Leitsatz (amtlich)

Zur notwendigen Beiladung bei Zuständigkeit zweier Landesversicherungsanstalten.

 

Normenkette

SGG § 75 Abs 2 Alt 1; SGG § 75 Abs 2 Alt 2; RVO § 1241d Abs 1 S 2; RVO § 1241d Abs 2

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 13.04.1987; Aktenzeichen L 2 J 87/86)

SG Koblenz (Entscheidung vom 18.03.1986; Aktenzeichen S 2 J 369/84)

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt von der Beklagten Rente wegen Berufsunfähigkeit.

Der 1935 geborene Kläger ist italienischer Staatsangehöriger. Er besuchte in Italien zwar acht Jahre lang die Volksschule, wurde aber lediglich ausr der fünften Volksschulklasse entlassen. Nach seinen Angaben stand er von 1952 bis 1954 in einem Lehrverhältnis als Maurer und war auch als solcher bis zu seiner Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1959 tätig. Auch in Deutschland war er mit Ausnahme einer zweijährigen Unterbrechung bis 1981 als Maurer in verschiedenen Tätigkeitsbereichen versicherungspflichtig beschäftigt.

Den Rentenantrag des Klägers vom April 1983 lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 18. November 1983; Widerspruchsbescheid vom 26. Juni 1984).

Für den Antrag des Klägers auf Rente war sie zuständig, weil der Kläger auch Beiträge zur italienischen Rentenversicherung gezahlt hatte und weil deshalb sich die Zuständigkeit der Beklagten nach der EWG-VO Nr 574/72 vom 22. August 1983 Anhang 2 C 2b richtete.

Die Landesversicherungsanstalt Rheinland-Pfalz (LVA) führte als Wohnsitzanstalt (§ 1630 Abs 2 Reichsversicherungsordnung -RVO-; § 93 Abs 3 Sozialgesetzbuch / Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -SGB 4-) in der Zeit vom 9. Mai bis 5. Juni 1985 für den Kläger eine Rehabilitationsmaßnahme (Reha-Maßnahme) durch.

Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 18. März 1986 den angefochtenen Bescheid der Beklagten aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab 1. April 1983 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 13. April 1987) und im wesentlichen ausgeführt: Die LVA Rheinland-Pfalz sei nicht notwendig beizuladen. Der Kläger sei Facharbeiter. Er könne nur noch leichte körperliche Tätigkeiten überwiegend im Sitzen mit einigen weitergehenden qualitativen Einschränkungen verrichten. Seinen Beruf als Maurer könne er nicht mehr ausüben. Ob das SG unter Verletzung des rechtlichen Gehörs davon ausgegangen sei, der Kläger könne die von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten nicht mehr ausüben, könne dahinstehen. Bei den erheblichen gesundheitlichen Leistungseinschränkungen des Klägers sowie seiner nur unzureichenden Kenntnisse und Fähigkeiten, insbesondere des auf nur fünfklassiger Volksschulausbildung beruhenden Mangels an Schulkenntnissen, seien ihm sozial zumutbare Verweisungstätigkeiten, in die er sich innerhalb von drei Monaten einarbeiten könne, jedenfalls nicht zu benennen.

Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten hin ist die Revision zugelassen worden.

Die Beklagte hat Revision eingelegt und führt aus: Die LVA Rheinland-Pfalz hätte gem 75 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zum Rechtsstreit beigeladen werden müssen. Die Beklagte sei zur Gewährung von Rentenleistungen ab 1. April 1983 verurteilt worden. Für die Zeit vom 1. April 1983 bis 12. Juni 1985 sei aber die Leistungspflicht der LVA Rheinland-Pfalz in Betracht gekommen, was die Leistungspflicht der Beklagten ausschließe.

Das Urteil des LSG sei auch unter Verletzung der §§ 62, 128 Abs 2 SGG zustande gekommen. Für die Beklagte überraschend habe das LSG den Schluß gezogen, der Kläger sei wegen seiner geringen Schulbildung nicht in der Lage, zumutbare Verweisungstätigkeiten zu verrichten.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben, ebenso das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 18. März 1986 und die Klage gegen die angefochtenen Bescheide der Beklagten abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

Auf die Revision der Beklagten ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das Urteil des LSG leidet an einem Verfahrensmangel, den die Beklagte richtig gerügt hat. Ein abschließendes Urteil in der Sache kann erst ergehen, wenn die LVA Rheinland-Pfalz beigeladen worden ist. Es kann dahinstehen, ob, wie das LSG meint, eine Beiladung nach § 75 Abs 2 1. Alternative SGG nicht erforderlich ist. Das LSG hat gemeint, zwischen dem vom Kläger gegen die Beklagte geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Berufsunfähigkeit und dem möglicherweise gegen die LVA Rheinland-Pfalz bestehenden Anspruch auf vorgezogenes Übergangsgeld (Übg) bestehe keine Identität des Streitgegenstandes. Deshalb sei eine notwendige Beiladung nach § 75 Abs 2 1. Alternative SGG nicht geboten. Im vorliegenden Fall liegt jedoch die Prüfung nahe, ob dem Kläger für die Zeit vom 9. Mai 1985 bis 5. Juni 1985, während der die LVA Rheinland-Pfalz dem Kläger eine Reha-Maßnahme bewilligt hatte, statt der begehrten Rente Übg und für die Zeit davor vorgezogenes Übg zu zahlen gewesen sind. Nach § 1241d Abs 1 Satz 2 RVO ist statt der Rente Übg zu gewähren, wenn vor Beginn der Maßnahme Antrag auf Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit gestellt worden ist und ohne Reha-Leistung Rente zu zahlen gewesen wäre. Während man früher angenommen hat, daß dieses vorgezogene Übg von dem Träger zu zahlen ist, der die Rentenleistung zu erbringen hat (BSG Nrn 19 und 33 zu § 1241 RVO), ist nach Inkrafttreten des Rehabilitations-Angleichungsgesetzes (Reha-AnglG) davon auszugehen, daß für die Zahlung auch dieses Übg der Träger zuständig ist, der die Maßnahme durchgeführt hat (BSG SozR 2200 § 1241d Nr 6).

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in zwei Entscheidungen die Auffassung vertreten, daß wegen der engen Verknüpfung von Rente wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit mit dem vorgezogenen Übg beide Leistungsverpflichtungen nur einheitlich beurteilt und gehandhabt werden können (BSG SozR Nrn 19 und 33 zu § 1241 RVO). Doch kann das dahinstehen. Denn auf jeden Fall war die LVA Rheinland-Pfalz aufgrund des § 75 Abs 2 2. Alternative SGG beizuladen. Beizuladen ist nach dieser Bestimmung ein Versicherungsträger, wenn sich ergibt, daß er als leistungspflichtig in Betracht kommt. Für die Zeit während und vor der Reha-Maßnahme kann, wie dargelegt, die LVA Rheinland-Pfalz und nicht die Beklagte, wie vom LSG angenommen, leistungspflichtig gewesen sein. Für die Zeit vor der Maßnahme folgt das aus § 1241d Abs 1 Satz 2 RVO, für die Zeit der Maßnahme selbst aus § 1241d Abs 2 RVO. Nach Beiladung der LVA Rheinland-Pfalz könnte sich uU sogar ergeben, daß der Kläger während der Maßnahme Übg tatsächlich erhalten hat. Während das Unterlassen der sogenannten echten notwendigen Beiladung (§ 75 Abs 2 1. Alternative SGG) von Amts wegen auch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen ist, ist das Unterlassen der sogenannten unechten notwendigen Beiladung (§ 75 Abs 2 2. Alternative SGG) nur auf Rüge hin zu beachten (BSG SozR 1500 § 75 Nr 47; SozR 2200 § 1241d Nr 14). Die Beklagte hat in vorliegendem Fall jedoch den genannten Mangel ausdrücklich gerügt, nicht nur im Revisionsverfahren, sondern auch bereits im Berufungsverfahren.

Da vor abschließender Entscheidung in der Sache die LVA Rheinland-Pfalz beigeladen werden muß, was im Revisionsverfahren nicht geschehen kann (§ 168 SGG), ist die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660864

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