Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage, ob ein eheliches Kind im Sinne des RVO § 205 unterhaltsberechtigt ist, beurteilt sich auch nach der Umgestaltung des Unterhaltsrechts durch den Gleichberechtigungssatz (GG Art 3 Abs 2 iVM GG 117 Abs 1) grundsätzlich nach bürgerlichem Recht (BGB §§ 1601 ff). Danach ist ein Kind gegenüber seiner Mutter jedenfalls dann unterhaltsberechtigt, wenn diese Einkünfte hat und verpflichtet ist, damit zum angemessenen Unterhalt der Familie beizutragen (BGB § 1606 Abs 3 iVm § 1360).
2. Der Unterhaltsanspruch des ehelichen Kindes gegen einen Elternteil ist kein gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege, der den Anspruch des anderen Elternteils auf Familienhilfe nach RVO § 205 ausschließt.
3. Die Zustellung durch Übergabe eines Schriftstücks in Ausfertigung (VwZG § 2 Abs 1) ist nicht rechtswirksam, wenn der Ausfertigungsvermerk auf dem übergebenen Schriftstück nicht unterschrieben ist.
Leitsatz (redaktionell)
Die Zulassung der Berufung braucht nicht im Urteilstenor ausgesprochen zu werden, es genügt, wenn die Zulassung in den Gründen zum Ausdruck kommt.
Normenkette
RVO § 205 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1930-07-26; BGB § 1606 Abs. 3 Fassung: 1896-08-18; GG Art. 3 Abs. 2 Fassung: 1949-05-23; SGG § 63 Fassung: 1953-09-03; GG Art. 117 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23; BGB § 1360 Fassung: 1896-08-18, § 1601 Fassung: 1896-08-18, § 1602 Fassung: 1896-08-18, § 1603 Fassung: 1896-08-18; VwZG § 2 Abs. 1
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 31. März 1955 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin ist seit dem 25. Januar 1954 versicherungspflichtig beschäftigt und bei der beklagten Innungskrankenkasse versichert. Ihr Ehemann ist Polizeioberwachtmeister. Am 23. April 1954 wurde sie von einem Knaben entbunden, der sogleich nach der Geburt der stationären Krankenhausbehandlung bedurfte. Die Kosten der Behandlung für die Zeit vom 23. bis 29. April 1954 betrugen 81,60 DM.
Die beklagte Krankenkasse lehnte mit Bescheid vom 6. Mai 1954 die Kostenübernahme mit der Begründung ab, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Familienhilfe nach § 205 der Reichsversicherungsordnung (RVO), weil das Kind ihr gegenüber nicht unterhaltsberechtigt sei. Ihr Ehemann verfüge über ein ausreichendes Einkommen und sei daher in erster Linie dem Kinde gegenüber unterhaltspflichtig; nur wenn er zur Unterhaltsleistung außerstande wäre, könnte das Kind von seiner Mutter Unterhalt beanspruchen.
Der Widerspruch der Klägerin hatte keinen Erfolg (Bescheid vom 12. Juni 1954). Mit der Klage beim Sozialgericht (SG.) Braunschweig beantragte die Klägerin,
den Ablehnungsbescheid und den Widerspruchsbescheid der beklagten Krankenkasse aufzuheben und die Beklagte zur Gewährung der Familienhilfe für das Kind Axel in gesetzlicher Höhe und Dauer zu verurteilen.
Das SG. gab der Klage statt (Urteil vom 9. November 1954). Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts (LSG.) vom 31. März 1955). Das LSG. ist der Auffassung, das Kind A sei der Klägerin gegenüber unterhaltsberechtigt im Sinne des § 205 RVO. Wer unterhaltsberechtigt sei, bestimme sich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts. Das Unterhaltsrecht des BGB sei mit Ablauf des 31. März 1953 durch den Gleichberechtigungssatz (Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) in Verbindung mit Art. 117 Abs. 1 GG) umgestaltet worden. Demnach sei an die Stelle der "gestaffelten Haftung" - erst Vater, dann Mutter - die gleichrangig-gesamtschuldnerische Haftung der Elternteile getreten. Die Klägerin sei auf jeden Fall ihrem Kinde A gegenüber verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und des Kindes Unterhalt gleichmäßig zu verwenden. Die Klägerin habe daher für ihr unterhaltsberechtigtes Kind Anspruch auf Familienhilfe.
Das Urteil des LSG. ist der beklagten Krankenkasse am 1. Juli 1955 zugestellt worden. In dem Ausfertigungsvermerk der bei der Zustellung übersandten Ausfertigung des Urteils vom 31. März 1955 fehlt die Unterschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle.
Gegen dieses Urteil, das die Revision zugelassen hat, legte die Beklagte am 15. Juli 1955 Revision beim Bundessozialgericht (BSG.) ein. Die Revisionsschrift enthält die Erklärung: "Antrag und Begründung bleiben vorbehalten". Innerhalb der bis zum 1. Oktober 1955 verlängerten Revisionsbegründungsfrist stellte die beklagte Krankenkasse am 14. September 1955 den Antrag,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Rechtsmittelfrist sei durch die Zustellung am 1. Juli 1955 nicht in Lauf gesetzt worden, so daß der erst am 14. September 1955 gestellte "bestimmte Antrag" auf jeden Fall rechtzeitig eingegangen sei. Die Zustellung sei fehlerhaft gewesen, da der Ausfertigungsvermerk in der übersandten Ausfertigung des Urteils des LSG. nicht unterschrieben worden sei.
In der Sache selbst rügt die Beklagte Verletzung des § 205 RVO, des Art. 3 Abs. 2 GG und des § 1606 BGB. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Familienhilfe für das Kind A: anläßlich seiner Krankenhausbehandlung gehabt, weil die Vorversicherungszeit von drei Monaten nach § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO nicht erfüllt gewesen sei. Auch sei es unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben und eines Verstoßes gegen die guten Sitten bedenklich, daß die Klägerin, wie es den Anschein habe, ein versicherungspflichtiges Arbeitsverhältnis wenige Monate vor ihrer Entbindung eingegangen sei, um in den Genuß öffentlicher Mittel, insbesondere nach dem Mutterschutzgesetz, zu gelangen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Revision zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, daß die Revision mangels rechtzeitiger Stellung des "bestimmten Antrags" unzulässig sei. In der Sache selbst tritt die Klägerin der Rechtsauffassung des angefochtenen und des erstinstanzlichen Urteils bei.
II.
Die Revision ist zulässig.
1. Die beklagte Krankenkasse hätte den "bestimmten Antrag" (§ 164 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) erst nach Ablauf der in § 164 Abs. 1 Satz 1 SGG bestimmten Frist gestellt, wenn die Zustellung des angefochtenen Urteils an die Beklagte am 1. Juli 1955 als rechtswirksam anzusehen wäre. Zugestellt wurde nach § 63 Abs. 2 SGG in Verbindung mit § 5 Abs. 2 Verwaltungszustellungsgesetz - VwZG - (vereinfachte Zustellung durch die Behörde an eine Körperschaft gegen Empfangsbekenntnis). Die Zustellung bestand in der Übergabe des vollständigen Urteils des LSG. "in ... Ausfertigung", wie es § 2 Abs. 1 Satz 1 VwZG zuläßt. Die der Beklagten übermittelte Ausfertigung ist eine Abschrift des Urteils, dessen Ausfertigungsvermerk nicht unterschrieben ist. Die Übereinstimmung der Abschrift mit der Urschrift ist somit von niemand bezeugt. Dieser Mangel ist keine nebensächliche Unrichtigkeit, die die Wirksamkeit der Zustellung nicht berühren würde; denn erst dieser Ausfertigungsvermerk verleiht der Ausfertigung die Eigenschaft einer öffentlichen Urkunde und bezeugt die Übereinstimmung der Ausfertigung mit der Urschrift des Urteils, wie das Reichsgericht (RG.) zutreffend feststellt (RGZ. 159 S. 25 (27)). Auch ein Schriftstück wie die der Beklagten übergebene Ausfertigung, das seinem äußeren Anschein sowie den Begleitumständen nach sich offenkundig als eine von Amts wegen erstellte Urteilswiedergabe darstellt, läßt den Zweifel bestehen, wie weit diese Abschrift der Urschrift entspricht. Nicht selten bedürfen solche für den Gerichtsbedarf mechanisch hergestellten Abzüge handschriftlicher Berichtigungen, wie es auch im vorliegenden Fall - das Geburtsdatum des Kindes A war statt mit "1954" mit "1953" angegeben worden - notwendig war. Erst die Unterschrift des Urkundsbeamten im Ausfertigungsvermerk gibt die Gewähr, daß die Ausfertigung der Urschrift entspricht. Das angefochtene Urteil ist somit der Beklagten nicht wirksam zugestellt worden. Eine Heilung des Zustellungsmangels nach § 9 Abs. 1 VwZG ist ausgeschlossen, da mit der Zustellung eine Revisionsfrist beginnen sollte (§ 9 Abs. 2 VwZG). Demnach hatte die Revisionsfrist im vorliegenden Streitfall noch nicht zu laufen begonnen, als die Beklagte den "bestimmten Antrag" stellte. Ihr Revisionsantrag ist somit rechtzeitig gestellt.
2. Zu Unrecht bezweifelt die Klägerin die Zulässigkeit der Berufung. Strittig ist die Übernahme von Kosten für einen Krankenhausaufenthalt von einer Woche. Nach der Rechtsprechung des Senats handelt es sich dabei um einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen (BSG. 2, 135 (137 ff.) und 4, 206 (208 f.)). Die Berufung ist somit nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG grundsätzlich ausgeschlossen.
Dessen ungeachtet ist sie jedoch im vorliegenden Fall statthaft, weil das SG. sie zugelassen hat (§ 150 Nr. 1 SGG). Das SG. hat den Zulassungsausspruch zwar nicht in die Urteilsformel aufgenommen und auch nicht, wie aus dem Schweigen der Sitzungsniederschrift hierüber zu schließen ist, bei der Mitteilung des wesentlichen Inhalts der Entscheidungsgründe verkündet. Die Zulassung der Berufung ist jedoch in den Gründen des Urteils mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen. Das genügt dem gesetzlichen Erfordernis, daß die Zulassung "im Urteil" (§ 150 Nr. 1 SGG) zu erfolgen hat (Urteil des BSG. vom 13.3.1956 in SozR. SGG § 150 Bl. Da 4 Nr. 11).
3. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Wenn die beklagte Krankenkasse sich gegenüber dem Klageanspruch darauf beruft, die Klägerin habe im Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles noch nicht die erforderliche Vorversicherungszeit von drei Monaten erfüllt, so übersieht sie, daß § 205 RVO inhaltlich durch den Abschnitt II Nr. 1 des Erlasses des Reichsarbeitsministers (RAM.) vom 2. November 1943 (AN. S. II 485) geändert worden ist. Hiernach braucht der Versicherte nicht mehr eine Wartezeit zu erfüllen, um die Leistungen der Familienhilfe nach § 205 RVO zu erhalten.
Ebensowenig greift die Rüge der Beklagten durch, der Anspruch der Klägerin müsse nach den Grundsätzen von Treu und Glauben als unberechtigt angesehen werden, weil sie erst im vierten Monat ihrer Schwangerschaft - offenbar im Hinblick auf die im Falle von Geburt und Mutterschaft zu erwartenden hohen Leistungen der öffentlichen Hand - eine entgeltliche Beschäftigung aufgenommen habe. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Vermutung der Beklagten über die Beweggründe der Klägerin zur erneuten Arbeitsaufnahme - die Klägerin ist nach ihrer Darstellung bereits früher bei demselben Arbeitgeber tätig gewesen - zutrifft. Die RVO stellt für das Bestehen eines Versicherungsverhältnisses allein darauf ab, daß die in Frage kommenden Personengruppen "gegen Entgelt beschäftigt werden" (§ 165 Abs. 2 RVO). Die Motive, aus denen heraus der Arbeitnehmer das entgeltliche Beschäftigungsverhältnis eingegangen ist, berühren weder den Bestand des Versicherungsverhältnisses noch die daraus sich ergebenden Leistungen. Der Sachverhalt wäre anders zu beurteilen, wenn das Arbeitsverhältnis nur zum Schein bestanden hätte; hierfür fehlt aber jeder Anhalt.
Dem Anspruch der Klägerin auf Familienhilfe kann auch nicht entgegengehalten werden, daß ihr Kind gegenüber seinem Vater unterhaltsberechtigt sei und deshalb "anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" habe (§ 205 Abs. 1 Satz 1 RVO). Zwar gehört Krankenpflege zum "gesamten Lebensbedarf", den der Unterhalt umfaßt (§ 1610 Abs. 2 BGB); im Anspruch auf Unterhalt ist demnach derjenige auf Deckung des besonderen durch den Krankheitsfall ausgelösten Bedarfs enthalten. Indessen versteht § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO, wie die Vorgeschichte der jetzigen Fassung dieser Vorschrift erkennen läßt (vgl. dazu Bescheid des RAM. vom 4.12.1940 in AN. 1941 S. II 11), unter dem "Anspruch auf Krankenpflege" nur einen Anspruch, der sich auf die Sachleistung der Krankenpflege als solche richtet, wenngleich sich die daraus ergebende Leistung nicht voll inhaltlich mit der Krankenpflege als Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung zu decken braucht. Nach § 205 Nr. 1 RVO in der ursprünglichen Fassung durfte die Satzung Krankenpflege nur für versicherungsfreie Familienmitglieder des Versicherten zubilligen. Bei der Neufassung durch das Gesetz vom 26. September 1919 (RGBl. S. 1757) wurde die Familienkrankenpflege auf solche Angehörige des Versicherten beschränkt, die "darauf nicht anderweit nach diesem Gesetz Anspruch haben". Nach der Fassung der Notverordnung des Reichspräsidenten zur Behebung finanzieller, wirtschaftlicher und sozialer Notstände vom 26. Juli 1930 (RGBl. I S. 311, 323) genügt jeder gesetzliche Anspruch (vgl. Kreil in "Wege zur Kassenpraxis", Heft 27 S. 46). Dieser "gesetzliche Anspruch" kann einmal auf der RVO selbst beruhen; er kann aber auch seine Grundlage außerhalb der RVO und sogar außerhalb der Sozialversicherung haben. So ist vom RVA. und dem RAM. als "gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege" im Sinne des § 205 RVO der Anspruch auf Heilfürsorge nach § 66 des Wehrmachtfürsorge- und -versorgungsgesetzes vom 26. August 1938 (RGBl. I S. 1077) in Verbindung mit der Personenschädenverordnung vom 1. September 1939 (RGBl. I S. 1623) anerkannt worden (vgl. das oben zitierte Schreiben des RAM.). Anderseits ist der Anspruch des Arbeitnehmers auf Fortzahlung des Gehalts im Krankheitsfalle nicht als Anspruch auf Krankenpflege im Sinne des § 205 RVO angesehen worden, weil der Anspruch auf die umfassende Barleistung mit dem in § 205 RVO allein gemeinten Anspruch auf die Sachleistung der Krankenpflege nicht wesensgleich sei (Grunds. Entsch. des RVA. Nr. 5504 in AN. 1943 S. II 59). Diese auch heute noch zutreffende Erwägung führt dazu, auch den bürgerlich-rechtlichen allgemeinen Unterhaltsanspruch des Familienangehörigen nicht als einen "gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege" im Sinne des § 205 RVO anzusehen. Hinzu kommt, daß diese Vorschrift bei einer Gleichsetzung der Begriffe "Unterhaltsberechtigung" und "gesetzlicher Anspruch auf Krankenpflege" in sich widerspruchsvoll sein würde: Wären beide Elternteile versichert und ihrem Kinde gegenüber unterhaltspflichtig, so hätte weder der Vater noch die Mutter Anspruch auf Familienhilfe für das Kind, da jedem Anspruch entgegenstünde, daß das Kind auch dem anderen Elternteil gegenüber unterhaltsberechtigt wäre. Das Kind A hat somit nicht anderweit einen gesetzlichen Anspruch auf Krankenpflege im Sinne des § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO.
Demnach hängt die Entscheidung des Rechtsstreits letztlich davon ab, ob das Kind A gegenüber der Klägerin "unterhaltsberechtigt" ist. Nach der Rechtsprechung des Senats ist der in § 205 RVO verwendete Begriff der Unterhaltsberechtigung dem bürgerlichen Recht entnommen und nach dessen Vorschriften - auch nach der Umgestaltung des Unterhaltsrechts durch den Gleichberechtigungssatz (Art. 3 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 117 Abs. 1 GG) - zu bestimmen (BSG. 6 S. 197 (203) und 10 S. 28 (30 ff.)). Dabei können, wie in der letztgenannten Entscheidung zum Ausdruck gebracht ist, die unterhaltsrechtlichen Vorschriften des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. Juni 1957 - GleichberG - (BGBl. I S. 609) bereits für die Zeit vor seinem förmlichen Inkrafttreten - 1. Juli 1958 - als eine den Gleichberechtigungssatz voll verwirklichende Interpretation angesehen werden. Demnach haften die Eltern seit dem 1. April 1953 für die Erfüllung des Unterhaltsanspruchs des Kindes anteilig "nach ihren Erwerbs- und Vermögensverhältnissen" unter sinngemäßer Anwendung des § 1360 BGB n. F. (§ 1606 Abs. 3 BGB n. F.). Die bürgerlich-rechtliche Regelung der Haftung der Eltern ist, wie schon das RVA. (vgl. Grunds. Entsch. Nr. 4450 in AN. 1932 S. IV 419 (420 f.)) zutreffend hervorgehoben hat, bei Prüfung der Frage, ob ein Kind im Sinne des § 205 RVO "unterhaltsberechtigt" ist, mitzuberücksichtigen. Denn Unterhaltsberechtigung in diesem Sinne ist nicht schon damit gegeben, daß ein entsprechendes Verwandtschaftsverhältnis besteht. Vielmehr muß ein konkreter Unterhaltsanspruch nach § 1601 BGB gegeben sein, der zur Voraussetzung hat: Bedürftigkeit (§ 1602 in Verbindung mit § 1610 oder § 1611 BGB), Leistungsfähigkeit (§§ 1601, 1603 BGB) sowie "Haftung" (§ 1606 BGB).
Diese Voraussetzungen waren im Zeitpunkt des Versicherungsfalls im Verhältnis des Kindes A gegenüber der Klägerin erfüllt. Die Klägerin hatte zu der fraglichen Zeit Einkünfte; sie erhielt Wochengeld in Höhe des Durchschnittsverdienstes der letzten dreizehn Wochen (§ 13 Abs. 1 des Mutterschutzgesetzes vom 24.1.1952 (BGBl. I S. 69)). Ohne Rücksicht darauf, ob sie nach § 1360 Satz 2, 2. Halbs. BGB n. F. zu einer Erwerbstätigkeit verpflichtet war, hatte sie anteilig zum angemessenen Unterhalt der Familie beizutragen (vgl. BSG. 10 S. 28 (32)). Diese zunächst nur für das Innenverhältnis der Eltern geltende Regelung überträgt § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB n. F. auf das Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern (so ausdrücklich die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf (BT-Drucks. 2. Wp. Nr. 224)). Jedenfalls im Rahmen dieses geldlichen Beitrags war die Klägerin ihrem Kinde A gegenüber zur Unterhaltsleistung verpflichtet, deren Höhe sich nach § 1610 in Verbindung mit § 1603 BGB - notfalls Abs. 2 - richtete. Damit war das Kind A gegenüber der Klägerin auch "unterhaltsberechtigt" im Sinne des § 205 RVO.
Unerheblich ist dabei, ob der Unterhalt dem Anspruch gemäß geleistet worden ist und ob "überwiegender Unterhalt" gewährt wurde; denn der Anspruchsvoraussetzung in § 205 Abs. 1 Satz 1 RVO ist genügt, wenn Unterhaltsberechtigung überhaupt besteht (vgl. BSG. 6 S. 197 (203) und 10 S. 28 (30)). Ohne Bedeutung für die Frage der Unterhaltsberechtigung des Kindes ist auch, ob Unterhaltsberechtigung des anderen Ehegatten im Sinne von § 205 RVO besteht; denn die Unterhaltsberechtigung jedes Familienangehörigen, für den Familienhilfe begehrt wird, ist jeweils gesondert für sich zu prüfen.
Die beklagte Krankenkasse ist demnach verpflichtet, die Kosten des Krankenhausaufenthalts für das Kind A zu übernehmen. Die Revision der Beklagten ist somit als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
Haufe-Index 1982604 |
BSGE, 30 |
NJW 1960, 981 |