Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezug von Alu. Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung
Orientierungssatz
1. Eine ununterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung gemäß AVAVG § 99 Abs 1 S 3 liegt nur vor, falls die Beschäftigungen grundsätzlich kalendermäßig aneinander anschließen.
2. Daß der Arbeitnehmer eine Lücke zwischen den Beschäftigungen nicht verschuldet hat, hindert die Unterbrechung in der Regel nicht.
3. Ein außergewöhnlicher Härtefall, der gegebenenfalls trotz Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung zu einer Erhöhung der Bezugsdauer nach AVAVG § 99 Abs 1 S 3 führen könnte, ist regelmäßig nicht anzunehmen, wenn der Arbeitslose nur versicherungspflichtige Beschäftigungen in der sowjetischen Zone nachweisen kann und nach Westberlin auf Grund einer ordnungsgemäßen Zuzugsgenehmigung übergesiedelt ist (vgl BSG 1957-07-19 7 RAr 129/55 = SozR Nr 6 zu § 99 aF AVAVG).
Normenkette
AVAVG § 99 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1953-08-24
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 11.01.1956) |
SG Berlin (Entscheidung vom 11.07.1955) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 11. Januar 1956 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts F, B, vor dem Bundessozialgericht wird auf ... DM festgesetzt.
Von Rechts wegen.
Gründe
I Die 1923 geborene, verheiratete Klägerin war nach ihren Angaben dem Facharbeitsamt IV B gegenüber vom 1. November 1945 bis zum 31. Oktober 1951 bei der Firma ... als Buchhalterin und Kontoristin beschäftigt. Vom 1. November bis zum 14. November 1951 stand sie in keinem Beschäftigungsverhältnis. Für die Zeit vom 15. November 1951 bis zum 15. Mai 1954 liegt eine Arbeitsbescheinigung der Firma C K in B vom 17. Mai 1954 über die Beschäftigung der Klägerin als Buchhalterin und Kontoristin vor. Als Grund für die Lösung des Arbeitsverhältnisses ist darin Arbeitsmangel bezeichnet. Die Klägerin ist nach den eigenen Angaben die Tochter des Arbeitgebers C K.
Am 17. Mai 1954 meldete sie sich bei dem Facharbeitsamt IV in Berlin arbeitslos und stellte Antrag auf Arbeitslosenunterstützung (Alu). Das Arbeitsamt bewilligte ihr diese für die Dauer von 32 Wochen.
II Am 14. Januar 1955 beantragte die Klägerin eine Verlängerung der Bezugsdauer der Alu auf 52 Wochen und gab hierzu die Erklärung ab, daß sie "die Zeit vom 1.11.51 - 14.11.51 für den Wohnungswechsel von P. (Ostzone) nach West-Berlin benötigte". Zu ihrem Antrag legte sie ferner eine Arbeitsbescheinigung der Firma K in P vom 22. Januar 1955 vor, nach deren Inhalt die Klägerin vom 1. November 1945 bis zum 31. Oktober 1951 dort beschäftigt gewesen und die Vertragsauflösung im beiderseitigen Einverständnis wegen Eheschließung und Wohnortwechsels erfolgt sei.
Der Antrag auf Weitergewährung der Alu wurde durch Verfügung des Arbeitsamts vom 4. Februar 1955 mit der Begründung abgelehnt, daß "zwischen den beiden von der Klägerin ausgeübten Tätigkeiten eine Unterbrechung von über 7 Tagen vorhanden und dadurch eine Verlängerung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 3 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) nicht gegeben" sei. Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein, weil man nicht berücksichtigt habe, daß für ihren Wohnungswechsel aus der sowjetischen Besatzungszone nach West-Berlin eine Zuzugsgenehmigung erforderlich gewesen sei und daß sie daher nach Beendigung der bisherigen Tätigkeit am 31. Oktober 1951 unmöglich ihre neue Tätigkeit bereits am 1. November 1951 habe antreten können. Da ihr die Zuzugsgenehmigung nach 11 Tagen erteilt worden sei, habe sie ihre Tätigkeit erst am 15. November 1951 in West-Berlin fortsetzen können. Ihr diese nicht verschuldete Unterbrechung zum Nachteil anzulasten, sei unbillig.
Der Widerspruch wurde durch Bescheid der Widerspruchsstelle des Facharbeitsamts IV Berlin vom 14. März 1955 als unbegründet zurückgewiesen.
III Mit Klage vor dem Sozialgericht Berlin beantragte die Klägerin, unter Aufhebung der entgegenstehenden Verfügungen der Arbeitsverwaltung die Beklagte zu verurteilen, ihr Alu für die Dauer von 52 Wochen zu gewähren. Sie beantragte ferner, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 97 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) anzuordnen, daß die Beklagte ihr ab 7. April 1955 Alu gewähre.
Das Sozialgericht Berlin (18. Kammer) wies durch Beschluß vom 15. April 1955 den Antrag, gemäß § 97 Abs. 2 SGG anzuordnen, daß die Beklagte der Klägerin Alu ab 7. April 1955 gewähre, zurück. Die Voraussetzung einer ununterbrochenen versicherungspflichtigen Beschäftigung, an die § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG die Verlängerung der Alu-Bezugsdauer knüpfe, liege nach dem objektiven Sachverhalt bei der Klägerin nicht vor. Auf die Gründe, denen zufolge die Klägerin erst am 15. November 1951 ihre neue Stellung angetreten habe, komme es nicht an.
Durch Urteil des Sozialgerichts Berlin (19. Kammer) vom 11.Juli 1955 wurde der Klage stattgegeben. Die Beklagte wurde unter Aufhebung der Verfügung des Facharbeitsamts IV B vom 4. Februar 1955 und des Widerspruchsbescheids der Widerspruchsstelle bei diesem Arbeitsamt vom 14. März 1955 verurteilt, der Klägerin Alu auf die Dauer von 52 Wochen zu gewähren. Die Urteilsgründe verwiesen auf die Verwaltungsvorschriften der Beklagten, nach denen eine Unterbrechung von 7 Tagen nicht schade, wenn die neue Arbeit ohne schuldhaftes Zögern angetreten worden sei. Die Klägerin habe aber im vorliegenden Falle die angebotene Arbeit nicht sofort annehmen können, weil ihr die Zuzugsgenehmigung fehlte. Diese habe sie sich unverzüglich besorgt und danach auch ihre neue Beschäftigung ohne schuldhaftes Zögern aufgenommen, so daß die tatsächliche Unterbrechung nicht als solche angesehen werden könne.
IV Das Landessozialgericht Berlin änderte mit Urteil vom 11.Januar 1956 auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts dahin ab, daß die Verfügung des Facharbeitsamts IV Berlin vom 4. Februar 1955 sowie der Widerspruchsbescheid der Widerspruchsstelle dieses Arbeitsamts vom 14. März 1955 wiederhergestellt wurden. In der Begründung führte das Landessozialgericht im wesentlichen aus: Der Senat vertrete in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, daß jede Unterbrechung unabhängig von ihrer Dauer die Einbeziehung früherer versicherungspflichtiger Beschäftigungen in den § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG ausschließe. Das Gesetz unterscheide nicht zwischen einer unverschuldeten und einer verschuldeten Unterbrechung. Daher komme es nicht darauf an, ob die Klägerin die tatsächlich eingetretene Unterbrechung von 14 Tagen verschuldet habe oder nicht. Das versicherungsrechtliche Risiko der Unterbrechung des Beschäftigungsverhältnisses gehe zu Lasten der Klägerin. Hierin liege auch keine unbillige Härte; denn die Klägerin habe den Zuzug nach West-Berlin nur deswegen erhalten, weil sie auf Grund verwandtschaftlicher Beziehungen einen Arbeitsplatz nachweisen könnte, der als zuzugsbegründend anerkannt worden sei. Sie könne deshalb nach Beendigung dieser in West-Berlin aufgenommenen Beschäftigung keine bevorzugte Rechtsstellung in Anspruch nehmen, weil sie aus der sowjetischen Besatzungszone zugewandert sei, sondern stehe rechtlich jedem West-Berliner Arbeitslosen gleich. Die Gesetzesvorschrift habe weder Billigkeitserwägungen zugelassen noch gestatte sie eine die Unterbrechung verneinende Auslegung. Der Dienstblatterlaß des Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, der bei Unterbrechung bis zu 7 Tagen Nachsicht zulasse, entspreche nicht der in § 99 Abs. 1 Satz 3 SGG geschaffenen Rechtslage. Er stelle lediglich eine interne Empfehlung an die nachgeordneten Arbeitsämter dar; hieraus könne jedoch die Klägerin für sich Rechtsansprüche nicht herleiten.
Revision wurde zugelassen.
V Die Klägerin legte gegen das ihr am 19. Januar 1956 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 9. Februar 1956, beim Bundessozialgericht eingegangen am 13. Februar, Revision ein. Sie beantragte,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Verfügung des Facharbeitsamts IV B vom 4. Februar 1955 sowie den Widerspruchsbescheid vom 14. März 1955 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Arbeitslosenunterstützung auf die Dauer von 52 Wochen zu gewähren.
Mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung im Revisionsverfahren erklärte sich die Klägerin einverstanden.
Mit Schriftsatz vom 9. März 1956, eingegangen beim Bundessozialgericht am 12. März, wurde die Revision dahingehend begründet, daß zwar zwischen den einzelnen Beschäftigungsverhältnissen eine Unterbrechung von 14 Tagen gelegen habe, dieser Umstand aber nicht zu einem Ausschluß der vorangegangenen versicherungspflichtigen Beschäftigung führen dürfe, weil sich die Klägerin dadurch eine Anwartschaft verdient habe, die ihr erhalten bleiben müsse. In den Jahren ihres früheren Beschäftigungsverhältnisses habe sie laufend ihre Beitragspflicht gegenüber der Versicherung erfüllt, ohne jemals Leistungen in Anspruch zu nehmen. Im übrigen enthalte § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG lediglich eine Staffelung der Bezugszeiten nach Beschäftigungswochen, lasse aber nicht erkennen, daß die Unterbrechung vor der Arbeitslosmeldung hätte liegen müssen. Eine einmal erdiente Anwartschaft aus einer früheren Beschäftigung könne nach dem Willen des Gesetzgebers nicht wegfallen. Schließlich habe die Beklagte auch den Dienstblatterlaß ihres Präsidenten großzügiger anwenden müssen, zumal die Klägerin nachgewiesen habe, daß sie das neue Beschäftigungsverhältnis ohne schuldhaftes Zögern aufgenommen habe.
Die Beklagte beantragte,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Voraussetzung für die erweiterte Bezugsdauer nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG sei die ununterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung während der vorgeschriebenen langfristigen Zeitspannen vor der Arbeitslosmeldung. Zwischen dem Beschäftigungsverhältnis der Klägerin in der sowjetischen Besatzungszone und ihrer versicherungspflichtigen Beschäftigung in West-Berlin liege aber unbestreitbar eine Unterbrechung von vollen 14 Tagen. Allenfalls für die Erfüllung der Anwartschaft auf Alu (§ 95 AVAVG) und für deren Gewährung bis zu 26 Wochen (§ 99 Abs. 1 Sätze 1 und 2 AVAVG) seien Beschäftigungszeiten in der sowjetischen Besatzungszone in analoger Anwendung von Durchführungsbestimmungen einzelner Länder oder in der Annahme einer entstehenden gewohnheitsrechtlichen Übung bei der Praxis der Arbeitsverwaltung in der Vergangenheit bisweilen berücksichtigt worden. Die Verängstigungen des Satzes 3 a.a.O. seien jedoch nur denjenigen Beitragszahlern einzuräumen, die im Bundesgebiet oder in West-Berlin eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt und hier auch entsprechend lange die Beiträge entrichtet hätten. Dieser Gedanke habe auch in der Novelle zu § 99 AVAVG a.F. (jetzt § 87 Abs. 2 n.F.) Niederschlag gefunden, wenn dort bestimmt werde, daß nur versicherungs- und beitragspflichtige Beschäftigung "im Geltungsbereich dieses Gesetzes" den Anspruch auf erweiterte Bezugszeiten für das Arbeitslosengeld begründe. Aus entsprechenden Erwägungen habe schließlich auch der Dienstblatterlaß des Präsidenten der Bundesanstalt, der Nachsicht bei Unterbrechungen bis zu 7 Tagen gestattete, nicht zu Gunsten der Klägerin angewendet werden können, abgesehen davon, daß bei ihr immerhin 14 Tage Unterbrechung vorgelegen hätten.
Die Klägerin vertritt dagegen die Auffassung, daß sich gerade aus der Novelle zu § 99 AVAVG, wonach die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für Beschäftigungen "im Geltungsbereich dieses Gesetzes" verlängert werde, ergebe, daß bis zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens eine Einschränkung nicht bestanden habe.
Schriftsätzlich haben Klägerin und Beklagte des weiteren noch Ausführungen zur Rechtsfrage gemacht und hierzu auch auf bereits ergangene Urteile des erkennenden Senats verwiesen.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze Bezug genommen.
Auch die Beklagte hat sich mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
VI Die - vom Landessozialgericht zugelassene - Revision ist statthaft. Sie ist auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt sowie begründet worden.
Bei einer zulässigen Revision hat das Revisionsgericht zunächst von Amts wegen zu prüfen, ob bereits die Prozeßvoraussetzungen für das Berufungsverfahren vorgelegen haben (BSG. 2 S. 225). Die Berufung war in vorliegender Sache gemäß § 143 SGG statthaft, weil der streitige Anspruch sich auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum von mehr als 13 Wochen erstreckte.
Die Revision selbst konnte aber keinen Erfolg haben.
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Auslegung des § 99 AVAVG in der Fassung des § 1 des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung von Vorschriften auf dem Gebiet der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge vom 24. August 1953 (BGBl. I S. 1022). Durch das Berliner Übernahmegesetz vom 16. Oktober 1953 (GVBl. S. 1283) ist diese Vorschrift als auf das Land Berlin anwendbar erklärt worden. Sie ist mithin revisibles Recht (§ 162 Abs. 2 SGG).
Da das Landessozialgericht die Angaben der Klägerin hinsichtlich ihrer Beschäftigungszeiten dem Tatbestand des angefochtenen Urteils zugrunde gelegt hat, ist daran auch das Bundessozialgericht gebunden (§ 163 SGG).
Nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG (a.F.) erhöht sich bei Arbeitslosen, die - wie die Klägerin - Rente aus den Rentenversicherungen wegen des Alters oder wegen Invalidität oder Berufsunfähigkeit nicht beziehen, die Unterstützungsdauer (Bezugsdauer der Alu) über 26 Wochen hinaus gestaffelt bis auf höchstens 52 Wochen, wenn sie vor der Arbeitslosmeldung ununterbrochen mindestens 104 bis 260 Wochen versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sind. Gemäß § 9 des Änderungsgesetzes ist diese Vorschrift auch anzuwenden, wenn im Zeitpunkt seines Inkrafttretens (1.8.1953) Anspruch auf Alu aus einer vor dem Inkrafttreten erworbenen Anwartschaft besteht. Einen derartigen Anspruch der Klägerin hat das Facharbeitsamt IV Berlin in Höhe von 32 Wochen anerkannt und für diesen Zeitraum Alu gezahlt. Darüber hinaus aber ist für die Anwendung des § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG kein Raum, weil dessen Voraussetzungen entgegen der Auffassung der Klägerin nicht erfüllt sind.
Das Bundessozialgericht hat sich bereits in mehreren Entscheidungen mit der Auslegung dieser Vorschrift befaßt. In seinem Urteil vom 30. August 1955 (BSG. 1 S. 126) hat der erkennende Senat u.a. festgestellt, daß eine ununterbrochene versicherungspflichtige Beschäftigung nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG nur vorliegt, falls die Beschäftigungen grundsätzlich kalendermäßig aneinander anschließen. Unschädlich ist dabei jedenfalls ein dazwischenliegender Sonntag, gesetzlicher Feiertag oder betriebsüblich arbeitsfreier Sonnabend (Samstag). Daß der Arbeitnehmer eine Lücke zwischen den Beschäftigungen nicht verschuldet hat, hindert die Unterbrechung in aller Regel nicht. Im Urteil vom 29. Januar 1957 (vgl. BSG. 4 S. 257) hat der Senat entschieden, daß auch unverschuldete Krankheit zwischen zwei versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen eine Unterbrechung ist. In seinem Urteil vom 19. Juli 1957 (vgl. SozR. zu AVAVG § 99 Bl. Ba 2 Nr. 6) hat der Senat ferner festgestellt, daß ein außergewöhnlicher Härtefall, der gegebenenfalls trotz Unterbrechung der versicherungspflichtigen Beschäftigung zu einer Erhöhung der Bezugsdauer nach § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG führen könnte, regelmäßig nicht anzunehmen ist, wenn der Arbeitslose nur versicherungspflichtige Beschäftigungen in der sowjetischen Zone nachweisen kann und nach West-Berlin auf Grund ordnungsmäßig erteilter Zuzugsgenehmigung übergesiedelt ist.
Die Auffassung der Klägerin, daß der gesetzlichen Vorschrift auch genügt sei, wenn vor der Arbeitslosmeldung schlechthin eine über 104 Wochen hinausgehende ununterbrochene Beschäftigung vorliege, findet im Gesetzeswortlaut keine Stütze. Dieser enthält vielmehr die Voraussetzung und Bedingung, daß die ununterbrochene Beschäftigung vor der Arbeitslosmeldung liegt. Ein Beschäftigungsverhältnis, das früher einmal abgeleistet wurde, ist also insoweit nicht berücksichtigungsfähig und verwertbar. Ein solches kann dagegen beachtlich sein, soweit es sich um die Erfüllung der Anwartschaft handelt.
Wenn der Gesetzestext lautet: "Bei Arbeitslosen ... beträgt nach ununterbrochener versicherungspflichtiger Beschäftigung von ... Wochen vor der Arbeitslosmeldung die Unterstützungsdauer ...", so ist kein Zweifel gerechtfertigt, daß es sich tatsächlich nur um die der Arbeitslosmeldung vorausgegangene letzte versicherungspflichtige Beschäftigung handeln kann. Die Ausdrucksweise des Gesetzes ist insoweit klar und keiner Auslegung bedürftig.
VII Das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin in der sowjetischen Besatzungszone, das - für sich berechnet - ihren Angaben nach ohne Unterbrechung verlaufen ist und 104 Wochen überschritten hat, ist mit dem 31. Oktober 1951 abgeschlossen gewesen. Das neue Beschäftigungsverhältnis in West-Berlin begann am 15. November 1951. Dazwischen liegen 14 Tage ohne Beschäftigungsnachweis. Daß hierbei objektiv eine Unterbrechung besteht, kann nicht zweifelhaft sein. Demzufolge ist für die Bemessung der Unterstützungsdauer von der Arbeitsverwaltung ohne Rechtsirrtum allein jene Zeit ununterbrochener versicherungspflichtiger Beschäftigung zugrunde gelegt worden, die unmittelbar vor der Arbeitslosmeldung der Klägerin lag.
Die Voraussetzungen für die Gewährung der Alu auf 52 Wochen sind nicht erfüllt, weil zwischen den beiden Beschäftigungen der Klägerin tatsächlich eine vierzehntägige Unterbrechung gelegen hat.
Ein Gewohnheitsrecht, daß bei Arbeitnehmern vorgängige Beschäftigungsverhältnisse in der Sowjetzone, bei denen dort Beiträge zur Versicherung entrichtet worden waren, für den erweiterten Alu-Anspruch im Geltungsbereich des AVAVG allgemein berücksichtigt und angerechnet werden, hat sich nicht gebildet, wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 30. Oktober 1956 (vgl. SozR. zu AVAVG § 95 Bl. Ba 4 Nr. 2) ausgeführt hat.
Auf den Dienstblatterlaß des Präsidenten der beklagten Bundesanstalt 33/54.4 vom 20. Januar 1954 braucht in diesem Zusammenhang nicht näher eingegangen zu werden, weil er lediglich eine innerdienstliche Empfehlung an die nachgeordneten Dienststellen darstellt und weder objektiv verbindliche Rechtsnormen mit Außenwirkung schaffen noch subjektiv Rechtsansprüche Dritter eröffnen kann. Ebensowenig war näher zu erörtern, ob ein Anspruch der Klägerin auf die weitere Bezugsdauer dann entstanden wäre, wenn sie als Vertriebene oder als Sowjetzonenflüchtling in den Geltungsbereich des AVAVG gelangt wäre. Der Senat hat zu dieser Rechtslage in seinen beiden Urteilen vom 30. Oktober 1956 (vgl. SozR. zu AVAVG § 95 Bl. Ba 2 Nrn. 1 und 2) im einzelnen Stellung genommen. Die Klägerin fällt aber nicht unter den Personenkreis des Gesetzes über Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 19. Mai 1953 (BGBl. I S. 201); sie ist nach Erteilung der vorgeschriebenen Zuzugsgenehmigung ordnungsgemäß nach West-Berlin übergesiedelt.
VIII Jedoch war abschließend noch zu prüfen, ob in vorliegender Sache etwa eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß Nichtverschulden die Unterbrechung von Beschäftigungen nicht hindert, geboten ist. Der Senat hat in seinem Urteil vom 30. August 1955 (BSG. 1 S. 126 ff. (133)) gewisse Ausnahmen nicht für völlig ausgeschlossen erachtet, indessen zugleich deutlich gemacht, daß es sich dabei nur um Fälle handeln kann, die so geartet sind, daß bei wörtlicher Auslegung der Sinn des § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG in sein Gegenteil verkehrt wird und die Annahme einer Unterbrechung zu einer außer gewöhnlichen Härte führt.
In vorliegendem Falle sind aber die Voraussetzungen für eine derartige Ausnahme nicht gegeben. Nach dem vom erkennenden Senat im Urteil vom 19. Juli 1957 aufgestellten Grundsatz ist ein "außergewöhnlicher" Härtefall nicht anzunehmen, wenn der Arbeitslose - wie die Klägerin in ihrem Beschäftigungsabschnitt vor der Unterbrechung - die Beschäftigungen allein in der Sowjetzone abgeleistet und für diese Zeit Beiträge nur zur Sozialversicherungskasse in der Sowjetzone nach § 21 der Verordnung über die Sozialpflichtversicherung vom 28. Januar 1947 (Arbeits- und Sozialfürsorge 1947 S. 92) gezahlt hat. Die Regelung des § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG hatte nämlich gerade den Sinn, diejenigen zu belohnen, die langfristig Beiträge zu ihrer Versicherungsgemeinschaft gezahlt haben (vgl. BSG. 1 S. 133). Überdies war zu beachten, daß die Klägerin aus dem alten Beschäftigungsverhältnis in einem Familienbetrieb in der Sowjetzone zur neuen Beschäftigung in einen Familienbetrieb nach West-Berlin hinübergewechselt war. Da der Arbeitgeber in beiden Fällen zu ihrer nächsten Verwandtschaft gehörte, befand sie sich im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern in einer verhältnismäßig günstigen Lage. Besondere Umstände oder Schwierigkeiten, die über das Maß dessen hinausreichen, was 1951 jedem Deutschen bei solchem Zonenwechsel auferlegt war, hat die Klägerin nicht dargetan; sie sind auch sonst nicht erweislich. Demzufolge ist ein außergewöhnlicher Härtefall hier nicht anzuerkennen.
IX Nach alledem entbehrt der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Alu auf die Dauer von 52 Wochen der Rechtsgrundlage zur Zeit der Geltung des § 99 AVAVG a.F.; auf die Novelle hierzu (jetzt § 87 n.F.) und auf etwaige Folgerungen daraus brauchte nicht eingegangen zu werden, da das AVAVG in der Fassung vom 3. April 1957 (BGBl. I S. 322) für den vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.
Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin entspricht der Rechtslage während der Geltung des § 99 Abs. 1 Satz 3 AVAVG (a.F.).
Die Revision mußte daher zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).
X Im erklärten Einverständnis beider Beteiligten ergeht dieses Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG, die über die Gebühr für die Berufstätigkeit des Prozeßbevollmächtigten folgt aus § 196 SGG.
Fundstellen