Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 20.12.1977; Aktenzeichen L 4 V 13/77)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 20. Dezember 1977 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger, der als Soldat ua einen Wirbelsäulensteckschuß erlitt, bezog wegen seiner Schädigungsfolgen ursprünglich Beschädigtenrente entsprechend einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 50 vH. Zwischen 1952 und 1957 ist er infolge einer erblichen Krankheit erblindet. Nach Verschlimmerung der Schädigungsfolgen bewertete die Verwaltung die MdE ab März 1970 mit 100 vH (Bescheide vom 26. Mai 1971, 19. September 1972, 9. November 1972, 4. Dezember 1972, 2. Februar 1973). Aufgrund einer Prüfung, die durch einen gerichtlichen Vergleich veranlaßt wurde, bezeichnete das Versorgungsamt die Schädigungsfolgen neu (Bewegungseinschränkung der Lendenwirbelsäule, Narbe nach Bandscheibenoperation in Höhe von L 5 – S 1 mit Restbeschwerden im Sinne einer Lumbalgie und Ischialgie, Wadenbeinnervenlähmung links und mäßiger Muskelschwund des linken Beines, Narben im Rücken, am linken Rippenbogen, am linken Oberarm, in der linken Ellenbeuge, am Schienbein links, kleiner Narbenbruch im linken Oberbauch, Impotentia coeundi, relative Harnblaseninkontinenz, Tenesmen im Bereich des Enddarms), Jedoch versagte die Versorgungsverwaltung dem Kläger eine Pflegezulage, weil die schädigungsunabhängige Blindheit die wesentliche Ursache seiner Hilflosigkeit sei (Bescheid vom 21. November 1974, Widerspruchsbescheid vom 22. April 1975). Das Sozialgericht (SG) verurteilte den Beklagten antragsgemäß, dem Kläger ab 1. September 1971 Pflegezulage der Stufe I zu gewähren (Urteil vom 19. April 1977). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 20. Dezember 1977): Ungeachtet der Blindheit sei der Kläger allein infolge seiner Schädigungsleiden so hilflos, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedürfe (§ 35 Abs. 1 Satz 1 Bundesversorgungsgesetz –BVG–). Infolge der Bewegungseinschränkung sei er beim Be- und Entkleiden sowie beim Reinigen und Pflegen des Unterkörpers und der Beine stark behindert. Für diese Verrichtungen sei fremde Hilfe nicht nur morgens und abends, sondern wegen der Harn- und Stuhlinkontinenz auch mehrmals während des Tages und der Nacht erforderlich, außerdem zum Reinigen nach dem Verrichten der Notdurft, zum Einführen schmerzstillender Zäpfchen, zur Unterstützung beim Verlassen der Wohnung, beim Baden und beim Beheben nächtlicher Wadenkrämpfe. Die Pflegezulage der Stufe I sei nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil der Kläger schon beim Eintritt der schädigungsbedingten Hilflosigkeit infolge seiner Blindheit hilfsbedürftig gewesen sei und unter der Voraussetzung, daß die Erblindung schädigungsbedingt wäre, eine Pflegezulage der Stufe I T I hätte beanspruchen können (§ 35 Abs. 1 Satz 3 BVG), was in diesem Verfahren nicht streitig sei. Dieser Zustand sei durch die Verschlimmerung der Schädigungsfolgen entsprechend einer Stufe verstärkt worden. Damit stelle sich nicht die Frage des Zusammenwirkens von Schädigungsfolgen und schädigungsunabhängigem Leiden. Dieser Fall sei nicht anders zu beurteilen, als wenn ein Zivilblinder durch eine kriegsbedingte Schädigung unabhängig von der Blindheit hilflos werde.

Der Beklagte hat die – vom LSG zugelassene – Revision eingelegt. Er hält bei der schädigungsbedingten Verschlimmerung, die den Grad der Hilflosigkeit entsprechend der Stufe III in einen solchen der Stufe IV verändert habe, allein eine Pflegezulage gemäß dem neuen unteilbaren Gesamtzustand für Rechtens. Die gesamte Hilflosigkeit müßte allein oder wesentlich im Sinne der versorgungsrechtlichen Kausalitätstheorie durch die anerkannten Schädigungsfolgen bedingt sein. Diese Voraussetzung sei aber beim Kläger nicht gegeben. Da eine Pflegezulage der Stufe IV demnach nicht gewährt werden könne, sei jegliche Versorgungsleistung dieser Art ausgeschlossen, und zwar unabhängig von dem eingeschränkten Antrag des Klägers. Auf einen fiktiven Leidenszustand dürfe nicht isoliert abgehoben werden. Aber selbst wenn man der Rechtsauffassung des LSG über einen „mittleren Weg” folge, stände dem Kläger eine Pflegezulage der Stufe I nicht zu, denn nach der Beurteilung des versorgungsärztlichen Dienstes sei er allein wegen der Schädigungsfolgen nur bei einzelnen Verrichtungen auf fremde Hilfe angewiesen, dagegen nicht dauernd und in erheblichem Umfange; hilflos im Sinne des § 35 Abs. 1 Satz 1 BVG könne er bloß durch das Zusammenwirken mit schädigungsunabhängigen Behinderungen sein, was das LSG nicht nach der Kausalitätstheorie der Kriegsopferversorgung (KOV) geprüft habe.

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des LSG und des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das Vorbringen des Beklagten nicht für geeignet, die Voraussetzungen einer Hilflosigkeit für die Pflegezulage der Stufe I zu entkräften. Die Verwaltung würdige hier lediglich die tatsächlichen Feststellungen, die das LSG verbindlich getroffen habe, anders als das Berufungsgericht, begründe aber nicht substantiiert den Angriff gegen die Beweiswürdigung. Für die Überlegung, die das Bundessozialgericht (BSG) in den vom Beklagten zitierten Urteilen angestellt habe (vgl. auch Funk, Sozialgerichtsbarkeit 1976, 252), bleibe unter der Voraussetzung einer schädigungsbedingten Hilflosigkeit, die den Klageanspruch begründe, kein Raum.

Der Vertreter der zum Verfahren beigeladenen Bundesrepublik Deutschland hat von einer Äußerung abgesehen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Dem Berufungsurteil ist im Ergebnis weitgehend zuzustimmen, dennoch ist die Sache zurückzuverweisen.

Die Pflegezulage der Stufe I wird gewährt, solange der Beschädigte infolge der Schädigung so hilflos ist, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang fremder Hilfe dauernd bedarf (§ 35 Abs. 1 Satz 1 BVG), Die Annahme dieser Anspruchsvoraussetzung ist nicht allein deshalb fehlerhaft, weil die dazu vom LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die nicht allein von ärztlichen Schlußfolgerungen abhängen (BSG SozR Nr. 7 zu § 35 BVG), vom Beklagten erfolgreich mit einer Verfahrensrüge angegriffen worden wären. Seine Rüge ist nicht hinreichend substantiiert iS des § 164 Abs. 2 Satz 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Aber das Berufungsgericht ist irrigerweise, wie der Beklagte zutreffend beanstandet, nicht von dem grundsätzlich rechtlich maßgebenden Gesamtzustand des Klägers, der eine Hilflosigkeit bedingen kann, ausgegangen und hat infolgedessen auch nicht die gebotene Kausalitätsbeurteilung, ob nämlich die Pflegebedürftigkeit „infolge der Schädigung” eingetreten ist, vorgenommen. Wegen dieser Rechtsfehler hat das LSG nicht alle für die Entscheidung erforderlichen Tatsachen festgestellt, Deshalb muß sein Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen werden.

Über den Klageanspruch ist, ungeachtet des Klageantrages (§§ 123, 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG), sachlich-rechtlich nach dem gesamten Ausmaß einer schädigungsbedingten Hilflosigkeit (§ 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 BVG) zu entscheiden; dabei ist vom Gesamtzustand der Pflegebedürftigkeit auszugehen, der seit der Verschlimmerung der Schädigungsfolgen ab 1970 besteht (§ 62 Abs. 1 BVG). Das folgt aus der besonderen Zweckbestimmung der Pflegezulage; sie soll eine Bedarfslage abdecken, die sich aus einer vom unteilbaren Gesamtbefinden bestimmten Hilfsbedürftigkeit ergibt. Dies hat der erkennende Senat in einem Urteil vom 10. Dezember 1975 zum Anspruch auf Pflegezulage nach Eintritt einer wesentlichen Änderung gegenüber dem Zustand, der bei einer früheren Feststellung bestand, entschieden (BSGE 41, 80, 83 = SozR 3100 § 35 Nr. 2). Er hat dies aber grundsätzlich allgemeingültig und damit auch für Fälle der Erstfeststellung – wie den vorliegenden – als primären Beurteilungsmaßstab festgelegt. Das deckt sich im Ergebnis mit der Entscheidung des 10. Senats vom 7. August 1975 – 10 RV 51/74 –, die eine Erstfeststellung betraf, allerdings bei einem anderen Sachverhalt als im gegenwärtigen Fall. In diesem Urteil hat der 10. Senat ausdrücklich eine isolierte Beurteilung eines anteiligen, als „fiktiv” bezeichneten Leidenszustandes für unzulässig erklärt (zustimmend Funk, aaO), Hier ist nicht etwa deshalb ausnahmsweise von dem ausschließlich durch die Schädigungsfolgen bedingten Zustand einer anteiligen Hilflosigkeit auszugehen, weil dieser gegenüber den durch die Blindheit verursachten Behinderungen im Ablauf des täglichen Lebens in der Wirklichkeit funktional abgrenzbar sein könnte. Gewichtiger ist der vorstehend dargelegte Grundsatz, der bei der Fülle verschiedenartiger Fälle einheitlich anzuwenden ist. Falls von dieser Betrachtung überhaupt abgewichen würde – wie zB in einem Fall wie dem gegenwärtigen –, müßte das ebenfalls beim umgekehrten Geschehensablauf gelten, und das könnte sich zum Nachteil der betroffenen Beschädigten auswirken. Wenn nämlich eine Pflegezulage wegen Schädigungsfolgen zuerkannt worden ist oder wäre und sich der Zustand der Hilflosigkeit schädigungsunabhängig verschlimmert, wäre konsequenterweise nicht zugunsten des Beschädigten vom Gesamtleidenszustand auszugehen, für den die Schädigung die wesentliche Bedingung sein kann, sondern isoliert weiterhin von der ausschließlich schädigungsbedingten Hilfsbedürftigkeit. Das hätte sowohl nach einer vorausgegangenen Feststellung gemäß § 62 BVG als bei einer Erstfeststellung zu gelten, wäre aber im Ergebnis unbefriedigend.

Schließlich ist nicht grundsätzlich deshalb allein auf den schädigungsbedingten Anteil der Hilflosigkeit abzuheben, weil dieser Zustand auch durch eine MdE nach § 30 Abs. 1 BVG für sich zu bewerten ist, wobei Vorschäden berücksichtigt werden, Nachschäden dagegen nicht (BSGE 41, 70 = SozR 3100 § 30 Nr. 11; Urteil des erkennenden Senats vom 25. Oktober 1978 – 9 RV 68/77). Die MdE als Bemessungsmaßstab der Grundrente (§ 31 Abs. 1 und 2 BVG) bestimmt sich ausschließlich nach dem Ausmaß der gesundheitlichen Folgen der kriegsbedingten Schädigung, unter Umständen beschränkt auf eine anteilige Verschlimmerung, wobei der Zustand unmittelbar nach der schädigenden Einwirkung oder einer Verschlechterung maßgebend ist. Im Unterschied dazu ist die Hilflosigkeit als Voraussetzung für eine Pflegezulage gerade aus dieser zeitlich streng begrenzten Verknüpfung mit einer Schädigung iS des § 1 BVG als Ursache herausgelöst und in erster Linie nach dem gegenwärtigen Gesamtbedarf zu beurteilen (BSGE 41, 84 f; vgl. dazu auch Urteil des erkennenden Senats in Breithaupt 1976, 310, 314). Auch eine erst zeitlich nach der Schädigung eintretende Verschlimmerung ist dabei zu berücksichtigen (BSGE 13, 40, 42 f = SozR Nr. 9 zu § 35 BVG).

Das LSG hat demnach aufgrund weiterer Sachaufklärung darüber zu entscheiden, ob der Gesamtzustand den Kläger überhaupt oder sogar in einem bestimmten gesteigerten Ausmaß iS des § 35 Abs. 1 Satz 2 BVG hilflos macht und ob dies „infolge der Schädigung” eingetreten ist.

Wenn auch die gesamte Hilfsbedürftigkeit des Klägers nicht im Sinne der Kausalitätstheorie der wesentlichen Bedingung durch die kriegsbedingte Schädigung, dh durch die Rückenverwundung, verursacht worden ist (BSGE 41, 83 f), so entfällt nicht überhaupt jeder Anspruch auf Pflegezulage. Dies läßt sich nicht allein deshalb ohne weiteres annehmen, weil die nicht schädigungsbedingte Erblindung eine gesteigerte Hilflosigkeit bedingte, die der Pflegezulage der Stufe III entspräche und demnach den überwiegenden Anteil vom Gesamtzustand der Pflegebedürftigkeit im Verhältnis zu dem ausschließlich schädigungsbedingten Teilzustand, den das LSG entsprechend der Pflegezulage Stufe I bewertet hat, bildete. Blinde erhalten kraft ausdrücklicher Anordnung in § 35 Abs. 1 Satz 3 BVG nur dann mindestens die Pflegezulage nach Stufe III, wenn ihre Blindheit und damit der ausschließlich durch sie verursachte Zustand der Hilflosigkeit auf eine Schädigung iS des § 1 BVG zurückzuführen ist. Das trifft beim Kläger nicht zu. Diese besondere Vergünstigung für Kriegsblinde ist unter der Herrschaft verschiedener Entschädigungsgesetze seit langem kraft sozialpolitischer Entscheidungen allen derartigen Schwerstbeschädigten ungeachtet ihrer tatsächlichen Beeinträchtigung im Einzelfall zuerkannt worden, und zwar in steigender Höhe, anscheinend je nach der Haushaltslage erweitert (Begründung zu § 31 des Entwurfes des Reichsversorgungsgesetzes –RVG–, RT-Drucks 2663, S 41; Durchführungsbestimmungen zu § 31 RVG; Arendts, Kommentar zum RVG, 2. Aufl 1929, S 157; Durchführungsbestimmungen zum Vierten Änderungsgesetz vom 8. Juli 1926 – Reichsversorgungsblatt 1926, 52; § 31 Abs. 1 Satz 2 RVG idF des Fünften Änderungsgesetzes vom 21. Dezember 1927 – RGBl I 847 –; Begründung zu § 34 des Entwurfes eines BVG – BT-Drucks I/1333 –). Eine Hilflosigkeit wird in solchen Fällen unwiderlegbar vermutet (BSG 30. Januar 1969 – 8 RV 467/68 –). Falls aber – wie hier – möglicherweise eine nicht schädigungsbedingte Blindheit gemeinsam mit Schädigungsfolgen eine Hilflosigkeit verursacht, muß nach den wirklichen Verhältnissen abgewogen werden, ob die Schädigung iS des § 1 BVG neben der Erblindung wenigstens eine gleichwertige Mitbedingung der – gesamten – Pflegebedürftigkeit ist. Im Einzelfall kann eine Erblindung, wie der Kläger für seine Lage behauptet, nach allgemeiner Erfahrung nur zu einem geringen Teil den Beschädigten bei Verrichtungen des täglichen Lebens behindern, so daß sie nicht für sich allein oder jedenfalls nicht überwiegend den Beschädigten überhaupt oder gar in gesteigertem Umfang iS des § 35 Abs. 1 Satz 2 BVG hilflos macht.

Nach dem vorstehend dargelegten Rechtsmaßstab wird bei der Entscheidung, ob eine Hilflosigkeit „infolge der Schädigung” eingetreten ist, von dem Grundsatz abgewichen, daß allein die Verhältnisse zur Zeit einer Schädigung (§ 1 BVG) oder einer Verschlimmerung im Zustand der Schädigungsfolgen rechtlich maßgebend sind. Ein nicht schädigungsbedingter Nachschaden wird im Interesse des Beschädigten berücksichtigt (BSGE 41, 80). Dies darf sich aber gerade nicht zum Nachteil des Beschädigten auswirken. Falls nicht schädigungsbedingte Umstände, die erst nachträglich eingetreten sind, die überwiegende Ursache der Hilflosigkeit bilden, darf nicht etwa jeglicher Anspruch auf eine Pflegezulage entfallen, der ohne den zivilen Nachschaden entstände. Dann gilt vielmehr wieder der vorangestellte Regelsatz: Der Anspruch ist nach den Verhältnissen zur Zeit der Schädigung oder einer Verschlimmerung zu beurteilen. Es ist also zu entscheiden, ob der Beschädigte allein „infolge der Schädigung”, ohne Rücksicht auf sonstige Gesundheitsstörungen, hilflos ist. Falls nicht von dieser Beurteilungsgrundlage ausgegangen würde, würde auch die Regel verletzt, „daß die Entscheidung über einen Versorgungsanspruch nicht um so günstiger ausfallen kann, je später der Antrag auf Leistung gestellt und beschieden wird” (vgl. BSGE 41, 82), und andererseits nicht um so ungünstiger getroffen werden darf. Ebenso bleibt ein überwiegender Zivilschaden, der zwischen Schädigung und Verschlimmerung der Schädigungsfolgen eingetreten ist und sich bei der Beurteilung nach dem Zeitpunkt des Verschlimmerungszustandes als Vorschaden darstellen würde, außer Betracht, da er sich sonst zum Nachteil des Beschädigten auswirken müßte.

Falls im Ergebnis dem Kläger allein wegen der Auswirkungen der kriegsbedingten Schädigung eine Pflegezulage zugesprochen würde, könnte er wegen einer darüber hinausgehenden Hilfsbedürftigkeit, die wesentlich durch die Blindheit bedingt wäre, ein Pflegegeld nach § 69 Abs. 3 und 4 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) oder nachrangig eine Blindenhilfe nach § 67 BSHG erhalten.

Die Zurückverweisung der Sache könnte zwar mittelbar das Verbot der Schlechterstellung des Rechtsmittelklägers gegenüber dem angefochtenen Urteil (BSGE 2, 225, 228 f) insofern berühren, als dem Kläger nunmehr die Möglichkeit eröffnet wird, eine Anschlußberufung einzulegen (§ 202 SGG iVm § 521 Abs. 1, §§ 522, 522 a Zivilprozeßordnung –ZPO–; BSGE 2, 229; SozR Nr. 1 zu § 1444 RVO aF; SozR Nr. 11 zu § 521 ZPO; BSGE 24, 247, 248 f = SozR Nr. 9 zu § 521 ZPO; BSGE 28, 31, 32 ff = SozR Nr. 4 zu § 522 a ZPO; Klamaris, Zeitschrift für Zivilprozeßrecht 91 [1978], 222, 226), um Pflegezulage nach einer höheren Stufe als I zu erreichen, und als das LSG darüber positiv entscheiden kann (§§ 123, 202 SGG, § 536 ZPO; Thomas/Putzo, Kommentar zur ZPO, 8. Aufl 1975, § 536, Anm. 2, b). Das Verbot der Verschlechterung muß aber gegenüber dem Gebot der Prozeßwirtschaftlichkeit und wegen des Zweckes von Sozialgerichtsverfahren, in denen ein Bürger einen Anspruch verfolgt, zurücktreten. Falls die in Betracht kommende höhere Leistung dem Kläger zusteht, müßte darüber in dem rechtshängigen Gerichtsverfahren abschließend entschieden werden, statt dies dem Beklagten in einem neuen Verwaltungsverfahren zu überlassen (vgl. zum Wiederaufnahmeverfahren; BSGE 14, 154, 158). Außerdem wäre fraglich, ob die Rechtsausführungen zur Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit, die in den Gründen dieses Urteils enthalten sind, für den Beklagten als Beteiligten (§ 69 Nr. 2 SGG) bindend wären (§ 141 SGG) und damit endgültig Rechtsfrieden schaffen könnten. Abgesehen davon soll in einem Prozeß wie dem vorliegenden, die Gerichtsentscheidung die in vielen anderen Einzelfällen von der Verwaltung anzuwendende Gesetzesvorschrift abschließend konkretisieren und damit klarstellen, was der Leistungsträger in derartigen Fällen nach materiellem Recht zu gewähren hat. Der Beklagte selbst hat darauf seine Revisionsbegründung abgestellt. Wenn nach dem darin herausgestellten Rechtsmaßstab entsprechend der Konsequenz entschieden würde, die der Beklagte – im Gegensatz zum erkennenden Senat – für zutreffend hält, müßte der Kläger vollständig unterliegen. Daß dies aber nicht die allein richtige Entscheidung sein muß, ist in diesem Rechtsstreit abschließend und rechtsverbindlich klarzustellen. Gegenüber diesem Hauptzweck des Prozesses tritt die prozessuale Stellung der beklagten Verwaltung, die ua durch das Verbot der Schlechterstellung gekennzeichnet ist, in den Hintergrund. Der Streitgegenstand wäre auch gar nicht von vornherein auf eine Pflegezulage der Stufe I beschränkt worden, falls bereits früher durch ein BSG-Urteil entschieden worden wäre, daß Beschädigte in der Lage des Klägers unter bestimmten Umständen eine Pflegezulage nach einer höheren Stufe als I erhalten können; dann hätten das SG und das LSG den Kläger in diesem Verfahren veranlassen müssen, seinen Antrag entsprechend sachdienlich zu erweitern (§ 106 Abs. 1, § 112 Abs. 2 Satz 2 SGG). Nachdem der erkennende Senat über die umstrittene Rechtsfrage entschieden hat, ist die Anwendung des dabei entwickelten Rechtssatzes auf den Fall des Klägers bereits in diesem Gerichtsverfahren geboten. Dem Beklagten, der nicht anders als der Richter das Gesetz anzuwenden hat, bleibt es unbenommen, während des weiteren Gerichtsverfahrens den Kläger durch einen Bescheid klaglos zu stellen.

Das LSG hat bei der nunmehr gebotenen Entscheidung, die die vorstehenden rechtlichen Gesichtspunkte beachten muß, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden.

 

Fundstellen

Haufe-Index 925887

BSGE, 248

Breith. 1980, 401

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