Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzneimittelregreß. Berufungsausschluß. analoge Anwendung des § 149 SGG. Prüfung der Wirtschaftlichkeit der Behandlungs- und Verordnungsweise anhand von Durchschnittswerten vergleichbarer Arztgruppen
Orientierungssatz
Bei einer Streitigkeit um einen Arzneimittelregreß ist, wenn der Beschwerdewert 1000,- DM nicht übersteigt, die Berufung in analoger Anwendung des § 149 SGG unzulässig (vgl BSG vom 24.10.1984 6 RKa 36/83).
Normenkette
SGG § 149 Fassung: 1974-07-30; RVO § 368e S 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 07.12.1983; Aktenzeichen L 11 Ka 44/83) |
SG Düsseldorf (Entscheidung vom 23.02.1983; Aktenzeichen S 2 Ka 60/82) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Arzneimittelregresses in Höhe von 397,56 DM.
Der Kläger ist Hals-Nasen-Ohrenarzt. Im Quartal I/1979 war er in Köln niedergelassen und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Die von ihm in diesem Quartal verordneten Arzneimittel belasteten die beigeladenen Ersatzkassen insgesamt mit 7.951,24 DM. Damit überschritt er die durchschnittlichen Verordnungskosten der Fachgruppe um 54 %. Aufgrund des Ausmaßes der von dem Kläger verursachten Mehrkosten nahm die Prüfungskommission der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) eine unwirtschaftliche Verordnungsweise an. Sie stellte dem Kläger eine Regreßforderung in Höhe von 5 % (DM 397,56) in Rechnung. Widerspruch und Klage blieben ohne Erfolg.
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen. Nach seiner Ansicht sei die Berufungsausschließungsvorschrift des § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) analog anzuwenden. Die Berufung sei auch nicht nach § 150 Nr 2 SGG zulässig. Zwar rüge der Kläger eine nicht hinreichende Aufklärung des Sachverhalts, eine Versagung des rechtlichen Gehörs sowie eine unzureichende prozessuale Fürsorge. Mängel dieser Art hafteten dem Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) jedoch nicht an.
Mit der Revision wendet sich der Kläger gegen die analoge Anwendung des § 149 SGG. Ferner macht er geltend, die Berufung wäre jedenfalls nach § 150 SGG zulässig gewesen, denn das Urteil des SG beruhe auf einem Verfahrensfehler. Das SG hätte sich insbesondere bezüglich der beanstandeten Antibiotika-Verordnungen zu einer weiteren Sachaufklärung (Anhörung eines Sachverständigen) gedrängt fühlen müssen. Die Beschwerdekommission der Beklagten habe eingeräumt, daß die Gabe von Antibiotika umstritten sei. Er habe spezifiziert zu den beanstandeten Verordnungen Stellung genommen. Die Meinungsverschiedenheiten hätten mit Hilfe eines Sachverständigen geklärt werden müssen. Dies sei um so mehr veranlaßt gewesen, weil die Beschwerdekommission der Beklagten im Widerspruchsbescheid den Vorwurf einer allzu häufigen Verordnung von Antibiotika nach Operationen nicht mehr aufrechterhalten und er mit den um 54 % über dem Fachgruppendurchschnitt liegenden Verordnungskosten den Grenzwert (zum offensichtlichen Mißverhältnis) nur geringfügig überschritten habe. Da das SG seine Entscheidung darauf stütze, die Vermutung einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise könne nur durch nachprüfbare Darlegung in allen Einzelfällen widerlegt werden, hätte es ihn darauf hinweisen und ihm Gelegenheit geben müssen, zu weiteren Einzelfällen Stellung zu nehmen.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7.Dezember 1983 sowie das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 23. Februar 1983 abzuändern und den Bescheid der Beklagten vom 6./27. März 1980 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. März/21. April 1982 aufzuheben.
Die Beklagte und die Beigeladenen zu 2) bis 7) beantragen, die Revision zurückzuweisen.
Sie halten das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Beigeladene zu 1) beantragt ebenfalls die Zurückweisung der Revision. Er schließt sich zwar der Auffassung des LSG, § 149 SGG sei analog anzuwenden, nicht an. Die Revision hält er jedoch dennoch für unbegründet, weil das SG zu Recht von einer unwirtschaftlichen Verordnungsweise des Klägers ausgegangen sei.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat die Berufung des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen.
In einem Rechtsstreit, der wie hier um einen gegen einen Kassen- oder Vertragsarzt verhängten Arzneimittelregreß geführt wird, ist die Berufung ausgeschlossen, wenn der Beschwerdewert 1.000,-- DM nicht übersteigt. Das ergibt sich, wie das LSG zutreffend entschieden hat, aus der gebotenen analogen Anwendung des § 149 SGG. Die in dieser Vorschrift für die Rückerstattung von Leistungen getroffene Regelung ist auf den Arzneimittelregreß zu übertragen, denn beide Tatbestände sind sich in den für die gesetzliche Bewertung maßgebenden Hinsichten derart ähnlich, daß sie insoweit gleich zu behandeln sind (vgl Larenz, Methodenlehre, 5. Aufl, S 365 f). Beim Arzneimittelregreß handelt es sich ebenfalls um die Rückforderung von zu Unrecht gewährten Leistungen. Er bezieht sich auf Leistungen, die der Versicherte nicht beanspruchen konnte und der Kassen- bzw Vertragsarzt nicht verordnen durfte (§ 368e Satz 2 der Reichsversicherungsordnungs -RVO-; § 1 Ziff 5 und § 2 Ziff 2 des Arzt/Ersatzkassenvertrages). Der Umstand, daß nicht der Versicherte, sondern der Arzt in Anspruch genommen wird, rechtfertigt eine Ungleichbehandlung nicht. Auch sonst weist der Arzneimittelregreß gegenüber der Forderung auf Rückerstattung von Leistungen keine Unterschiede von solcher Art auf, daß die mit § 149 SGG vorgenommene gesetzliche Wertung hier ausgeschlossen wäre (vgl im übrigen das Urteil des Senats vom 24. Oktober 1984 -6 RKa 36/83-).
Soweit das LSG die Verfahrensrügen des Klägers zurückgewiesen und damit die Zulässigkeit der Berufung nach § 150 Nr 2 SGG verneint hat, beruht seine Entscheidung ebenfalls nicht auf einer Rechtsverletzung. Das Vorbringen des Klägers läßt nicht den Schluß zu, das SG hätte bei seiner Rechtsauffassung eine weitere Sachaufklärung durchführen, insbesondere einen Sachverständigen anhören müssen. Eine solche Sachaufklärung war nicht schon deshalb veranlaßt, weil, wie der Kläger geltend macht, die Gabe von Antibiotika umstritten sei und er zu den beanstandeten Verordnungen spezifiziert Stellung genommen habe. Die Beschwerdekommission der Beklagten räumt im Widerspruchsbescheid zwar ein, daß die Stellungnahme des Klägers (in bezug auf Einzelfälle) verständlich sei. Sie sieht aber die Unwirtschaftlichkeit allein aus dem statistischen Vergleich heraus als erwiesen an, wobei sie berücksichtigt, daß die vom Kläger behandelten Erkrankungen in jeder HNO-Praxis auftreten und andere Kollegen des Klägers ebenfalls ambulante Operationen durchführen. Damit verneint sie Praxisbesonderheiten, die die vorliegende Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts um 54 % rechtfertigen könnten. Im Rahmen dieser - vom Senat gebilligten - pauschalen Prüfung hat sich auch das SG gehalten (vgl Urteil des Senats vom 22. Mai 1984 -6 RKa 21/82- KVRS A-6100/11). Es ist daher nicht zu beanstanden, wenn es eine Sachaufklärung in Einzelfällen oder in allen Einzelfällen unterlassen hat.
Unbegründet ist schließlich die Verfahrensrüge des Klägers, das SG hätte ihn unter Einräumung einer Gelegenheit zur Stellungnahme darauf hinweisen müssen, daß die Vermutung einer unwirtschaftlichen Behandlungsweise durch nachprüfbare Darlegung in allen Einzelfällen widerlegt werden könne. Dem erstinstanzlichen Urteil liegt nicht die Rechtsauffassung zugrunde, im Prüfverfahren und im anschließenden Klageverfahren habe der Arzt die Möglichkeit, eine umfassende Einzelfallprüfung zu verlangen. Das SG spricht zwar davon, der Arzt müßte, um ein offensichtliches Mißverhältnis zu widerlegen, nachprüfbar in allen Einzelfällen darlegen, seine Behandlung sei zweckmäßig und ausreichend gewesen und habe das Maß des Notwendigen nicht überschritten. Es fügt aber hinzu, daß die vorliegenden Abrechnungsunterlagen und Verordnungsblätter allein nicht die Feststellung erlaubten, die Arzneiverordnungen seien in allen Einzelfällen notwendig gewesen. Betrachtet man die Ausführungen des SG im Zusammenhang, so lassen sie nicht den Schluß zu, daß hinsichtlich der Bedeutung der Einzelfallprüfung von der Rechtsprechung des Senats abgewichen werden sollte. In dem oben angegebenen Urteil vom 22. Mai 1984 hat der Senat erneut bestätigt, daß die Angaben des Arztes in seinen Abrechnungsunterlagen allein nicht ausreichen, um die Vermutung der Unwirtschaftlichkeit zu entkräften. Die Eintragungen in den Abrechnungsunterlagen sind weitgehend vom Verhalten des Arztes abhängig und deshalb selbst Gegenstand der Prüfung. Eine umfassende Prüfung aller Einzelfälle, die sich auf den objektiven Leidenszustand der Patienten erstrecken müßte, ist den Prüfungsinstanzen in der Regel schon in Anbetracht der großen Zahl der zu prüfenden Arztpraxen nicht möglich. Da das SG nicht auf neue rechtliche Gesichtspunkte abgestellt, sondern sich im Rahmen der Rechtsprechung des Senats gehalten hat, beruht seine Entscheidung nicht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn es unterlassen hat, den Kläger im einzelnen rechtlich aufzuklären. Im vorliegenden Fall kommt hinzu, daß der Kläger selbst die ihm eingeräumte Gelegenheit zur weiteren Erörterung und Anhörung nicht wahrgenommen hat. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 23. Februar 1983 war er nicht vertreten. Die Ladung zum Verhandlungstermin hatte er laut Postzustellungsurkunde am 27. Dezember 1982 rechtzeitig erhalten. Mit der Ladung war er darauf hingewiesen worden, daß auch im Falle seines Nichterscheinens verhandelt und entschieden werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen