Leitsatz (amtlich)
1. Die Rückforderung zu Unrecht entrichteter Beiträge ist nach AVG § 146 Abs 3 (= RVO § 1424 Abs 3) ausgeschlossen, wenn nach der Beitragsentrichtung ein Heilverfahren bewilligt worden ist; es bedarf nicht des Nachweises, daß sich der einzelne Beitrag auf die rechtliche Grundlage des Heilverfahrens auch konkret ausgewirkt hat (Anschluß an BSG 1970-02-17 4 RJ 111/67 = SozR Nr 6 zu § 1424 RVO).
2. Durch die Möglichkeit zur Nachentrichtung von Beiträgen gemäß AnVNG Art 2 § 49a (= ArVNG Art 2 § 51a) sind die Vorschriften über Unwirksamkeit und Rückforderung bereits entrichteter Beiträge (AVG §§ 140, 146 = RVO §§ 1418, 1424) nicht berührt worden.
Normenkette
AVG § 146 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1424 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 49a Fassung: 1972-10-16; ArVNG Art. 2 § 51a Fassung: 1972-10-16; AVG § 140 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1418 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. November 1974 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der 1909 geborene Kläger hat im Jahre 1965 12 Beitragsmarken (freiwillige Beiträge) der Klasse N zu je 140,- DM gekauft und sie in die 1966 ausgestellte, im Februar 1968 aufgerechnete Versicherungskarte Nr. 9 eingeklebt; dabei bestimmte er 1963 als das Jahr, für das sie gelten sollen. Mit Bescheid vom 27. Februar 1973 hat die Beklagte die Rechtswirksamkeit dieser Beiträge beanstandet, weil nach § 140 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) im Jahre 1966 eine Nachentrichtung frühestens für Zeiten vom 1. Januar 1964 an möglich gewesen wäre. Gleichzeitig verneinte sie auf Grund des § 146 Abs. 3 AVG einen Anspruch auf Rückzahlung des Gegenwertes, weil dem Kläger in den Jahren 1968 und 1971 Heilverfahren gewährt worden seien. Im Februar 1973 beantragte der Kläger Versichertenrente; im Juli 1973 entrichtete er gemäß Art. 2 § 49 a des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) ua wiederum für 1963 Beiträge nach.
Der Widerspruch des Klägers war ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) verurteilte die Beklagte zur Rückerstattung des Gegenwertes der beanstandeten Beiträge. Inzwischen hatte die Beklagte Altersruhegeld bewilligt und dabei die gemäß Art. 2 § 49 a AnVNG nachentrichteten Beiträge der Klasse 1000 berücksichtigt.
Das Landessozialgericht (LSG) wies auf die Berufung der Beklagten die Klage ab. Der Versicherungsträger sei nicht verpflichtet, die bei ihm eingehenden aufgerechneten Versicherungskarten auf sofort erkennbare Beanstandungsgründe zu prüfen. Die Gewährung eines Heilverfahrens durch die Beklagte noch vor der Beanstandung der Beiträge bedeute nicht deren Anerkennung. Die Rückforderung sei ausgeschlossen, weil dem Kläger aus diesen Beiträgen Regelleistungen bewilligt worden seien. An diesem Ergebnis ändere auch nichts, daß er nach Art. 2 § 49 a AnVNG wieder für 1963 Beiträge nachentrichtet habe. Diese erst durch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 19. Oktober 1972 geschaffene Möglichkeit habe die unwirksamen Beiträge nicht erstattungsfähig gemacht. Andernfalls wäre die Gleichbehandlung der Versicherten verletzt.
Mit der zugelassenen Revision beantragt der Kläger (sinngemäß)
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.
Er rügt die Verletzung materiellen Rechts und meint, die Heilverfahren seien nicht, wie es das Gesetz verlange, "aus diesen Beiträgen" bewilligt worden. Das LSG habe zu Unrecht den Wortlaut des § 146 Abs. 3 AVG durch den des § 82 Abs. 5 AVG ersetzt. Der Rückforderungsanspruch sei auch deshalb berechtigt, weil die Beklagte ihre Pflichten verletzt habe; sie habe bei dem hier offensichtlichen Mangel der eingereichten Versicherungskarte die für 1963 entrichteten Beiträge alsbald beanstanden müssen. Im übrigen sei es nach Treu und Glauben geboten, die Beiträge auf die inzwischen nach Art. 2 § 49 a AnVNG nachentrichteten Beiträge anzurechnen, weil die Beklagte sonst für dasselbe Jahr zweimal Beiträge erhalte.
Die Beklagte beantragt
die Zurückweisung der Revision.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet.
Der angefochtene Bescheid vom 27. Februar 1973 enthält zwei Regelungen. Zum einen hat die Beklagte darin Beiträge als unwirksam festgestellt und beanstandet; zum anderen hat sie einen Rückforderungsanspruch des Klägers verneint. Spätestens im Berufungsverfahren war nur noch die Rückforderung der Beiträge Streitgegenstand. Damit steht fest, daß die Beklagte die Rechtswirksamkeit der 1966 für 1963 entrichteten Beiträge zu Recht beanstandet hat.
Der Bescheid der Beklagten vom 27. Februar 1973 ist aber auch insoweit rechtmäßig, als er einen Rückforderungsanspruch des Klägers verneint. Die Rückforderung der zu Unrecht entrichteten Beiträge ist ausgeschlossen, weil dem Kläger bereits aus diesen Beiträgen Regelleistungen, nämlich die 1968 und 1971 durchgeführten Heilverfahren bewilligt worden sind (§ 146 Abs. 3 AVG iVm § 12 Nr. 1 AVG). Dabei ist - wie bereits der 4. Senat im Urteil vom 17. Februar 1970 (SozR Nr. 6 zu § 1424 RVO) entschieden hat - nicht entscheidend, ob der einzelne Beitrag sich auf die rechtliche Grundlage der Heilverfahren konkret ausgewirkt hat. Dieser Nachweis wäre bei Regelleistungen, die unabhängig von einem bestimmten Beitragsguthaben gewährt werden, nicht zu liefern. § 146 Abs. 3 AVG bezieht sich dennoch auch auf solche Regelleistungen; denn alle vor ihrer Gewährung entrichteten Beiträge haben diese Leistungen mitgetragen, waren also mit Grundlage für ihre Gewährung. Im vorliegenden Falle sind dem Kläger die Regelleistungen in seiner Eigenschaft als Versicherter bewilligt worden. Die Grundlage kann daher nicht auf bestimmte Beiträge beschränkt werden (vgl. auch Koch/Hartmann, Das Angestelltenversicherungsgesetz, 3. Aufl., Bd. IV a § 146 Anm. E II und III). Diese Auslegung entspricht auch Sinn und Zweck des § 146 Abs. 3 AVG; er beruht auf dem gleichen Grundgedanken, der der entsprechenden Regelung der Beitragserstattungen zugrunde liegt; Wenn "eine Regelleistung aus der Versicherung gewährt worden" ist, sind dort "nur die später entrichteten Beiträge zu erstatten" (§ 82 Abs. 5 AVG). Mit "ungerechtfertigter Bereicherung", wie der Kläger meint, hat das alles nichts zu tun, weil es sich jeweils um selbständige Regelungen handelt.
Das LSG hat auch zutreffend entschieden, daß die spätere Nachentrichtung von Beiträgen für das Jahr 1963 gemäß Art. 2 § 49 a AnVNG an diesem Ergebnis nichts ändert. Diese Nachentrichtungsmöglichkeit hat die Vorschriften über Unwirksamkeit und Rückforderung bereits entrichteter Beiträge nicht berührt. Die seinerzeit für 1963 gezahlten und von der Beklagten beanstandeten Beiträge blieben unwirksam; sie haben dem Kläger kein Guthaben verschafft, über das er verfügen konnte und mit dem er hätte aufrechnen können.
Der Rückforderungsanspruch läßt sich schließlich nicht darauf stützen, daß die Beklagte versicherungsrechtliche Nebenpflichten gegenüber dem Kläger verletzt habe, weil sie nicht schon vor dem ersten Heilverfahren die Beiträge beanstandet und so den Rückforderungsanspruch vereitelt habe. Wie das Bundessozialgericht entschieden hat, ist der Versicherungsträger nicht verpflichtet, die bei ihm eingehenden Versicherungskarten auf sofort erkennbare Beanstandungsgründe und vor Heilmaßnahmen die entrichteten Beiträge auf ihre Rechtsgültigkeit zu prüfen (vgl. SozR Nrn 1 und 3 zu § 1421 RVO, Nr. 6 zu § 1424 RVO).
Die Revision des Klägers ist somit unbegründet und muß deshalb zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen