Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 08.07.1959) |
SG Oldenburg (Urteil vom 18.09.1958) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 8. Juli 1959 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts in Oldenburg vom 18. September 1958 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Tatbestand
Die am 2. Februar 1937 geborene Klägerin begehrt Waisenrente für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1957. Sie hatte vom 1. Januar 1954 bis zum Ablauf des Monats Februar 1955, in dem sie das 18. Lebensjahr vollendete, Waisenrente aus der Invalidenversicherung ihres am 20. Dezember 1953 verstorbenen Vaters bezogen.
Die Klägerin, die in der Schule dreimal nicht versetzt worden war und die als Hausmädchen in einem Pensionat 25 Diebstähle begangen hatte, wurde im Dezember 1954 im Kloster „…” in … untergebracht; am 25. Juli 1955 wurde sie durch Beschluß des Amtsgerichts Vechta der endgültigen Fürsorgeerziehung überwiesen; nach dem Auslaufen der Fürsorgeerziehung mit der Vollendung des 19. Lebensjahres der Klägerin schloß das Kreisjugendamt in Vechta mit dem Vormund der Klägerin einen später bis Ende 1957 verlängerten Vertrag auf freiwillige Erziehungshilfe ab, die ebenfalls in dem genannten Kloster durchgeführt wurde.
Einen nach Erlaß des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) gestellten Antrag des Vormunds der Klägerin auf Wiedergewährung der Waisenrente lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 19. August 1957 ab, da Fürsorgeerziehung nicht ohne weiteres 9 sondern nur dann als Berufsausbildung angesehen werden könne, wenn tatsächlich eine Schul- oder Berufsausbildung im Rahmen der Heimerziehung erfolge, ein ordnungsgemäßer Lehrvertrag hier jedoch nicht abgeschlossen sei.
Mit ihrer Klage vor dem Sozialgericht (SG) Oldenburg machte die Klägerin geltend, die Fürsorgeerziehung müsse einer Berufs- oder Schulausbildung gleichgestellt werden. – Sie sei zudem bei Vollendung des 18. Lebensjahres wegen ihrer geistigen Gebrechen außerstande gewesen, sich selbst zu unterhalten. Im Kloster sei sie bis zur Aufnahme einer Lehre als Näherin zunächst einmal praktisch und theoretisch auf diesen Beruf vorbereitet worden, damit ein späterer erfolgreicher Abschluß der Lehre gewährleistet sei.
Im Laufe des Klageverfahrens – am 14. Dezember 1957 – schloß der Vormund der Klägerin für diese mit der Schwester … im Kloster „…” rückwirkend für die Zeit vom 1. Oktober 1957 bis 1. Oktober 1960 einen vormundschaftsgerichtlich genehmigten Lehrvertrag über eine Ausbildung als Näherin ab Daraufhin bewilligte die Beklagte der Klägerin durch Bescheid vom 1. August 1958 Waisenrente für die Zeit vom 1. Oktober 1957 an für die Dauer der Berufsausbildung.
Das SG Oldenburg wies die Klage durch Urteil vom 18. September 1958 ab, da keine der Voraussetzungen des § 1267 Abs. 1 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) bei der Klägerin gegeben sei; es ließ die Berufung zu.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen in Celle verurteilte demgegenüber am 8. Juli 1959 die Beklagte kostenpflichtig unter Aufhebung des sozialgerichtlichen Urteils und des Bescheides vom 19. August 1957, der Klägerin für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1957 Waisenrente zu zahlen.
Das LSG hat mehrere Schreiben der Klosterverwaltung an den Vormund der Klägerin und Berichte an das Landesjugendamt aus dem Jahre 1957 sowie die die Klägerin betreffenden Führungsbogen für März bis Oktober 1957 herangezogen und daraus entnommen, daß die Klägerin im Jahre 1957 zunächst im Krankenhaus behandelt und operiert worden ist, daß sie nach ihrer Rückkehr in das Kloster am 19. März 1957 eine allseitige hauswirtschaftliche Ausbildung und Anleitung im Wäschenähen mit besonderen Hinweisen auf die geplante künftige Lehre als Näherin (neben praktischer Tätigkeit als Vorbereitung auf die Lehre auch Teilnahme an den theoretischen Unterweisungen der Mädchen im 1. Lehrjahr) erfahren habe. Aus diesen Unterlagen und den Aussagen mehrerer als Zeuginnen vernommener Schwestern des Klosters, die bekundet haben, der Lehrvertrag sei teils mit Rücksicht auf die körperliche und geistige Entwicklung der Klägerin, teils aus Krankheitsgründen erst zum 1. Oktober 1957 abgeschlossen worden, hat das LSG den Schluß gezogen, der Aufenthalt der Klägerin im Kloster habe in der Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1957 keine Schul- oder Berufsausbildung dargestellt.
Das LSG führt weiter aus, die Klägerin sei in der fraglichen Zeit auch nicht infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerstande gewesen, sich selbst zu unterhalten; es habe sich bei ihr nicht um einen voraussichtlich dauernden Krankheitszustand gehandelt; eine in absehbarer Zeit wieder entfallende Verhinderung eines Jugendlichen am Erwerbsleben sei im Rahmen des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO unbeachtlich.
Gleichwohl kommt das LSG zu dem Ergebnis, in den Fällen der Heimerziehung müsse ebenso wie bei Schul- oder Berufsausbildung der Waisen ein Rentenanspruch über das 18. Lebensjahr hinaus zugebilligt worden. Im Laufe der Zeit habe sich die Rechtsauffassung hinsichtlich dieser Frage gewandelt. Das zeige die Handhabung der dem § 1267 RVO entsprechenden Vorschriften wie § 45 Abs. 3 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG), § 32 Abs. 3 BVG, § 14 Abs. 3 des Besoldungsgesetzes von 1927, § 2 Abs. 1 Satz 2 des Kindergoldgesetzes (KGG) in der Fassung des Kindergeldergänzungsgesetzes (KGEG) vom 23. Dezember 1955. Der Reichsminister der Finanzen habe bereits in einem Erlaß vom 16. Dezember 1923 (RBB 1923, 344) für das Besoldungsrecht die Ansicht vertreten, daß die Unterbringung von Fürsorgezöglingen in einer Erziehungsanstalt ganz allgemein als „Schulausbildung oder Ausbildung für einen künftig gegen Entgelt auszuübenden Lehrberuf” zu gelten habe.
Diese Auffassung habe sich in der Folgezeit weiter durchgesetzt. So habe ua der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung (BMA) in einem Erlaß vom 31. März 1952 (DVBl 1952, 77) bestimmt, Heimerziehung (Fürsorgeerziehung) gelte als Schul- oder Berufsausbildung im Sinne der §§ 32 Abs. 3 und 45 Abs. 3 BVG.
Entsprechend habe sich der BMA in einem Schreiben vom 24. April 1955 auch hinsichtlich des KGG geäußert. Dieser Auffassung sei auch der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften in seinem Rundschreiben vom 15. September 1952 für die Auslegung des § 591 RVO gefolgt.
Dieser Wandel der Rechtsauffassung könne dem Gesetzgeber auch nicht unbekannt geblieben sein. Deshalb müsse auch § 1267 Abs. 1 Satz 1 RVO nF entsprechend ausgelegt werden. Dafür spreche besonders, daß sich heutzutage fast jede Heimerziehung unter dem Gesichtspunkt der Arbeitstherapie vollziehe. Die Zöglinge sollten, soweit sie nicht noch eine Schulausbildung erhalten müßten, für ihren Beruf so vor- oder ausgebildet werden, daß sie nach der Entlassung auch ihren Lebensunterhalt selbst verdienen könnten. Damit sei aber fast jede Fürsorgeerziehung in der Regel mit einer Schul- oder Berufsausbildung verbunden, da selbst bei schwer erziehbaren oder kriminellen Zöglingen nicht darauf verzichtet werde. Auch die der Klägerin im Kloster „…” auf Grund des Erziehungsvertrages zuteil gewordene Heimerziehung falle deshalb unter § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO.
Das Urteil des LSG Niedersachsen vom 8. Juli 1959, in dem die Revision zugelassen wurde, ist der Beklagten am 22. Juli 1959 zugestellt worden. Am 4. August 1959 hat die Beklagte beim Bundessozialgericht (BSG) unter Antragstellung und gleichzeitiger Begründung Revision eingelegt.
Sie rügt die Verletzung des § 1267 RVO. Es sei nicht richtig, daß mit Rücksicht auf die gewandelte Rechtsanschauung § 1267 RVO so auszulegen sei, wie es das LSG getan habe. Schon das Reichsversicherungsamt (RVA) habe in der Entscheidung vom 16. Oktober 1928 (AN 29, 18) im umgekehrten Sinne argumentiert. Der Gesetzgeber habe aber, obwohl er den auf den anderen Rechtsgebieten eingetretenen Wandel der Anschauung gekannt haben müsse, dem § 1267 RVO keine dementsprechende Formulierung gegeben. Das zeige, daß er an der alten, gefestigten Rechtsauffassung zu der insoweit gleichlautenden früheren Bestimmung habe festhalten wollen. Auch heute sei noch zwischen Erziehung und Berufsausbildung zu unterscheiden. Die Fürsorgeerziehung sei – das sage schon ihr Name – primär eine Erziehungsmaßnahme. Fürsorgeerziehung und -ausbildung könnten nebeneinander herlaufen, brauchten dies aber nicht notwendig. Im vorliegenden Falle habe neben der Fürsorgeerziehung keine Berufsausbildung stattgefunden.
Wenn der BMA in seinem Schreiben vom 8. Dezember 1960 Heimerziehung (Fürsorgeerziehung) von Kindern, die das 18. Lebensjahr vollendet hätten, stets als Schul- oder Berufsausbildung ansehe, sei dies unrichtig. Gerade die Ausführungen über die Bedeutung der Erziehung für den Berufseinsatz zeigten deutlich, daß es sich im wesentlichen um eine Erziehung im engeren Sinne handele. Die Beschäftigung während dieser Zeit solle den Zögling eingliederungsfähig machen, d. h. ihm die Fähigkeit geben, eine berufliche Tätigkeit in der sozialen Gemeinschaft auf die Dauer auszuüben. Es handele sich deshalb mehr um eine Formung des Charakters in sozialer Hinsicht als um eine Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten. Die Fürsorgeerziehung sei als Erziehung erst Voraussetzung für die Berufsausbildung; sie könne zwar mit einer Berufsausbildung verbunden werden, doch sei dies aber meist nicht der Fall.
In der Anerkennung der Fürsorgeerziehung als Berufsausbildung sei nur ein weiterer Schritt in der Verlagerung der Fürsorgeausgaben auf die Rentenversicherungsträger zu sehen.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Daraus, daß der Gesetzgeber den § 1267 RVO nicht anders gefaßt habe, ergebe sich nicht, daß er sich dem eingetretenen Auffassungswandel nicht angeschlossen habe; es sei nicht seine Aufgabe, wegen jedes Einzelfalles eine allgemeine Rechtsnorm ständig zu verändern. Der bisherige Wortlaut sei umfassend und umfasse auch den streitigen Fall der Fürsorgeerziehung; ob diese als Berufsausbildung anerkannt werde, sei lediglich eine Frage der Auslegung.
Mit Recht habe sich das LSG auf die Gleichbehandlung auf anderen Rechtsgebieten berufen. Im Versorgungsrecht und in der gesetzlichen Rentenversicherung würde die Fürsorgeerziehung ganz allgemein als Berufsausbildung gewertet. Für die Ansicht sprächen auch die tatsächlichen Pest Stellungen des angefochtenen Urteils, die erkennen ließen, daß die Klägerin wegen ihres geistigen und körperlichen Zustandes in besonderer Weise auf ihren späteren Beruf als Näherin vorbereitet und in der Hauswirtschaft (Waschen, Nähen, Bügeln, Gartenarbeit, Beschäftigung in der Ökonomie) ausgebildet worden sei und darüber hinaus am Unterricht in Deutsch und anderen Fächern teilgenommen habe.
Erziehung sei ohne bestimmte Zweckrichtung, und zwar auch im Hinblick auf eine Berufsausbildung, undenkbar. Dazu komme, daß in der Fürsorgeerziehung ganz allgemein nach dem Grundsatz der Arbeitstherapie verfahren werde. Deshalb stelle die Fürsorgeerziehung eine Berufsausbildung dar.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist statthaft, da das LSG sie zugelassen hat; sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
Die Revision ist auch begründet.
Soweit das LSG davon ausgeht, daß die Klägerin vom 1. Januar bis 30. September 1957 keine Berufsausbildung erfahren hat – Schulausbildung kommt bei dem vorliegenden Sachverhalt ersichtlich nicht in Betracht –, ist seine Ansicht zutreffend. Der Begriff der Schul- oder Berufsausbildung hat nach der ständigen, von der Rechtslehre anerkannten Rechtsprechung zu den insoweit dem § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO gleich- oder ähnlich lautenden früheren Bestimmungen zwei Voraussetzungen.
Einmal muß die Ausbildung dazu dienen, einen Beruf gegen Entgelt ausüben zu können; zum anderen müssen Zeit und Arbeitskraft des Kindes durch die Ausbildung überwiegend in Anspruch genommen werden, so daß es ihm unmöglich ist, außerhalb der für die Ausbildung erforderlichen Zeit einen Lohnerwerb nachzugehen (RVA GE 3240, AN 1926, 485 ff; GE 3111, AN 1928, 12; GE 3126, AN 1928, 109 ff; GE 3093, AN 1927.434 f; EuM 1923, 38; Thielmann, aaO, S. 258; Heinze, SGb 1961, 70 ff; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Stand August 1960, S. 689; Jantz-Zweng, Das neue Recht der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten, Anm. II b zu § 1262; VerbKomm., 60 Aufl., Anm. 16 zu § 1262). Der Senat trägt keine Bedenken, insoweit der bisher herrschenden Auffassung zu folgen.
Eine derartige Ausbildung wird auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß die Waise als Fürsorgezögling oder auf Grund eines Fürsorgeerziehungsvertrags in einer Erziehungsanstalt untergebracht ist (VerbKomm., 6. Aufl., § 1262 RVO, Anm. 16c); sie ist auch außerhalb eines Lehrvertrags denkbar, wenn nur die beiden obengenannten Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. RVA, GE Nr. 3277, AN 1928, 337).
Nach den Feststellungen des LSG kann davon ausgegangen werden, daß die Klägerin bereits vor Beginn der ordnungsmäßigen Lehre als Näherin – wenigstens in den letzten Monaten vor Oktober 1957 – auch mit der theoretischen und praktischen Erlernung von Näharbeiten beschäftigt worden ist. Diese Beschäftigung sollte dazu dienen, die geistig schwach begabte Klägerin auf die spätere Lehre vorzubereiten, um ihr deren erfolgreichen Abschluß zu erleichtern; sie diente demnach bereits der Ausbildung zu dem Beruf, den die Klägerin künftig gegen Entgelt ausüben sollte, so daß dadurch das erste der obengenannten Erfordernisse als erfüllt angesehen werden kann.
Dagegen ergeben die Feststellungen des LSG nicht, daß die Beschäftigung der Klägerin mit Näharbeiten ihre Zeit und Arbeitskraft überwiegend in Anspruch genommen hat. Zwar hatte die Klägerin als Heimzögling weder Zeit noch Gelegenheit, einer selbständigen entlohnten Erwerbstätigkeit nachzugehen. Voraussetzung für die Annahme einer Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO ist jedoch, daß die Waise gerade durch diese Ausbildung zeitlich derart stark in Anspruch genommen wird, daß sie daneben einer regelmäßigen Erwerbstätigkeit nicht mehr nachgehen kann bzw. könnte (vgl. dazu insbesondere RVA, GE Nr. 3126, AN 1928, 109; EuM 23, 380); für eine derart überwiegende Beschäftigung geben jedoch die Feststellungen des LSG keinen Anhalt; die Hervorhebung der allgemeinen hauswirtschaftlichen Tätigkeit in der fraglichen Zeit spricht vielmehr gegen eine derartige überwiegende Inanspruchnahme durch die Näharbeit. Auch aus den Zeugenvernehmungen konnte das LSG in dieser Hinsicht keine für die Klägerin günstigeren Schlüsse ziehen.
Es ist daher nicht zu beanstanden, daß das LSG die Zeit bis zum 30. September 1957 nicht als Berufsausbildung im Sinne des § 1267 Abs. 1 Satz 2 RVO betrachtet hat.
Dagegen vermochte sich der Senat der Ansicht des LSG nicht anzuschließen, daß ganz allgemein die Fürsorgeerziehung bzw. Heimerziehung einer Schul- oder Berufsausbildung im Sinne des § 1267 RVO gleichzustellen sei.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die freiwillige Erziehungshilfe (auch freiwillige Fürsorgeerziehung, Erziehungsfürsorge oder Heimerziehung genannt) eine nicht im Jugendwohlfahrtsgesetz geregelte Einrichtung der Jugendwohlfahrt ist (vgl. Potrykus, JWG-Komm., 1953, Vorbem. vor § 56 Anm. 8; Riedel, JWG, 2. Aufl., § 62 Anm. 7). Ihr Wesen besteht darin, daß die Mitwirkung des Gerichts nicht in Anspruch genommen wird; an Stelle der gerichtlichen Überweisung in die Fürsorgeerziehung tritt bei ihr ein Vertrag zwischen Erziehungsberechtigtem und Jugendamt, in dem ersterer sich damit einverstanden erklärt, daß das betreffende Kind in einem Erziehungsheim oder in einer Erziehungsanstalt untergebracht wird. Im Vollzug dagegen unterscheidet sich die freiwillige Erziehungshilfe nicht von der eigentlichen Fürsorgeerziehung; sie wird, abgesehen von ihren Unterschieden hinsichtlich der Rechtsnatur und Anordnung, stets ebenso behandelt und durchgeführt wie die Fürsorgeerziehung; insbesondere bezweckt sie das gleiche wie jene, da sie ebenso die Verwahrlosung des Jugendlichen verhüten oder beseitigen soll. Die Waisenrentenberechtigung von Waisen, die älter als 18 Jahre sind, muß deshalb auch mit dem LSG für beide Fälle gleich beantwortet werden.
Zweck und Wesen der Fürsorgeerziehung unterscheiden sich erheblich von einer reinen Ausbildung; die Fürsorgeerziehung ersetzt in erster Linie die unzureichende elterliche Erziehung. Fürsorgeerziehung und freiwillige Erziehungshilfe sind somit auch heute noch in erster Linie Einrichtungen der Ersatzerziehung. Sie sollen der körperlichen, seelischen oder geistigen Verwahrlosung steuern und damit überhaupt erst die Grundlage für eine sonstige schulische oder berufliche Ausbildung schaffen. Wenn auch in den meisten Fällen die Erziehung mit einer Ausbildung verquickt ist, so steht doch die Erziehung als beherrschend im Vordergrund. Es mag zwar durchaus zutreffen, daß mit dieser Erziehung regelmäßig angestrebt wird, den Kindern gleichzeitig auch die für eine spätere Berufsausbildung erforderlichen Grundlagen zu vermitteln, und zwar um so mehr, je älter die Zöglinge werden. Trotzdem kann nicht davon ausgegangen werden, daß die bewußt in erster Linie auf die seelische und geistige Einstellung der Zöglinge ausgerichtete Erziehung in ihrer gesamten Gestaltung gleichzeitig stets überwiegend auch auf die Erlernung eines bestimmten späteren Lebensberufs ausgerichtet ist. Mögen derartige Fälle, insbesondere bei gleichzeitigem Abschluß eines ordnungsmäßigen Lehrvertrags, auch die Regel darstellen, so wird doch letztlich die Entscheidung stets auf den Einzelfall abzustellen sein.
Wenn im Verwaltungswege auf zahlreichen Rechtsgebieten eine Gleichstellung der Heimerziehung (Fürsorgeerziehung) mit der Schul- und Berufsausbildung angeordnet ist, so verkennen doch auch diese Regelungen nicht, daß eine derartige Erziehung an sich keine Ausbildung im gesetzlichen Sinne ist. Wenn der Gesetzgeber unter diesen Umständen trotz Kenntnis jener Schwierigkeiten bei der Neufassung der Bestimmung keine entsprechende Ausweitung vorgenommen, sondern ihren alten Wortlaut aufrechterhalten hat, so kann daraus weder geschlossen werden, daß er damit dem gleichen Wortlaut nunmehr einen anderen Sinn untergelegt wissen wollte, noch, daß er mit dieser unveränderten Fassung versehentlich eine Lücke offengelassen hat, zu deren Schließung die Gerichte berechtigt wären. Dies erscheint um so weniger zulässig, als beim Vorliegen derartiger Erziehungsmaßnahmen für die dadurch entstehenden Kosten und damit auch für den unmittelbaren Unterhalt der Betroffenen ohnehin bereits ein Träger vorhanden ist; deshalb greift auch eine Berufung darauf, daß die Waisenrente billigkeitsmäßig bei der Fürsorge- bzw. Heimerziehung ebenso wie bei echter Schul- oder Berufsausbildung an die Stelle der Möglichkeit fehlenden eigenen Unterhaltserwerbs zu treten habe, wegen der unterschiedlichen Situation der zu vergleichenden Sachverhalte nicht durch.
Entgegen der Auffassung des LSG war der Anspruch der Klägerin, daher für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 1957 unbegründet, so daß die Berufung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zurückzuweisen war.
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 926546 |
BSGE, 285 |
NJW 1961, 2180 |