Leitsatz (redaktionell)
Allein aus dem Hinweis in einem Bescheid, der Versorgungsempfänger müsse jede Änderung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse unverzüglich anzeigen, kann noch nicht geschlossen werden, daß er bösgläubig iS des KOV-VfG § 47 Abs 2 ist. Andererseits kann der böse Glaube aus bestimmten Gründen schon vor der Zustellung eines Rentenerhöhungsbescheides aus der Rentenversicherung eintreten.
Normenkette
KOVVfG § 47 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02, § 16 Abs. 2 Fassung: 1955-05-02
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 1958 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger bezieht eine Versorgungsrente nach einer Erwerbsminderung (MdE) um 70 v.H. sowie eine Ausgleichsrente. Nachdem die Landesversicherungsanstalt W... dem Versorgungsamt (VersorgA) S... Ende Juli 1953 mitgeteilt hatte, die Invalidenrente des Klägers habe sich seit dem 1. Oktober 1950 erhöht, berechnete das VersorgA mit Bescheid vom 30. September 1953 die Ausgleichsrente neu, stellte für die Zeit vom 1. November 1950 bis 31. Oktober 1953 eine Überzahlung von 594,-- DM fest und forderte diesen Betrag zurück. Widerspruch, Klage und die zugelassene Berufung blieben erfolglos. Das Landessozialgericht (LSG) führte zur Begründung seines Urteils vom 21. Mai 1959 aus, der Beklagte sei nach § 62 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) berechtigt gewesen, die Ausgleichsrente neu festzustellen, weil durch die nachträgliche Erhöhung der Invalidenrente eine Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Die Neufeststellung sei rückwirkend auch für einen Zeitraum zulässig, für den die Änderung eingetreten sei. Der Kläger sei nach § 47 Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG) zur Rückzahlung der zu Unrecht empfangenen Beträge verpflichtet, weil er rückschauend betrachtet - hätte wissen müssen, daß die ihm bisher gezahlte Rente nicht mehr zustehe. Dies folge aus dem im Umanerkennungsbescheid enthaltenen ausdrücklichen Vorbehalt einer späteren Nachprüfung. Der Beklagte habe auch den Rückforderungsanspruch nicht verspätet geltend gemacht. Das LSG ließ die Revision zu.
Gegen das am 21. August 1958 zugestellte Urteil legte der Kläger am 29. August 1958 Revision ein und begründete sie am 2. September 1958. Er trägt vor, der Beklagte sei zwar zu einer rückwirkenden Feststellung der Versorgungsbezüge berechtigt gewesen. Jedoch habe der Kläger erst nach Zustellung der die höheren Sozialrenten ruckwirkend bewilligenden Rentenbescheide vom 2. März und 17. April 1953 wissen müssen, daß ihm die bisherigen Versorgungsbezüge nicht mehr zustanden. Bei Empfang der vorhergehenden Versorgungsbezüge habe er dies weder gewußt noch wissen müssen. Die Rückzahlung sei auch nicht wegen seiner wirtschaftlichen Verhältnisse vertretbar.
Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des LSG Nordrhein-Westfalen vom 21. Mai 1958, das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22. März 1955 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 26. Februar 1954 aufzuheben, den Bescheid vom 30. September 1953 abzuändern, festzustellen, daß dem Beklagten hinsichtlich der vom 1. November 1950 bis 30. April 1953 überzahlten Ausgleichsrente ein Rückforderungsanspruch gegen den Kläger nicht zusteht und den Beklagten schließlich zu verurteilen, den in der Zeit vom 1. November 1953 bis zum 31. Januar 1955 einbehaltenen Betrag von DM 225,-- an den Kläger zu zahlen,
2. hilfsweise, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
Die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet.
Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, daß der Beklagte berechtigt war, die Ausgleichsrente vom 1. November 1950 an nach § 62 BVG neu festzustellen, weil eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten war. Auf die Ausgleichsrente ist sonstiges Einkommen anzurechnen (§ 33 BVG). Erhöht sich dieses Einkommen, so ist die Ausgleichsrente nach § 60 Abs. 2 BVG mit Ablauf des Monats zu kürzen, in dem die Voraussetzungen für den Bezug in der bisherigen Höhe weggefallen sind. Der Beklagte konnte daher die Ausgleichsrente zum 1. November 1950 neu feststellen, weil sich die Invalidenrente rückwirkend erhöht hatte und der Kläger daher so zu behandeln ist, als habe er sie schon vom 1. Oktober 1950 an bezogen (vgl. BSG, Urteil vom 30. August 1960, SozR BVG § 62 Nr. 8). Da der Kläger mithin so behandelt werden muß, als habe er die erhöhte Invalidenrente schon vom 1. Oktober 1950 an bezogen, war die Ausgleichsrente insoweit zu Unrecht gewährt, als auf sie die erhöhte Invalidenrente anzurechnen war. Insoweit herrscht auch zwischen den Parteien jetzt kein Streit mehr.
Der Kläger ist verpflichtet, unter den Voraussetzungen des § 47 Abs. 2 VerwVG den zu Unrecht empfangenen Betrag zurückzuzahlen. Maßgebend ist hierbei § 47 Abs. 2 VerwVG in der Fassung vom 2. Mai 1955 (BGBl I 202) und nicht die Fassung durch Art. II des ersten Neuordnungsgesetzes vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453), wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (SozR VerwVG § 47 Hr. 10). Es kann daher, wenn die Überzahlung auf einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse beruht, der zu Unrecht bezahlte Betrag nur zurückgefordert werden, wenn der Empfänger wußte oder wissen mußte, daß ihm die gezahlten Versorgungsbezüge im Zeitpunkt der Zahlung nicht oder nicht in der bisherigen Höhe zustanden oder wenn die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Empfängers vertretbar ist. Nach der Rechtsprechung des BSG (vgl. SozR VerwVG § 47 Nr. 10) ist unter Zeitpunkt der Zahlung im Sinne des § 47 Abs. 2 VerwVG der Zeitpunkt der Zahlung der einzelnen Versorgungsbezüge an den Berechtigten zu verstehen, nicht der Zeitpunkt der nachträglichen Zahlung der Invalidenrente. Das LSG meint, der Kläger habe wissen müssen, daß ihm die erhöhte Ausgleichsrente nicht mehr zustehe, weil der Umanerkennungsbescheid den Vorbehalt einer späteren Nachprüfung enthalte. Dagegen ist der Kläger der Auffassung, er sei erst mit dem Zeitpunkt der Zustellung der die erhöhten Invalidenrenten bewilligenden Bescheide bösgläubig geworden. Beides ist jedoch nicht zutreffend. Das Wissen oder Wissenmüssen des Versorgungsberechtigten ist unter Berücksichtigung seiner Persönlichkeit, seines Bildungsgrades, seiner Einsicht und Einsichtsfähigkeit sowie aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen.
Es ist nach subjektiven Merkmalen zu prüfen, ob er sich die ihm zumutbare Kenntnis bei Anwendung der von ihm zu fordernden Sorgfalt verschaffen mußte. Nur wenn die Unkenntnis um die Einkünfte und ihren Einfluß auf die Versorgungsbezüge in den Verantwortungsbereich des Versorgungsempfängers fällt, steht sie dem Wissen gleich. Dafür ist nicht erforderlich, daß der Empfänger auch übersehen kann, wie sich die Erhöhung seines Einkommens im einzelnen auf die Höhe seiner Versorgungsbezüge auswirkt. Es genügt, wenn er erkennen kann, daß ihm Mittel zufließen, die als Einkommen anzusehen sind und daß dessen Erhöhung die Minderung der Ausgleichsrente nach sich zieht (BSG in SozR VerwVG § 47 Nr. 10). Allein aus dem Umstand, daß in dem Bewilligungsbescheid vom 3. Mai 1952 der Kläger darauf hingewiesen worden ist, er müsse jede Änderung seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere den Beginn und die Erhöhung seines Einkommens jeder Art, unverzüglich anzeigen, kann noch nicht geschlossen werden, daß der Kläger bösgläubig im Sinne der genannten Bestimmung war. Hierzu genügt auch nicht, wie die Beklagte meint, daß nach den Feststellungen des LSG der die Ausgleichsrente bewilligende Umanerkennungsbescheid einen Vorbehalt späterer Nachprüfung enthalten hat. In Wirklichkeit enthält dieser Bescheid in den Versorgungsakten keinen Vorbehalt. Das BSG kann ihn auch nicht nach § 163 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als bindend festgestellt ansehen, obwohl insoweit keine Angriffe durch die Revision erhoben worden sind, weil der Wortlaut des Vorbehalts nicht wiedergegeben ist und der Senat deshalb nicht prüfen kann, ob es sich um eine tatsächliche Feststellung oder lediglich um eine unzutreffende rechtliche Würdigung des Hinweises in dem Bescheid auf die Anzeigepflicht handelt. Es müssen daher Feststellungen getroffen werden, ob der Kläger die Bedeutung der Belehrung über die Anzeigepflicht bei Änderung seiner Verhältnisse erkannt hat oder hat erkennen müssen.
Von Bedeutung könnte in diesem Zusammenhang auch sein, ob der Kläger irgendwann einmal vom VersorgA oder von einer anderen Stelle belehrt worden ist, daß er bei einer Erhöhung seiner Invalidenrente die Ausgleichsrente wieder zurückzahlen müsse, etwa bei der früheren Bewilligung der Ausgleichsrente oder bei früheren Meinungsverschiedenheiten über Anrechnung der Invalidenrente auf die Ausgleichsrente, desgleichen auch, aus welchem Anlaß die nachträgliche Erhöhung der Invalidenrente eingetreten ist, auf Antrag des Klägers oder ohne Antrag infolge Änderung von gesetzlichen Vorschriften, ob der Kläger mit einer Erhöhung dieser Invalidenrente rechnen konnte uä. Der böse Glaube kann daher schon vor Zustellung des Rentenerhöhungsbescheids eingetreten sein. Es ist auch die Möglichkeit gegeben, daß der Kläger nur bezüglich eines Teils der Versorgungsleistungen bösgläubig war, nämlich dann, wenn das Wissen oder Wissenmüssen erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem 1. Oktober 1950 eingetreten ist (vgl. SozR VerwVG § 47 Nr. 10). Um diese Fragen entscheiden zu können, fehlen jedoch die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen.
Des weiteren ist auch nicht geklärt, ob die Rückforderung wegen der wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers vertretbar war. Hierbei kommt es auf seine Einkünfte und den für den Kläger und seine Familie notwendigen Lebensunterhalt an (vgl. im einzelnen BSG Urteil vom 18. Februar 1960, SozR VerwVG § 47 Nr. 8 und die dort angeführten Entscheidungen).
Da die tatsächlichen Feststellungen des LSG mithin nicht zu einer abschließenden Entscheidung des Senats ausreichen, müssen das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.
Dem LSG bleibt auch die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens überlassen.
Fundstellen