Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Urteil vom 27.09.1990) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. September 1990 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger erstrebt eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung.
Er ist 1964 geboren, hat Realschulabschluß und ist von Beruf gelernter Schlosser. In dieser Eigenschaft war er nach seinen Angaben vom 24. November 1983 bis 4. Januar 1984 sowie vom 24. bis 30. April 1984 bei dem Rohrschlosser P. (P.) und vom 20. Juni 1984 bis 31. August 1984 bei der Firma H. beschäftigt. Vom 1. Oktober 1984 bis 30. September 1988 war er bei der Bundeswehr als Hubschraubermechaniker tätig. Anfang Mai 1988 stellte er Antrag auf Erteilung der Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG). Er legte ua einen Vertrag über die Anmietung von Geschäftsräumen ab 1. August 1988 sowie eine gemeindliche Bestätigung über vorübergehende Gewerbeanmeldung vom 1. September bis 31. Oktober 1988 vor. Das Landesarbeitsamt (LArbA) lehnte den Antrag mit der Begründung ab, Tatsachen rechtfertigten die Annahme, daß der Kläger die für die Ausübung der Arbeitnehmerüberlassung erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitze (Art 1 § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG). Er habe im Rahmen eines im Verwaltungsverfahren am 7. September 1988 (mit der Bediensteten P. -F. ≪P.-F.≫) geführten Gesprächs bestätigt, über keinerlei einschlägige Fachkenntnisse bzw Berufserfahrungen zu verfügen. Hierbei sei deutlich geworden, daß Grundkenntnisse arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Art nicht vorhanden seien. Darüber hinaus sei die Einflußnahme eines unzuverlässigen Dritten, nämlich des P., auf die Geschäftsführung zu besorgen. Gegen P. seien in den Jahren 1983/84 drei Bußgelder wegen unerlaubter Arbeitnehmerüberlassung in Höhe von insgesamt 10.000,00 DM festgesetzt worden. Überdies habe P. anläßlich einer Vorsprache beim LArbA am 21. September 1988 (gegenüber dem Sachbearbeiter T. ≪T.≫) eingeräumt, den Kläger um Antragstellung auf Erlaubniserteilung gebeten zu haben, da er selbst (P.) eine solche Erlaubnis nicht bekommen könne (Bescheid vom 26. August 1988; Widerspruchsbescheid vom 23. November 1988).
Das Sozialgericht (SG) hat P. als Zeugen vernommen und die Klage, mit der der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts begehrte, abgewiesen (Urteil vom 23. November 1989). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung des Klägers das Urteil des SG und den Bescheid vom 26. August 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1988 aufgehoben und die Beklagte antragsgemäß verurteilt, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden (Urteil vom 27. September 1990).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Versagung der Erlaubniserteilung sei nicht gerechtfertigt gewesen. Die Beklagte werde im weiteren Verlauf des Verfahrens ihr Ermessen sachgerecht auszuüben haben (Art 1 § 2 Abs 2 AÜG). Nach der Gesetzessystematik bestehe Anspruch auf Erteilung einer befristeten Erlaubnis, es sei denn, einer der ausdrücklich erwähnten Versagenstatbestände sei gegeben (Art 1 § 3 AÜG). Hier seien die Voraussetzungen des Versagungsgrundes der Unzuverlässigkeit (Art 1 § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG), auf den die Beklagte sich allein berufen habe, nicht verwirklicht.
Unzuverlässig sei der Verleiher, in dessen Person Tatsachen vorlägen, die darauf schließen ließen, daß er sein Gewerbe unter Mißachtung der Arbeitgeberpflichten ausüben werde. Eine solche negative Prognose könne dem Kläger nicht entgegengehalten werden. Die Grundlagen der Verleihertätigkeit seien dem Kläger geläufig. Unerfahrenheit im Geschäftsverkehr sei nicht mit Unzuverlässigkeit gleichzusetzen. Solange nicht belegbar sei, daß der Antragsteller die Interessen der Leiharbeitnehmer nicht wahren werde, lasse sich nicht der Vorwurf persönlicher Unzuverlässigkeit erheben. Der Kläger habe die Ernsthaftigkeit der beabsichtigten Firmengründung und seine persönliche Integrität als Arbeitgeber unter Beweis gestellt. Er habe durch Vorlage von Musterarbeits- und Arbeitnehmerüberlassungsverträgen gezeigt, daß ihm die Grundlagen der Geschäftstätigkeit geläufig seien. Er habe im Gespräch mit P.-F. am 7. September 1988 wahrheitsgemäß auf die anfangs notwendige Hilfe eines sachkundigen Dritten (etwa des Unternehmensberaters S. ) hingewiesen, was bei einem zwar technisch, nicht aber kaufmännisch versierten Berufsanfänger positiv zu bewerten sei. Vor dem SG habe der Kläger zudem glaubhaft ergänzt, den Schriftwechsel mit der Beklagten ohne fremde Hilfe geführt und über seinen seit 10 Jahren als Leiharbeitnehmer beschäftigten Bruder Kenntnisse im Arbeitnehmerüberlassungsgewerbe gewonnen zu haben. Im übrigen habe der Kläger entgegen den Behauptungen der Beklagten im Verwaltungsverfahren keine entscheidungserheblichen unrichtigen Angaben gemacht.
Die Vermutung des Sachbearbeiters T., der Kläger habe lediglich als Strohmann für P. fungieren sollen, habe sich nicht bewahrheitet. Es könne unterstellt werden, daß P. als Kenner des Arbeitnehmerüberlassungsgewerbes und langjähriger Bekannter der Familie des Klägers den Kläger habe unterstützen wollen. Doch lasse sich nicht beweisen, daß P. der wahre Verleiher und der Kläger nur der vorgeschobene formelle Inhaber des Gewerbes sein solle. Ein etwaiger unerwünschter Einfluß des P. auf den Geschäftsbetrieb des Klägers lasse sich ggf durch entsprechende Auflagen ausschalten.
Die Beklagte rügt mit der Revision eine Verletzung von Art 1 § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG sowie von § 103 Satz 1, § 128 Abs 1 und § 136 Abs 1 Nr 6 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Zur Begründung macht sie geltend, das Urteil leide an einem wesentlichen Verfahrensmangel (§ 136 Abs 1 Nr 6 SGG). Tenor und Gründe stünden zueinander in Widerspruch. Wenn, wie in den Entscheidungsgründen hervorgehoben werde, ein Anspruch auf Erteilung der Erlaubnis bestehe, hätte kein Bescheidungsurteil ergehen dürfen. Desgleichen seien die Entscheidungsgründe in sich widerspruchsvoll; sie verstießen gegen Denkgesetze (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG). Einerseits würden die Befugnisse der Beklagten bei der Erteilung der Erlaubnis herausgestellt; andererseits sei von Ermessen der Beklagten die Rede.
Das LSG habe ferner seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 Satz 1 SGG) verletzt. Es hätte, wie von der Beklagten beantragt, weiteren Beweis durch Vernehmung der Bediensteten P.-F. und T. als Zeugen erheben müssen. Eine Vernehmung der Sachbearbeiterin P.-F. hätte ergeben, daß dem Kläger die Grundlagen der Geschäftstätigkeit nicht geläufig seien, auf die es nach Auffassung des LSG für die Frage der Zuverlässigkeit angekommen sei. Durch Vernehmung des Sachbearbeiters T. hätte sich der Eindruck, der Kläger werde von P. lediglich vorgeschoben, verfestigt. Überdies laufe die Nichtanhörung des P. auf eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung hinaus.
Auch in materieller Hinsicht könne das angegriffene Urteil keinen Bestand behalten. Bei der zu treffenden Prognoseentscheidung spiele die Gefährdung des geschützten Rechtsgutes eine besondere Rolle. Das AÜG habe sich den Schutz der Arbeitnehmer vor Ausbeutung und Übervorteilung zum Ziel gesetzt. Zu den Umständen, die hier die Annahme fehlender Zuverlässigkeit rechtfertigten, gehörten sowohl die mangelnde geschäftliche Erfahrung des Klägers als auch die drohende Einflußnahme des P. auf die Geschäftsführung. Unabhängig davon habe das LSG bei seiner Würdigung eine Reihe weiterer Fakten außer acht gelassen, nämlich die über ein Nachbarschaftsverhältnis und ein früheres Arbeitsverhältnis hinausgehende Verbundenheit zwischen P. und dem Kläger, das Interesse des P. an einer Erlaubniserteilung zugunsten des Klägers wegen bekanntgewordener eigener unerlaubter Überlassungstätigkeit, die Intervention des P. beim LArbA vom 21. September 1988 sowie die ua in der Berufungsbegründung zum Ausdruck gekommene Sorglosigkeit des Klägers hinsichtlich der Erfordernisse und Pflichten in Zusammenhang mit gewerblicher Arbeitnehmerüberlassung.
Schließlich laufe die Versagung der Erlaubnis nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zuwider. Ausgehend davon, daß der Kläger mangels Sachkunde keine eigenen Entscheidungen habe treffen können und von P. lediglich als Strohmann habe vorgeschoben werden sollen, müsse sich die Prognose an den von P. begangenen Verstößen gegen das AÜG orientieren. Insoweit seien etwaige Auflagen (Art 1 § 2 Abs 2 AÜG) schon deswegen wirkungslos, weil sie sich an den formalen Inhaber der Erlaubnis zu richten hätten. Ungeachtet dessen seien Auflagen ohnehin kaum geeignet, beabsichtigten Verstößen gegen Rechtsvorschriften entgegenzuwirken. Jedenfalls sei die Beklagte nach Sinn und Zweck des AÜG nicht verpflichtet, den Eintritt von Verstößen abzuwarten und die Erlaubnis erst nach deren Eintritt zurückzunehmen oder zu widerrufen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das zweitinstanzliche Urteil für zutreffend und erwidert, der Erlaß des Bescheidungsurteils sei, da es dem Antrag des Klägers entsprochen habe, rechtmäßig.
Das LSG habe nicht seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) verletzt. P. habe als Zeuge vor dem erstinstanzlichen Gericht umfassend ausgesagt. Die als Zeugen benannten Sachbearbeiter P.-F. und T. hätten nicht gehört zu werden brauchen. Insbesondere T. hätte zur Sachverhaltsaufklärung aufgrund eigener Wahrnehmung nichts beitragen können. Er hätte lediglich über das Gespräch mit P. vom 21. September 1988 berichten und Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des P. aufkommen lassen können. Indes habe schon das SG keine Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des P. geäußert.
Materiell-rechtlich sei das Urteil des LSG nicht zu beanstanden. Eine negative Prognoseentscheidung sei nur bei konkreten Anhaltspunkten für das Vorliegen von Unzuverlässigkeit statthaft. Daran mangele es hier. Die Anforderungen an die arbeits-, sozialversicherungs- und steuerrechtlichen Kenntnisse eines Antragstellers dürften nicht überspannt werden. Es gebe genügend Kontrollinstanzen, durch die etwaige Unzulänglichkeiten abgestellt werden könnten. Zudem sei es normal, daß sich der Gründer eines Unternehmens im Fall spezieller Probleme an entsprechende Berater wende. Im übrigen verfüge der Kläger, wie das LSG dargelegt habe, über hinreichende Kenntnisse für eine Geschäftstätigkeit im Bereich des AÜG. Die zwischen dem Kläger und P. bestehende Bekanntschaft sei unmaßgeblich. Eine mögliche Einflußnahme des P. auf die Geschäftstätigkeit des Klägers sei nicht erwiesen. Überdies könne sie ggf durch Auflagen verhindert werden. Die Befürchtung, der Kläger könne als Strohmann durch P. mißbraucht werden, habe sich zumindest durch Zeitablauf erledigt. Zu dem Besuch beim Sachbearbeiter T. am 21. September 1988 sei P., wie die Anhörung vor dem SG ergeben habe, vom Kläger nicht ermächtigt worden.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet. Die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob dem Kläger ein Anspruch auf die begehrte Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zusteht oder nicht.
Die Berufung des Klägers war statthaft (§ 143 SGG). Ausschließungsgründe iS der §§ 144 bis 149 SGG sind nicht gegeben. Insbesondere greifen nicht die Ausschließungsgründe des § 144 Abs 1 Nrn 1 und 2 SGG ein. Dabei kann dahinstehen, ob eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung den Begriff der Leistung iS von § 144 Abs 1 SGG erfüllt. Denn sie weist, da sie im Fall der Ersterteilung auf ein Jahr zu befristen ist (Art 1 § 2 Abs 4 Satz 1 AÜG), nicht die Merkmale der Einmaligkeit bzw der Wirkungsbeschränkung auf längstens 13 Wochen (3 Monate) auf (BSG vom 12. Dezember 1991 – 7 RAr 56/90 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Richtige Klageart ist entgegen der Ansicht des LSG nicht die verbundene Anfechtungs- und Bescheidungsklage, sondern die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG). Es handelt sich bei der Erteilung einer Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nicht um eine Ermessensentscheidung. Der Antragsteller hat nach der Systematik des AÜG vielmehr Rechtsanspruch auf Erteilung einer solchen Erlaubnis, es sei denn, es liegt einer der in Art 1 § 3 Abs 1 oder 2 AÜG genannten Versagungsgründe vor (Franßen/Haesen, Komm zum AÜG, 1974, Art 1 § 3 Rz 1; Sandmann/Marschall, Komm zum AÜG, Stand Juli 1990, Art 1 § 3 Anm 1). Der Kläger hatte sich bei Klageerhebung für die richtige Klageart entschieden. Daß er in der mündlichen Verhandlung vor dem SG und später vor dem LSG – möglicherweise auf Anraten des Gerichts – einen Antrag auf Neubescheidung gestellt hat, ist unerheblich. Die Auslegung seines Klagebegehrens ergibt, daß er eine uneingeschränkte Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung erstrebt (§ 123 SGG). Im Rahmen der erneuten Verhandlung wird das LSG Gelegenheit haben, auf den für dieses Klagebegehren formgerechten Antrag hinzuwirken (§ 106 Abs 1, § 153 Abs 1 SGG).
Ob dem Kläger ein Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung zusteht, richtet sich nach Art 1 §§ 1 ff AÜG. Danach bedürfen Arbeitgeber, die Dritten (Entleihern) Arbeitnehmer (Leiharbeitnehmer) gewerbsmäßig zur Arbeitsleistung überlassen wollen, ohne damit Arbeitsvermittlung nach § 13 des Arbeitsförderungsgesetzes zu betreiben (Verleiher), der Erlaubnis (Art 1 § 1 Abs 1 Satz 1 AÜG). Die Erlaubnis wird auf schriftlichen Antrag erteilt (Art 1 § 2 Abs 1 AÜG) und ist (zunächst) auf ein Jahr zu befristen (Art 1 § 2 Abs 4 Satz 1 AÜG). Nach Art 1 § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG, auf den sich die Beklagte als Grund für die Versagung berufen hat, ist die Erlaubnis zu versagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß der Antragsteller die für die Ausübung der Tätigkeit nach § 1 erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere weil er die Vorschriften des Sozialversicherungsrechts, über die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, über die Arbeitsvermittlung, über die Anwerbung im Ausland oder über die Arbeitserlaubnis, die Vorschriften des Arbeitsschutzrechts oder die arbeitsrechtlichen Pflichten nicht einhält.
Der Zweck der präventiven Zugangsschranke des Art 1 § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG besteht darin, im Interesse der Sicherheit des sozialen Schutzes der Leiharbeitnehmer unzuverlässige Verleiher aus dem Bereich der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung auszuschalten (BT-Drucks VI/2303 S 9 zu A 2 und S 11 zu § 3 Abs 1). Verfassungsrechtlich ist dieser Eingriff in die Berufsfreiheit (Art 12 Abs 1 Satz 2 Grundgesetz) unbedenklich. Denn als subjektive Zulassungsvoraussetzung (vgl dazu BVerfGE 7, 377, 405 ff; 9, 338, 345; 13, 97, 106) steht der Versagungsgrund der (persönlichen) Unzuverlässigkeit nicht außer Verhältnis zu dem angestrebten Zweck, die Verleiher im Interesse der Leiharbeitnehmer zur ordnungsgemäßen Erfüllung ihrer Berufstätigkeit zu verpflichten (Becker/Wulfgramm, Komm zum AÜG, 3. Aufl 1985, Art 1 § 3 Rz 14).
Wann die Voraussetzungen des Versagungsgrundes der Unzuverlässigkeit, der einen gerichtlich nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff darstellt, verwirklicht sind, ergibt sich nicht abschließend aus dem AÜG. Art 1 § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG begnügt sich, wie dem Wort „insbesondere” zu entnehmen ist, mit der Aufzählung von Beispielsfällen. Unter Berücksichtigung dieser Beispielsfälle und des Schutzzweckes des AÜG muß ein Antragsteller als unzuverlässig angesehen werden, wenn in seiner Person Tatsachen vorliegen, denen zufolge zu besorgen ist, daß er sein Gewerbe nicht in Einklang mit den bestehenden rechtlichen Vorschriften ausüben wird (Becker/Wulfgramm, aaO, Art 1 § 3 Rz 15; Franßen/Haesen, aaO, Art 1 § 3 Rz 6; Sandmann/Marschall, aaO, Art 1 § 3 Anm 5). Insofern ist – wie etwa beim Versagungsgrund der mangelnden Zuverlässigkeit auf dem Gebiet des Gaststättengewerbes (§ 4 Abs 1 Nr 1 Gaststättengesetz ≪GastG≫) – über die zukünftige Entwicklung eine Prognose abzugeben. Führt die Prognose, für die der Zeitpunkt den letzten mündlichen Verhandlung vor dem Tatsachengericht (Berufungsgericht) maßgebend ist, zu keinem klaren Ergebnis, geht dies zu Lasten der Erlaubnisbehörde (Becker/Wulfgramm, aaO, Art 1 § 3 Rz 11; Mörtel/Metzner, Komm zum Gaststättengesetz, 4. Aufl 1988, § 4 Rz 12).
Unzuverlässigkeit läßt sich, anders als die Beklagte meint, vorliegend nicht schon deswegen prognostizieren, weil der Kläger auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung nicht über besondere Fachkunde und Berufserfahrung verfügt. Der Gesetzgeber hat die fachliche Eignung im Gewerberecht nur in Ausnahmefällen zur Berufszulassungsvoraussetzung erhoben (zB §§ 7, 8 Handwerksordnung; vgl auch etwa § 10 Güterkraftverkehrsgesetz und § 13 Personenbeförderungsgesetz). In den meisten Fällen hat er darauf verzichtet (zB im Gaststättengewerbe, wo die Beibringung eines sog Unterrichtungsnachweises ausreicht ≪§ 4 Abs 1 Nr 4 GaststG≫). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat gewisse Berufszulassungsvoraussetzungen sogar für verfassungswidrig erklärt (vgl etwa BVerfGE 34, 71, 77). Die Versagung einer gewerblichen Erlaubnis wegen fehlender Fachkundevoraussetzung kommt folglich nur dort in Betracht, wo ein entsprechender Befähigungsnachweis vom Gesetzgeber ausdrücklich verlangt wird (Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Stand: April 1991, § 35 GewO Rz 58 ff). Das trifft auf die Erteilung einer Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung nicht zu. Insoweit geht der Gesetzgeber davon aus, daß auch ein Berufsanfänger ohne einschlägige Fachkenntnisse die für eine Verleihertätigkeit erforderliche Zuverlässigkeit besitzen kann (Sandmann/Marschall, aaO, Art 1 § 3 Anm 12). Dies ist auch sinnvoll. Denn wer nicht bereits von Anfang an über die notwendigen Kenntnisse verfügt, kann sich der Hilfe sachkundiger Dritter bedienen und auf diese Weise etwaige fachkundliche Defizite ausgleichen bzw sich den erforderlichen Kenntnisstand aneignen.
Auf der anderen Seite ist die ordnungsgemäße Ausübung eines Gewerbes nicht möglich, wenn dem Antragsteller elementarste Kenntnisse fehlen (Sandmann/Rohmer, aaO, § 35 GewO Rz 60). Von einem solchen Antragsteller kann nicht erwartet werden, daß er die ihm als Verleiher obliegenden Arbeitgeberpflichten erfüllt (Sandmann/Marschall, aaO, Art 1 § 3 Anm 12).
Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger über die für die Ausübung einer Arbeitnehmerüberlassungstätigkeit erforderlichen Grundkenntnisse verfügt. Es hat dies ua damit begründet, daß der Kläger (ordnungsgemäße) Musterarbeits- und Arbeitnehmerüberlassungsverträge vorgelegt, den Schriftwechsel mit der Beklagten ohne fremde Hilfe geführt und über seinen seit 10 Jahren als Leiharbeitnehmer beschäftigten Bruder Kenntnisse im Arbeitnehmerüberlassungsgewerbe gewonnen habe. Richtig sei, daß der Kläger bei der Erörterung mit der Sachbearbeiterin P.-F. am 7. September 1988 auf die anfangs notwendige Hilfe eines sachkundigen Dritten (des Unternehmensberaters S. ) hingewiesen habe. Doch könne dies bei einem technisch, nicht aber kaufmännisch versierten Berufsanfänger nur positiv bewertet werden, weil es den Tatsachen zu Beginn einer selbständigen Tätigkeit entspreche.
Mit ihrer Rüge hiergegen, das LSG habe seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 Satz 1 SGG) verletzt, weil es entgegen ihrem Antrag die Sachbearbeiterin P.-F. nicht als Zeugin zum Inhalt des am 7. September 1988 mit dem Kläger geführten Gesprächs vernommen habe, hat die Beklagte nicht den Anforderungen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG entsprochen. Mit der Vernehmung der Bediensteten P.-F. sollte, woran die Begründung des Beweisantrages der Beklagten vor dem LSG keinen Zweifel läßt, der Nachweis des Fehlens eigener Fachkenntnisse und Berufserfahrungen des Klägers geführt werden. Indes kommt es hierauf, wie dargetan, nicht an. Hinsichtlich dieser Frage brauchte sich das LSG deshalb auch aus seiner materiell-rechtlichen Sicht nicht zu einer weiteren Beweisaufnahme gedrängt zu sehen.
Mit Recht hat das LSG geprüft, ob der Kläger deshalb als unzuverlässig iS des Art 1 § 3 Abs 1 Nr 1 AÜG anzusehen ist, weil P. ihn möglicherweise als Strohmann vorschickt. Denn bei Strohmannverhältnissen ist auf die Zuverlässigkeit des Hintermanns als des tatsächlich Gewerbetreibenden abzustellen. Ist der Hintermann unzuverlässig, so folgt die Unzuverlässigkeit des Strohmanns bereits daraus, daß er einem Unzuverlässigen die gewerbliche Tätigkeit ermöglicht (BVerwG DÖV 1982, 902; Mörtel/Metzner, aaO, § 4 Rz 18; Sandmann/Marschall, aaO, Art 1 § 3 Anm 6). Unzuverlässigkeit ist darüber hinaus dann zu bejahen, wenn der Antragsteller nicht willens oder nicht in der Lage ist, einen unzuverlässigen Dritten vom Einfluß auf die Führung des Betriebs auszuschließen. Denn wer einen Gewerbebetrieb führen will und hierbei die Einflußnahme eines Dritten, der selbst nicht die hierfür erforderliche Zuverlässigkeit besitzt, nicht ausschalten will oder kann, läßt die begründete Vermutung aufkommen, daß er selbst nicht willens oder in der Lage ist, alle Voraussetzungen für eine einwandfreie Betriebsführung zu schaffen (BVerwGE 9, 222; Becker/Wulfgramm, aaO, Art 1 § 3 Rz 17; Sandmann/Marschall, aaO, Art 1 § 3 Anm 6).
Das LSG, das dies alles nicht verkannt hat, hat indes gemeint, die Vermutung des T., der Kläger habe lediglich als Strohmann des P. fungieren sollen, habe sich nicht erweisen lassen. Mit Recht rügt demgegenüber die Beklagte, das LSG habe insoweit seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 Satz 1 SGG) verletzt, weil es entgegen ihrem Antrag den Sachbearbeiter T. nicht zum Inhalt des am 21. September 1988 mit P. geführten Gesprächs als Zeugen vernommen habe.
Die Rüge der Beklagten wird den Formerfordernissen des § 164 Abs 2 Satz 3 SGG gerecht. Die Beklagte hat ihren Antrag auf Vernehmung des T., dem das LSG nicht stattgegeben hat, genau bezeichnet. Sie hat dargelegt, weshalb sich das LSG von seiner materiell-rechtlichen Ansicht her zur Vernehmung des T. hätte gedrängt sehen müssen. Sie hat zumindest sinngemäß ausgeführt, zu welchem Ergebnis die Beweisaufnahme geführt hätte, nämlich zur Annahme eines zwischen P. und dem Kläger bestehenden Strohmannverhältnisses bzw zu einer durch P. auf die Geschäftsführung des Klägers ausgeübten Einflußnahme.
Das Urteil des LSG beruht auch auf dem von der Beklagten gerügten Verfahrensmangel. Nach den vom LSG getroffenen Feststellungen war P. bereits durch illegale Aktivitäten im Arbeitnehmerüberlassungsgewerbe aufgefallen. Er hat den Kläger, den er seit langem kannte und den er vorübergehend beschäftigte, zur Betätigung als Verleiher angeregt. Überdies hat er während des Vorverfahrens, nämlich am 21. September 1988, beim Sachbearbeiter T. zugunsten des Klägers interveniert. T., der mit den früheren illegalen Aktivitäten des P. auf dem Gebiet der Arbeitnehmerüberlassung vertraut war, hat aufgrund dieses Gesprächs den Eindruck gewonnen, daß P. mit dem Kläger einen Strohmann gesucht und gefunden habe. Hätte sich der Eindruck, der Kläger werde in Zusammenhang mit dem Antrag auf Erteilung der Erlaubnis der Arbeitnehmerüberlassung von P. lediglich vorgeschoben, aufgrund der Zeugenvernehmung des T. zur Gewißheit verdichtet, wäre das LSG von seinem Rechtsstandpunkt aus zu einem der Beklagten günstigen Ergebnis gelangt.
Da der Senat die unterbliebene Beweisaufnahme nicht selbst nachholen kann, muß das Urteil des LSG aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung gemäß § 170 Abs 2 SGG an das LSG zurückverwiesen werden.
Das LSG, das auch über die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden hat, wird im Rahmen seiner Entscheidung zu beachten haben, daß der Anspruch auf Erteilung der begehrten Erlaubnis nicht nur aus den Gründen, auf die sich die Beklagte in ihrem Bescheid vom 26. August 1988 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. November 1988 ausdrücklich gestützt hat, sondern ggf noch aus anderen Gründen zu versagen sein kann. Die Untersuchungsmaxime (§ 103 SGG) gebietet, daß sämtliche Versagungsgründe des Art 1 § 3 AÜG von Amts wegen geprüft werden. Das LSG trägt für den Fall eines zusprechenden Urteils die Verantwortung für dessen inhaltliche Richtigkeit.
Fundstellen
BB 1992, 2365 |
NJW 1992, 3191 |
NZA 1992, 1006 |