Entscheidungsstichwort (Thema)
Unfallversicherungsschutz für ehrenamtlich Tätige in Vereinen
Leitsatz (amtlich)
Vereinsmitglieder sind auch bei einer gefährlichen und besondere Fachkunde erfordernden Arbeit nicht unfallversichert, wenn es der Vereinssatzung oder der Vereinswirklichkeit entspricht, diese Arbeit den Vereinsmitgliedern aufzuerlegen.
Orientierungssatz
Die Mitgliedschaft in einem Verein schließt die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses mit dem Verein iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO nicht von vornherein aus. Ein Vereinsmitglied kann demzufolge grundsätzlich "wie" ein Beschäftigter für ein Verein tätig und nach § 539 Abs 2 RVO versichert sein.
Normenkette
RVO § 539 Abs 2
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 04.03.1986; Aktenzeichen L 5 U 143/84) |
SG Dortmund (Entscheidung vom 04.10.1984; Aktenzeichen S 31(12) U 85/83) |
Tatbestand
Streitig ist, ob der Kläger am 27. Oktober 1982 einen Arbeitsunfall erlitten hat.
Er ist Mitglied des beigeladenen Schützenvereins H e.V. Zum Zeitpunkt des Unfalls übte er innerhalb des Vereins kein Ehrenamt aus.
Am Unfalltag war der Kläger zusammen mit vier weiteren Vereinsmitgliedern mit der Vorbereitung für das alljährlich Anfang November stattfindende Karnevalsfest des Beigeladenen befaßt. Auf Anordnung des Vereinsvorsitzenden sollten sie Lampions an der Decke der vereinseigenen Schützenhalle anbringen. Das für diese Tätigkeit verwendete fahrbare Stahlgerüst kippte um. Der Kläger stürzte aus ca 6 m Höhe ab und zog sich dabei Frakturen am linken Bein und am rechten Fuß zu.
Mit Bescheid vom 26. April 1983 lehnte es die Beklagte ab, den Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und entsprechend Entschädigung zu leisten. Der Kläger habe - so die Beklagte - nicht zum Kreis der in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Personen gehört. Die unfallbringende Tätigkeit sei aufgrund der mitgliedschaftlichen Verpflichtungen des Klägers erfolgt.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat der Berufung stattgegeben. Nach seiner Auffassung habe der Kläger bei der zum Unfall führenden Tätigkeit unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 539 Abs 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) gestanden. Die ausgeübten Verrichtungen seien nicht unmittelbarer Ausfluß der Vereinsmitgliedschaft gewesen, so daß Versicherungsfreiheit nicht angenommen werden könne. Für die Entscheidung sei maßgebend gewesen die Schwierigkeit der geleisteten Arbeiten, die hierfür erforderlichen Sachkenntnisse und die Gefährlichkeit der erbrachten Leistungen.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision rügt die Beklagte die Verletzung des § 539 Abs 2 RVO. Sie trägt zur Begründung im wesentlichen vor: Die unfallbringende Tätigkeit des Klägers habe sich im Rahmen der bei dem beigeladenen Verein üblichen Mitgliedschaftsbetätigung gehalten. Da der Beigeladene ohne die Mithilfe seiner Mitglieder finanziell nicht in der Lage gewesen sei, den Vereinszweck zu erfüllen, nämlich Schützen- und Karnevalsfeste durchzuführen, hätten sich stets Mitglieder, zumal solche mit den notwendigen technischen Fähigkeiten oder Erfahrungen, zur unentgeltlichen Mitwirkung bei der Vorbereitung und Ausgestaltung der Vereinsfeste bereitgefunden.
Die Beklagte beantragt,
in Abänderung des angefochtenen Urteils des LSG die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen; hilfsweise, die Sache an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Der Beigeladene stellte keinen Antrag.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist begründet. Entgegen der Annahme des LSG hat der Kläger keinen von der Beklagten zu entschädigenden Arbeitsunfall erlitten.
Nach der Legaldefinition des § 548 Abs 1 RVO ist Arbeitsunfall ein Unfall, den ein Versicherter bei einer der in §§ 539, 540 und 543 bis 545 RVO genannten Tätigkeiten erleidet. Nach § 539 Abs 1 Nr 1 RVO sind in der gesetzlichen Unfallversicherung die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten versichert. Ein derartiges Beschäftigungsverhältnis als Anknüpfungspunkt der Sozialversicherung hat nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG, die für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG), nicht vorgelegen.
Aber auch eine Versicherung nach § 539 Abs 2 RVO ist zu verneinen. Danach sind Personen gegen Arbeitsunfall versichert, die wie ein nach § 539 Abs 1 RVO Versicherter - wenn auch nur vorübergehend - tätig werden. Dies erfordert eine ernstliche, dem Beigeladenen dienende Tätigkeit, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen desselben entspricht und ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem dem allgemeinen Arbeitsmarkt zuzurechnenden Beschäftigungsverhältnis stehen, und unter solchen Umständen geleistet wird, daß sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich ist. Die Tätigkeit muß zudem in einem inneren Bezug mit dem unterstützten Unternehmen stehen (BSG 5, 168; weitere Rechtsprechung siehe Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 10. Auflage, S 475m bis 476h).
Die Mitgliedschaft in einem - rechtsfähigen oder nicht rechtsfähigen - Verein schließt die Annahme eines Beschäftigungsverhältnisses mit dem Verein iS des § 539 Abs 1 Nr 1 RVO nicht von vornherein aus. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden (BSG SozR 2200 § 539 Nrn 101 und 114 mwN). Ein Vereinsmitglied kann demzufolge grundsätzlich auch "wie" ein nach Abs 1 Nr 1 RVO Beschäftigter für den Verein tätig und nach § 539 Abs 2 RVO versichert sein (vgl bereits BSGE 17, 211, 216). Dies setzt indessen voraus, daß die Verrichtung entweder hinsichtlich ihres Umfanges oder ihrer Art nach über das hinausgeht, was Vereinssatzung, Beschlüsse der Vereinsorgane und allgemeine Vereinsübung an Arbeitsverpflichtungen der Vereinsmitglieder festlegen. Nur unter diesen Gegebenheiten kann die persönliche Abhängigkeit vorliegen, die für ein Beschäftigungsverhältnis kennzeichnend ist. Daran fehlt es bei Tätigkeiten, die zB auf gesellschaftlichen oder körperschaftlichen Verpflichtungen beruhen. Folglich ist derjenige, der aufgrund von Mitgliedschaftspflichten für seinen Verein tätig wird, auch nicht wie ein Beschäftigter nach § 539 Abs 2 RVO gegen Arbeitsunfälle versichert (BSG SozR 2200 § 539 Nr 114).
Das Berufungsgericht hat diese von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zum Ausgangspunkt seiner rechtlichen Erwägungen genommen. Es hat diese jedoch nicht fehlerfrei auf den festgestellten Sachverhalt übertragen. Der Versicherungsschutz nach § 539 Abs 2 RVO ist zu verneinen, weil der Kläger bei der Vorbereitung des Karnevalsfestes allein in Erfüllung mitgliedschaftlicher Vereinspflichten gehandelt hat. Entscheidend für die Beurteilung ist die Vereinswirklichkeit, in der Satzung, Organbeschlüsse und allgemeine Übung übereinstimmen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 101). Daran kann ermessen werden, ob die allgemein verbindliche Art aktiver Mitgliedschaft regelmäßig auch solche Arbeitsleistungen umfaßt, wie sie der Kläger bei seiner zum Unfall führenden Verrichtung ausgeübt hat. § 2 Buchst e der Satzung der Beigeladenen gibt hierzu deutliche Anhaltspunkte. Danach ist ua Vereinszweck, "die Feste des Vereins, insbesondere das nach altem Brauchtum gefeierte Schützenfest zu vorbildlichen Volksfesten auszugestalten, die den Schützenbrüdern, wie allen Festbesuchern, Erholung und Freude in guten Formen vermitteln und die Feste anderer Vereine in gutem Sinne beeinflussen sollen". Den tatsächlichen Feststellungen des LSG zufolge beschränkt sich das Vereinsleben im wesentlichen auf die Veranstaltung des Schützen- und des Karnevalsfestes. Beide Feste fanden regelmäßig jeweils einmal im Jahr statt. Zur Zeit des Unfalls war der Kläger mit der Ausschmückung der Schützenhalle im Rahmen der Vorbereitung des Karnevalsfestes befaßt. Diese Tätigkeit entsprach ihrer Art nach der satzungsgemäßen Bestimmung. Die Arbeitsleistung des Klägers hob sich nicht wesentlich von dem Maß vergleichbarer Aktivitäten ab, die andere Vereinsmitglieder zur Vorbereitung der Vereinsfeste aufgewendet haben.
Die Betätigung des Klägers entsprach auch der Erwartung des Beigeladenen, daß jedenfalls geeignete Mitglieder bei der Vorbereitung und Ausgestaltung der in bestimmten Abständen stattfindenden Vereinsfeste mitwirken. Für die Frage des Versicherungsschutzes ist dabei der Umfang der Arbeiten ein maßgeblicher Gesichtspunkt. Wie das BSG wiederholt entschieden hat, zählen zu den auf allgemeiner Vereinsübung beruhenden Mitgliedspflichten nur geringfügige Tätigkeiten, die ein Verein von jedem seiner Mitglieder erwarten kann, und die von Geeigneten auch verrichtet werden. Bei über diesen Rahmen hinausgehenden umfangreichen Arbeiten kann demgegenüber eine Mitgliedspflicht nur angenommen werden, wenn die Satzung oder ein Beschluß der Mitgliederversammlung oder eines sonstigen zuständigen Vereinsgremiums den Mitgliedern eine rechtliche Pflicht zur Arbeitsleistung auferlegt (BSG SozR 2200 § 539 Nrn 81 und 101). Derartige zeitlich umfangreiche Arbeiten leistete der Kläger - was unbestritten ist - nicht. Die Mitarbeit des Klägers war nach den Feststellungen des LSG auf ca drei bis vier Stunden begrenzt. Ein Arbeitseinsatz von diesem zeitlichen Umfang hält sich noch im Rahmen der in einem Verein gewöhnlich anfallenden Arbeiten (Urteil des BSG vom 19. Mai 1983 - 2 RU 55/82 -).
Das LSG hat den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung wegen der Schwierigkeit der geleisteten Arbeiten, wegen der hierfür erforderlichen Fachkenntnisse und wegen der Gefährlichkeit der erbrachten Leistungen bejaht. Allein hierdurch läßt sich der Versicherungsschutz nicht begründen. Diese Kriterien mögen zwar im Einzelfall Hinweise dafür geben, ob ein Vereinsmitglied "wie ein Beschäftigter" tätig geworden ist, sie sind jedoch kein allgemeiner Beurteilungsmaßstab. Entscheidend ist vielmehr - wie ausgeführt - die Vereinswirklichkeit, die sich vornehmlich an dem Satzungszweck orientiert. Danach hebt sich eine gefährliche Arbeit jedenfalls dann nicht von regelmäßig vorkommenden und allgemein üblichen Mitgliedstätigkeiten ab, wenn sie der Zielvorstellung des Vereins entspricht. Das ist hier gegeben. Der Kläger sollte mit anderen Vereinsmitgliedern zur Vorbereitung des Karnevalsfestes Lampions an der Decke der dem Verein gehörenden Schützenhalle anbringen. Derartige und ähnliche Arbeiten wurden zur Ausgestaltung der Vereinsfeste schon nach bisheriger jahrelanger Übung von Vereinsmitgliedern ausgeführt. Ohne eine derartige Mithilfe von Vereinsmitgliedern hätten Vereinsfeste, was unbestritten ist, nicht stattfinden können.
Ebensowenig ist die Schwierigkeit der geleisteten Arbeiten sowie das Erfordernis der Fachkenntnisse kennzeichnend für die vom Berufungsgericht erfolgte Abgrenzung. Die allgemeine Vereinsübung, die Mitglieder zu Arbeitsleistungen heranzuziehen, wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß nicht alle Vereinsmitglieder, sondern nur ein Teil davon die für bestimmte Verrichtungen erforderliche Eignung besitzt. Wesentlich ist, ob der Verein allgemein erwarten kann, daß bestimmte Aufgaben von geeigneten Mitgliedern wahrgenommen werden und Geeignete regelmäßig einer solchen Erwartung auch nachkommen (BSG SozR 2200 § 539 Nr 101). So ist es hier. Der Vereinsvorsitzende hatte den Kläger mit weiteren anderen Vereinsmitgliedern mit den fraglichen Arbeiten betraut, wie sie Jahre zuvor schon von Vereinsmitgliedern ausgeführt worden waren. Diese Handhabung, zur Vorbereitung und Ausgestaltung von Vereinsfesten Vereinsmitglieder heranzuziehen, entspricht allgemeiner Übung in vielen Vereinen. Sie sind mangels ausreichender finanzieller Mittel zur Ausrichtung von Vereinsfesten nur dann in der Lage, wenn Vereinsmitglieder die zur Vorbereitung und Ausgestaltung der Feste erforderlichen Arbeiten übernehmen. Diese allgemein übliche Mithilfe von Vereinsmitgliedern entspricht der Vereinswirklichkeit.
Im übrigen hat das BSG bei der Frage des Versicherungsschutzes von Vereinsmitgliedern nach § 539 Abs 2 RVO schon bisher nicht auf etwaige Fachkenntnisse oder die Gefährlichkeit der verrichteten Arbeiten abgehoben. Insoweit wird auf die Urteile vom 29. April 1982 - 2 RU 83/80 - (Abnahme der Fallschirmspringerprüfung), vom 19. Mai 1983 - 2 RU 55/82 - (USK 3366; Abbau eines Festzeltes) und BSG SozR 2200 § 539 Nr 68 (Fluglehrer) hingewiesen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen