläger über den 31. Januar 1953 hinaus eine Dauerrente von 10 v. H. zu gewähren; im übrigen wurde die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen.
Mit der hiergegen erhobenen weiteren Beschwerde, die mit dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes am 1. Januar 1954 als Berufung auf das Landessozialgericht überging, machte der Kläger geltend, gemäß § 559 a Abs. 5 RVO sei seine Kriegsbeschädigung, die nach den Feststellungen des Versorgungsamts 20 v. H. betrage, bei der Höhe der Unfallrente zu berücksichtigen; bei der Bemessung der Unfallfolgen mit nur 10 v. H. sei den Auswirkungen der Schreibbehinderung auf seinen Beruf als Oberamtsanwalt nicht genügend Rechnung getragen worden. Ferner äußerte er Zweifel, ob sich das Landessozialgericht angesichts der undurchsichtigen Rechtsstellung der pensionierten Richter, Staats- und Amtsanwälte überhaupt für zuständig erachten könne. Das Landessozialgericht ließ den Kläger auf seinen Antrag durch einen Facharzt für Orthopädie begutachten, der wegen der Funktionsbehinderung der rechten Hand eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 10 v. H. annahm. Es wies durch Urteil vom 5. August 1954 die Berufung zurück. In den Entscheidungsgründen führte das Landessozialgericht aus, die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei von den Vorinstanzen auf Grund der ärztlichen Gutachten zutreffend beurteilt worden. Der Beruf des Klägers als Oberamtsanwalt biete keinen Anlaß zu höherer Schätzung der Unfallfolgen. Eine sog. Gesamtrente gemäß § 559 a Abs. 5 RVO könne der Kläger nicht beanspruchen, weil diese Vorschrift nach der zu billigenden grundsätzl. Entscheidung Nr. 5286 des Reichsversicherungsamts (RVA) (AN. 1939 S. IV 190) die Berücksichtigung von Kriegsbeschädigungen nicht ermögliche. § 559 a Abs. 5 RVO sei aber im vorliegenden Falle auch schon deswegen unanwendbar, weil der Kläger nach seinen eigenen Angaben, die durch Anhaltspunkte in den Versorgungsakten bestätigt würden, bis 1920 oder 1921 für seine Kriegsbeschädigung Rente bezogen habe; nach der angeführten Entscheidung des RVA setze die Bildung einer Gesamtrente voraus, daß der Verletzte für die Folgen des früheren Unfalls eine Rente niemals erhalten habe. Die vom Kläger vorgetragenen Bedenken gegen die Zuständigkeit des Landessozialgerichts wurden in den Entscheidungsgründen nicht erörtert.
Die Revision wurde zugelassen, weil es sich bei der Auslegung des § 559 a Abs. 4 und 5 RVO um Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung handele.
Das Urteil ist am 19. August 1954 dem Kläger zugestellt worden. Seine am 13. September 1954 eingelegte Revision rügt eine Verletzung des § 51 SGG. Das Landessozialgericht sei nicht zuständig gewesen. Der nach dem Berliner Gesetz über die Rechtsstellung der Richter und Staatsanwälte vom 9. Januar 1951 (GVOBl. S. 235) in den Ruhestand versetzte Kläger gehöre nicht zu dem von der Unfallversicherung nach § 546 RVO umfaßten Personenkreis; freilich sei er auch nicht Beamter im Sinne des Berliner Landesbeamtengesetzes vom 24. Juli 1952 (GVOBl. S. 603), das nach § 167 auf Staats- und Amtsanwälte nicht anzuwenden sei. Die Zuständigkeit des Landessozialgerichts könne nur angenommen werden, wenn ein Versicherungsverhältnis des Klägers zur VAB bestanden habe, was wiederum voraussetze, daß man die Beseitigung des Berufsbeamtentums durch die umstrittene Magistratsanordnung vom 8. Juni 1945 (VOBl. S. 29) für rechtens halte.
Außerdem sei das materielle Recht verletzt worden durch Verkennung des Begriffes des Spezialberufes (zu vgl. Bayerisches Landesversicherungsamt in Amtsbl. des Bayer. Staatsmin. für Arbeit und soziale Fürsorge S. 659) sowie durch Nichtanwendung des Maßstabes der Dienstfähigkeit im Sinne des Beamtenrechts. Das angefochtene Urteil habe ferner § 559 a Abs. 3 - 5 RVO falsch ausgelegt, das Wort "nicht" in Absatz 5 solle keinesfalls "niemals" bedeuten; ferner sei auch eine Kriegsbeschädigung zur Bildung einer Gesamtrente für einen späteren Unfall heranzuziehen, da Absatz 5 ausdrücklich auf Absatz 4 Bezug nehme.
Der Kläger hat den Antrag gestellt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision. Sie führt aus, zur Zeit des Unfalls sei der Kläger auf Grund eines bürgerlich-rechtlichen Dienstverhältnisses als Angestellter tätig gewesen.
Sein Unfall sei als Arbeitsunfall anerkannt worden. Bei dem Streit um den sich hieraus ergebenden Rentenanspruch handele es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung gemäß § 51 SGG. Daß der Kläger vor dem Unfall in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis gestanden und damals nach § 541 Nr. 1 RVO der Versicherungspflicht nicht unterlegen habe, sei ohne Einfluß auf das anhängige Streitverfahren. Im übrigen entspreche das angefochtene Urteil sowohl hinsichtlich der Würdigung der Minderung der Erwerbsfähigkeit als auch hinsichtlich der Auslegung des § 559 a Abs. 5 RVO der heute noch beizubehaltenden Rechtsprechung des RVA.
Die Revision ist statthaft und form- und fristgerecht eingelegt, jedoch unbegründet.
§ 51 SGG ist nicht verletzt. Denn bei dem Rechtsstreit, den der Vorderrichter entschieden hat, handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung, zu deren Entscheidung die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit berufen sind (§ 51 Abs. 1 SGG). In diesem Verfahren macht der Kläger nämlich seinen Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung geltend. Als Grundlage dieses Anspruchs kommen in Betracht die §§ 17 Abs. 1 Nr. 2, 18 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen in der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin vom 29. April 1952 (UZG). Gegen die Rechtsgültigkeit dieser Vorschriften, die den Übergang der Entschädigungspflicht für Unfälle aus der Zeit vom 8. Mai 1945 bis zum 31. Dezember 1950 von der VAB auf die im Dritten Buch der RVO bezeichneten Träger der Unfallversicherung regeln, bestehen keine Bedenken. Es handelt sich um Überleitungsvorschriften, welche die Annäherung eines vom Bundesrecht abweichenden Zustands an Rechtsgrundsätze der Bundesrepublik zum Ziele haben und deshalb, wie in der Rechtsprechung anerkannt ist, dem Grundgesetz entsprechen ( KGer . in Jur. Rdsch. 1950 S. 474; BVerfGer. in NJW 1955 S. 865). Aus der Rechtsnatur des anspruchsbegründenden Rechtsverhältnisses ergibt sich sonach zweifelsfrei die Zulässigkeit des Rechtsweges vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (RVA, Gr. E. Nr. 4124 in AN. 1931 S. 295; RGZ. 157 S. 106; OGHZ. 2 S. 58; BGHZ. 14 S. 222; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 4. Aufl., Bd. I S. 190 h V; Peters-Sautter-Wolff, Kommentar zur Sozialgerichtsbarkeit, Anm. 3 a bb zu § 51 SGG). Die Entscheidung darüber, ob daneben etwa nach Grundsätzen des öffentlichen Dienstes sonstige Ansprüche bestehen, gehört hingegen nicht zu den Aufgaben der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Wenn daher der Kläger geltend gemacht hat, er sei bis zum Zusammenbruch Beamter gewesen und es sei deswegen zweifelhaft, ob er mit Recht seiner beamten-rechtlichen Ansprüche (auf Versorgung im allgemeinen, hier insbesondere auf Unfallfürsorge) verlustig gegangen sei, so unterlag die Prüfung dieser Frage nicht dem erkennenden Senat. Von dieser Erwägung abgesehen mußte der Senat aber auch noch berücksichtigen, daß es sich bei den fraglichen Maßnahmen (insbesondere Magistratsanordnungen vom 8. Juni 1945 und 14. Juli 1945 - VOBl. S. 29 und S. 64), deren Gültigkeit in Rechtsprechung ( BezVerwGer . für den britischen Sektor Berlins in DVerw. 1949 S. 614; KGer . in DVerw. 1949 S. 619) und Schrifttum (Sorge in Jur. Rdsch. 1948 S. 245, 1949 S. 186) umstritten ist, um Vorschriften handelt, die gemäß § 162 Abs. 2 SGG nicht nachprüfbar sind. Sie stellen zweifellos kein Bundesrecht dar und gelten auch nicht über den Bezirk des Landessozialgerichts Berlin hinaus. Das letztere wäre nach der Auffassung des Senats nur dann der Fall, wenn die im Bezirk des Landessozialgerichts Berlin bestehenden landesrechtlichen Vorschriften außerdem wenigstens in Teilen der Bundesrepublik Deutschland gelten würden (zu vergleichen Stein-Jonas- Schönke- Pohle, Kom. zur ZPO., 18. Aufl., Anm. IV B 4 zu § 549 ZPO). Offenbar ist auch der Vorderrichter der Ansicht gewesen, bei dem vom Kläger angestrengten Verfahren habe es sich unter Zugrundelegung der Überleitungsbestimmungen des UZG um eine seiner Entscheidung unterliegende öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialversicherung gehandelt. Das Landessozialgericht hat sich zwar bedauerlicherweise nicht ausdrücklich mit dieser Frage auseinandergesetzt; aus der gesamten Erörterung der Rechtslage in den Entscheidungsgründen ergibt sich aber, daß das Landessozialgericht ebenfalls den vom erkennenden Senat vertretenen Standpunkt einnimmt.
Der Kläger bezieht auch zu Recht auf Grund des UZG Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung. Unter Unfällen im Sinne des § 18 Abs. 1 UZG. sind solche Unfälle zu verstehen, die vor Inkrafttreten des UZG auf Grund der in Berlin geltenden Sondervorschriften von der VAB zu entschädigen waren, im Bundesgebiet jedoch nicht zum Aufgabenbereich der gesetzlichen Unfallversicherung gehört haben würden. So war in den bisherigen Berliner Unfallversicherungsvorschriften der Unfallbegriff weiter gefaßt (§ 18 Abs. 3 Nr. 6 UZG) und der versicherungspflichtige Personenkreis abweichend von den §§ 537 und 541 RVO geregelt worden (vgl. § 18 Abs. 2 Satz 2 UZG). Der Gesetzgeber hat mit den Überleitungsvorschriften des UZG die bis dahin in Berlin bestehende Rechtslage auf dem Gebiet der Unfallversicherung insofern bestätigt, als er die im Dritten Buch der RVO nicht vorgesehenen Versicherungsverhältnisse zur VAB nicht für ungültig erklärt, sondern mehr oder minder umfassend die Weitergewährung der auf ihnen beruhenden Entschädigungsleistungen bestimmt hat. Auch die Stellung des Klägers gegenüber der VAB und der Beklagten findet hierin ihre Rechtsgrundlage.
Höhere als die ihm zuerkannten Leistungen stehen dem Kläger jedoch nicht zu. Der Vorderrichter hat entgegen der Revisionsbehauptung den in der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Begriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht verkannt. Das angefochtene Urteil steht vielmehr insoweit in Einklang mit der auch heute beizubehaltenden Rechtsprechung des RVA. Dieses hat sich in zahlreichen Entscheidungen mit dem Problem der Bemessung der Minderung der Erwerbsfähigkeit auseinandergesetzt und dabei einerseits die Erwerbsfähigkeit eines Unfallverletzten auf dem damals sogenannten "allgemeinen Arbeitsmarkt" in den Vordergrund gestellt, andererseits aber auch eine gebührende Rücksichtnahme auf die Ausbildung und auf einen länger ausgeübten Spezialberuf des Verletzten gefordert (zu vergleichen die Zusammenstellung in EuM. Bd. 21 S. 97, ferner grundsätzl. Entscheidung Nr. 2599 in AN. 1913 S. 393). Hiermit übereinstimmend ist der erkennende Senat der Auffassung, daß in der gesetzlichen Unfallversicherung der Grad der durch Unfallfolgen verursachten Minderung der Erwerbsfähigkeit grundsätzlich nach dem Umfang der verbliebenen Arbeitsmöglichkeit auf dem gesamten Gebiete des Erwerbslebens zu beurteilen ist, wobei zur Vermeidung unbilliger Härten Ausbildung und bisheriger Beruf des Verletzten angemessen zu berücksichtigen sind. Etwas anderes wird, entgegen der Annahme der Revision, auch nicht in dem Urteil des Bayer. Landesversicherungsamts vom 9. Juni 1950 (Amtsbl. des Bayer. Staatsmin. für Arbeit und soziale Fürsorge 1950 S. 659 = Breithaupt 1950 S. 849) ausgeführt, wenn es dort in den Entscheidungsgründen heißt: "Der Beruf des Verletzten ist nur im beschränkten Umfang dann zu berücksichtigen, wenn der allgemeine Arbeitsmarkt für den Verletzten infolge seines speziellen Berufs wesentlich eingeschränkt ist". Auch die Entscheidung des Bayer. Landesversicherungsamts vom 5. Mai 1950 (Amtsbl. a. a. O., S. 469) steht mit dieser Rechtsprechung des RVA im Einklang. Die Feststellungen des Vorderrichters über die dem Kläger nach seiner Handverletzung verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten lassen demgemäß einen Rechtsirrtum nicht erkennen; es wäre jedenfalls verfehlt gewesen, dabei die besonderen Verhältnisse bei der Amtsanwaltschaft hinsichtlich der Erledigung der Schreibarbeiten als ausschlaggebend zu betrachten; denn in dem weiten Rahmen der Justiz- und allgemeinen Verwaltung stand dem Kläger ein seiner Ausbildung entsprechendes Arbeitsfeld in hinreichendem Maße zur Verfügung.
Das Verlangen des Klägers, seine Unfallentschädigung müsse nach dem Maßstab der Dienstunfähigkeit bemessen werden, geht fehl. Dienstunfähigkeit eines Beamten ist nur in dem Sonderfall des § 564 Abs. 4 RVO zu berücksichtigen, falls ein Beamter bei einer ehrenamtlichen Tätigkeit in der öffentlichen und freien Wohlfahrtspflege (§ 537 Nr. 2) oder bei den in § 537 Nr. 3 bis 5 und Nr. 10 angeführten Tätigkeiten einen Unfall erleidet. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Abgesehen von der Sondervorschrift des § 564 Abs. 4 Satz 3 RVO hat aber der beamtenrechtliche Begriff der Dienstunfähigkeit für die Prüfung der Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne der Unfallversicherung keine Bedeutung. Die Hinweise der Revision auf die Ausführungen bei Brackmann (a. a. O., Bd. II S. 569, 570, 573) beruhen offensichtlich auf einem Mißverständnis.
Schließlich ist die Revision auch insoweit unbegründet, als sie den Grundsatz Nr. 11 der grundsätzl. Entsch. Nr. 5286 des RVA (AN. 1939 S. IV 190) angreift. Hier hat das RVA festgestellt, durch eine Gesamtrente im Sinne des § 559 a Abs. 5 RVO seien nur solche früheren Unfälle zu berücksichtigen, für die der Verletzte nach § 559 a Abs. 3,4 eine Rente "niemals" erhalten hat. Die hierzu gegebene Begründung (a. a. O., S. IV 194) entspricht sowohl dem eindeutigen Wortlaut als auch dem Sinn des § 559 a Abs. 5 RVO. Auch das Bayer. Landesversicherungsamt hat diese Auffassung geteilt (Urteile vom 6. Oktober 1950 und 17. November 1950 in Amtsbl. des Bayer. Staatsmin. für Arbeit und soziale Fürsorge 1951 Teil B S. 45 und S. 164; Urteil vom 6. April 1951 in Breithaupt 1951 S. 1319). Der Standpunkt des Klägers, es genüge, daß er seine Kriegsbeschädigtenrente jedenfalls im Zeitpunkt des Beginns der Unfallentschädigung nicht mehr erhalten habe, würde eine andere Fassung der angeführten Vorschrift voraussetzen, wobei das Wort "erhalten" statt in der Vergangenheits- in der Gegenwartsform zu gebrauchen wäre. Schon aus diesem Grunde kann, wie der Vorderrichter zutreffend festgestellt hat, dem Kläger eine Gesamtrente unter Berücksichtigung der Folgen seiner Kriegsbeschädigung nicht gewährt werden. Auf die weitere von der Revision aufgeworfene Frage, ob grundsätzlich Unfälle und Beschädigungen im Sinne des § 559 a Abs. 4 RVO ebenso wie frühere Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten zur Bildung einer Gesamtrente nach Abs. 5 überhaupt herangezogen werden dürfen, kam es deswegen nicht mehr an. Der Senat hat daher von einer Prüfung dieser Frage abgesehen.
Die Revision mußte hiernach als unbegründet zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung und die Festsetzung der Gebühr für den Prozeßbevollmächtigten des Klägers beruhen auf §§ 193, 196 SGG.
Fundstellen