Leitsatz (redaktionell)

1. Die Teilnahme eines Verlagskaufmanns an einem Lehrgang der Werbefachschule Ruhr des Bildungswerkes der Deutschen Angestelltengewerkschaft ist als Maßnahme der beruflichen Fortbildung zu fördern.

2. Eine Förderungsmaßnahme erfordert nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung nicht auch noch kumulativ eine angemessene Berufserfahrung

 

Normenkette

AFG § 41 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25, § 33 Abs. 1 Fassung: 1969-06-25; AFuU § 7 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1969-12-18

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. August 1973 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die Kosten der Revisionsinstanz zu erstatten.

 

Tatbestand

Der 1950 geborene Kläger war nach Abschluß der Realschule und einer dreijährigen Lehre als Verlagskaufmann (Kaufmannsgehilfenprüfung am 18. Juni 1971) noch bis zum 31. Juli 1971 als kaufmännischer Angestellter tätig. Anschließend besuchte er ab 1. August 1971 an der Werbefachschule Ruhr des Bildungswerkes der Deutschen Angestellten Gewerkschaft in Essen den mit einer Abschlußprüfung endenden einjährigen Ausbildungslehrgang zum Werbeassistenten mit Vollzeitunterricht. Seinen Antrag vom 23. August 1971, die Teilnahme an diesem Lehrgang zu fördern, lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 17. Dezember 1971 und Widerspruchsbescheid vom 13. März 1972 mit der Begründung ab, der Kläger erfülle nicht die im Einvernehmen mit ihr von dem Maßnahmeträger aufgestellten Zugangsvoraussetzungen einer mindestens dreijährigen einschlägigen Berufspraxis neben der abgeschlossenen Berufsausbildung.

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Beklagte unter Aufhebung der genannten Bescheide verurteilt, bei dem Kläger den Besuch der Werbefachschule Ruhr als berufliche Fortbildungsmaßnahme zu fördern (Urteil vom 14. August 1972). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 30. August 1973 die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil zurückgewiesen; es hat die Revision zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang stelle sich für ihn nach Abschluß der Ausbildung zum Verlagskaufmann als berufliche Fortbildung dar; die bei dem Lehrgang erworbenen Kenntnisse bedeuteten für ihn eine Erweiterung seiner bis dahin vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten. Die Teilnahme an derartigen Maßnahmen sei nach § 41 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zu fördern, sofern die Maßnahme eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetze. Dabei könne der Maßnahmeträger entsprechend § 7 Abs. 1 Nr. 1 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung in der hier maßgebenden Fassung vom 18. Dezember 1969 (AFuU 1969 - ANBA 1970 S. 85), der auch das kumulative Vorliegen beider Tatbestände als persönliche Voraussetzung der Förderung vorsehe, verlangen, daß neben der Berufsausbildung noch eine angemessene Berufserfahrung nachzuweisen sei. Zwischen der Werbefachschule R und der Beklagten habe nun offenbar eine Vereinbarung dahin bestanden, daß die Schule beide Zugangsvoraussetzungen kumulativ fordern werde. Tatsächlich habe aber der Maßnahmeträger die Erfüllung dieser Voraussetzungen von den Lehrgangsteilnehmern nicht gefordert. Das ergebe sich aus dem Studienplan, der nur eine abgeschlossene Berufsausbildung vorsehe und werde durch die Auskünfte der Schule bestätigt, in denen sie sich förmlich von den von der Beklagten geforderten Zugangsvoraussetzungen distanziere. Im Rahmen des § 7 AFuU 1969 komme es aber darauf an, welche Zugangsvoraussetzungen der Maßnahmeträger aufstelle, der allein erkennen könne, welche Fähigkeiten und Vorkenntnisse seine Schüler für eine erfolgreiche Teilnahme mitbringen müßten. Es gebe im vorliegenden Fall auch keine Anhaltspunkte dafür, daß der Maßnahmeträger etwa mißbräuchlich die Höhe der Anforderungen herabgesetzt habe, um den Teilnehmern die Förderung durch die Beklagte zugute kommen zu lassen. Da der Kläger mithin alle von dem Maßnahmeträger - als für die Teilnahme an dem Lehrgang notwendig - geforderten Voraussetzungen erfüllt habe und auch am Vorliegen der übrigen Förderungsvoraussetzungen kein Zweifel bestehe, habe er Anspruch auf die beantragte Förderung durch die Beklagte.

Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung der §§ 41, 42 AFG und des § 7 Abs. 1 Nr. 1 AFuU 1969. Zur Begründung führt sie folgendes aus: Der Werbelehrgang sei der Berufsausbildung zuzurechnen, deren Förderung nur nach den hier nicht vorliegenden Voraussetzungen des § 40 AFG möglich sei. Da die Werbefachschule nur eine abgeschlossene Berufsausbildung, nicht auch noch zusätzlich eine Berufspraxis verlange, die Bildungsmaßnahme sich demnach unmittelbar an die Berufsausbildung anschließen könne, sei sie nicht als Maßnahme zur beruflichen Fortbildung, sondern als eine solche zur weiteren Berufsausbildung anzusehen. Solche Bildungsgänge seien typisch für Fachschulen, deren Besuch daher durch § 2 Abs. 6 AFuU 1969 von der Fortbildungsförderung regelmäßig ausgeschlossen sei. Sollten an solchen Schulen Fortbildungsmaßnahmen durchgeführt werden, so werde die Teilnahme daran allerdings nach Satz 2 dieser Bestimmung gefördert. Bei dem umstrittenen Lehrgang, dessen Teilnehmer gegenüber ihrem erlernten Beruf einen beruflichen Aufstieg (laut Studienplan: leitende Stellen in der Wirtschaftswerbung) erstrebten, handele es sich aber gleichwohl nicht um eine Fortbildungsmaßnahme. Dem Schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit ( zu BT-Drucks. V/4110) sei zu entnehmen, daß der Gesetzgeber auch eine Kumulation der alternativ genannten Zugangsvoraussetzungen vorgesehen und eine "je nach Fortbildungsziel" flexible Begriffsbestimmung der beruflichen Fortbildung habe schaffen wollen; diese Regelung sei in den § 7 Abs. 1 Nr. 1 AFuU 1969 übernommen worden. Für die hier in Betracht kommende Aufstiegsfortbildung sei dabei die Erfüllung beider Voraussetzungen erforderlich. Schon die Richtlinien für die Gewährung von Beihilfen zur beruflichen Fortbildung (RL) vom 6. September 1965 (BABl S. 735), deren Grundsätze in das AFG übernommen worden seien (BT-Drucks. V/2291 - Begründung A III 4 a), hätten für die Aufstiegsförderung eine abgeschlossene Berufsausbildung und eine mindestens zweijährige Berufspraxis verlangt. Demnach habe der Ausschuß für Arbeit die von ihm vorgesehene Kumulation der in § 41 Abs. 1 AFG genannten Voraussetzungen jedenfalls der Aufstiegsfortbildung zuordnen wollen. Eine allein auf einer Berufsausbildung aufbauende Maßnahme könne daher keine Maßnahme zur Aufstiegsfortbildung sein. Die sechswöchige berufliche Tätigkeit des Klägers vor Beginn des Lehrgangs habe ihm keine angemessene Berufserfahrung vermitteln können. Auch könne die Berufsausbildung selbst nicht schon als eine Berufserfahrung vermittelnde Tätigkeit i. S. von § 42 AFG angesehen werden. Schließlich vermöchten auch die vom Kläger nachgewiesenen Qualifikationen - Gewinn eines Forschungspreises, Einfühlungsvermögen für das Fach Werbung - die fehlende Berufserfahrung nicht zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen sowie des Urteils des SG Duisburg vom 14. August 1972 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für richtig. Die Auffassung der Beklagten finde - so bringt er vor - weder im Gesetz noch in der AFuU 1969 eine Stütze.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet. SG und LSG haben zutreffend erkannt, daß der Kläger dem Grunde nach Anspruch auf Förderung seiner Teilnahme an dem streitigen Lehrgang hat.

Nach § 41 Abs. 1 AFG fördert die Beklagte als berufliche Fortbildung die Teilnahme an Maßnahmen, die das Ziel haben, berufliche Kenntnisse und Fertigkeiten festzustellen, zu erhalten, zu erweitern oder der technischen Entwicklung anzupassen oder einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen, und die eine abgeschlossen Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung voraussetzen. Die Teilnahme des Klägers an dem hier streitigen Lehrgang ist nach dem Charakter dieser Maßnahme im Rahmen der Abgrenzung unter den nach § 33 AFG förderbaren Bildungsmaßnahmen - berufliche Ausbildung, berufliche Fortbildung und berufliche Umschulung - für ihn eine berufliche Fortbildung. Sie hat zum Ziel, die beruflichen Kenntnisse und Fertigkeiten, über die er als ausgebildeter Verlagskaufmann verfügt, zu erweitern und ihm damit zugleich einen beruflichen Aufstieg zu ermöglichen. Die Maßnahme selbst entspricht dabei dem gesetzlichen Erfordernis, eine abgeschlossene einschlägige Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung für die Zulassung vorauszusetzen; der Kläger selbst erfüllt diese Voraussetzung durch die abgeschlossene Ausbildung in einem einschlägigen, nämlich mit der Werbung verwandten Beruf. Die Beklagte stützt die Versagung der Förderung auf den Umstand, daß der Kläger neben der Berufsausbildung nicht auch noch eine dreijährige oder doch zumindest angemessene Berufspraxis aufzuweisen hat. Dabei ist die Begründung ihrer angefochtenen Bescheide, der Kläger erfülle damit nicht die Zugangsvoraussetzungen für die gewählte Bildungsmaßnahme, schon nach den - von ihr nicht angefochtenen und daher für das Revisionsgericht nach § 163 SGG bindenden - tatsächlichen Feststellungen des LSG unzutreffend. Hiernach wurde nämlich für die Teilnahme an dem Lehrgang lediglich eine abgeschlossene Berufsausbildung vorausgesetzt, über die der Kläger verfügte. Hiervon ausgehend wird dann die Revision damit begründet, daß die Teilnahme an der Maßnahme deshalb nicht als berufliche Fortbildung zu fördern sei, weil diese keine angemessene Berufspraxis voraussetze. Die Auffassung der Beklagten, eine solche Bildungsmaßnahme sei deshalb, weil sie sich unmittelbar an eine voraufgehende Berufsausbildung anschließen lasse, keine Maßnahme zur beruflichen Fortbildung sondern zur "weiteren Berufsausbildung", entspricht nicht den Abgrenzungskriterien des AFG für die Bestimmung der einzelnen Arten der beruflichen Bildungsförderung. Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 19. März 1974 (BSGE 37, 163) dargelegt hat, kann Berufsausbildung immer nur die erste zu einem Abschluß führende Bildungsmaßnahme in ein und derselben Berufsrichtung sein. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger aber vor Lehrgangsbeginn bereits seine Ausbildung zum Beruf eines Verlagskaufmanns vollständig abgeschlossen. Eine auf diesem beruflichen Abschluß aufbauende berufliche Weiterbildung kann daher wesensmäßig nicht mehr der beruflichen Ausbildung zugerechnet werden. Die gegen diese Auffassung vorgebrachten Argumente der Revision sind nicht durchgreifend. Wenn auch der Inhalt der von der Revision angezogenen RL vom 6. September 1965 bei Anwendung des AFG - etwa zur Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe - Berücksichtigung finden kann (BSGE 37, 172), so ist doch speziell der dort getroffenen Regelung, wonach sowohl bei den an den Lehrgang wie auch an den Lehrgangsteilnehmer zu stellenden Anforderungen für den Regelfall auch eine Berufspraxis verlangt wurde, für die begriffliche Abgrenzung der beruflichen Fortbildung von der Berufsausbildung im Rahmen der Berufsförderung nach dem AFG keine wesentliche Bedeutung zuzumessen. Die konkreten Anforderungen hinsichtlich der Berufspraxis sind in den - ohnehin nur Fortbildungsmaßnahmen betreffenden - RL nämlich lediglich als Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen, nicht aber dergestalt als begriffsbestimmende Merkmale der beruflichen Fortbildung überhaupt aufgestellt worden, daß sie über die Anwendung der RL hinaus auch für den Fortbildungsbegriff des AFG Geltung haben könnten. Dieser ergibt sich vielmehr allein aus § 41 Abs. 1 AFG und ist insoweit eindeutig, als er die Zugangsvoraussetzungen - abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung - nur alternativ fordert. Dabei unterscheidet das AFG - durchaus sachgerecht - auch nicht zwischen einer "Aufstiegsfortbildung" und den auf andere Fortbildungsziele gerichteten Maßnahmen. Für die Begriffsbestimmung der Fortbildung sind insoweit die von der Revision angezogenen Ausführungen im Schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit ( zu BT-Drucks. V/4110 S. 9) zu § 40 Abs. 1 des Entwurfs (§ 41 Abs. 1 AFG) ohne wesentliche Bedeutung. Auch wenn es dementsprechend in § 41 Abs. 1 AFG heißen würde "Maßnahmen, die ... eine abgeschlossene Berufsausbildung oder eine angemessene Berufserfahrung oder beides zusammen voraussetzen", würde das nichts daran ändern, daß eine Maßnahme, die - wie im vorliegenden Falle - nur eine abgeschlossene Berufsausbildung voraussetzt, hiernach eine Fortbildungsmaßnahme wäre. Daß die Beklagte nicht befugt ist, im Rahmen ihres Anordnungsrechts nach § 39 AFG die in § 41 Abs. 1 AFG alternativ aufgeführten Zugangsvoraussetzungen - abgeschlossene Berufsausbildung oder angemessene Berufserfahrung - zwingend kumulativ vorzuschreiben, hat der Senat bereits entschieden (BSGE 37, 163). Im vorliegenden Falle kommt es hierauf nicht einmal entscheidend an, weil sich die in § 7 der hier maßgebenden AFuU 1969 aufgeführte dritte Alternative "oder beides" (d. h. Berufsausbildung und Berufserfahrung) mangels Konkretisierung überhaupt nur auf die Fälle bezieht, in denen der Maßnahmeträger beides nebeneinander fordert; das ist - wie eingangs dargelegt - hier aber nicht der Fall. Handelt es sich somit im vorliegenden Fall um eine Fortbildungsmaßnahme, so ist es ohne Bedeutung, ob die vom Kläger besuchte "Werbefachschule Ruhr" eine Fachschule i. S. des § 2 Abs. 6 Satz 1 AFuU 1969 und ob die dort getroffene Abgrenzungsregelung gesetzeskonform ist; nach Satz 2 dieser Bestimmung werden an solchen Schulen veranstaltete Fortbildungsmaßnahmen jedenfalls gefördert.

Da gegen das von den Vorinstanzen angenommene Vorliegen der übrigen Förderungsvoraussetzungen keine Bedenken bestehen, ist die Beklagte zu Recht dem Grunde nach zur Förderung der Teilnahme des Klägers an dem Lehrgang verurteilt worden. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646789

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