Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Notfallbehandlung. Rettungsdienst. Vergütung des Arztes
Orientierungssatz
Die ärztliche Behandlung eines Versicherten bei einem Rettungsdiensteinsatz ist, soweit keine Sonderregelungen vorliegen, nach den allgemeinen Regelungen über die kassen- bzw vertragsärztliche Notfallbehandlung zu vergüten (Festhaltung BSG 27.10.1987 6 RKa 60/86 = SozR 2200 § 368d RVO Nr 6).
Normenkette
RVO § 368 Abs 3, § 368d Abs 1 S 2
Verfahrensgang
LSG Baden-Württemberg (Entscheidung vom 24.06.1987; Aktenzeichen L 1 Ka 2377/85) |
SG Karlsruhe (Entscheidung vom 27.03.1985; Aktenzeichen S 8 Ka 286/83) |
Tatbestand
Umstritten ist die Vergütung der ärztlichen Behandlung von Versicherten bei einem Rettungsdiensteinsatz.
Der Kläger nimmt als Arzt für Allgemeinmedizin an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung teil. Aufgrund einer Absprache mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) wurde er regelmäßig zu Rettungsdiensteinsätzen herangezogen. Die dabei an Anspruchsberechtigte der gesetzlichen Krankenversicherung erbrachten ärztlichen Leistungen stellte er der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) in Rechnung. Die Beklagte lehnte, nachdem sie frühere Abrechnungen nicht beanstandet hatte, erstmals bei der Abrechnung für das Quartal II/1982 eine Honorierung aus der Gesamtvergütung ab. Sie machte geltend, die Leistungen, die ein niedergelassener Kassenarzt im Bereich des Rettungswesens erbringe, seien nicht Bestandteil der kassen- bzw vertragsärztlichen Versorgung. In gleicher Weise verfuhr sie bei der Abrechnung für das Quartal III/1982.
Das Sozialgericht hatte die Beklagte verurteilt, dem Kläger die umstrittene Vergütung zu gewähren. Das LSG hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Dagegen wendet sich die Revision der Beklagten mit folgender Begründung: Rettungsdienst und kassenärztlicher Notfall- und Bereitschaftsdienst unterschieden sich nach Regelungsbefugnis, Zweck, Trägerschaft und Organisation. Der Rettungsdienst sei Teil der staatlichen Daseinsfürsorge, der kassenärztliche Notfall- und Bereitschaftsdienst nach § 368 Abs 3 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO) und Teil der ärztlichen Versorgung der Versicherten. Das LSG durchbreche diese Trennung und beziehe zu Unrecht den Rettungsdienst in die kassenärztliche Versorgung ein. Die von den Vorinstanzen angenommene Trennung der ärztlichen Tätigkeit beim rettungsdienstlichen Einsatz vom eigentlichen Rettungsdienst bestehe nicht. Aus der zwischen dem Kläger und dem DRK getroffenen Absprache ergebe sich als stillschweigend, weil selbstverständlich, vereinbart ein Vergütungsanspruch in Höhe der üblichen Vergütung. Entgegen der Auffassung des LSG sei aber nicht entscheidend, ob sich aus dem Vertrag ein Vergütungsanspruch des Klägers gegen das DRK ergebe, denn davon hänge es nicht ab, ob der Kläger einen Vergütungsanspruch gegen die Beklagte habe. Entscheidend sei vielmehr, für wen und in welchem Bereich der Kläger tätig gewesen sei. Aus dem Vertrag mit dem DRK ergebe sich, daß er im Rettungsdienst tätig gewesen sei.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 24. Juni 1987 - L 1 Ka 2377/85 - und das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. März 1985 - S 8 Ka 286/83 - aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger und die Beigeladenen zu 1 und 2 beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das Berufungsurteil ist in vollem Umfang zu bestätigen. Seine ausführliche und in jeder Hinsicht zutreffende Begründung entspricht der des späteren Urteils des erkennenden Senats vom 27. Oktober 1987 - 6 RKa 60/86 - (SozR 2200 § 368d RVO Nr 6). An dieser Entscheidung wird auch nach erneuter Überprüfung festgehalten. Ihre Begründung wird durch das Revisionsvorbringen nicht entkräftet.
Das Recht der sozialen Krankenversicherung einschließlich des diesem zugehörigen Kassenarztrechts (Zweites Buch der RVO) enthält keine Vorschrift, der zu entnehmen wäre, daß sich die kassenärztliche Versorgung nicht auf die ärztliche Behandlung erstreckt, die bei einem Rettungsdiensteinsatz erforderlich wird. Dem Versicherten steht gegen seine Krankenkasse ein umfassender Anspruch auf ärztliche Behandlung zu (§ 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a RVO). Dieser Anspruch wird im Rahmen des gesetzlich geregelten kassenärztlichen Versorgungssystems erfüllt (§ 368 bis 368t RVO). Die kassenärztliche Versorgung umfaßt die ärztliche Behandlung, die zweckmäßig und notwendig ist (§ 368 Abs 2 Satz 1, § 368e und § 182 Abs 2 RVO). Sie wird von den an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten und ärztlich geleiteten Einrichtungen erbracht (§ 368a Abs 1 RVO). In Notfällen dürfen auch Ärzte in Anspruch genommen werden, die nicht an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmen (§ 368d Abs 1 Satz 2 RVO). Für die gesamte kassenärztliche Versorgung entrichten die Krankenkassen mit befreiender Wirkung eine Gesamtvergütung an die KÄV, die diese unter die Kassenärzte - die kassenärztlich tätig gewordenen Ärzte - zu verteilen hat (§ 368f Abs 1 RVO). Für ärztliche Behandlungen bei einem Rettungsdiensteinsatz gibt es keine Sonderregelung.
Eine solche Sonderregelung ergibt sich insbesondere nicht aus § 368 Abs 3 RVO. Wenn in dieser Vorschrift als Ziel der Sicherstellung der kassenärztlichen Versorgung bestimmt wird, den Versicherten und ihren Familienangehörigen eine bedarfsgerechte und gleichmäßige ärztliche Versorgung, die auch einen ausreichenden Not- und Bereitschaftsdienst umfaßt, in zumutbarer Entfernung unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der medizinischen Wissenschaft und Technik sowie der Möglichkeiten der Rationalisierung und Modernisierung zur Verfügung zu stellen, so ist darin eine Konkretisierung des Sicherstellungsauftrags (§ 368n Abs 1 RVO) vor allem in bezug auf jene Maßnahmen zu sehen, die der KÄV selbst obliegen (zB die Bedarfsplanung nach § 368 Abs 4 RVO, die vertraglichen Vereinbarungen über die kassenärztliche Versorgung nach § 368g RVO und die Sicherstellungsmaßnahme nach § 368n Abs 7 RVO). § 368 Abs 3 RVO dient der Verbesserung der kassenärztlichen Versorgung, nicht ihrer Einschränkung. Der Umstand, daß der KÄV nicht die Einrichtung eines Rettungsdienstes übertragen worden ist, erlaubt es daher nicht, die ärztliche Behandlung Versicherter anläßlich eines Rettungsdiensteinsatzes generell aus der kassenärztlichen Versorgung auszugrenzen. Eine solche Ausgrenzung hätte auch zur Folge, daß die Vergütung der ärztlichen Behandlung Versicherter den in der kassenärztlichen Versorgung geltenden Vergütungsregelungen entzogen wäre; die Krankenkassen müßten Vergütungen hinnehmen, die ohne ihre Mitwirkung festgesetzt worden sind. Auch dies ließe sich mit dem Recht der sozialen Krankenversicherung nicht vereinbaren.
Der Rettungsdienst stellt keine Einrichtung dar, die in ihrem Aufgabenbereich die kassenärztliche Versorgung der Versicherten verdrängt und insoweit durch ihre Regelungen in das Recht der sozialen Krankenversicherung eingreift. Es handelt sich vielmehr um eine Einrichtung, die das Rettungswesen verbessern soll. Die Verbesserung des Rettungswesens kommt der gesamten Bevölkerung und damit auch den Versicherten zugute. Dem Träger des Rettungsdienstes fehlt jedoch die Kompetenz, die ärztliche Versorgung der Versicherten bei einem Rettungsdiensteinsatz unabhängig vom Recht der sozialen Krankenversicherung zu regeln. Das Rettungswesen fällt in die Zuständigkeit der Länder (Art 30 und 70 GG; vgl Bericht der Bundesregierung an den Bundestag über Maßnahmen zur Verbesserung des Rettungswesens vom 21. April 1973, BT-Drucks 7/489 S 1). Schon aus diesem Grunde scheidet die Möglichkeit aus, daß Regelungen des Rettungsdienstes die bundesgesetzliche Regelung der kassenärztlichen Versorgung einschränken.
Die Träger des Rettungsdienstes können jedoch ihre Aufgabe in Zusammenarbeit mit den Krankenversicherungsträgern und ihren Leistungserbringern - unter Einbeziehung des den Versicherten zustehenden Versicherungsschutzes und des dafür vorgesehenen Leistungssystems - erfüllen. In dieser Hinsicht sind verschiedene Möglichkeiten denkbar, zB die Heranziehung entsprechend ausgebildeter Kassenärzte, die Beteiligung der KÄV an einem ärztlichen Rettungsdienst nach § 368n Abs 7 Satz 2 RVO, die Inanspruchnahme poliklinischer Einrichtungen an Hochschulen unter Berücksichtigung der von der KÄV nach § 368n Abs 3 Sätze 3 ff RVO abgeschlossenen Poliklinikverträgen oder der Einsatz von Krankenhausärzten aufgrund entsprechender Vereinbarungen mit Krankenhausträgern. Die ärztliche Behandlung wäre in diesen Fällen von der KÄV oder - wenn die medizinische Versorgung am Notfallort von Krankenhäusern übernommen worden und deshalb unter Umständen dem Krankenhausbereich zuzurechnen ist - von den Krankenkassen nach den für sie maßgebenden Vorschriften zu vergüten.
In Anbetracht dieser Rechtslage kann der im vorliegenden Fall zwischen dem Kläger und dem DRK getroffenen Absprache nicht, wie die Beklagte meint, eine stillschweigende Vergütungsregelung entnommen werden. Diese Absprache kann nur dem Zweck dienen, die ärztliche Versorgung bei einem Rettungsdiensteinsatz sicherzustellen. Diese organisatorische Maßnahme ändert nichts daran, daß die ärztliche Behandlung eines Versicherten eine kassen- bzw vertragsärztliche Behandlung ist. Ein Kassen- und Vertragsarzt ist daher nach den für die kassen- und vertragsärztliche Versorgung maßgebenden Vorschriften zu vergüten. Wenn der Träger des Rettungsdienstes in Ermangelung besonderer Vereinbarungen mit Kassenärzten, der KÄV oder Krankenhäusern Ärzte in Anspruch nehmen muß, die nicht an der kassen- und vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen, werden diese Ärzte in einem Notfall tätig. Sie können sich daher auf § 368d Abs 1 Satz 2 RVO berufen. Bei der von ihnen am Notfallort durchgeführten Behandlung von Versicherten handelt es sich um eine Leistung der KÄV. Die organisatorischen Maßnahmen des Rettungsdienstes (Hinzuziehung der Ärzte) ändert daran nichts. Es kommt nicht darauf an, wer die Behandlung veranlaßt, sondern wer für sie leistungspflichtig ist. In diesem Zusammenhang weisen die gerichtlichen Vorinstanzen zutreffend darauf hin, daß zwischen dem eigentlichen Rettungsdienst, dem die Organisation des Rettungswesens obliegt, und der Tätigkeit des Notarztes bei einem Rettungsdiensteinsatz zu unterscheiden ist.
Die Revision der Beklagten war aus diesen Gründen zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen