Leitsatz (amtlich)

Wird mit einer Klage ein Erlöschensbescheid nach AFG § 119 Abs 3 angefochten, so ist die Berufung nicht schon deshalb nach SGG § 144 Abs 1 Nr 2 unzulässig, weil eine damit nach SGG § 54 Abs 4 verbundene Leistungsklage nur den Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe (AFG § 134 Abs 1 Nr 4, Abs 2) für einen - zunächst betroffenen - Zeitraum bis zu 13 Wochen umfaßt.

 

Leitsatz (redaktionell)

Über eine entscheidungserhebliche fachärztliche Bescheinigung darf das Berufungsgericht nicht mit der Begründung hinweggehen, daß diese Bescheinigung erst im zweiten Rechtszuge vorgelegt worden sei.

 

Normenkette

SGG § 144 Abs. 1 Nr. 2; AFG § 119 Abs. 3 Fassung: 1969-06-25, § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b; SGG § 54 Abs. 4; AFG § 134 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 Buchst. b; SGG § 162 Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. März 1974 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Der im Jahre 1927 geborene Kläger, der verschiedene Tätigkeiten als ungelernter und angelernter Arbeiter ausgeübt hat, bezog nach Erschöpfung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld (Alg) ab 2. April 1971 Arbeitslosenhilfe (Alhi), die nach kurzfristigen Beschäftigungen oder Erkrankungen jeweils wiedergewährt wurde. Wegen Nichtannahme eines Arbeitsangebots (Fa. K) wurde vom Arbeitsamt Pirmasens mit Bescheid vom 17. April 1972 der Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen festgestellt; der Bescheid wurde nach Zurückweisung des Widerspruchs bindend.

In der Zeit vom 18. bis 20. Juli 1972 war der Kläger bei einem Getränkevertrieb (Fa. R) als Beifahrer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde einvernehmlich gelöst, weil der Kläger nach Ansicht der Vertragspartner den körperlichen Anforderungen beim Auf- und Abladen der Getränkekisten nicht gewachsen war. Nachdem der Amtsarzt Dr. F sich gutachtlich dahin geäußert hatte, der Kläger sei zur Verrichtung der genannten Arbeit in der Lage und die Arbeitsaufgabe sei ärztlich nicht begründet, lehnte das Arbeitsamt durch Bescheid vom 5. September 1972 den Antrag des Klägers auf Alhi vom 24. Juli 1972 mit der Begründung ab, er habe das Arbeitsverhältnis bei R ohne wichtigen Grund gelöst und dadurch die Arbeitslosigkeit grobfahrlässig herbeigeführt. Da er hiermit erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen gegeben habe, sei sein Anspruch auf Leistungen nach § 119 Abs. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erloschen. Der Bescheid wurde durch Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 1972 mit der ergänzenden Begründung bestätigt, auch für eine Herabsetzung der Sperrzeit auf zwei Wochen nach § 119 Abs. 2 AFG lägen keine rechtfertigenden Umstände vor. Der Kläger hat am 28. November 1972 gegen diese Bescheide Klage erhoben.

Inzwischen hatte er am 30. August 1972 wieder Arbeit als Hilfsarbeiter in einem Malerbetrieb aufgenommen und war dort - mit einer Unterbrechung vom 1. bis 24. September 1972 - bis zum 31. Januar 1973 beschäftigt; er wurde wegen Arbeitsmangels entlassen. Sein bei der Arbeitslosmeldung gestellter Antrag auf Alg oder Alhi wurde durch Bescheid vom 26. Februar 1973 und Widerspruchsbescheid vom 16. März 1973 mit der Begründung abgelehnt, nach Erlöschen seines Leistungsanspruchs gemäß § 119 Abs. 3 AFG habe er nicht - wie nach § 134 Abs. 1 AFG für diesen Fall erforderlich - eine entlohnte Beschäftigung von mindestens 26 Wochen oder 6 Monaten, sondern nur von 131 Tagen nachgewiesen. Der Kläger hat hiergegen am 26. März 1973 Klage erhoben.

Das Sozialgericht (SG) hat die beiden Klagen zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Es hat die auf Aufhebung der genannten Bescheide und Widerspruchsbescheide sowie auf Verurteilung der Beklagten zur Gewährung von Alhi für die Zeit vom 24. Juli bis 30. August 1972 und vom 1. Februar 1973 an gerichteten Klagen abgewiesen (Urteil vom 2. Juli 1973). Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt, der Kläger sei nach ärztlicher Beurteilung an der Arbeit als Beifahrer bei der Fa. R nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert gewesen; auf seine subjektive Meinung und die Beurteilung des Arbeitgebers komme es dabei nicht entscheidend an.

Mit der Berufung gegen dieses Urteil hat der Kläger im wesentlichen gerügt, daß sich das Urteil auf die einer Nachprüfung nicht standhaltende Beurteilung des Amtsarztes stütze. Er hat eine Bescheinigung des Facharztes für Orthopädie Dr. T vom 7. Februar 1974 vorgelegt, wonach er wegen eines schweren Wirbelsäulenschadens schwere Arbeiten, insbesondere das schweres Heben oder Tragen, nicht verrichten könne.

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung hinsichtlich des Anspruchs auf Alhi für die Zeit vom 24. Juli bis 29. August 1972 als unzulässig verworfen, im übrigen die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung, auf deren Inhalt im einzelnen Bezug genommen wird, hat es im wesentlichen ausgeführt: Es handele sich um zwei auf verschiedenen Versicherungsfällen beruhende, selbständige prozessuale Ansprüche, für die die Zulässigkeit der - vom SG nicht zugelassenen - Berufung jeweils gesondert zu prüfen sei. Demnach sei die Berufung für den zeitlich ersten Anspruch nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ausgeschlossen, weil es sich dabei um einen Anspruch auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu 13 Wochen handele. Insoweit sei die Berufung auch nicht nach § 150 Nr. 2 SGG zulässig. Soweit in dem Vorbringen des Klägers eine Rüge mangelnder Sachaufklärung zu sehen sei, sei diese Rüge unbegründet. Das SG habe die Feststellung, daß der Kläger nicht wegen zu großer körperlicher Anstrengung gehindert gewesen sei, die Tätigkeit bei der Fa. R auszuüben, ohne Verfahrensfehler getroffen. Als Grundlage für diese Feststellung hätten die Angaben des Klägers zu den Gründen der Arbeitsaufgabe und die Gutachten des Amtsarztes Dr. F im Zusammenhang damit, daß der Kläger weder am 2. Juni noch am 1. August 1972 (Untersuchungstermine) über weitere Beschwerden geklagt hätte, sowie der vom Kläger gewonnene persönliche Eindruck ausgereicht. Das Attest des Dr. T sei erst im zweiten Rechtszug vorgelegt worden; vorher habe der Kläger nicht über Beschwerden geklagt, die auf einen Wirbelsäulenschaden hätten hindeuten können. Auch die Bescheinigung des Dr. S, daß sich der Kläger mehrere blaue Flecke zugezogen habe, und das frühere Gutachten des Dr. ... vom 31. August 1971, wonach der Kläger auf die Dauer nicht als Kraftfahrer zu belasten sei, hätten keine Veranlassung zu weiteren Ermittlungen gegeben. Die Berufung sei daher insoweit als unzulässig zu verwerfen. Für die Anspruchszeit ab 1. Februar 1973 sei die Berufung zwar zulässig; jedoch nicht begründet; der Kläger habe für diese Zeit keinen Anspruch auf Alhi. Sein letzter Anspruch sei - wie durch die Bescheide vom 5. September und 24. Oktober 1972 festgestellt - am 20. Juli 1972 nach § 119 Abs. 3 AFG erloschen. Da die gegen diese Bescheide erhobene Klage vom SG abgewiesen worden und die Berufung hiergegen unzulässig sei, müsse - ohne sachliche Prüfung - davon ausgegangen werden, daß das Erlöschen zu Recht festgestellt sei. Dann setze aber nach § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) AFG der Anspruch auf Alhi voraus, daß der Arbeitslose nach dem Erlöschen mindestens 26 Wochen oder sechs Monate in entlohnter Beschäftigung gestanden habe. Der Kläger habe aber in der Zeit vom 20. Juli 1972 bis zum 31. Januar 1973 insgesamt weniger als fünf Monate gearbeitet. Hinsichtlich der folgenden Zeit sei die Berufung also zurückzuweisen.

Für die Revision gegen das ihm am 4. April 1974 zugestellte Urteil hat der Kläger am 2. Mai 1974 unter Beifügung eines Armenrechtszeugnisses die Bewilligung des Armenrechts unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt. Dem Antrag ist durch Beschluß des Senats vom 5. August 1974 - zugestellt am 9. August 1974 - entsprochen worden. Der Kläger hat durch seinen Prozeßbevollmächtigten am 9. September 1974 mit Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Revision eingelegt und im wesentlichen folgendermaßen begründet:

Gerügt werde eine Verletzung der §§ 103 und 128 Abs. 1 SGG. Es sei nicht ersichtlich, woraus das Gericht und der Sachverständige Dr. F seine Sachkenntnis ziehe, daß das Auf- und Abladen von Bier- und Coca-Cola-Kisten (nur) eine mittelschwere Arbeit sei. Es handele sich vielmehr um schwere Arbeiten, zu denen der Kläger nicht tauglich sei. Das LSG hätte gegenüber dem Gutachten des Dr. F die Arbeitsbescheinigung berücksichtigen müssen, in der der Arbeitgeber (R) ausdrücklich hervorgehoben habe, daß der Kläger den Anforderungen nicht gewachsen gewesen sei. Das LSG habe das Vorbringen des Klägers in dem Schriftsatz vom 20. Februar 1974 nicht berücksichtigt, insbesondere den darin enthaltenen Beweisantrag, den früheren Arbeitgeber eidlich zu vernehmen, übergangen, ohne die Richtigkeit der von ihm zu bekundenden Tatsachen zu unterstellen. Der Zeuge würde die Arbeit des Klägers im einzelnen so geschildert haben, daß das Gericht ohne weiteres hätte erkennen müssen, daß es keine (nur) mittelschwere Arbeit sei. Durch die Nichterhebung weiterer Beweise über rechtserhebliche Fragen durch geeignete Beweismittel werde auch § 128 Abs. 1 SGG verletzt. Das LSG hätte ferner die fachärztliche Bescheinigung des Dr. T vom 7. Februar 1974 berücksichtigen müssen, aus der sich die Untauglichkeit des Klägers insbesondere zu schwerem Heben oder Tragen ergebe. Es sei unschädlich, daß dieses Attest erst in der Berufungsinstanz vorgelegt worden sei. Das LSG hätte es - jedenfalls mit dieser Begründung - nicht ungeprüft lassen dürfen. Es hätte sich vielmehr dadurch zu einer näheren Prüfung und gegebenenfalls zur Einholung eines fachorthopädischen Gutachtens oder Obergutachtens gedrängt fühlen müssen. Hierdurch wäre das Vorliegen eines schweren Wirbelsäulenschadens bewiesen worden. Bestätige sich hiernach die Auffassung des Klägers, so müsse der angefochtene Bescheid vom 5. September 1972 idF des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1972 aufgehoben werden. Damit würde dann auch keine Bindungswirkung hinsichtlich der Ansprüche für die Zeit ab 30. Januar 1973 eintreten. Wegen des Vorbringens im einzelnen und übrigen wird auf den Inhalt des Revisionsschriftsatzes Bezug genommen.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Speyer vom 2. Juli 1973 die Bescheide der Beklagten vom 5. September 1972 idF des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 1972 sowie vom 26. Februar 1973 idF des Widerspruchsbescheides vom 16. März 1973 aufzuheben und die Beklagte dem Grunde nach zu verurteilen, dem Kläger für die Zeit vom 24. Juli bis 29. August 1972 und ab 1. Februar bis 9. August 1973 Alhi zu gewähren.

Die Beklagte hat keinen formellen Antrag gestellt. Sie hält die Revision für den Fall, daß die Verfahrensrügen durchgreifen sollten, für insofern begründet, als eine Zurückverweisung an das LSG erfolgen müßte.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 SGG).

 

Entscheidungsgründe

Die Zulässigkeit der Revision richtet sich für das angefochtene Urteil, das vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des SGG vom 30. Juli 1974 (BGBl I, 1625) verkündet worden ist, gemäß Art. III dieses Gesetzes nach den bisher geltenden Vorschriften (SGG aF).

Dem Kläger war für die nicht innerhalb der Revisionsfrist des § 164 Abs. 1 SGG eingegangene Revision die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 67 SGG antragsgemäß zu bewilligen, da er die Frist unverschuldet versäumt und die Revisionseinlegung mit Revisionsbegründung innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Armenrechtsbeschlusses nachgeholt hat.

Die vom LSG nicht zugelassene Revision ist zulässig, weil ein von der Revision gerügter wesentlicher Verfahrensmangel vorliegt (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG aF, BSGE 1, 150). Das LSG hätte hinsichtlich des angefochtenen Erlöschensbescheides und des Leistungsanspruchs für die Zeit Juli/August 1972 - anstatt die Berufung insoweit als unzulässig zu verwerfen - in der Sache selbst entscheiden müssen, und es hätte demgemäß bei der Entscheidung über den Leistungsanspruch für die Zeit ab Februar 1973 nicht ohne weiteres von der bereits eingetretenen Bindungswirkung des Erlöschensbescheides ausgehen dürfen.

Nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ist die Berufung nicht zulässig bei Ansprüchen auf wiederkehrende Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen (drei Monaten). Der mit der ersten Klage erhobene Leistungsanspruch betrifft nur einen derart begrenzten Zeitraum. Gleichwohl tritt hier der Ausschluß der Berufung nicht ein. Der Leistungsanspruch wird hier nämlich in Verbindung mit der Anfechtung des Erlöschensbescheides (sog. kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG) geltend gemacht. Dieser Bescheid hat aber eine über die Ablehnung der Leistung für den jeweiligen Versicherungsfall hinausgehende Bedeutung.

Nach der gegenüber der früheren wesentlich verschärften Regelung des § 119 Abs. 3 AFG "erlischt" der Anspruch auf Alg, wenn der Arbeitslose, der nach Entstehung des Anspruchs bereits einmal Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen gegeben und darüber einen schriftlichen Bescheid erhalten hat, erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen gibt. Der Arbeitslose verliert damit praktisch die vorher erworbene Anwartschaft auf Leistungen bis zur Begründung einer neuen Anwartschaft. Das kann schon für den Bezug von Alg (Höchstdauer des Anspruchs nach § 106 AFG: dreihundertzwölf Tage) zu einer Beschwer des Arbeitslosen führen, die weit über diejenige hinausgeht, welche nach Sinn und Zweck des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG als eine solche von geringerer Bedeutung bewertet werden soll. Darüber hinaus erstreckt sich die Wirkung des Erlöschens nach § 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a) AFG auch auf die zeitlich nicht beschränkte Anschluß-Alhi. Gleiches gilt - bei entsprechender Anwendung nach § 134 Abs. 2 AFG - für den Anspruch auf Alhi selbst; ist er nach § 119 Abs. 4 AFG erloschen, so bedarf es zum Neuerwerb anstelle der sog. "kleinen Anwartschaft" von 10 Wochen einer solchen von mindestens 26 Wochen entlohnter Beschäftigung (§ 134 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b) AFG). Von besonders einschneidender sozialer Bedeutung ist das Erlöschen des Anspruchs auf Leistungen dabei für den Personenkreis, der schon in Zeiten der Vollbeschäftigung - etwa wegen fehlender beruflicher Qualifikation und alters- oder gesundheitsbedingt eingeschränkter Leistungsfähigkeit - häufiger einem unfreiwilligen Arbeitsplatzwechsel ausgesetzt ist. Wegen dieser besonderen sozialen Bedeutung des Erlöschensbescheides, der sich in seiner Wirkung - und zwar unmittelbar - nicht nur auf Leistungen für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen, sondern auf eine von vornherein unbestimmte Anspruchszeit erstreckt, kann die Anfechtung dieses Bescheides auch dann nicht unter den Berufungsausschluß nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG fallen, wenn eine damit nach § 54 Abs. 4 SGG verbundene Leistungsklage nur eine Anspruchszeit bis zu dreizehn Wochen betrifft. Der Fortfall der zweiten Tatsacheninstanz für die Überprüfung eines solchen Bescheides entspricht wegen seiner weitergehenden Wirkung nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes, das gerade nur auf kurzzeitig beschwerende Wirkungen abstellt. Anderenfalls wäre die Berufungsfähigkeit letztlich vom Zufall, nämlich davon abhängig, ob gerade die erste von dem Erlöschen betroffene Zeit der Arbeitslosigkeit länger als dreizehn Wochen andauert oder nicht. Dabei kann es im vorliegenden Fall offen bleiben, ob die Berufung auch dann nicht nach § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG ausgeschlossen ist, wenn zum maßgeblichen Zeitpunkt bereits feststeht, daß - etwa wegen Überschreitens der Altersgrenze (§ 100 Abs. 2 AFG) - insgesamt kein von dem angefochtenen Erlöschensbescheid betroffener Leistungsanspruch für einen Zeitraum von mehr als dreizehn Wochen in Betracht kommt.

Diese Entscheidung steht nicht im Widerspruch zu der des Großen Senats vom 19. Februar 1963 (BSGE 18, 266), wonach die Klage gegen die Verhängung einer Sperrfrist nach den §§ 78 ff des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) nur den Anspruch auf eine wiederkehrende Leistung für einen Zeitraum bis zu dreizehn Wochen im Sinne des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG betrifft. Durch diese Sperrfrist wird, wie auch zur Begründung der oa Entscheidung ausgeführt wird, der Arbeitslose nur für einen begrenzten Zeitraum von einigen Wochen berührt; dagegen erstreckt sich die Wirkungsdauer des Erlöschens nach § 119 Abs. 3 AFG unmittelbar auf einen Zeitraum von unbestimmter Dauer. Eine gewisse Gemeinsamkeit unter den beiden Fällen besteht nur hinsichtlich des auslösenden Tatbestandes, nicht aber hinsichtlich der - für die Anwendung des § 144 Abs. 1 Nr. 2 SGG allein maßgebenden - zeitlichen Auswirkung auf wiederkehrende Leistungen.

Das LSG hätte daher die Rechtmäßigkeit des Erlöschensbescheides - anstatt die Berufung insoweit als unzulässig zu verwerfen - in der Sache überprüfen und dazu vor allem selbst feststellen müssen, ob der Kläger durch Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei der Fa. R erneut Anlaß für den Eintritt einer Sperrzeit von vier Wochen gegeben hat. Hierfür ist die Beurteilung der Frage, ob er - entsprechend seiner und seines Arbeitgebers Ansicht - zur Verrichtung der dort für ihn bestimmten Arbeiten körperlich nicht in der Lage war, von entscheidender Bedeutung. Das LSG hätte daher jedenfalls über die fachärztliche Bescheinigung des Dr. T, daß der Kläger wegen eines schweren Wirbelsäulenschadens schwere Arbeiten, insbesondere schweres Heben und Tragen, nicht verrichten könne, bei richtiger verfahrensrechtlicher Behandlung nicht mit der Begründung hinweggehen dürfen, daß diese Bescheinigung erst im zweiten Rechtszug vorgelegt worden sei. Dieser wesentliche Verfahrensmangel des LSG ist jedenfalls mit der Revision ausdrücklich gerügt worden. Die Revision ist also nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG aF statthaft. Sie ist auch begründet, weil sich bei sachlicher Prüfung - auch hinsichtlich der Schwere und Härte der Arbeit - durchaus ergeben kann, daß die Voraussetzungen für den Eintritt einer Sperrzeit nicht - möglicherweise auch nur einer solchen von zwei Wochen (§ 119 Abs. 2 AFG) - vorgelegen haben, das Erlöschen des Anspruchs also zu Unrecht festgestellt worden ist. Da das LSG keine sachlichen Feststellungen hierzu getroffen hat, kann das Revisionsgericht nicht abschließend selbst entscheiden. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Das gilt auch hinsichtlich der Entscheidung über den Anspruch für die Zeit ab Februar 1973. Hier hat das LSG zwar in der Form eine Sachentscheidung getroffen, ist dabei aber von der unzutreffenden prozeßrechtlichen Auffassung ausgegangen, die Entscheidung über das Erlöschen des Anspruchs nach § 119 Abs. 3 AFG sei gerichtlich nicht mehr überprüfbar; auch insoweit beruht daher die Entscheidung auf dem gerügten Verfahrensmangel.

Das LSG wird auch über die Kostenerstattung wegen des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

BSGE, 200

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