Entscheidungsstichwort (Thema)
Versorgungsschutz. Familienheimfahrt. Abweg. "Familienwohnung". Unfall auf zusätzlichem Weg
Leitsatz (redaktionell)
1. Im Fall neuvermählter Eheleute, die eine gemeinsame Wohnung noch nicht bezogen haben, kommt es nicht auf die gemeinsame Ehewohnung an, sondern mehr auf den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des Soldaten (vgl BSG 1977-02-02 9 RV 202/75 = Breith 1977, 732).
2. Wenn auch grundsätzlich die Wahl des Verkehrsmittels wie die Wahl des Weges zur Familienwohnung frei ist, besteht bei der Wahl des weiteren Weges Versorgungsschutz nur, wenn allein die Absicht, den Ort der Wohnung zu erreichen - oder ein sonstiger Zusammenhang mit dem Wehrdienst -, bestand (vgl BSG 1971-11-30 10 RV 114/70 = BSGE 33, 239; BSG 1976-04-28 2/8 RU 10/76 = SozSich 1976, 210). Wird ein zusätzlicher, außerhalb der Zielrichtung zur Wohnung liegender Weg in die eigentliche Fahrstrecke eingeschoben (vgl BSG 1977-01-25 2 RU 57/75 = SozR 2200 § 550 Nr 24) aus Gründen, die mit dem Wehrdienst nicht in wesentlichem Zusammenhang stehen (hier: Holen eines vergessenen Wohnungsschlüssels), ist dieser Weg versorgungsrechtlich nicht geschützt.
Orientierungssatz
Zur Frage, ob eine nach SVG § 81 Abs 4 S 3 iVm SVG § 81 Abs 4 S 1 Nr 2 versorgungsrechtlich geschützte Familienheimfahrt vorliegt, wenn der Verunglückte durch das Einschieben eines zusätzlichen Weges von der eigentlichen Fahrstrecke abgewichen ist.
Normenkette
SVG § 81 Abs. 4 S. 3 Fassung: 1976-08-24, S. 1 Nr. 2 Fassung: 1976-08-24
Verfahrensgang
LSG Hamburg (Entscheidung vom 26.04.1978; Aktenzeichen IV KOBf 27/77) |
SG Hamburg (Entscheidung vom 15.04.1977; Aktenzeichen 29 KO 297/76) |
Tatbestand
I
In diesem Rechtsstreit ist zu entscheiden, ob sich der Ehemann der Klägerin, als er tödlich verunglückte, auf dem Weg nach der ständigen Familienwohnung befand.
Die Klägerin hatte am 30. August 1974 den Gefreiten K D K (K) geheiratet. Dieser war bei einer Panzerjägerkompanie in H stationiert gewesen. Nach den Feststellungen des Landessozialgerichts (LSG) hatten er und seine Ehefrau keine eigene Wohnung. Sie waren beide mit Wohnsitz in Hamburg polizeilich gemeldet. Sie wollten nach der noch ausstehenden kirchlichen Trauung ihren Familienwohnsitz in L nehmen. Zu diesem Zwecke hatte der Vater der Klägerin den Eheleuten eine eingerichtete Wohnung in seinem dortigen Haus, das er ihnen schenken wollte, zur Verfügung gestellt. Die Klägerin und K. hatten sich schon vor der Eheschließung häufig in L aufgehalten.
In seiner dienstfreien Zeit von 17.00 Uhr am 4. September 1974 bis um 2.00 Uhr des folgenden Tages wollte K. nach L fahren. Da er die Schlüssel für die L Wohnung in H vergessen hatte, wollte er einen Angestellten seines Schwiegervaters, der ihm die Schlüssel bringen sollte, um 18.00 Uhr in S treffen. Man verfehlte sich jedoch und traf sich dann gegen 20.00 Uhr an der Tankstelle, die am Schnittpunkt der Bundesstraßen B /B liegt. Von dort aus befuhr K. die B in Richtung B um nach L zu gelangen. Auf dieser Fahrt geriet er von der Fahrbahn ab, prallte gegen einen Straßenbaum und verstarb am Unfallort. Die Geschwindigkeit des Unfallautos wurde von Zeugen auf 140 bis 150 km/h geschätzt. Der Blutalkoholmittelwert des K. wurde mit 1,04 0/00 festgestellt.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. April 1979 den Antrag der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung ab. Widerspruch, Klage und Berufung sind erfolglos geblieben. Das LSG hat dazu angenommen, die geplante Fahrt nach L. könne nicht als eine Fahrt nach der ständigen Familienwohnung angesehen werden, weil ein ständiger Familienwohnsitz noch nicht bestanden habe; selbst wenn angenommen werde, daß in L ein ständiger Familienwohnsitz gewesen sei, sei K. bei seinem Unfall auf einem versorgungsrechtlich nicht geschützten Abweg gewesen. Der Unfall habe sich mehrere Kilometer südlich vom äußersten Grenzpunkt der Heimfahrt (Autobahnausfahrt G -Rh) ereignet. Der Weg von der Autobahnausfahrt G -Rh bis zu der Stelle der Schlüsselübergabe und zurück habe ausschließlich eigenwirtschaftlichen Interessen gedient, nämlich allein der Besorgung der vergessenen Hausschlüssel.
Die Klägerin hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, das LSG habe den Begriff der ständigen Familienwohnung falsch interpretiert; von dem Leitbild des LSG ausgehend gäbe es bei Jungverheirateten überhaupt keine Familienwohnung. Weder die Klägerin noch der Verstorbene hätten eine eigene Wohnung in H gehabt. Sie hätten sich vielmehr schon im Juli und August 1974 fast ständig in L aufgehalten. Des weiteren sei der Begriff der Familienheimfahrt vom LSG rechtsfehlerhaft gewertet worden. Der Verstorbene habe auf seinem Weg kein anderes Interesse verfolgt, als den Schlüssel in Empfang zu nehmen, den er brauchte, um in die eheliche Wohnung in L zu gelangen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg und das Urteil des Sozialgerichts Hamburg sowie den Bescheid der Beklagten vom 29. April 1975 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. August 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- ).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Klägerin ist unbegründet.
Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, daß der Unfall des K. sich nicht auf dem Weg nach der ständigen Familienwohnung ereignete.
Nach § 80 des Gesetzes über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen (SVG) idF vom 1. September 1971 (BGBl I S 1481 bzw idF vom 5. März 1976 - BGBl I S 457 und 18. Februar 1977 - BGBl I S 337 -) erhalten Hinterbliebene eines Beschädigten, der eine Wehrdienstbeschädigung erlitten hat, auf Antrag Versorgung. Wehrdienstbeschädigung ist eine gesundheitliche Schädigung, die durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall herbeigeführt worden ist (§ 81 Abs 1 SVG). Zum Wehrdienst in diesem Sinne gehören auch das Zurücklegen des mit dem Wehrdienst zusammenhängenden Weges nach und von der Dienststelle; das gilt auch für den Weg von und nach der ständigen Familienwohnung, wenn der Beschädigte wegen deren Entfernung vom Dienstort an diesem oder in dessen Nähe eine Unterkunft hat (§ 81 Abs 3 Nr 4 SVG bzw § 81 Abs 4 Satz 3 mit Satz 1 Nr 2 SVG nF).
Der Senat muß die Frage offenlassen, ob K. in L eine ständige Familienwohnung besaß. Die für die Entscheidung dieser Frage von dem LSG festgestellten Tatsachen reichen für die revisionsrichterliche Entscheidung nicht aus. Das LSG hat zuwenig berücksichtigt, daß es hier in dem besonderen Fall, in dem die neuvermählten Eheleute eine gemeinsame Wohnung noch nicht bezogen hatten, nicht auf die gemeinsame eheliche Wohnung ankam, sondern mehr auf den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse des K. (vgl BSG 9 RV 202/75 vom 2. Februar 1977 in Breith 1977 S 732). Gezielt zu diesem Punkt hat das LSG lediglich die Feststellungen getroffen, daß K. erst nach seiner bevorstehenden kirchlichen Trauung in L seßhaft werden wollte und er polizeilich noch in H gemeldet gewesen sei. Letztere Feststellung ist für die Beurteilung des Ortes der Familienwohnung allein nicht von Bedeutung (BSGE 17, 270, 272), während jene nicht ausschließt, daß schon eine gewisse Zeit Lebensmittelpunkt des K. in L gewesen ist.
Die Revision der Klägerin muß aber deswegen erfolglos bleiben, weil K. nicht auf der Wegstrecke verunglückt ist, die er zwischen seiner Dienststelle in H und der Wohnung in L zurückzulegen hatte. Das LSG hat unwidersprochen festgestellt, daß K. auf seiner Fahrt über die Autobahn H K spätestens an der Autobahnausfahrt G -Rh hätte abbiegen müssen, wenn er auf dem direkten Weg nach L hätte bleiben wollen. Hieran ist das Bundessozialgericht (BSG) gebunden (§ 163 SGG). Von diesem Punkt aus bewegte sich K. in Richtung S und von S aus wieder zurück bis dorthin nicht auf der Wegstrecke von H nach L. Diese Wegstrecke war nicht üblicherweise für die Fahrt nach L zurückzulegen; wenn auch grundsätzlich sowohl die Wahl des Verkehrsmittels wie die Wahl des Weges frei ist, besteht bei der Wahl eines weiteren Weges Versorgungsschutz nur, wenn allein die Absicht den Ort der Familienwohnung zu erreichen - oder ein sonstiger Zusammenhang mit dem Wehrdienst - bestand (BSGE 33, 239, 242; BSG Urteil vom 28. April 1976 - 2/8 RU 10/76 in SozSich 1976, 210 = BKK 1976, 216). Die von K. gewählte Wegstrecke wurde erforderlich, weil er seinen Schlüssel für die Wohnung in L in H vergessen und die Übergabe dieses Schlüssels an einem Treffpunkt in S vereinbart hatte. Bei dieser Wegstrecke handelte es sich, weil die Zielrichtung zur Wohnung in L nicht beibehalten worden war, um das Einschieben eines zusätzlichen Weges in die eigentliche Fahrstrecke (vgl BSGE SozR 2200 § 550 Nr 24). Für das Zurücklegen dieses Weges bestand nicht schon etwa deshalb Versorgungsschutz, weil er von der Dienststelle aus angetreten war; Voraussetzung ist zusätzlich, daß der Zielpunkt der Fahrt, die Familienwohnung, beibehalten wurde (vgl BSG Breith 1977 S 732, 735). Diese Wegstrecke unterbrach deshalb die Fahrt nach L. Auf ihr wäre K. versorgungsrechtlich nur geschützt gewesen, wenn das Holen des vergessenen Schlüssels mit dem Wehrdienst in einem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang gestanden hätte. Das ist jedoch, wie das LSG richtig erkannt hat, nicht der Fall. Zwar hatte das Schlüsselholen insofern einen Zusammenhang mit dem Weg zur Wohnung in L, als ohne diese Schlüssel der Zweck der Fahrt nach L in der Wohnung noch etwas zu regeln, nicht erreicht werden konnte. Dieser Zweck hängt jedoch nicht mehr mit dem Wehrdienst wesentlich zusammen. Ebensowenig ist ein Zusammenhang mit dem Wehrdienst bezüglich der Disposition über den Ort der Schlüsselübergabe zu sehen. Es waren rein private Gesichtspunkte, die K. veranlaßten, die Schlüsselübergabe nicht in H oder einem Treffpunkt zwischen H und L oder sogar an der Haustür in L zu verabreden. Hierbei hätte er den unmittelbaren, versorgungsrechtlich geschützten Weg nicht zu verlassen brauchen. Andererseits hätte K. zB auch, ohne durch den Wehrdienst daran gehindert gewesen zu sein, die Schlüsselübergabe an irgendeinem beliebigen Ort organisieren und hätte damit, wäre die Ansicht der Revision richtig, die geschützte Fahrt nach seinen privaten Wünschen ausdehnen können. Daraus ergibt sich, daß nicht jeder Weg zu der Schlüsselübergabe, der völlig der privaten Disposition des K. unterstand, mit dem Wehrdienst im wesentlichen Zusammenhang stehen mußte.
Schließlich ist auch der Umstand, daß K. die Schlüssel in H vergessen hatte, nicht wesentlich durch den Wehrdienst bedingt gewesen.
Die von der Klägerin angeführten Entscheidungen des BSG sind hier nicht einschlägig. In der Entscheidung vom 20. April 1978 - 2 RU 1/77 - (VdK-Mitteilung 1978 Nr 9, 39 bis 40) ist im Gegenteil noch einmal darauf hingewiesen, daß der Weg mit der versicherten Tätigkeit in einem ursächlichen Zusammenhang stehen und unmittelbar zur Arbeitsstätte führen muß. Auch in der Entscheidung vom 14. Juli 1978 - 8 RU 28/78 - (Ersatzkasse 1979, 42 bis 43) ist von dem Weg die Rede, der nach der Unterbrechung wieder fortgesetzt wird; der Verletzte befand sich also wieder auf dem eigentlichen Heimweg.
Ob K. auf der Unglücksfahrt auch wegen des festgestellten Alkoholgehaltes oder der hohen Geschwindigkeit oder weil er möglicherweise in S noch Verwandte besuchen wollte (vgl Bl 20 der Akten des Versorgungsamtes) nicht unter Versorgungsschutz stand, braucht hier nicht untersucht zu werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen