Entscheidungsstichwort (Thema)
Alterssicherung der Landwirte – Beitragszuschuß – rechtzeitige Absendung des Einkommensteuerbescheides – Erkundigungspflicht des Landwirts bei Ausbleiben einer Reaktion durch landwirtschaftliche Alterskasse – Ermessensausübung – Rückforderung – Ruhen
Leitsatz (amtlich)
Hat der beitragszuschußberechtigte Landwirt den neuen Einkommensteuerbescheid mit einfachem Brief rechtzeitig abgesandt, so trifft ihn eine Erkundigungspflicht, wenn die landwirtschaftliche Alterskasse nach angemessener Frist nicht hierauf reagiert.
Stand: 9. Juli 2001
Normenkette
ALG § 32 Abs. 3 S. 4 Nr. 1, Abs. 4 S. 1 Hs. 1, Abs. 4 S. 1 Hs. 2, § 34 Abs. 1, § 107a; SGB I § 67; SGB X § 27; SGG § 67
Beteiligte
Landwirtschaftliche Alterskasse Schwaben |
Gesamtverband der landwirtschaftlichen Alterskassen |
Verfahrensgang
SG Augsburg (Entscheidung vom 04.08.1999; Aktenzeichen S 10 LW 71/98) |
Tenor
Auf die Revision der Kläger werden das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. August 1999 sowie die Bescheide der Beklagten vom 24. April 1998 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25. September 1998 aufgehoben.
Die Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist, ob die Kläger zur Erstattung von Beitragszuschüssen verpflichtet sind, die ihnen die Beklagte für die Monate Juni 1997 bis März 1998 nach § 32 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) in Höhe von jeweils 1.582 DM gewährt hatte.
Die Kläger betreiben gemeinsam eine Landwirtschaft und sind bei der Beklagten pflichtversichert. Antragsgemäß bewilligte die Beklagte ihnen mit Bescheiden vom 6. November 1995 und 22. Mai 1996 auf der Grundlage der Einkommensteuerbescheide für die Veranlagungsjahre 1993 (Bescheid vom 17. Mai 1995, vorgelegt am 23. Oktober 1995) und 1994 (Bescheid vom 18. März 1996, vorgelegt am 13. Mai 1996) Beitragszuschüsse in Höhe von monatlich 233 DM (Einkommensklasse 1) ab dem 1. Januar 1995, monatlich 214 DM (Einkommensklasse 3) ab dem 1. Mai 1995 und monatlich 149 DM (Einkommensklasse 11) ab dem 1. Juni 1996. Es folgten auf der Grundlage des vorgelegten Einkommensteuerbescheides für das Veranlagungsjahr 1994 mit Bescheiden vom 18. Dezember 1997 die Neufeststellungen der Beitragszuschüsse für das Jahr 1997 (monatlich 161 DM, Einkommensklasse 11). Die Bescheide und das von den Klägern am 25. April 1995 unterschriebene Antragsformular enthielten jeweils hervorgehoben den Hinweis, daß nach Ausfertigung eines neuen Einkommensteuerbescheides dieser spätestens bis zum Ablauf des zweiten auf das Datum des Bescheides folgenden Kalendermonats vorzulegen sei. Falls dem nicht entsprochen werde, müsse der zwischenzeitlich gewährte Beitragszuschuß zurückgefordert werden, selbst wenn er nach den Einkommensverhältnissen zugestanden hätte.
Am 11. März 1998 legten die Kläger, von der Beklagten dazu mit Schreiben vom 30. Januar 1998 aufgefordert, den Einkommensteuerbescheid vom 17. April 1997 für das Veranlagungsjahr 1995 vor. Unter Berücksichtigung der in diesem Bescheid ausgewiesenen Einkommen stellte die Beklagte mit den streitgegenständlichen Bescheiden vom 24. April 1998 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25. September 1998 ua fest, daß ab dem 1. April 1998 weiterhin der Anspruch auf Beitragszuschuß in Höhe von monatlich 236 DM (Einkommensklasse 4) bestehe, zzgl 118 DM monatlich bei dem Kläger zu 2) für den Sohn als mitarbeitenden Familienangehörigen; für die Monate Juni 1997 bis einschließlich März 1998 ruhe der Beitragszuschuß jedoch, da der Einkommensteuerbescheid 1995 nicht innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Monaten nach seiner Ausfertigung vorgelegt worden sei. Die Überzahlung von jeweils 1.582 DM zzgl 480 DM bei dem Kläger zu 2) würden zurückgefordert. Zur Begründung ihres Widerspruchs gaben die Kläger an, sie seien sich sicher, der Beklagten im Mai 1997 den Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1995 zugeschickt zu haben. Ihnen ständen die Beitragszuschüsse im streitigen Zeitraum in der höheren Einkommensklasse zu.
Das Sozialgericht Augsburg (SG) hat mit Urteil vom 4. August 1999 die Klagen abgewiesen. Zwar müsse nach den Angaben der Kläger die erste Übersendung des Einkommensteuerbescheides für 1995 im Mai 1997 auf dem Postwege verloren gegangen sein. Da § 32 Abs 4 ALG aber auf die „Vorlage” bei der Beklagten abstelle, hätten die Kläger das Risiko des Verlustes bei Überweisung des Einkommensteuerbescheides auf dem Postwege zu tragen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren – (SGB X) sei hier nicht zu gewähren. Ergänzend zu den Gründen der Widerspruchsbescheide (§ 136 Abs 3 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) hat das SG ausgeführt, § 32 Abs 4 Satz 1 und 2 ALG verstoße nicht gegen Art 14 (Eigentumsschutz) und Art 20 Abs 1 (Sozialstaatsprinzip) Grundgesetz (GG). Das Ausschöpfen legaler steuerrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten durch die Wahl des Zeitpunkts der Einreichung der entsprechenden Einkommensteuererklärung führe hier dazu, daß die Zeiten eines relativ niedrigen Beitragszuschusses verkürzt bzw Zeiten eines relativ hohen Beitragszuschusses verlängert werden könnten. Zur Mißbrauchsverhinderung sei das Ruhen auch dann hinzunehmen, wenn – wie hier – der Einkommensteuerbescheid möglicherweise auf dem Postwege verloren gegangen sei. Rechtliche Alternativen seien hierzu nicht erkennbar; insbesondere sei die Beklagte nicht von Amts wegen zu Anfragen bei den Finanzbehörden gemäß § 21 Abs 4 SGB X verpflichtet. Eine teleologische Reduktion von § 32 Abs 4 ALG iS einer Beschränkung der Rückforderung auf jene Fälle, in denen Beitragszuschüsse auch tatsächlich entweder dem Grunde oder der Höhe nach nicht zugestanden hätten, sei im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung nicht mehr möglich. Nur in einem einzigen der rund 30 am SG rechtshängigen einschlägigen Verfahren hätten sich Hinweise auf ein doloses Verhalten von Zuschußberechtigten ergeben.
Mit ihrer Sprungrevision rügen die Kläger eine Verletzung von § 32 Abs 4 ALG. Diese Vorschrift müsse so ausgelegt werden, daß die Leistung nur dann ruhe und eine Rückforderung nur zulässig sei, wenn die Beitragszuschüsse auch tatsächlich entweder dem Grunde oder der Höhe nach nicht zugestanden hätten (Hinweis auf das Urteil des SG Regensburg vom 7. Mai 1999 – S 10 LW 42/98 –).
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 4. August 1999 und die Bescheide der Beklagten vom 24. August 1998 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 25. September 1998 werden aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, den Klägern für den Zeitraum vom 1. Juni 1997 bis 31. März 1998 Beitragszuschuß nach § 32 ALG zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Wortlaut von § 32 Abs 4 ALG lasse die von den Klägern in Erwägung gezogene Differenzierung zwischen zuschußerheblichen und nicht zuschußerheblichen Einkommensteuerbescheiden nicht zu. Ein Ermessensspielraum bestehe nicht. Entstehungsgeschichte des Beitragszuschußrechtes, die konkrete Ausgestaltung der Normen, die Gesetzesbegründung und die Gesetzessystematik erschlössen einen Gesetzeszweck, der mit der von den Klägern vertretenen Auffassung nicht zu vereinbaren sei.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 SGG).
II
Die Revision der Kläger erweist sich auf der Grundlage der einschlägigen Rechtsprechung des Senats (1) als begründet. Zwar liegen die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen für das Ruhen der Beitragszuschüsse für die Zeit von Juni 1997 bis März 1998 vor (2); die angefochtenen Bescheide sind jedoch deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt hat, ob die den Klägern gezahlten – und ihnen nach den tatsächlichen Einkommensverhältnissen zustehenden – Beitragszuschüsse in vollem Umfang oder nur teilweise ruhen und zurückzufordern sind (3).
(1)
Der Senat geht hierbei von folgenden Grundsätzen aus (vgl insoweit im einzelnen das Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R, das den Beteiligten zur Kenntnis gegeben wurde):
Das mit dem ALG eingeführte Verfahren zur Berechnung des Beitragszuschusses (neue Anrechnungsmethode) stellt maßgeblich auf jene Einkünfte ab, die sich aus dem letzten (dem sich auf das zeitnächste Veranlagungsjahr beziehenden) Einkommensteuerbescheid ergeben (wenn für eines der letzten vier Kalenderjahre eine Veranlagung zur Einkommensteuer erfolgt ist): § 32 Abs 3 Satz 4 Nr 1 ALG. Damit ist die Alterskasse darauf angewiesen, jeweils die neuesten Einkommensteuerbescheide zu erhalten. Deshalb regelt § 32 Abs 4 Satz 1Halbsatz 1 ALG, daß ihr der Einkommensteuerbescheid spätestens zwei Kalendermonate nach seiner Ausfertigung vorzulegen ist (also bei Ausfertigung im April – wie hier – spätestens bis Ende Juni). Geschieht dies, so werden die sich hieraus ergebenden Änderungen vom Ersten des auf die Vorlage des Bescheides folgenden Kalendermonats an berücksichtigt (§ 32 Abs 4 Satz 2 ALG; also bei Ausfertigung im April und rechtzeitiger Vorlage, je nach Vorlagemonat, ab 1. Mai, 1. Juni oder 1. Juli).
Wird der Einkommensteuerbescheid erst verspätet vorgelegt, so ergeben sich hieraus unterschiedliche Konsequenzen, je nachdem, ob sich nach den Feststellungen im Steuerbescheid ein niedrigerer (a) oder ein gleich hoher oder höherer (b) Beitragszuschuß errechnet als bisher gezahlt.
(a) Soweit sich die Festsetzungen in dem neuen, der Alterskasse verspätet vorgelegten Einkommensteuerbescheid negativ auf den Beitragszuschuß auswirken – also zu einem niedrigeren oder gar keinem Anspruch führen –, erfolgt ab dem Beginn des dritten Kalendermonats nach Ausfertigung des Einkommensteuerbescheides (vgl § 107a Satz 2 ALG, also bei Ausfertigung im April – wie hier – ab 1. Juli) eine Neufeststellung, und der Landwirt hat die entsprechende Überzahlung in jedem Fall zu erstatten. Dies folgt – auch ohne die Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG – aus der Regelung des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 1 iVm § 34 Abs 4 ALG; nach der letztgenannten Vorschrift ist bei einer Änderung der für den Beitragszuschuß maßgebenden Verhältnisse die bisherige Bewilligung vom Zeitpunkt der Änderung an aufzuheben. Da diese Sonderregelung zu § 48 Abs 1 SGB X rückwirkende Neufeststellungen zu Lasten des Betroffenen erlaubt, ohne Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes zu berücksichtigen (hierzu Senatsurteil vom 8. Oktober 1998, SozR 3-5868 § 32 Nr 2 S 14), kann der Betroffene jedenfalls keinen Vorteil daraus ziehen, daß der Alterskasse ein neuer, maßgeblicher Einkommensteuerbescheid erst verspätet bekannt wird. Der überzahlte Beitragszuschuß ist zurückzuzahlen (§ 50 Abs 1 SGB X).
(b) Soweit nicht bereits nach den Grundsätzen zu (a) der gesamte Beitragszuschuß zurückzuzahlen ist, greift die Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1Halbsatz 2 ALG ein: Hiernach ruht – wird der Einkommensteuerbescheid nicht rechtzeitig vorgelegt – der Beitragszuschuß vom Beginn des Monats, in dem der Bescheid (gemeint: noch) fristgemäß hätte vorgelegt werden können (hier also ab 1. Juni) bis zum Ablauf des Monats der tatsächlichen Vorlage (bei Vorlage im März des Folgejahres also bis zum 31. März): Die Regelung setzt bereits vom Tatbestand her ein Verschulden voraus (s hierzu das Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R unter II 1, S 8 des Umdrucks). Die Leistungsbewilligung ist insoweit aufzuheben. Dies geschieht naturgemäß stets rückwirkend, da der Alterskasse die Existenz eines neuen Einkommensteuerbescheides nicht bereits mit seinem Erlaß bekannt wird. Die Aufhebung der Leistungsbewilligung mit Wirkung für die Vergangenheit (wegen des nachträglich festgestellten Ruhens) ist auch hier ohne weitere Voraussetzungen und ohne Rücksicht auf einen etwaigen Vertrauensschutz möglich (§ 34 Abs 4 ALG); ein für den Ruhenszeitraum gezahlter Beitragszuschuß ist dann zurückzuzahlen (§ 50 Abs 1 SGB X).
Der Ruhensvorschrift des § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG kommt damit ein reiner Sanktionscharakter zu. Sie ist unter entsprechender Anwendung des § 67 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) verfassungskonform einschränkend auszulegen: Die Alterskasse hat ein Ermessen auszuüben, ob der im Ruhenszeitraum ausgezahlte und nach dem maßgeblichen Steuerbescheid auch zustehende Beitragszuschuß in voller Höhe ruht oder lediglich teilweise (Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R unter II 3 und 4, S 13 ff des Umdrucks).
(2)
Das Ruhen gemäß § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG entfällt nicht deshalb von vornherein, weil den Klägern, hätten sie den Einkommensteuerbescheid für das Veranlagungsjahr 1995 rechtzeitig vorgelegt, ein höherer Beitragszuschuß zugestanden hätte (nach dem Akteninhalt könnte der monatliche Beitragszuschuß für das Jahr 1997 unter Beachtung der Einkommensverhältnisse im Veranlagungsjahr 1995 sich auf 231 DM belaufen haben). Dieser Umstand kann allenfalls im Rahmen der der Beklagten obliegenden Ermessensausübung berücksichtigt werden (Gesichtspunkt der „Doppelbestrafung”). Der Senat hat bereits im zitierten Urteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R – im einzelnen begründet, warum die in § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG angeordnete Folge des Ruhens des Anspruchs auf Beitragszuschuß bei nicht rechtzeitiger Vorlage des jeweils zeitnächsten Einkommensteuerbescheides auch insoweit gerechtfertigt ist, als den Versicherten der ihnen gezahlte – oder gar ein höherer – Beitragszuschuß auch auf der Grundlage des maßgebenden, der Alterskasse jedoch nicht bekannten Einkommensteuerbescheides zugestanden hätte. Es ist insoweit auf die Ausführungen zu II 1 der Gründe des Senatsurteils aaO (insbesondere S 7) hinzuweisen.
Den Klägern ist weiterhin – jedenfalls ab September 1997 – auch ein schuldhaftes, zumindest fahrlässiges Verhalten – als Voraussetzung für das Ruhen nach § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG (s hierzu Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R – unter II 1; zum maßgeblichen Verschuldensbegriff vgl Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 22/99 R – S 7 der Gründe, mwN; BSG vom 20. September 1977, BSGE 44, 264, 273) – vorzuwerfen. Ohne Verschulden handelt danach jener Betroffene, der die Sorgfalt beachtet, die einem im jeweiligen Verwaltungsverfahren gewissenhaft Handelnden nach den gesamten Umständen des jeweiligen Falles zuzumuten ist. Wie vom SG ausdrücklich festgestellt, waren die Kläger von der Beklagten wiederholt und unmißverständlich auf ihre aus § 32 Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 ALG folgenden Pflichten hingewiesen worden. Sie geben dazu bereits im Vorverfahren an, entsprechend dieser Verpflichtung gehandelt zu haben, indem sie „im Mai 1997” der Beklagten eine Kopie des Einkommensteuerbescheides für das Veranlagungsjahr 1995 zugeschickt hätten. Nach der Vermutung des SG soll der Einkommensteuerbescheid auf dem Postwege verloren gegangen sein. Auch wenn der erkennende Senat die Rechtsansicht des SG nicht teilt, wonach die Kläger das Risiko für den Verlust auf dem Postwege tragen müßten (dazu a), bleibt ihnen beim bisher gegebenen Sachstand vorzuwerfen, daß sie sich nicht nach dem Verbleiben des Bescheides in angemessener Frist bei der Beklagten erkundigt haben (dazu b).
a) Ein Vorwurf des Inhalts, ein Landwirt habe den maßgeblichen Einkommensteuerbescheid schuldhaft nicht fristgemäß vorgelegt, kann jedenfalls dann nicht mehr erhoben werden, wenn der Landwirt den Bescheid nachweislich an die landwirtschaftliche Alterskasse abgesandt hat. Für die Geltung dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes bedarf es keiner unmittelbaren Anwendung der Wiedereinsetzungsbestimmung des § 27 SGB X, denn das Verschulden ist bereits materiell-rechtliche Voraussetzung des Ruhens bei Fristversäumung: Wird die Vorlagefrist schuldhaft nicht eingehalten, ruht der Beitragszuschuß. Umgekehrt fehlt es bereits an einer Tatbestandsvoraussetzung dieser Sanktion, wenn feststeht, daß die unterbliebene Vorlage nicht verschuldet ist; dann bedarf es keiner Wiedereinsetzung in die Vorlagefrist.
Deshalb ist hier auch nicht weiter darauf einzugehen, ob gegen eine Anwendung der Wiedereinsetzung eingewendet werden könnte, diese sei normativ ausgeschlossen (vgl § 27 Abs 5 SGB X). Allein die vom SG angesprochene Befürchtung, die gesetzliche Regelung könne durch den Mißbrauch („rechtzeitige Absendung” als Ausrede bei tatsächlich schuldhafter Versäumung) unterlaufen werden, rechtfertigt jedenfalls nicht, auch den sorgfältig handelnden Betroffenen mit dem Risiko des Postverlustes zu überziehen; die Befürchtung des Mißbrauchs spricht eher dafür, daß Verwaltung und Tatsachengerichte die Sorgfaltsanforderungen angemessen handhaben.
Vor diesem Hintergrund sind die allgemeinen Regeln – insbesondere auch zur Beweis- (Feststellungs-)last – für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wie sie für die Verfahrens- und die materiell-rechtlichen Fristen Anwendung finden (vgl § 27 SGB X, § 67 SGG), entsprechend (dh ohne die Regeln über die Fristen und Glaubhaftmachung, § 27 Abs 2, Abs 3 SGB X) anzuwenden. Bei der Anwendung der Wiedereinsetzungsregeln sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (BVerfG vom 15. April 1980, BVerfGE 54, 80, 84 mwN, stRspr). Dies gilt auch dann, wenn als Maßstab nicht das aus der Rechtsweggarantie abgeleitete Gebot effektiven Rechtsschutzes unmittelbar einschlägig ist, sondern der Schutzanspruch aus materiellen Grundrechtsverbürgungen folgt (BVerfG vom 20. April 1982, BVerfGE 60, 253, 300), insbesondere wenn – wie vorliegend jedenfalls mit umfaßt – die Wahrung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs 1 GG) in Rede steht (so auch Kopp/Ramsauer, VwVfG, 7. Aufl, § 32 RdNr 2 mwN). Der Betroffene kann für den Zugang bei der Behörde (oder bei dem Gericht) nicht verantwortlich gemacht werden (BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats, vom 8. April 1992 – 2 BvR 1865/91 –, Volltext in JURIS, mwN). Vielmehr darf er sich auf den ordnungsgemäßen Postbetrieb verlassen (BVerfG vom 25. Oktober 1978, BVerfGE 50, 1, 3f).
Indessen genügt zur Feststellung, der Landwirt habe die verspätete Vorlage nicht verschuldet, nicht allein die bloße Behauptung, den Bescheid abgesandt zu haben. Vielmehr sind alle Beweismittel auszuschöpfen (dazu BVerfG, 2. Kammer des 2. Senats vom 15. Mai 1995, NJW 1995, 2546); dazu bedarf es sorgfältiger Darlegung und Aufklärung. Vorliegend hat das SG nicht festgestellt, daß der Bescheid tatsächlich bei der Post untergegangen ist; bloße Vermutungen der Beteiligten (vgl dazu BGH vom 17. September 1998 – VII ZB 18/98 –, HFR 1999, 671) – oder wie hier des SG – genügen nicht. Der Verlust von Briefsendungen bei der Post kann nach allgemeiner Erfahrung als selten gelten (vgl BAG vom 21. Dezember 1987 – 4 AZR 540/87 –). Unter solchen Umständen ist es Sache des Betroffenen, substantiiert darzulegen, daß er den Vorgang ordnungs- und fristgemäß bearbeitet und zur Post gegeben hat (vgl insbesondere zur Substantiierungspflicht gegenüber der Zugangsvermutung BSG vom 23. Mai 2000, SozR 3-1960 § 4 Nr 4 S 9, 12). Ggf sind (von Amts wegen) die dazu gebotenen Beweise zu erheben (vgl bereits BSG vom 23. August 1957, BSGE 6, 1; 26. Mai 1971 – 12/11 RA 118/70, USK 7199; Meyer-Ladewig, SGG mit Erläuterungen, 6. Aufl, § 67 RdNr 10b mwN). Kann sich das Gericht nicht davon überzeugen, daß der Landwirt den Einkommensteuerbescheid rechtzeitig zur Post gegeben hat, geht dies zu seinen Lasten; die Absenkung der Beweisanforderungen (Glaubhaftmachung) gilt – wie dargelegt – insoweit nicht. Diese Grundsätze hat auch die Beklagte zu beachten, insbesondere wenn aus ihrer Sicht Zweifel an der Tatsachenwürdigung des SG vorliegen sollten.
b) Selbst wenn mit dem SG davon auszugehen wäre, der Einkommensteuerbescheid sei von den Klägern fristgemäß abgesandt worden, wären sie vom Vorwurf schuldhaften Verhaltens aufgrund der vorliegenden Feststellungen dennoch nicht frei; in diesem Fall ergibt sich ein Verschulden ab dem Zeitpunkt, in dem bei ordnungsgemäßem Verhalten bekannt gewesen wäre, daß der Einkommensteuerbescheid nicht angekommen ist (vgl BVerwG vom 25. April 1997 – 7 B 79/97 –, Volltext in JURIS, mwN). Den versicherungspflichtigen Landwirt, der – zudem als leistungsberechtigter Bezieher von Beitragszuschuß – in ein Sozialrechtsverhältnis eingebunden ist (s insbesondere zur Erkundigungspflicht bei der Wiedereinsetzung: BVerwG vom 25. April 1997 aaO; BSG vom 26. März 1992, SozR 3-1500 § 67 Nr 3 mwN; BGH vom 28. Oktober 1987 – VIII ZR 206/86 –, WM 1987, 1496; zur Erkundigungspflicht des Beamten im beamtenrechtlichen Treueverhältnis: BVerwG vom 14. Juli 1971, Buchholz 232 § 78 BBG Nr 17; Erkundigungspflicht des Arbeitgebers: BayObLG München vom 27. Februar 1998, DB 1998, 1040; Erkundigungspflicht des Arbeitnehmers: LSG Nordrhein-Westfalen vom 23. November 1965, Breith 1966, 413; zum Begriffs Zöller/Greger, ZPO, 21. Aufl 1999, § 233 RdNr 23 Stichwort Informationspflicht), trifft nämlich eine Erkundigungspflicht bei der Beklagten, wenn trotz des abgesandten Einkommensteuerbescheides von dieser nicht in angemessener Frist eine Neubescheidung vorgenommen wird und auch keine sonstige Reaktion erfolgt. Braucht ein Absender bei rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Aufgabe zur Post grundsätzlich auch nicht nachzufragen, ob eine Sendung eingegangen ist, so kann angesichts der besonderen Umstände doch etwas anderes gelten (vgl Meyer-Ladewig aaO § 67 RdNr 6c mwN insbesondere zur Rechtsprechung des BVerfG).
Solche eine Erkundigungspflicht begründenden Umstände sind hier zur Überzeugung des Senats zu bejahen. Änderungen des Einkommens sind vom Ersten des auf die Vorlage des Bescheides folgenden Kalendermonats zu berücksichtigen (§ 32 Abs 4 Satz 2 ALG). Bei dieser Sachlage darf sich ein Landwirt grundsätzlich nicht darauf verlassen, daß eine unterbliebene Verbescheidung auf die fehlende Rechtserheblichkeit des Einkommensteuerbescheides für den unveränderten Fortbezug des Beitragszuschusses schließen lassen. Auf seine eigenen Rechtsauffassung über die Erheblichkeit kommt es nicht an. Vielmehr hat er sich jedenfalls binnen drei Monaten nach der (von ihm behaupteten) Versendung des Einkommensteuerbescheides an die Beklagte dort nach dem Stand des Verfahrens zu erkundigen. Der Senat kann offenlassen, wie zu entscheiden wäre, wenn der Eingang des Einkommensteuerbescheides bei der Beklagten durch Urkunde (Einschreiben, Telefax, E-Mail, Botensendung gegen Empfangsquittung oä) unter Beweis gestellt werden könnte; dazu bietet der vorliegende Sachverhalt keinen Grund.
(3) Trotz des Klärungsbedarfs hinsichtlich der rechtzeitigen Absendung des Einkommensteuerbescheides für das Veranlagungsjahr 1995 kann der Senat durchentscheiden und die angefochtenen Bescheide aufheben, weil die Beklagte das ihr zustehende Ermessen (siehe oben unter 1) nicht ausgeübt hat, in welchem Umfang die den Klägern gezahlten Beitragszuschüsse ruhen (zu Einzelheiten siehe das Senatsurteil vom 17. August 2000 – B 10 LW 8/00 R – zu II 4 der Gründe), und die angefochtenen Bescheide damit jedenfalls an einem Ermessensfehler leiden. Der Ermessensausübung durch die Beklagte ist zwar vorausgesetzt, daß die Kläger ihrer Pflicht zur Vorlage des Bescheides nicht genügt haben. Die frühere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu § 45 SGB X hat insoweit die Meinung vertreten, daß die Ermessensvoraussetzungen im Regelfall nicht offenbleiben dürften (BSG vom 4. Februar 1988, BSGE 63, 37, 42 = SozR 1300 § 45 Nr 34; zur weiteren Entwicklung vgl KassKomm-Steinwedel § 45 SGB X RdNr 22); damit sollte vermieden werden, daß nach einer vorschnellen Erledigung (Aufhebung wegen fehlender Ermessensbetätigung) die Gefahr der Prozeßwiederholung (zur Klärung der Ermessensvoraussetzungen) droht. In Fallkonstellationen wie hier aber, nach dem insoweit entscheidenden Maßstab, ist der Prozeßökonomie durch eine endgültige Entscheidung des BSG der Sache besser gedient als durch eine Zurückverweisung an das SG. Denn nach der grundsätzlichen Klärung der Voraussetzungen für ein Ruhen des Beitragszuschusses (durch das zitierte Senatsurteil vom 17. August 2000) dürfte auch im vorliegenden Fall ein Ruhen lediglich zu einem Bruchteil der bisherigen Streitsumme (3.644 DM) in Betracht kommen. Daß angesichts dessen noch Anlaß zu einem Rechtsstreit besteht, wenn die Kläger der Beklagten keine aussagekräftigen Beweise für die rechtzeitige Absendung des fraglichen Steuerbescheides vorlegen können und sich zudem jedenfalls für den Zeitraum ab September 1997 den Verschuldensvorwurf gefallen lassen müssen, dürfte eher unwahrscheinlich sein.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen