Entscheidungsstichwort (Thema)
Notwendige Beiladung. Rechtswidrigkeit eines Beitragsbescheids. Summenbeitragsbescheid
Leitsatz (redaktionell)
Ob Versicherte zum Rechtsstreit beizuladen sind, hängt davon ab, ob der streitigen Beitragsforderung ein Verwaltungsakt zugrunde liegt.
Orientierungssatz
1. Die notwendige Beiladung aller an der streitigen Beitragsforderung beteiligten Versicherungsträger ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger für die streitige Forderung nicht unmittelbar als Arbeitgeber, sondern lediglich als Handelnder nach § 11 Abs 2 GmbHG in Anspruch genommen wird.
2. Der Bescheid einer Krankenkasse über die Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen ist rechtswidrig, wenn darin die Versicherten, auf die sich der Bescheid bezieht, nicht mit Namen genannt oder wenigstens so genau bezeichnet sind, daß sie eindeutig bestimmt werden können (vgl BSG vom 16.2.1982 12 RK 62/80 = SozR 1300 § 33 Nr 1 und vom 1.12.1977 12 RK 13/77 = BSGE 45, 206). Es ist nur ausnahmsweise eine nicht personenbezogene, sondern lediglich an der Lohnsumme orientierte Beitragsfestsetzung (Summenbeitragsbescheid) zulässig (vgl BSG vom 17.12.1985 12 RK 30/83 = SozR 2200 § 1399 Nr 16 und vom 6.3.1986 12 RK 26/85).
Normenkette
SGG § 75 Abs. 2 Alt. 1 Fassung: 1953-09-03; RVO §§ 393, 1399 Abs. 1; AFG § 176 Abs. 1; GmbHG § 11 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger gemäß § 11 Abs 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) für Gesamtsozialversicherungsbeiträge haftet, die vor der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister entstanden sind.
Der Kläger hatte am 10. Mai 1976 zusammen mit seinem Halbbruder, dem Elektriker K. -H.F.(F.), die Firma N. GmbH gegründet. Sie wurde am 19. Januar 1977 in das Handelsregister eingetragen. Als Unternehmensgegenstand wurde "Durchführung von Elektroindustriemontagen und damit verwandte Tätigkeiten sowie die Beteiligung an Firmen, deren Geschäftsgegenstand gleichartig ist", bezeichnet. Vertretungsberechtigte Geschäftsführer waren der - seit April 1976 als Student eingeschriebene - Kläger und F. Laut Eintrag im Handelsregister war der Kläger am 15. Dezember 1977 nicht mehr Geschäftsführer, die Firma ging anschließend in Konkurs und wurde am 21. Mai 1979 gelöscht.
Ein - auf Strafanzeige der Beklagten von Oktober 1977 - gegen den Kläger eingeleitetes Strafverfahren wegen vorsätzlicher Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt, F. wurde zu einer Strafe verurteilt. Nach Angaben des Klägers im Strafverfahren hatte er den Kundendienst zu versehen; er habe "nur teilweise mal" Abschlagszahlungen an das Lohnbüro weitergeleitet, sonst habe er nichts damit zu tun gehabt. Zahlungen an die Beklagte habe er, wenn diese an ihn herangetreten sei, veranlaßt, er sei dafür jedoch nicht zuständig gewesen. F. hatte hierzu angegeben, daß der Kläger zeitweise in seiner Vertretung tätig gewesen sei.
Für die Beitragsschulden aus der Zeit der Gründung der Gesellschaft - ab Juni 1976 bis zur Eintragung im Handelsregister - nahm die Beklagte den Kläger mit Bescheid vom 12. März 1979 in Anspruch, weil er als "Handelnder" gemäß § 11 Abs 2 GmbHG tätig geworden sei und daher für die Beitragsschulden hafte. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 1979).
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Hamburg beschränkte die Beklagte ihre Forderung auf 91.500,69 DM. Das SG wies die Klage als unbegründet ab (Urteil vom 2. Dezember 1980). Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) Hamburg zurückgewiesen (Urteil vom 23. November 1982). Das LSG hat ausgeführt, § 11 Abs 2 GmbHG sei auch im Verhältnis zu Sozialversicherungsträgern anzuwenden (BSGE 40, 96). Nach der später ergangenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu § 11 Abs 2 GmbHG (BGHZ 80, 129 und 80, 182) erlösche zwar die Haftung des Handelnden mit der Eintragung der GmbH. Diese Rechtsprechung berücksichtige jedoch lediglich Belange des Geschäftsverkehrs, gelte daher nicht für die Haftung für öffentlich-rechtliche Forderungen. Den Beitragsforderungen der Sozialversicherungsträger lägen gesetzliche Schuldverhältnisse mit öffentlich- rechtlichen Verpflichtungen zugrunde, die durch Verwaltungsakte konkretisiert würden. Da der Kläger im Namen der GmbH vor ihrer Eintragung gehandelt habe, hafte er nach § 11 Abs 2 GmbHG für deren Beitragsschulden.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 11 Abs 2 GmbHG durch das LSG sowie eine unvollständige Würdigung des Sachverhalts. Wegen der untergeordneten Art seiner Tätigkeit sei er nicht Handelnder iS des § 11 Abs 2 GmbHG gewesen. Im übrigen sei nach der Rechtsprechung des BGH, von der das LSG zu Unrecht abgewichen sei, seine etwaige Haftung als Geschäftsführer der nicht eingetragenen GmbH mit ihrer Eintragung in das Handelsregister entfallen.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 12. März 1979 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 1979, beide in der Fassung der Erklärung der Beklagten vom 23. November 1982, aufzuheben, hilfsweise, den Rechtsstreit zu erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf die Entscheidungsgründe des LSG. Die Realisierung von Beitragsforderungen dürfe nicht dadurch eingeschränkt werden, daß eine Haftung des Geschäftsführers einer GmbH, der vor ihrer Eintragung für sie gehandelt habe, mit der Eintragung erlösche.
Die Beigeladene zu 1) stellt keinen Antrag.
Die Beigeladene zu 2) beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Alle Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG.
Das Verfahren des LSG leidet an einem im Revisionsverfahren fortwirkenden Mangel, der in der Revisionsinstanz nicht beseitigt werden kann. Zu dem Rechtsstreit waren alle an der streitigen Beitragsforderung beteiligten Versicherungsträger (Rentenversicherungsträger und Bundesanstalt für Arbeit -BA-) notwendig beizuladen (§ 75 Abs 2 - 1. Alternative - SGG), weil sie als Inhaber des ihnen zustehenden Teils der Beitragsforderung unmittelbar in ihren Rechten betroffen sind. Die Beiladung war nicht deshalb entbehrlich, weil der Kläger für die streitige Forderung nicht unmittelbar als Arbeitgeber, sondern lediglich als Handelnder nach § 11 Abs 2 GmbHG in Anspruch genommen wird. Von dem Bestehen oder Nichtbestehen seiner Haftung hängt es ab, ob ein Anspruch auf Abführung der Beiträge gegen ihn besteht, und hiervon könnte es wiederum abhängen, ob und in welcher Höhe letztlich die Beitragsforderung realisiert wird (vgl hierzu das zur Haftung eines persönlich haftenden Gesellschafters einer Kommanditgesellschaft ergangene Urteil des Senats vom 9. Dezember 1981, SozR 1500 § 75 Nr 41). In den Vorinstanzen sind lediglich die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) und die BA beigeladen worden und auch diese nur nach § 75 Abs 1 SGG, weil ihre rechtlichen Interessen durch die Entscheidung berührt würden (Beschluß des SG vom 30. Oktober 1979). Ob diese "einfache" Beiladung gleichwohl für die Revisionsinstanz als ausreichend anzusehen wäre, läßt der Senat offen. Das Verfahren vor dem LSG leidet jedenfalls insofern an einem fortwirkenden Verfahrensmangel, als der zuständige Träger der Arbeiterrentenversicherung bisher nicht beigeladen worden ist. Nach dem Geschäftsgegenstand der GmbH (Durchführung von Elektroindustriemontagen) und der Aussage des Zeugen F. vor dem SG (Bl 57 SG-Akte) wurden Arbeiten auf Baustellen durchgeführt, bei denen auch Arbeiter beschäftigt werden mußten. Im übrigen hatte schon die Beklagte vor dem SG beantragt, nicht nur die BfA und die BA, sondern auch die Landesversicherungsanstalt (LVA) Freie und Hansestadt Hamburg beizuladen (Bl 22 SG-Akte).
Ob neben den Versicherungsträgern auch die Arbeitnehmer, die von der in Gründung befindlichen GmbH beschäftigt wurden, als Versicherte zum Rechtsstreit beizuladen waren, hängt davon ab, ob der streitigen Beitragsforderung der Beklagten ein Verwaltungsakt zugrunde liegt, der den rechtlichen Anforderungen eines Beitragsbescheides genügt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist der Bescheid der Krankenkasse über die Berechnung von Sozialversicherungsbeiträgen rechtswidrig, wenn darin die Versicherten, auf die sich der Bescheid bezieht, nicht mit Namen genannt oder wenigstens so genau bezeichnet sind, daß sie eindeutig bestimmt werden können (BSG SozR 1300 § 33 Nr 1; BSGE 45, 206). Das bedeutet, daß die Einzugsstelle, wenn sie - wie in der Praxis nicht selten - über eine größere Zahl von Versicherungsverhältnissen zu entscheiden hat, sich nicht darauf beschränken darf, eine personenunabhängige Feststellung über die rechtlichen Voraussetzungen der Beitragsansprüche zu treffen oder einen Gesamtbetrag der Beiträge festzusetzen (Urteil des Senats vom 27. September 1983 - 12 RK 84/80 - USK 83137 -). Unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise eine nicht personenbezogene, sondern lediglich an der Lohnsumme orientierte Beitragsfestsetzung zulässig ist, hat der Senat mit Urteil vom 29. April 1976 (BSGE 41, 297) entschieden und neuerdings präzisiert (Urteil vom 17. Dezember 1985 - 12 RK 30/83 - zur Veröffentlichung in BSGE und SozR bestimmt -; Urteil vom heutigen Tag - 12 RK 26/85 -).
Den tatsächlichen Feststellungen des LSG kann nicht entnommen werden, ob die Beklagte bereits vor Erlaß des angefochtenen Bescheides vom 12. März 1979 - der mangels Personenbezogenheit den Erfordernissen eines Beitragsbescheides nicht entspricht - gegenüber der GmbH in Gründung (bzw deren Gesellschaftern) einen den genannten Voraussetzungen entsprechenden Beitragsbescheid erlassen hat oder ob sie - nach Ausschöpfung aller verfügbaren Erkenntnismöglichkeiten - wegen Beweisvereitelung durch die Gesellschafter ausnahmsweise zu einem "Summenbeitragsbescheid" berechtigt war.
Sollte die Beklagte vor dem angefochtenen Bescheid einen ordnungsgemäßen, dh hinreichend bestimmten, Beitragsbescheid für jeden der Versicherten erlassen haben, könnten dadurch die Mängel des gegenüber dem Kläger ergangenen Bescheids geheilt sein. Die im ursprünglichen Bescheid genannten Versicherten müßten dann jedoch noch zum Rechtsstreit beigeladen werden. Denn wegen des ihnen zustehenden Beitragsabführungsanspruchs kann im Verhältnis der Einzugsstelle zum Arbeitgeber (bzw dem für die Abführung der Beiträge Haftenden) nicht ohne ihre Beteiligung entschieden werden, ob, in welcher Höhe und von wem Beiträge abzuführen sind (BSG SozR 1500 § 75 Nr 41).
Hat die Beklagte dagegen bisher noch keinen hinreichend bestimmten Bescheid erlassen und liegen auch die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise personenunabhängige Beitragsfestsetzung nicht vor, dann wäre der angefochtene Bescheid schon mangels Personenbezogenheit als rechtswidrig aufzuheben; eine Beiladung der Versicherten käme nicht in Betracht.
Da die Unterlassung der notwendigen Beiladung ein im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtender Verfahrensmangel ist (BSG SozR § 75 Nr 1), muß das auf dem Verfahrensfehler beruhende Urteil des LSG aufgehoben werden und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen werden. Von Ausführungen zur materiell-rechtlichen Seite des Rechtsstreits hat der Senat abgesehen, zumal nicht sicher ist, ob die Rechtsfragen, um die die Beteiligten bisher gestritten haben, zu entscheiden sein werden (vgl insoweit das Urteil des 2. Senats des BSG vom 28. Februar 1986, 2 RU 21/85, das allerdings nicht die Haftung eines "handelnden" Geschäftsführers einer Vor-GmbH, sondern eines Gesellschafters betrifft).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen