Leitsatz (amtlich)
1. Zum Begriff "Dienst in der Organisation Todt für Zwecke der Wehrmacht".
2. Die in den Verwaltungsvorschriften zu BVG § 3 Abs 1 Buchst m aufgeführten Beispiele erfassen nicht alle denkbaren Fälle eines Dienstes in der Organisation Todt für Zwecke der Wehrmacht.
Normenkette
BVG § 3 Abs. 1 Buchst. m Fassung: 1950-12-20; BVGVwV § 3 Nr. 8
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Mai 1956 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin war als Kurier bei der Bauunternehmung W... & G..., Baustelle Zuflucht-Roßbühl bei Freudenstadt im Schwarzwald, beschäftigt. Am 28. September 1940 verunglückte er tödlich auf einer Kurierfahrt zwischen verschiedenen Baustellen der Firma auf der Schwarzwaldhochstraße. Nach einem Schreiben seiner Arbeitgeberin vom 10. Oktober 1952 an das Oberversicherungsamt (OVA.) war er als Angehöriger der Firma zur Organisation Todt (OT.) Oberbauleitung Freudenstadt, Wehrmachtspionierstab Offenburg, verpflichtet gewesen. Der Generalinspektor für das deutsche Straßenwesen bezeichnete den Verstorbenen gegenüber dem Versorgungsamt (VersorgA.) als Angehörigen der OT. Das VersorgA. Heidelberg gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 21. August 1941 Hinterbliebenenversorgung nach der Personenschädenverordnung (PSchVO.) vom 10. November 1940 in Verbindung mit dem Wehrmachtsfürsorge- und Versorgungsgesetz (WFVG). Außerdem erhielt die Klägerin von der Tiefbau-Berufsgenossenschaft Hinterbliebenenrente aus der Reichsunfallversicherung. Auf den Versorgungsantrag der Klägerin vom 19. September 1951 lehnte das VersorgA. mit Bescheid vom 7. Mai 1952 Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ab, da der Ehemann als Firmenpersonal der OT. innerhalb der Reichsgrenzen eingesetzt gewesen sei.
Das Sozialgericht (SG.) Mannheim hat mit Urteil vom 29. Juli 1954 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG.) Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 15. Mai 1956 den Beklagten verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG zu gewähren. Es hat ausgeführt, die Rechtskraftwirkung des § 85 BVG erstrecke sich auch auf die Zugehörigkeit zu dem geschützten Personenkreis. Der nach dem BVG versorgungsberechtigte Personenkreis sei mit dem Personenkreis, der zur Zeit der Bescheiderteilung versorgungsberechtigt gewesen war, identisch. Der Runderlaß des Reichsministers des Innern (RMdI.) vom 21. August 1940 (RMBl. i.V. S. 1702) führe als versorgungsberechtigte Personen die Arbeitskräfte des Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen, die den Ausbau der Befestigungsanlagen des Westwalls durchführten (OT.), auf. Jeder Körperschaden, den die genannten Personen, sofern sie für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt waren, infolge ihres Beschäftigungsverhältnisses im Kampfgebiet erlitten hätten, habe als Personenschaden im Sinn der PSchVO gegolten. Im Runderlaß vom 24. Dezember 1940 (RMBl. i.V. 1941 S. 23) seien die Worte "im Kampfgebiet" gestrichen worden. Mit Runderlaß vom 21. August 1941 (RMBl. i.V. S. 1533) sei der versorgungsberechtigte Personenkreis wieder eingeschränkt worden; die Angehörigen der OT. seien nunmehr nur noch dann versorgungsberechtigt gewesen, wenn sie für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt waren und ihre Tätigkeit dem Einsatz der Kampftruppe unmittelbar diente. Dieser Runderlaß habe dem Bescheid vom 21. August 1941 aber noch nicht zugrunde gelegen, weil das entsprechende Verkündungsblatt erst am 27. August 1941 ausgegeben wurde. Dieselbe Rechtslage bestehe nach § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG. Wenn im Bescheid vom 21. August 1941 ein Einsatz für Zwecke der Wehrmacht bejaht wurde, sei dies nach § 85 BVG rechtsverbindlich. Die Frage, ob der Dienst für Zwecke der Wehrmacht geleistet worden sei, unterliege nicht der erneuten Nachprüfung. Revision wurde zugelassen.
Gegen das Urteil hat der Beklagte Revision eingelegt und beantragt, das Urteil des LSG. Baden-Württemberg vom 15. Mai 1956 aufzuheben und das Urteil des SG. Mannheim vom 29. Juli 1954 wieder herzustellen.
Er rügt Verletzung der § 85 und 3 Abs. 1 Buchst. m BVG. § 85 BVG erstrecke die Rechtskraftbindung lediglich auf den Kausalzusammenhang. damit sei nur der Zusammenhang zwischen schädigendem Ereignis und Körperschaden gemeint, nicht auch der zwischen Dienstleistung und schädigendem Ereignis. Der Dienst des Ehemannes sei kein militärähnlicher Dienst im Sinn des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG gewesen, weil die Tätigkeit des Ehemannes nicht die in der Verwaltungsvorschrift (VV.) zu § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG geforderten Voraussetzungen erfülle. Die VV. widersprächen nicht dem Gesetz. Nach § 1 BVG sei Versorgung davon abhängig, daß die Gesundheitsstörung durch Ausübung militärischen oder militärähnlichen Dienstes entstanden sei. Hieraus sei zu folgern, daß unter den in § 3 BVG erläuterten militärähnlichen Dienstverrichtungen nur solche verstanden werden könnten, die mit den gleichen oder ähnlichen Gefahren verbunden seien, wie der Militärdienst. Hieran fehle es bei dem Einsatz als Arbeitskraft während des Baues des Westwalls. Hierfür genüge der Schutz der Reichsversicherungsordnung. Ein weiterer Gesichtspunkt ergebe sich aus dem Ausschluß der Doppelversorgung durch § 65 BVG. Der Begriff "Zwecke der Wehrmacht" sei als Sondervorschrift eng auszulegen. Eine weite Auslegung sei untragbar. Ein Dienst für Zwecke der Wehrmacht könne nur ein Dienst sein, der dem Einsatz der kämpfenden Truppe unmittelbar diene. Es bestehe kein Bedürfnis, den Angehörigen der einzelnen Baufirmen einen über die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Invalidenversicherung hinausgehenden Schutz zu gewähren.
Die Klägerin hat beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt worden.
Das Urteil des LSG. wurde dem Beklagten am 22. Juni 1956 gemäß § 63 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), § 5 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) zugestellt. Die Revisionsschrift ist beim Bundessozialgericht (BSG.) am Montag, dem 23. Juli 1956 eingegangen. Die Revisionsfrist ist somit gewahrt (§ 64 Abs. 3, § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG). Die Revision ist auch form- und fristgerecht begründet worden. Sie ist infolge Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG). Sie ist sachlich begründet.
Wie das BSG. bereits entschieden hat, ist eine nach bisherigen versorgungsrechtlichen Vorschriften ergangene Entscheidung nach § 85 Satz 1 BVG nicht rechtsverbindlich für die Frage, ob der Beschädigte zu dem nach dem BVG versorgungsberechtigten Personenkreis gehört. Die Bindung nach § 85 Satz 1 BVG ergreift nur die Beurteilung, ob eine Gesundheitsstörung mit einer Schädigung ursächlich zusammenhängt (BSG. 4 S. 21 und Urteil des erkennenden Senats vom 15.3.1957 - 9 RV 156/54). Das Gleiche muß für die Hinterbliebenenversorgung gelten, denn § 85 Satz 1 BVG macht keinen Unterschied zwischen Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung. Diese Vorschrift erfaßt hier nur die frühere Entscheidung, daß der Tod des Ehemanns mit dem Kraftradunfall ursächlich zusammenhängt. Ob dagegen seine Tätigkeit im Rahmen der OT. bei dem Bauunternehmen W... & G... militärähnlichen Dienst darstellte, ist unabhängig von früheren Entscheidungen allein nach § 3 BVG zu prüfen. Das LSG. hat die Bedeutung des § 85 Satz 1 BVG verkannt. Es hat von seiner Auslegung des § 85 Satz 1 BVG ausgehend nicht geprüft, ob der Ehemann Dienst für Zwecke der Wehrmacht im Sinn des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG geleistet hat, sondern lediglich auf Grund der angenommenen Bindung nach § 85 Satz 1 BVG einen Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung nach dem BVG bejaht. Diese Entscheidung beruht somit auf der unrichtigen Anwendung des § 85 BVG (§ 162 Abs. 2 SGG) Das Urteil war daher aufzuheben.
Der Senat konnte nicht selbst entscheiden, ob der Ehemann militärähnlichen Dienst nach § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG geleistet hat, weil das LSG. die zu dieser Beurteilung notwendigen Feststellungen tatsächlicher Art nicht getroffen hat. Das Urteil führt zwar aus, was die Beteiligten über die Art und Umstände der Tätigkeit des Ehemannes ausgesagt haben und welche Ermittlungen das LSG. selbst hierzu angestellt hat. Es ist aber nicht nach § 128 SGG festgestellt, welchen rechtserheblichen Sachverhalt das LSG. insoweit als gegeben ansieht. Die Sache war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Um einen Dienst des Ehemannes für Zwecke der Wehrmacht im Sinn des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG zu bejahen, genügt es nicht, daß mit Bescheid vom 21. August 1941 ein Einsatz für Zwecke der Wehrmacht nach dem Runderlaß vom 21. August 1940 i.d.F. vom 24. Dezember 1940 bejaht wurde. Die gegenteilige Ansicht des LSG beruht auf seiner rechtsirrigen Auslegung des § 85 Satz 1 BVG.
Bei der Auslegung des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG empfiehlt der Senat zu bedenken, daß die Worte "Dienst in der OT. für Zwecke der Wehrmacht" eine Einschränkung des Personenkreises der OT.-Angehörigen schlechthin bedeuten. Der Oberbegriff des § 3 BVG ist "militärähnlicher Dienst". Zwischen den in § 3 BVG aufgeführten Fällen und einem militärischem Dienst müssen daher gewisse Ähnlichkeiten bestehen. Diese können mehr durch die Art der Heranziehung und die Organisationsform (§ 3 Abs. 1 Buchst. a, b, i, k, o BVG) oder mehr durch die jeweilige Tätigkeit als solche gegeben sein (§ 3 Abs. 1 Buchst. c, d, e, f, g, h, l, m, n BVG und der Ausnahmefall des Abs. 2 a.a.O.). Es kann dabei demnach nicht allein auf das Produkt der Tätigkeit abgestellt werden. Der Begriff "für Zwecke der Wehrmacht" kann andererseits auch nicht mit Begriffen wie "für Zwecke der Aufrüstung, Kriegführung, Reichsverteidigung" u.ä. gleichgesetzt werden. Bei der totalen Kriegführung war der überwiegende Teil aller Zivilpersonen letzten Endes für Zwecke der Kriegführung im weiteren Sinne beschäftigt. Für diese Personen genügte der Schutz durch die Reichsunfallversicherung. "Für Zwecke dar Wehrmacht" kann daher nicht in dem Sinn ausgelegt werden, daß der Dienst in der OT. in jedem Falle und schlechthin als Versorgungsgrund ausreichen würde. Die OT. war an sich schon eine Einrichtung, die im Zuge der allgemeinen Aufrüstung und Kriegführung geschaffen wurde. Sie diente der Durchführung kriegsentscheidender Bauvorhaben aller Art. Ihr Chef war der Reichsminister für Bewaffnung und Munition (vgl. Erl. über die OT. vom 2.9.1943 - RGBl. I S. 530). Die OT. war daher insgesamt schon für Zwecke der Kriegführung bestimmt (vgl. auch Bundesarchiv, Zentralnachweisstelle: Die Sondereinheiten in der früheren Deutschen Wehrmacht, S. 78). Hätte das Gesetz alle OT.-Angehörigen ohne Unterschied der Tätigkeit - wie etwa die Angehörigen des Reichsarbeitsdienstes in § 3 Abs. 1 Buchst. i BVG - in den Versorgungsschutz einbeziehen wollen, so wäre der Zusatz "für Zwecke der Wehrmacht" ohne Sinn. Auch die historische Entwicklung der Versorgung der OT.-Angehörigen nach der PSchVO, wie sie in den Runderlassen des RMdI. vom 21. August 1940, 24. Dezember 1940 und 21. August 1941 zum Ausdruck kommt, spricht für die Auslegung des § 3 Abs. 1 Buchst. m BVG.
Die Entscheidung, ob der Dienst für Zwecke der Wehrmacht geleistet wurde, hängt aber davon ab, ob der Betrieb bezw. die Arbeitseinheit, dem der OT.-Angehörige zugeteilt war, für Zwecke der Wehrmacht eingesetzt war, und ob der OT.-Angehörige selbst im Zeitpunkt der Schädigung im Rahmen eines solchen Einsatzes tätig war. Der Einsatz muß in jedem Fall überwiegend militärischen Zielen gedient haben.
Das LSG. wird sich ferner auch mit der VV. Nr. 9 zu § 3 BVG auseinanderzusetzen haben, weil der Beklagte Versorgung insbesondere im Hinblick auf diese VV. abgelehnt hat. Die VV. Nr. 9 zu § 3 BVG geht auf einen Runderlaß des Chefs des OKW vom 11. Juni 1943 zurück; darin war erläutert, auf welche Arbeitskräfte der OT. sich der Runderlaß vom 21. August 1941 beziehen sollte. Die VV. erfaßt den Begriff "Einsatz für Zwecke der Wehrmacht" (innerhalb der Reichsgrenzen) im wesentlichen nur von der Organisationsseite her. Unter diesem Gesichtspunkt zählt sie, von rein äußeren Merkmalen ausgehend, die Hauptanwendungsfälle auf, bei deren Vorliegen ein Einsatz für Zwecke der Wehrmacht ohne weitere Prüfung angenommen werden kann. Damit erschöpft sich aber der Begriff "Einsatz für Zwecke der Wehrmacht" nicht. Es sind durchaus Fälle denkbar, in denen trotz Fehlens der äußeren Organisationsmerkmale wie Kasernierung, Uniformierung usw., ein Einsatz des OT.-Angehörigen für Wehrmachtzwecke etwa nach der Art seiner Tätigkeit auch innerhalb der Reichsgrenzen bejaht werden muß. Diese Auslegung folgt einerseits aus den einleitenden Worten der VV. "hierunter fallen", die besagen, daß die VV. den erfaßten Personenkreis nicht erschöpfend aufzählen will, andererseits daraus, daß eine Beschränkung des Begriffs "Einsatz für Zwecke der Wehrmacht" allein auf die in der VV. aufgeführten Fälle eine unzulässige Einengung des Gesetzes, das diese Einschränkung nicht enthält, bedeuten würde.
Von diesen Grundsätzen ausgehend wird das LSG. zunächst zu prüfen haben, ob bei dem Ehemann der Klägerin einer der in der VV. genannten Einsatzfälle gegeben war. Verneint es diese Frage, so wird weiter zu prüfen sein, ob trotzdem hier wegen der Art und der Umstände der Tätigkeit der Einsatz des Verstorbenen zur Zeit des tödlichen Unfalls ein solcher für "Zwecke der Wehrmacht" gewesen ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
Fundstellen