Leitsatz (amtlich)
RVO § 594 idF des UVNG vom 1963-04-30 findet keine Anwendung, wenn der Tod des Ehegatten vor dem 1963-07-01 (Inkrafttreten des UVNG) eingetreten ist.
Orientierungssatz
1. Wie im bürgerlichen Recht gilt auch im Sozialversicherungsrecht der Grundsatz, daß Tatbestände, die nach neuem Recht anspruchsbegründend sind, aber bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts abgeschlossen vorliegen, von der Rechtsänderung nicht betroffen werden, wenn nicht das neue Recht selbst ausdrücklich oder dem Sinn nach deutlich seinen Geltungsbereich auf diesen Sachverhalt erstreckt.
2. Zur Anwendung des RVO § 590 Abs 2 (Gewährung einer Rente unter besonderen Umständen).
Normenkette
RVO § 590 Abs. 2 Fassung: 1925-07-14, Abs. 1 Fassung: 1925-07-14, § 594 Fassung: 1963-04-30; UVNG Art. 4 § 2 Abs. 1
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 17. Oktober 1961 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Nach den nicht angefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichts bezog der im Jahre 1899 geborene, nach kinderloser Ehe im Jahre 1942 verwitwete Rentner Rudolf K von der Beklagten seit 1938 Entschädigung wegen Silikose, seit 1952 Vollrente wegen Siliko-Tuberkulose und seit Februar 1957 auch Pflegegeld. Während einer stationären Behandlung im Krankenhaus "Bergmannsheil" vom 4. Dezember 1956 - 22. Februar 1957 lernte er die dort seit 1952 als Hausgehilfin tätige, im Jahre 1906 geborene Klägerin kennen. Nach seiner Entlassung besuchte ihn die Klägerin während ihrer freien Zeit in seiner Behelfswohnung. Am 31. Oktober 1957 gab sie ihre Krankenhaustätigkeit auf. Die beiden heirateten am 8. November 1957 und bezogen eine 2 1/2-Zimmerneubauwohnung. Am 27. Oktober 1958 starb der Ehemann der Klägerin im Krankenhaus "B.". Die Beklagte erkannte zwar in einer betriebsinternen Verfügung vom 18. November 1958 den Tod des Versicherten als Folge der Staublungenerkrankung an, lehnte aber mit Bescheid vom 11. Dezember 1958 den Antrag der Klägerin auf Gewährung der Witwenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (UV) ab, weil die Ehe erst nach dem Unfall geschlossen und der Tod des Versicherten innerhalb des ersten Ehejahres eingetreten sei, besondere Umstände aber, die zur Gewährung der Rente gemäß § 590 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) berechtigen könnten, nicht vorlägen. Die Klägerin hätte bei dem schwerkranken Zustand des Versicherten auch nicht mit einer langen Dauer der Ehe rechnen können. Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen.
Mit der Klage vor dem Sozialgericht (SG) machte die Klägerin geltend, sie habe für ihren Mann in selbstloser Weise gesorgt und die Ansteckungsgefahr auf sich genommen; sie habe ihn nur aus Liebe geheiratet. Den Entschluß, zu heiraten, hätten sie beide schon im März 1957 gefaßt, aber erst im November 1957 verwirklichen können, weil sie vorher keine Wohnung gehabt hätten.
Das SG hat - entsprechend dem Antrag der Klägerin- die Bescheide vom 11. Dezember 1958 und 8. Januar 1959 aufgehoben. Es sieht als besondere, die Rentengewährung rechtfertigende Umstände an, daß die Ehe früher - und damit für die Erfüllung der Jahresfrist bis zum Tode rechtzeitig - geschlossen worden wäre, wenn der Versicherte eine brauchbare Wohnung gehabt hätte.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen. In den Urteilsgründen wird ausgeführt, das SG habe den Begriff "besondere Umstände" in § 590 Abs. 2 RVO unzutreffend ausgelegt. Hierunter seien solche Umstände zu verstehen, durch die sich der besondere Fall von dem von Gesetzgeber angenommenen Normalfall unterscheide. Man könne davon ausgehen, daß eine Frau, die ihren Ehemann erst nach Unfall oder Erkrankung, also in einer wirtschaftlich verschlechterten Lage, geheiratet habe, sich nach weniger als einjähriger Dauer der Ehe von ihren früheren sozialen, insbesondere wirtschaftlichen und beruflichen Verhältnissen noch nicht so weit entfernt habe, daß sie ihre frühere berufliche Tätigkeit nicht wiederaufnehmen könnte. Deshalb seien im Sinne des § 590 Abs. 2 RVO "besondere" Umstände solche, die es der Witwe unzumutbar machten, in ihre früheren wirtschaftlichen oder beruflichen Verhältnisse zurückzukehren oder sich eine neue selbständige Lebensführung zu erarbeiten. Die Klägerin sei aber bis zum 31. Oktober 1957 ihrer beruflichen Tätigkeit als Hausgehilfin im Krankenhaus nachgegangen, habe diesen Beruf während der Ehe nur etwa ein Jahr lang nicht mehr ausgeübt und ihn danach jederzeit wieder ergreifen können. Kein "besonderer" Umstand sei es, daß an der Einjahresfrist im vorliegenden Falle nur 12 Tage fehlten; diese fehlende Zeit könne auch nicht durch eine etwa vorausgegangene Verlobungszeit ausgeglichen werden. Ebenso könne ein "besonderer Umstand" nicht darin gesehen werden, daß die Jahresfrist deshalb nicht erreicht worden sei, weil sich die Heirat durch die späte Wohnungszuweisung verzögert habe; es komme nicht darauf an, aus welchen Gründen die Jahresfrist verspätet in Lauf gesetzt worden sei. Ferner sei es der Normalfall und kein "besonderer Umstand", daß man aus Liebe und innerer Zuneigung heirate und es sei die Pflicht einer Ehefrau, ihren kranken Ehemann zu pflegen, auch wenn er zur Zeit der Eheschließung schon krank gewesen sei. Daß die Klägerin den Versicherten schon einige Zeit vor der Heirat gepflegt habe, ändere hieran nichts, denn während dieser Zeit sei sie in der Hauptsache ihrem Beruf nachgegangen. Ebensowenig sei es hier von entscheidender Bedeutung, daß sie zu den Kosten der Wohnungseinrichtung etwa 2.000,- DM beigetragen habe. Es hätten demnach keine besonderen Umstände vorgelegen, welche die Lage der Klägerin anders hätten erscheinen lassen als diejenige, für die der Gesetzgeber in § 590 Abs. 1 RVO allgemein den Rechtsanspruch auf Witwenrente ausgeschlossen habe. Da es also schon an der rechtlichen Voraussetzung für die Gewährung der Kann-Leistung fehle, könne von einem Ermessensmißbrauch der Beklagten keine Rede sein.
Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung des § 590 RVO aF und meint, es lägen bei ihr besondere Umstände im Sinne dieser Bestimmung vor, welche die Gewährung der Rente rechtfertigen. Als solche Umstände will sie insbesondere gewertet wissen, daß vor der Heirat ein Verlöbnis bestanden habe, daß die Eheschließung aus kriegsbedingtem Wohnungsmangel zu einem früheren Zeitpunkt nicht möglich gewesen sei, daß sie (Klägerin) das Opfer, einen kranken Mann zu pflegen, auf sich genommen habe und daß sie - gerade auf Grund der Erfahrungen aus ihrer Krankenhaustätigkeit - angenommen habe, ihr Mann würde noch länger leben.
Sie beantragt,
das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG Dortmund vom 5. Mai 1959 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils für rechtsirrtumsfrei. Selbst wenn man als besondere Umstände im Sinne von § 590 Abs. 2 RVO auch solche gelten lassen wolle, die nicht die Zumutbarkeit einer Wiederaufnahme der früheren Tätigkeit beträfen, ändere das am Ergebnis nichts, da auch sonstige Umstände, die über den Bereich des Normalen hinausgingen, nicht vorlägen. Es liege daher weder eine falsche Rechtsanwendung noch ein Ermessensmißbrauch von Seiten der Beklagten vor.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Nach § 590 Abs. 1 RVO aF hat die Klägerin - als Ausnahmefall von der allgemeinen Regelung in den §§ 586 Abs. 1 Nr. 2, 588 RVO aF, wonach der Witwe des durch Unfall bzw. Berufskrankheit verstorbenen Versicherten Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung zusteht - keinen Anspruch auf Witwenrente, weil ihre Ehe erst nach Eintritt der Berufskrankheit geschlossen worden und der Tod innerhalb des ersten Jahres der Ehe eingetreten ist. Sie erstrebt diese Leistung aber nach § 590 Abs. 2 RVO aF, wonach die Rente - als Ausnahme wiederum von dem genannten Ausnahmefall - unter "besonderen Umständen" doch gewährt werden "kann". Ihre Klage richtet sich daher gegen die Versagung einer "Kannleistung", deren Gewährung im Ermessen der Beklagten steht, das von den Gerichten nur dahin überprüft werden kann, ob seine gesetzlichen Grenzen überschritten sind, oder von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 54 Abs. 2 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, daß es - in Anlehnung an das zu der entsprechenden Regelung im Versorgungsrecht (§ 38 Abs. 2 des Bundesversorgungsgesetzes - BVG -) ergangene Urteil des 9. Senats (BSG 10, 51) - gedanklich unterscheidet zwischen der Ermessensausübung einerseits und der Rechtsanwendung bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffes "besondere Umstände" andererseits. Die Ausübung des Ermessens, ob die Kannleistung gewährt werden soll, setzt das Vorliegen "besonderer Umstände" voraus. Die Auslegung dieses Begriffes unterliegt in vollem Umfang - nicht nur wie eine Ermessensentscheidung - der Nachprüfung durch die Gerichte. Ob und inwieweit der Verwaltung dabei ein Beurteilungsspielraum für die Einordnung des Einzelfalles einzuräumen ist (so das o. a. BSG-Urteil), kann im vorliegenden Fall dahinstehen, weil das Berufungsgericht auch nach seiner eigenen Beurteilung das Vorliegen "besonderer Umstände" im Sinne von § 590 Abs. 2 RVO rechtsirrtumsfrei verneint hat und damit zum gleichen Ergebnis gelangt ist wie die Beklagte. Unter "besonderen Umständen" können nur, wie das Berufungsgericht mit Recht ausführt, solche Umstände verstanden werden, durch die sich der besondere Einzelfall von dem vom Gesetzgeber angenommenen Normalfall unterscheidet. Nach der Zweckbestimmung der Witwenrente und dem Sinn der Ausnahmeregelung des § 590 Abs. 1 RVO kommen vor allem solche Umstände in Betracht, die es der vor Vollendung des ersten Ehejahres verwitweten Frau erschweren oder gar unmöglich machen, in ihre vorehelichen wirtschaftlichen oder beruflichen Verhältnisse zurückzukehren oder sich eine neue selbständige Lebensführung zu erarbeiten (s. BSG 10, 51, 55 zu § 38 Abs. 2 BVG). Solche Umstände liegen bei der Klägerin nicht vor. Sie hat, wie das Berufungsgericht bedenkenfrei festgestellt hat, ihre berufliche Tätigkeit erst knapp ein Jahr vor dem Tode des Ehemannes aufgegeben und hätte diese oder eine ähnliche Tätigkeit danach wieder aufnehmen können, zumal es sich um eine der Hausfrauenarbeit verwandte Tätigkeit handelte. Die nur kurze Zeit bestehende Ehe hat also ihre wirtschaftliche Situation nicht, jedenfalls nicht in einem ungewöhnlichen Maße, verändert.
Ob als besondere Umstände im Sinne von § 590 Abs. 2 RVO - wie offenbar das Berufungsgericht meint - nur solche gewertet werden können, die die Rückkehr einer Witwe in die voreheliche wirtschaftliche Situation erschweren (etwa aus der Verbindung hervorgegangene Kinder, Ansteckung bei der Pflege des Ehemannes o. ä.), oder ob auch Umstände anderer Art hier zu berücksichtigen sind, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden; den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Vorbringen der Beteiligten sind keine Umstände anderer Art zu entnehmen, die als "besondere Umstände" für die Ermessenserwägung, ob Witwenrente gewährt werden kann, in Betracht kämen. Das Vorbringen der Klägerin, sie habe nicht mit einem baldigen Ableben ihres Mannes gerechnet, könnte hier nur insoweit von Bedeutung sein, als eine entsprechende Feststellung den Verdacht einer sogenannten "Versorgungsheirat" ausschließen würde, einer Ehe also, die in Erwartung des baldigen Todes des anderen Teils nur zur Erlangung einer Rente, Pension oder Erbschaft geschlossen wird. Wie aber der Senat bereits in seinem Urteil vom 17. Januar 1957 (BG 1957, 211) ausgeführt hat, ist für die nach § 590 Abs. 2 RVO zu treffende Entscheidung die Frage, ob es sich um eine sogenannte Versorgungsehe gehandelt hat, zwar von besonderer Bedeutung, es kann jedoch von ihrer Beantwortung allein die Gewährung oder Versagung der Rente nicht abhängen. Zwar wird die begründete Annahme einer Versorgungsehe meist - nicht immer - zur Versagung der Rente nach § 590 RVO aF führen müssen, jedoch stellt umgekehrt der Umstand, daß die Ehe nicht überwiegend aus Versorgungsgründen geschlossen wurde, noch keinen "besonderen Umstand" im Sinne von § 590 Abs. 2 RVO aF dar, der schon für sich allein die Rentengewährung rechtfertigen würde. Nach § 6 Ziff. 2 a Abs. 4 des Unfallversicherungsgesetzes (UVG) vom 6. Juli 1884 (Reichsgesetzblatt - RGBL - S. 69) war der Witwenanspruch überhaupt ausgeschlossen, wenn die Ehe - ohne Rücksicht auf ihre Dauer - erst nach dem Unfall geschlossen worden war, und das Reichsversicherungsamt (RVA) hat auch keine Ausnahmen für den Fall zugelassen, daß sich die Unfallfolgen erst nach der Heirat bemerkbar machten, ein Spekulationsverdacht also nicht vorlag (Amtliche Nachrichten des RVA - AN - 1897, 579). Ferner betreffen die Verwaltungsvorschriften zu § 38 Abs. 2 BVG, der inhaltlich dem § 590 Abs. 2 RVO entspricht, nur objektive Härtefälle, die mit der Frage der Versorgungsehe nichts zu tun haben.
Auch die Tatsache, daß die Klägerin ihren schwerkranken Mann gepflegt hat, stellt keinen "besonderen Umstand" dar, da es zu den Pflichten einer Ehefrau gehört, ihren kranken Ehemann zu pflegen. Das muß auch dann gelten, wenn die Krankheit bei Eingehung der Ehe bereits vorlag. Dies ergibt sich schon aus § 590 Abs. 1 RVO, wonach der Ausschluß des Rentenanspruchs ja gerade voraussetzt, daß die Ehe erst nach dem Unfall geschlossen worden ist; die gesetzliche Voraussetzung für den Rentenausschluß kann nicht gut zugleich die Begründung für eine ausnahmsweise Gewährung darstellen. Auch dem in der Revisionsbegründung besonders herausgestellten Umstand, daß der Ehe ein Verlöbnis vorausgegangen sei, hat das Berufungsgericht mit Recht keine entscheidende Bedeutung beigemessen. Das Gesetz stellt es in § 590 Abs. 1 RVO auf die einjährige Dauer der Ehe ab. Ein Verlöbnis ist, rechtlich wie soziologisch betrachtet, gegenüber der Ehe von so wesentlich geringer Bedeutung, daß es nicht angeht, beide gleichzusetzen und den an der Ehe fehlenden Zeitraum durch die Verlöbniszeit auszugleichen.
Auch der Umstand, daß die Eheschließung durch die Schwierigkeit, eine Wohnung zu erhalten, verzögert worden ist, ist nicht von entscheidender Bedeutung, weil es - entsprechend dem vorstehend Gesagten - nach § 590 Abs. 1 RVO allein auf die tatsächliche Dauer der Ehe ankommt. Die Gründe für eine frühere oder spätere Eheschließung sind daher grundsätzlich unerheblich, wie ja auch die andere Begrenzung der Jahresfrist, der Tod des Versicherten, schicksalhaft bedingt ist. Außerdem handelt es sich insoweit im vorliegenden Fall schon deswegen nicht um einen "besonderen" Umstand, weil weder die Zeit vom Kennenlernen bis zur Heirat mit weniger als einem Jahre noch die angegebene Verlöbniszeit von etwa 8 Monaten als ungewöhnlich lang anzusehen sind. Zwischen dem Entschluß, zu heiraten, und der Eheschließung liegt gewöhnlich eine gewisse Zeit der materiellen Vorbereitung, wozu auch die Beschaffung einer geeigneten Wohnung gehört. Daß die Wohnungsbeschaffung durch die zeitliche und örtliche Wohnungsmarktlage erschwert wurde, ändert nichts daran, daß sich die Verlöbniszeit, auch wenn man unterstellt, das ernsthafte gegenseitige Heiratsversprechen sei bereits im März 1957 nach dreimonatiger Bekanntschaft abgegeben worden, durchaus noch im Bereich des Normalen liegt.
Die Entscheidung der Beklagten ist somit nach altem Recht nicht rechtswidrig. Der Senat hatte aber noch zu prüfen, ob nicht durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der gesetzlichen UVG vom 30. April 1963 eine für die Klägerin günstigere Rechtslage eingetreten ist. Nach § 594 RVO nF, der mit Wirkung vom 1. Juli 1963 an die Stelle von § 590 RVO aF getreten ist, besteht kein Anspruch der Witwe, wenn die Ehe erst nach dem Arbeitsunfall geschlossen und der Tod innerhalb des ersten Jahres eingetreten ist, es sei denn, daß nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, daß es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, der Witwe eine Versorgung zu verschaffen. Da das LSG die Frage, ob es sich im vorliegenden Fall um eine sogenannte Versorgungsehe handelte, nicht geprüft, sondern offen gelassen hat, könnte eine Anwendung der neuen Vorschrift möglicherweise zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung führen.
Jedoch kann die neue Vorschrift des § 594 RVO auf den vorliegenden Fall noch nicht angewandt werden, weil sie erst mit Wirkung vom 1. Juli 1963, also fast 5 Jahre nach dem Tode des Ehemanns der Klägerin, in Kraft getreten ist (Art. 4 § 16 UVNG).
Wie im bürgerlichen Recht gilt auch im Sozialversicherungsrecht der Grundsatz, daß Tatbestände, die nach neuem Recht anspruchsbegründend sind, aber bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts abgeschlossen vorliegen, von der Rechtsänderung nicht erfaßt werden, wenn nicht das neue Recht selbst ausdrücklich oder dem Sinne nach seinen Geltungsbereich auf diese Sachverhalte erstreckt (BSG 16, 177, 173). Der Tatbestand, der den Anspruch auf Witwenrente dem Grund nach erzeugt, ist aber bereits mit dem Tode des Versicherten abgeschlossen. Eine spätere gesetzliche Änderung des anspruchsbegründeten Tatbestandes kann sich daher grundsätzlich auf den Witwenrentenanspruch nicht mehr auswirken.
Das UVNG hat dem neuen § 594 RVO insoweit auch keine Rückwirkung verliehen. Nach Art. 4 § 1 gilt dieses Gesetz grundsätzlich für Arbeitsunfälle, die sich nach seinem Inkrafttreten ereignen. Allerdings werden anschließend in Art. 4 § 2 Abs. 1 zahlreiche Vorschriften - darunter auch der hier einschlägige § 594 RVO - aufgeführt, die "auch" für Arbeitsunfälle gelten sollen, die bereits vor Inkrafttreten des UVNG eingetreten sind. Das bedeutet aber noch nicht, daß die dort aufgeführten Vorschriften ohne jede zeitliche Begrenzung rückwirkend anzuwenden wären. Vielmehr wird in Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG nur die grundsätzliche Regelung nach § 1 dahin eingeschränkt, daß es der Anwendung der aufgeführten neuen Vorschriften nicht entgegensteht, daß sich der Arbeitsunfall bereits vor Inkrafttreten des Gesetzes ereignet hat. Mit dieser Einschränkung gelten aber im übrigen auch für die genannten Vorschriften die allgemeinen Rechtsgrundsätze über den zeitlichen Geltungsbereich der Gesetze. Es handelt sich also bei Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG nicht eigentlich um eine echte Rückwirkungsbestimmung, sondern, wie der 2. Senat in seiner Entscheidung vom 30. Juni 1965 (2 RU 175/63) zur Anwendbarkeit des § 555 RVO nF ausgeführt hat, um eine Überleitungsvorschrift, deren Anwendung voraussetzt, daß der vor dem 1. Juli 1963 eingetretene Arbeitsunfall (Berufskrankheit) in den zeitlichen Geltungsbereich des neuen Rechts hineinwirkt. Ein solches "Hineinwirken" ist aber dann nicht mehr möglich, wenn der anspruchsbegründende Tatbestand - hier der Tod des Ehemannes infolge einer Berufskrankheit - bereits vor Inkrafttreten des neuen Rechts vollständig abgeschlossen war, ohne nach damals geltendem Recht zumindest dem Grunde nach einen Anspruch auf Rente erzeugt zu haben. Die Überleitungsvorschrift des Art. 4 § 2 Abs. 1 UVNG hat also für die Anwendung des § 594 RVO nF nur dann Bedeutung, wenn sich der Todesfall nach dem Inkrafttreten des Gesetzes ereignet hat.
Eine solche, den allgemeinen Rechtsanwendungsgrundsätzen und der Gesetzgebungspraxis entsprechende Auslegung verstößt nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, der es jedenfalls grundsätzlich nicht verbietet, Gesetze nur mit Wirkung für die Zukunft zu erlassen und Leistungen oder Vergünstigungen erst von einem bestimmten Stichtage an zu gewähren (s. hierzu das oa BSG-Urteil vom 30. Juni 1965). Auch die Begründung des Entwurfs zum UVNG (Drucksachen IV/120), wo zu der Überleitungsvorschrift ausgeführt ist, daß die besonderen Voraussetzungen für die einzelnen Leistungsarten nach Inkrafttreten der Neufassung erfüllt werden müssen und z. B. das erhöhte Sterbegeld nur ausgezahlt werden soll, wenn der Tod nach Inkrafttreten der Neufassung eintritt, spricht für diese Auslegung.
Schließlich lassen sich auch aus dem speziellen Charakter der Vorschrift des § 594 RVO nF keine hinreichenden Gründe für eine rückwirkende Anwendung herleiten. Es handelt sich zunächst eindeutig nicht um eine das Verfahren regelnde, sondern um eine materiell-rechtliche Vorschrift. Durch sie wird der Kreis der anspruchsberechtigten Witwen gegenüber dem früheren Recht erweitert, weil der Versagungstatbestand für einen bestimmten Ausnahmefall ("es sei denn, daß ...") eingeschränkt worden ist. Demgegenüber ist die Möglichkeit der Ermessensgewährung durch die Berufsgenossenschaft völlig weggefallen. Man kann daher nicht sagen, daß die Neuregelung nur eine gesetzliche Interpretation der bisher für die Ermessensleistung maßgeblichen Voraussetzungen, also des Begriffes der "besonderen Umstände" im Sinne von § 590 Abs. 2 RVO aF geben soll. Andererseits handelt es sich aber auch nicht um eine bloße Einschränkung der Ermessensgewährung oder ihre Umwandlung in eine Pflichtleistung, denn die Voraussetzungen für die ausnahmsweise Rentengewährung sind auch inhaltlich wesentlich geändert worden. Während, wie oben dargelegt, Umstände ganz verschiedener Art eine solche Ermessensgewährung nach altem Recht begründen konnten, stellt es die Neuregelung allein darauf ab, ob keine Versorgungsehe vorliegt. Es handelt sich also um eine völlige Neuregelung, von der sich nicht einmal sagen läßt, ob sie sich für den betroffenen Personenkreis gegenüber dem bisherigen Rechtszustand insgesamt günstiger oder ungünstiger auswirken wird. Jedenfalls kann man aber nicht annehmen, die Neuregelung beseitige einen auf Grund geläuterten Rechtsempfindens als so offenbar ungerecht und daher unerträglich empfundenen Zustand, daß der Wille des Gesetzgebers, sie zumindest auf alle noch nicht bindend abgeschlossenen Fälle auch rückwirkend zur Anwendung zu bringen, unterstellt werden könnte.
Die Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen