Entscheidungsstichwort (Thema)

Zwangsarbeiter

 

Leitsatz (amtlich)

Zwangsarbeiten ohne Entgelt, zu denen ein in einem Ghetto festgehaltener rassisch Verfolgter herangezogen worden ist, stellen keine Beschäftigung iS WGSVG § 14 Abs 2 und FRG § 16 dar (Anschluß an und Fortführung von BSG 1974-12-10 4 RJ 379/73 = BSGE 38, 245).

 

Leitsatz (redaktionell)

Ein Beschäftigungsverhältnis entsteht regelmäßig auf freiwilliger Basis; außerdem wird dem Beschäftigten eine Entlohnung gewährt. Das ist bei Zwangsarbeitern nicht der Fall.

 

Normenkette

WGSVG § 14 Abs. 2 Fassung: 1970-12-22; FRG § 16 Fassung: 1960-02-25

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 24.10.1978; Aktenzeichen L 16/An 11/77)

SG München (Entscheidung vom 18.05.1976; Aktenzeichen S 13/An 2077/74)

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober 1978 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin ihres am 10. März 1977 verstorbenen Ehemannes die Anerkennung einer Versicherungszeit sowie die Vormerkung von Ersatzzeiten.

Der am 12. August 1909 geborene Ehemann der Klägerin war rassisch Verfolgter und Vertriebener iS des Bundesvertriebenengesetzes. Von 1926 bis etwa 1934 war er im elterlichen Geschäft in Ratibor tätig, das er danach als Inhaber weiterführte. Im Spätsommer 1937 floh er, um den einsetzenden Verfolgungsmaßnahmen zu entgehen, über Kattowitz nach Krakau. Bei Kriegsausbruch hielt er sich in Tarnow auf. Vom 1. November 1939 an mußte er dort den Judenstern tragen und täglich Zwangsarbeiten verrichten. Nach seiner Verhaftung am 22. November 1941 wurde er bis zum 16. Januar 1945 in den Konzentrationslagern Pustkow und Czenstochau sowie im Arbeitslager Gidle bei Czenstochau festgehalten.

Für die Zeit vom 1. September 1939 bis zum 16. Januar 1945 würde er wegen Freiheitsentziehung nach dem Bundesentschädigungsgesetz entschädigt.

Seinen Antrag auf Herstellung von Versicherungsunterlagen für die Zeit von 1926 bis 1934 und auf Vormerkung von Ersatzzeiten von 1939 bis Januar 1945 lehnte die Beklagte ab, weil Beiträge zur Angestelltenversicherung nicht geleistet worden seien und deswegen ein Kartenersatz nicht in Betracht komme. Die behauptete Beitragsentrichtung könne auch nicht nach der Versicherungsunterlagen-Verordnung (VuVO) anerkannt werden. Ersatzzeiten könnten ebenfalls nicht vorgemerkt werden, weil weder eine Vorversicherung bestanden habe noch später eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen worden sei (Bescheid vom 26. Juli 1974, Widerspruchsbescheid vom 12. November 1974).

Im Streitverfahren beantragte der Ehemann der Klägerin, die Beigeladene zu verurteilen, die Zeit vom 1. November 1939 bis zum 22. November 1941 als Beitragszeit anzuerkennen und die Zeiten vom 1. September 1937 bis zum 31. Oktober 1939 sowie vom 23. November 1941 bis zum 16. Januar 1945 als Ersatzzeiten vorzumerken.

Das Sozialgericht (SG) München hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und die Beigeladene dem Klageantrag entsprechend verurteilt (Urteil vom 18. Mai 1976). Zur Begründung hat es ausgeführt:

Die Zeiten des verfolgungsbedingten Auslandsaufenthalts (1. September 1937 bis zum 31. Oktober 1939) und der Konzentrationslagerhaft (23. November 1941 bis zum 16. Januar 1945) seien tatbestandsmäßig Ersatzzeiten nach § 1251 Abs 1 Nr 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für ihre Vormerkung seien erfüllt. Denn die Zeit vom 1. November 1939 bis zum 30. Juni 1940 sei eine Beschäftigungszeit iS des § 16 des Fremdrentengesetzes (FRG) und die daran anschließende Zeit bis zum 22. November 1941 eine fiktive Beitragszeit nach § 14 Abs 2 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG) gewesen. Zwar habe der Ehemann der Klägerin unfreiwillig und ohne Entgelt Arbeiten niederer körperlicher Art verrichten müssen. Gleichwohl habe ein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen. Denn die Freiheit sei ihm nicht völlig entzogen worden. Zwar habe er kein Entgelt bezogen. Eine Entgeltzahlung sei jedoch in Anlehnung an das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25. Oktober 1966 (BSGE 25, 217) zu fingieren. Die Beschäftigung hätte nach dem am 1. März 1957 geltenden Bundesrecht Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründet, wenn sie im Bundesgebiet verrichtet worden wäre. Dem stehe nicht entgegen, daß der Ehemann der Klägerin wegen Freiheitsentziehung entschädigt worden sei. Da er als Verfolgter bereits wegen des Tragens des sog Judensterns einen Entschädigungsanspruch gehabt habe (§ 47 Abs 1 BEG), sei die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses nicht ausgeschlossen. Für die Zeit ab 1. Juli 1940 sei § 16 FRG nicht anwendbar, weil für den Ehemann der Klägerin als deutschen Staatsangehörigen die Verordnung über die Sozialversicherung der deutschen Staatsangehörigen im Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete vom 17. Juni 1940 (RGBl I S. 908) gegolten habe.

Dann aber sei die Zeit vom 1. Juli 1940 bis 22. November 1941 eine fiktive Beitragszeit nach deutschem Recht iS des § 14 Abs 2 WGSVG. Auch in dieser Zeit habe ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis bestanden, welches wiederum so zu behandeln sei, als sei das übliche Entgelt gezahlt worden. Ebenso wie eine Entgeltzahlung sei auch eine Entrichtung von Beiträgen aus Verfolgungsgründen unterblieben. Damit handele es sich um eine fiktive Beitragszeit iS des § 14 Abs 2 WGSVG. Dem stünden die Urteile des BSG vom 12. Oktober 1974 (SozR 5070 § 14 Nr 2) und vom 27. März 1974 (SozR 5070 § 14 Nr 1) nicht entgegen. In der Tendenz werde diese Auffassung durch das Urteil des BSG vom 5. Februar 1976 - 11 RA 54/75 - (= BSGE 41, 166 = SozR 5070 § 13 Nr 2) sogar bestätigt.

Auf die Berufung der Beigeladenen hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 24. Oktober 1978). Es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Bei der von ihm vorgenommenen Differenzierung zwischen der Zeit vom 1. November 1939 bis zum 30. Juni 1940 einerseits und dem anschließenden Zeitraum bis zum 22. November 1941 andererseits habe das SG außer Acht gelassen, daß die Verordnung über die Sozialversicherung der deutschen Staatsbürger im Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete vom 17. Juni 1940 bereits rückwirkend ab 1. Oktober 1939 in Kraft getreten sei. Andererseits sei nicht auszuschließen, daß dem Ehemann der Klägerin nach dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl I S 480), wonach Einzelausbürgerungen möglich gewesen seien, die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt worden sei, so daß die Verordnung auf ihn keine Anwendung gefunden habe. Deswegen sei das Begehren der Klägerin sowohl nach § 14 Abs 2 WGSVG als auch nach § 16 FRG zu prüfen. Die Zeit vom 1. November 1939 bis zum 22. November 1941 könne jedoch weder als fiktive Beitragszeit noch als Beschäftigungszeit berücksichtigt werden. Sowohl § 14 Abs 2 WGSVG als auch § 16 FRG setzten die Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung voraus. Diese verlange eine Arbeit auf freiwilliger Basis. Nicht nur bei völliger Freiheitsentziehung wie zB bei KZ-Häftlingen, Kriegsgefangenen, Strafgefangenen usw, sondern auch bei täglich von neuem begründeten Zwang wie im Falle des Ehemannes der Klägerin könne ein Beschäftigungsverhältnis nicht angenommen werden. Das BSG habe eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung auch dann nicht angenommen, wenn ein inhaftierter KZ-Häftling außerhalb des Lagers habe arbeiten müssen (BSG SozR 5070 § 14 Nr 2). Dies sei mit dem Fall des Ehemanns der Klägerin vergleichbar. Ein auf Willkür beruhendes Zwangsarbeitsverhältnis könne daher - im Gegensatz zu legalen Zwangsverpflichtungen im Rahmen der Notdienstverordnungen - nicht als Beschäftigungsverhältnis iS der genannten Vorschriften gewertet worden. § 14 Abs 2 WGSVG sei darüber hinaus geschaffen worden zugunsten von Verfolgten, für die keine Beiträge abgeführt worden seien, um sie selbst oder ihre Arbeitgeber nicht zu gefährden. Für den Ehemann der Klägerin seien aber deshalb von vornherein keine Beiträge abgeführt worden, weil die deutsche Kommandantur billige und rechtlose Arbeitskräfte habe einsetzen wollen. Die Entschädigung dieser Zeiten obliege nicht der Rentenversicherung, sondern sie seien nach dem BEG - wie geschehen - zu entschädigen. Die Anerkennung von Beschäftigungs- bzw fiktiven Beitragszeiten sei daher nicht möglich. Die Anerkennung von Ersatzzeiten (1. September 1937 bis 31. Oktober 1939, 23. November 1941 bis 16. Januar 1945) scheitere daran, daß der Ehemann der Klägerin als selbständiger Kaufmann nie eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt und demnach eine Vorversicherung nicht bestanden habe. Ebensowenig sei innerhalb von drei Jahren nach Beendigung des Ersatzzeittatbestandes eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen worden.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin Verletzungen des § 16 FRG und der § 14 Abs 2 WGSVG. Das Berufungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, daß ihr Ehemann in der Zeit vom 1. November 1939 bis zum 22. November 1941 eine, wenn auch dürftige, Verpflegung und somit ein Entgelt für seine Zwangsarbeit erhalten habe. Er sei auch in seiner Freiheit nicht völlig beschränkt gewesen, sondern habe sich, von seiner Arbeit abgesehen, im Ghetto-Bezirk von Tarnow frei bewegen können. Die rentenversicherungsrechtliche Beurteilung von Arbeitsverhältnissen, die aufgrund der Notdienstverordnungen begründet worden seien, spreche im übrigen gegen die Auffassung des Berufungsgerichts, Zeiten der Zwangsarbeit im Rahmen der hier fraglichen Bestimmungen nicht zu berücksichtigen. Die Beitragsentrichtung sei auch aus Verfolgungsgründen unterblieben, wie es § 14 Abs 2 WGSVG voraussetze. Auf die deutsche Staatsangehörigkeit könne es im Rahmen dieser Vorschrift nicht ankommen. Da der genannte Zeitraum somit als Versicherungszeit anzuerkennen sei, stehe der Anerkennung von Ersatzzeiten ebenfalls nichts entgegen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 24. Oktober 1978 aufzuheben und die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 18. Mai 1976 zurückzuweisen.

Die Beklagte und die Beigeladene beantragen,

die Revision zurückzuweisen.

Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Die durch Zulassung statthafte Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Klägerin erstrebt mit der zulässigerweise erhobenen kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl BSGE 31, 226, 227 f = SozR Nr 1 zu § 1412 RVO; BSGE 42, 159, 160 = SozR 2200 § 1251 Nr 24) die Verurteilung der Beigeladenen zur Anerkennung bestimmter Beitrags- und Ersatzzeiten.

Voraussetzung für eine Verurteilung der Beigeladenen ist, daß ihre Sachbefugnis als in Anspruch genommener Beteiligter (Passiv-Legitimation) gegeben ist, daß sich also die klägerischen Ansprüche, wären sie begründet, zu Recht gegen sie - die Beigeladene - als Verpflichtete richten. Diese Passiv-Legitimation wird nicht durch § 75 Abs 5 SGG begründet, sie wird vielmehr für die Verurteilung des beigeladenen Versicherungsträgers vorausgesetzt (vgl BSGE 14, 86, 89). Für die Frage, ob die Beigeladene passivlegitimiert ist und nicht etwa die Beklagte, die die angefochtenen Bescheide erlassen hat, ist entscheidend, ob die in Rede stehenden Ansprüche der Klägerin der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Angestelltenversicherung zuzuordnen sind. Auf die Vorschriften, welche bei der Lösung dieser Frage heranzuziehen wären (für das Fremdrentenrecht: § 20 Abs 1 Satz 2, § 21 FRG), sind die Vorinstanzen nicht ausdrücklich eingegangen. Auch im Revisionsverfahren bedarf es einer abschließenden Beurteilung dieser Frage nicht. Denn der Ehemann der Klägerin hat anrechnungsfähige Versicherungszeiten (§ 1250 Abs 1 RVO; § 27 Abs 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG -) nicht zurückgelegt. Bereits aus diesem Grund kann die Revision keinen Erfolg haben.

Beiträge zu einer gesetzlichen Rentenversicherung sind für den Ehemann der Klägerin zu keiner Zeit entrichtet worden. Dies hat das LSG bindend festgestellt. Es ist deshalb zu Recht davon ausgegangen, daß es in diesem Zusammenhang darauf ankommt, ob § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG oder § 16 FRG Anwendung finden.

Nach § 14 Abs 2 Satz 1 WGSVG werden Nachteile ausgeglichen, die ein Verfolgter durch Verfolgungsmaßnahmen in der Sozialversicherung erlitten hat. Die Vorschrift ist auch dann anzuwenden, wenn der Verfolgte, wie im Fall des Ehemannes der Klägerin, außer der nach ihr zu fingierenden Beitragszeit keine weiteren Beitragszeiten nachweisen kann (BSG SozR 5070 § 14 Nr 1). Nach § 16 FRG werden Vertriebene durch Anrechnung von Beschäftigungszeiten so gestellt, als ob sie im Geltungsbereich dieses Gesetzes beschäftigt und aufgrund dieser Beschäftigung versichert gewesen wären (Eingliederungsprinzip). Hierdurch werden insbesondere die Nachteile ausgeglichen, die sich etwa aus dem Nichtvorhandensein einer Rentenversicherung im Herkunftsland ergeben (vgl Jantz/Zweng/Eicher, Das neue Fremdrenten- und Auslandsrentenrecht, 2. Aufl, Anm 2 zu § 16).

Das Berufungsgericht hat das Begehren der Klägerin, soweit es sich auf die Zeit vom 1. November 1939 bis zum 22. November 1941 bezieht, im Hinblick darauf, daß der Ehemann der Klägerin nach dem Gesetz über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 (RGBl I S 480) möglicherweise aus Gründen der Rasse die deutsche Staatsbürgerschaft verloren hatte, sowohl nach § 14 Abs 2 WGSVG als auch nach § 16 FRG geprüft. Dabei hat es zu Recht dahinstehen lassen, ob der Ehemann der Klägerin, würde man seine Zwangsarbeit im sog Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete als versicherungspflichtige Beschäftigung werten, dem Recht der Reichsversicherung unterlegen hätte und damit § 14 Abs 2 WGSVG als Rechtsgrundlage in Betracht käme oder ob er in einem "ausländischen Gebiet" iS des § 16 FRG zur Zwangsarbeit herangezogen worden ist. Denn die Voraussetzungen beider Vorschriften sind nicht erfüllt.

Nach § 14 Abs 2 WGSVG muß der Verfolgte eine "rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit" ausgeübt haben. § 16 FRG verlangt eine "Beschäftigung", die einer "rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung im Geltungsbereich dieses Gesetzes" gleichzustellen ist. Das Wort "Beschäftigung" bzw "Tätigkeit" in den genannten Bestimmungen ist im Sinne der allgemeinen Sozialversicherungsgesetze des Bundes gebraucht (vgl BSG SozR 5070 § 14 Nr 4 mwN); es ist ein einheitlicher, von Gesetzgebung und Rechtsprechung näher konkretisierter und präzisierter Begriff (vgl Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, S 306 h II, zum Begriff des Beschäftigungsverhältnisses nach § 1227 Abs 1 Nr 1 RVO, § 2 Abs 1 Nr 1 AVG).

Ein Beschäftigungsverhältnis entsteht nach der ständigen Rechtsprechung des BSG sowie auch schon des RVA regelmäßig auf freiwilliger Basis, es sei denn, daß ein Gesetz ausnahmsweise etwas Abweichendes bestimmt (vgl etwa die sog Dienstpflichtverordnung vom 13. Februar 1939, RGBl I S 206). Wenn die gesamte Arbeitsleistung, wie in dem vorliegenden Fall, aufgrund eines öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnisses erbracht wird, liegt ein Beschäftigungsverhältnis grundsätzlich nicht vor (vgl BSGE 27, 197 = SozR Nr 54 zu § 165 RVO mwN). Nach diesen Grundsätzen hat das BSG entschieden, daß die Zeit einer KZ-Haft von § 14 Abs 2 WGSVG selbst dann nicht erfaßt wird, wenn der Inhaftierte zu Arbeiten außerhalb des Lagers herangezogen worden ist (BSGE 38, 245, 246 = SozR 5070 § 14 Nr 2). Nichts anderes kann aber für die Zwangsarbeit des Ehemannes der Klägerin gelten, die dieser im Ghetto von Tarnow hat verrichten müssen. Da er ständig unter Zwang Arbeiten niederer körperlicher Art auszuführen hatte, ohne hierzu aufgrund gesetzlicher Bestimmungen dienstverpflichtet worden zu sein, steht diese Tätigkeit derjenigen in oder außerhalb eines Konzentrationslagers gleich, die als Ersatzzeit im Sinne von § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO, nicht aber als (fiktive) Beitrags- bzw Beschäftigungszeit zu werten ist.

Eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung liegt ferner nur dann vor, wenn für die fragliche Tätigkeit eine Entlohnung gewährt wird, die dem Beschäftigten selbst zufließt (BSGE 38, 245, 246 = SozR 5070 § 14 Nr 2). Eine Entlohnung bzw ein Entgelt im rentenversicherungsrechtlichen Sinne hat der Ehemann der Klägerin für seine Zwangsarbeit nicht erhalten, mag ihm auch, wie etwa Insassen von Konzentrationslagern oder Kriegsgefangenen, Verpflegung gewährt worden sein (vgl BSG SozR 5070 § 14 Nr 4, wo zu den Sachbezügen noch eine Barvergütung hinzukam; vgl auch BSG SozR 5050 § 16 Nr 11). Ist eine Tätigkeit unfreiwillig und ohne Entgelt geleistet worden, so kommt ein weiterer Gesichtspunkt hinzu. Eine entgeltlose Zwangsarbeit, wie sie der Ehemann der Klägerin geleistet hat, kann deshalb nicht als fiktive Beitragszeit bzw als Beschäftigungszeit im Sinne der genannten Bestimmungen gewertet werden, weil bei einer unfreiwilligen entgeltlosen Tätigkeit jeglicher Maßstab für die Ermittlung der Rentenbemessungsgrundlage (vgl § 14 Abs 2, § 13 WGSVG) fehlt und diese Zwangsarbeit auch nicht einem Tabellenwert zugeordnet werden kann (vgl § 13 Abs 1 WGSVG iVm § 22 FRG).

Die Bewertung von Zwangsarbeit rassisch Verfolgter in einem Ghetto als (fiktive) Beitragszeit oder als Beschäftigungszeit würde des weiteren der Systematik zuwiderlaufen, die der Gesetzgeber in der Unterscheidung von Beitragszeiten und Ersatzzeiten getroffen hat. Nach § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO werden Zeiten der Freiheitsentziehung sowie Zeiten der Freiheitsbeschränkung iS der §§ 43 und 47 des BEG als Ersatzzeiten, nicht aber als Beitragszeiten angerechnet. Nach § 43 Abs 1 Nr 2 BEG ist ua der Zwangsaufenthalt in einem Ghetto der Konzentrationslagerhaft gleichgestellt. Bei der Verweisung in § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO auf die genannte entschädigungsrechtliche Bestimmung kann es dem Gesetzgeber nicht unbekannt gewesen sein, daß Verfolgte, die in einem Ghetto festgehalten worden sind, häufig - wie im Falle des Ehemannes der Klägerin - zu Zwangsarbeiten herangezogen worden sind (vgl für die Konzentrationslagerhaft: BSGE 38, 245, 246 = SozR 5070 § 14 Nr 2). Diese Zeiten sind vom Gesetzgeber generell, dh ohne Rücksicht etwa auf Dauer und Schwere des zwangsweisen Arbeitseinsatzes, als Ersatzzeiten, nicht aber als Beitragszeiten anerkannt worden (vgl wiederum BSG aaO). Eine Entschädigung erfolgt in solchen Fällen nicht im Rahmen der Sozialversicherung, sondern - wie auch in dem hier in Rede stehenden Fall geschehen - auf andere Weise.

Zu einer anderen rechtlichen Bewertung sieht sich der erkennende Senat auch nicht durch die Urteile des 11. Senats des BSG vom 25. Oktober 1966 (BSGE 25, 217 = SozR Nr 8 zu § 16 FRG) und vom 5. Februar 1976 (BSGE 41, 166 = SozR 5070 § 13 Nr 2) veranlaßt. Im Urteil vom 25. Oktober 1966 hat der 11. Senat in ergänzender Rechtsfindung eine von der Besatzungsmacht erzwungene unentgeltliche Beschäftigung nach dem 8. Mai 1945 in den unter fremder Verwaltung stehenden deutschen Ostgebieten im Rahmen des § 16 FRG so behandelt, als ob das übliche Entgelt gewährt worden sei. Der 11. Senat hat für diesen Ausnahmefall eine Gesetzeslücke geschlossen, weil nur so die gewollte Wiedergutmachung hat erreicht werden können. Im Urteil vom 5. Februar 1976 ist es um den Ausgleich des Schadens eines Verfolgten gegangen, dessen Beschäftigungsverhältnis, bei dessen Fortdauer während des Wehrdienstes für ihn Beiträge entrichtet worden wären, aus verfolgungsbedingten Gründen beendet worden ist. Hier hat der 11. Senat, in Ausfüllung einer Gesetzeslücke, die Grundgedanken des § 14 iVm § 13 WGSVG angewendet. Die genannten Urteile sind für den Fall des Ehemannes der Klägerin jedoch nicht entscheidungserheblich. Eine Gesetzeslücke besteht nicht. Die Anerkennung von Beitragszeiten scheitert bereits an dem Umstand, daß ihm kein Schaden bei der Ausübung (oder dem verfolgungsbedingten Abbruch) einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung entstanden ist. Nur diese Art des Schadensausgleichs wird von den §§ 14 Abs 2 WGSVG, 16 FRG erfaßt. Für die rechtliche Bewertung der Zwangsarbeit des Ehemannes der Klägerin ist hingegen der Ersatzzeittatbestand des § 1251 Abs 1 Nr 4 RVO maßgebend.

Nach alledem kommt eine Verpflichtung der Beigeladenen zur Anerkennung der Zeit vom 1. November 1939 bis zum 22. November 1941 als Beitragszeit nicht in Betracht.

Damit zugleich ist eine Anerkennung von Ersatzzeiten ausgeschlossen. Sie scheitert, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, daran, daß weder eine Vorversicherung bestanden hat noch innerhalb einer Frist von drei Jahren nach Beendigung des Ersatzzeittatbestandes eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen worden ist (§ 28 Abs 2 AVG, § 1251 Abs 2 RVO).

Die Revision ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654605

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