Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, inwieweit seelische Begleiterscheinungen die Erwerbsfähigkeit des Beschädigten berühren und deshalb bei der Festsetzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu berücksichtigen sind; Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Verlust des Geruchssinnes.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1964-02-21
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 28. August 1968 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Beim Kläger, der von Beruf Büroleiter ist, sind durch den Bescheid des Versorgungsamts vom 15. Oktober 1965, der nach erfolglosem Widerspruch durch das im Klageverfahren abgegebene Teilanerkenntnis der Beklagten abgeändert worden ist, als Schädigungsfolgen: Narbe nach Kieferhöhlenoperation beiderseits, Polyposis des Siebbeins mit dadurch hervorgerufener Neigung zu Nasen- und Nasennebenhöhlenkatarrhen sowie Verlust des Geruchsvermögens ohne Rentengewährung anerkannt. Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten mit Urteil vom 21. April 1967 verurteilt, dem Kläger (wegen der anerkannten Schädigungsfolgen) ab 1. September 1964 Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 25 v.H. zu gewähren. Es war der Auffassung, daß der Totalverlust eines Sinnesorgans (hier des Geruchsvermögens) stets durch Zuerkennung wenigstens des rentenberechtigenden Mindestgrades der MdE (25 v.H.) bewertet werden müsse. Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) nach Beiladung der Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 28. August 1968 das SG-Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger habe den Beruf eines Büroleiters bei der H Hochbahn AG ausgeübt. Dabei handele es sich in bezug auf den Geruchssinn um einen Durchschnittsberuf, der einen besonderen Gebrauch des Geruchssinnes über die allgemeinen Anforderungen hinaus nicht erfordere. Nach § 30 Abs. 1, letzter Satz des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) könnten für erhebliche äußere Körperschäden Mindesthundertsätze festgesetzt werden. In die in den Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG aufgestellte Liste sei die Anosmie (Verlust des Geruchsvermögens) nicht aufgenommen worden, da es sich nicht um einen äußeren Körperschaden handele. Der dort u a. aufgeführte Verlust oder die Erblindung eines Auges bei voll gebrauchsfähigem anderen Auge bzw. Verlust des ganzen Daumens einschließlich des Mittelhandknochens einer Hand würden mit einer MdE um 30 v.H. bewertet. Das Gericht habe in Übereinstimmung mit Dr. M die Anosmie des Klägers hinsichtlich des Grades der Versehrtheit zu den vorerwähnten erheblichen äußeren Körperschäden, gemessen an der gesamten Integrität des Körpers, in Beziehung gesetzt. So betrachtet, sei die Einordnung der Versehrtheit des Klägers mit einem nicht rentenberechtigendem Grad der MdE Rechtens. Wenn auch der Verlust des Geruchssinns mehr oder weniger für jeden Menschen von nicht untergeordneter Bedeutung sei, der auch gewisse seelische Begleiterscheinungen zur Folge habe, so liege doch ein erheblicher Körperschaden, der berentet werden müßte, nicht vor. Das gelte auch dann, wenn das Wohlbefinden durch die Anosmie beeinträchtigt werde und gewisse potentielle Gefahren nicht ausgeschlossen werden könnten. Der Gesetzgeber habe keinesfalls eine Norm dahingehend aufgestellt, daß der Totalverlust eines Sinnesorgans stets durch Zuerkennung eines rentenberechtigenden Erwerbsminderungsgrades gewürdigt werden müsse. Diese Auffassung werde durch die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes zur reichsgesetzlichen Unfallversicherung bestätigt, das den Verlust des Geruchssinnes mit 0 v.H. bewertet habe (vgl. Liniger-Molineus: Der Unfallmann, 7. Aufl. 1951, S. 91 und 8. Aufl. 1964, S. 201). Der Anregung des Klägers, einen Katalog aller der Berufe aufzustellen, in denen der Geruchssinn für die Berufsausübung notwendig sei, habe nicht gefolgt werden können. Der Kläger habe damit zum Ausdruck gebracht, die Anosmie müsse im allgemeinen Erwerbsleben mindestens gleich hoch bewertet werden wie die in den Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG angegebenen erheblichen äußeren Körperschäden mit einer MdE um 30 v.H. unter Berücksichtigung von § 31 Abs. 2 BVG. Zwar treffe es zu, daß der Geruchssinn nicht nur in exponierten Berufen wie dem eines Kaffee-, Tee- oder Gewürzhändlers, Kochs, Küfers, Lebensmittelkaufmanns usw. benötigt werde; auch in vielen anderen Berufszweigen werde der Geruchssinn nicht nur zur rechtzeitigen Gefahrenwahrnehmung (zB Brandgeruch) benötigt. Die meisten dieser aus den Aufstellungen des Bundesarbeitsministers gerichtsbekannten Berufe seien jedoch derart beschaffen, daß eine besondere Betätigung des Geruchssinnes nicht erforderlich sei. Im übrigen scheitere eine solche von dem Kläger angeregte Beweiserhebung an der Unmöglichkeit ihrer Durchführung. Eine solche könne nur dann relevant sein, wenn sie auf das allgemeine Erwerbsleben abgestellt, zugleich Auskunft über die Anzahl der in diesen Berufen tätigen Personen und darüber gebe, innerhalb welcher Zeiteinheit von dem Geruchssinn mehr oder minder Gebrauch gemacht werden müsse. Selbst wenn diese Liste theoretisch aufgestellt werden könnte, so wäre das nur innerhalb eines Zeitablaufs möglich, der seiner Länge wegen für die Durchführung des Rechtsstreites für alle Beteiligten unvertretbar wäre. Ein solches Gutachten mit eingehenden statistischen Erhebungen auf breitester Basis müßte den Rahmen mehrerer wissenschaftlicher Forschungsarbeiten weit übersteigen und daher die Grenzen dieses Rechtsstreits sprengen. Über Unmögliches könne kein Beweis erhoben werden.
Mit der zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen die Auffassung des LSG und rügt außerdem wesentliche Verfahrensmängel. Er hat innerhalb der verlängerten Revisionsbegründungsfrist ausgeführt, streitig sei nur noch die Höhe der MdE. Wenn das LSG durch den Vergleich mit dem Verlust eines Auges oder eines Daumens zu dem Ergebnis gelange, daß die Anosmie keine Schädigungsfolge in rentenberechtigendem Grad sein könne, so sei die Frage insofern falsch gestellt, als nicht nur der Verlust eines Auges (der vermutlich höher bewertet werde), sondern bereits der Verlust des Sehvermögens auf einem Auge mit der MdE um 30 v.H. bewertet werde. Nach einer kleinen Umfrage unter einigen Verwandten und Bekannten würden die meisten Menschen den Verlust des Sehvermögens auf einem Auge vorziehen. Eine wissenschaftlich einwandfrei begründete Abgrenzung sei kaum möglich, so daß hier auf die Angaben von Laien, die instinktiv das Richtige empfänden, zurückgegriffen werden müsse. Auch der Hinweis des LSG auf frühere Entscheidungen des Reichsversicherungsamtes überzeuge nicht. Insoweit habe sich die Rechtslage geändert. Es liege auf der Hand, daß der völlige Verlust des Geruchssinnes nicht mit einer MdE um 0 v.H. bewertet werden könne, während beispielsweise die einfache Sterilität (ohne äußere Schäden, Funktions- oder Hormonstörungen) mit 30 v.H. bewertet werde, obwohl auch hier sicher keine unmittelbare Beeinträchtigung im Erwerbsleben gegeben sei. Der Bereich der Nase sei auch nicht schlechthin so wenig bedeutsam, daß sich auf diesem Gebiet kein Schaden mit einer MdE von mindestens 25 v.H. ergeben könne. Das Gegenteil ergebe sich schon daraus, daß für die chronische Entzündung der Nasenschleimhäute, die sogenannte Stinknase, in den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen eine MdE von 20 bis 40 v.H. vorgesehen sei. Auch bewirke danach die Verengung der Naseneingänge mit Atembehinderung eine MdE von 10 bis 25 v.H.. Der völlige Verlust des Geruchssinnes mit der damit verbundenen Einschränkung des Geschmackssinnes auf süß, sauer, salzig, bitter wiege mindestens ebenso schwer. Das LSG habe sich auch nur mit der Frage auseinandergesetzt, ob die Anosmie für sich allein mit einer MdE von 25 v.H. bewertet werden könne oder nicht. Die Polyposis des Siebbeins mit der hierdurch hervorgerufenen Neigung zu Nasen- und Nebenhöhlenkatarrhen sei also unberücksichtigt geblieben. Dr. med. H habe vor dem SG angegeben, daß die chronische Schleimhautreizung außerdem eine Neigung zur Polypenbildung verursache. Damit sei zumindest eine Behinderung der Nasenatmung gegeben, so daß aus diesem Grund allein nach den "Anhaltspunkten" eine MdE von 10 bis 25 v.H. vorliege. Selbst wenn der Verlust des Geruchsvermögens - entsprechend der Stellungnahme von Dr. M nur mit 15 v.H. bewertet würde, sei sonach Rente zu gewähren. In der Berufungsinstanz sei vom Kläger vorgetragen worden, daß das Riechvermögen in mindestens 25 v.H. aller Berufe wichtig sei und daß schon deshalb - bezogen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt - eine MdE von 25 v.H. angenommen werden müsse. In der mündlichen Verhandlung habe der Kläger zum Beweis dieser Behauptung beantragt, einen Katalog der Berufe aufzustellen, in denen der Geruchssinn notwendig sei. Das LSG habe diese Behauptung bzw. diesen Beweisantrag des Klägers auch für entscheidungserheblich gehalten. Dennoch habe sich das Gericht über den Antrag mit der Begründung hinweggesetzt, daß eine solche Beweisaufnahme undurchführbar sei und den Rahmen des Prozesses sprenge. Dies treffe nicht zu. Etwaige Schwierigkeiten könnten die Tatsacheninstanz nicht von der Verpflichtung entbinden, sich im Rahmen des Möglichen Klarheit über die Frage zu verschaffen, ob die vom Gericht selbst für entscheidungserheblich gehaltene Behauptung des Klägers zutreffe. Durch Vernehmung eines oder mehrerer Sachverständiger hätte dies geklärt werden können. Darin, daß das Berufungsgericht diese Frage zu Lasten des Klägers völlig unbeantwortet gelassen habe, liege ein schwerer Verfahrensverstoß.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des LSG vom 28. August 1968 die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG vom 21. April 1967 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die MdE für die Schädigungsfolgen des Klägers sei mit 10 bis 15 v.H. bewertet worden. Bei schweren Schädigungsfolgen im Bereich der Nase wäre durchaus ein rentenberechtigender Grad in Frage gekommen. Beim Kläger lägen aber derart schwerwiegende Schädigungsfolgen nicht vor, was auch durch Dr. H und Dr. M bestätigt worden sei; diese hätten alle anerkannten Schädigungsfolgen des Klägers, also auch den Verlust des Geruchssinnes berücksichtigt. Die Verknüpfung des Prozentsatzes der Berufe, in denen der Geruchssinn notwendig sei, mit dem Prozentsatz der MdE sei unzutreffend. Schon aus diesem Grunde habe das LSG auf den gegnerischen Beweisantrag im Termin vom 28. August 1968 nicht einzugehen brauchen.
Der Beigeladene hat sich der Gegenäußerung des Beklagten angeschlossen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung nach § 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und deshalb zulässig (vgl. §§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164, 166 SGG); sachlich konnte sie keinen Erfolg haben.
Im vorliegenden Fall ist nur die Höhe der MdE streitig. Die Entscheidung der Frage, in welchem Grade die Erwerbsfähigkeit eines Beschädigten durch Schädigungsfolgen gemindert wird, ist eine tatsächliche Feststellung (vgl. BSG 13, 227, 228), die das LSG gemäß § 128 Abs. 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu treffen hat. Das Bundessozialgericht (BSG) kann diese Feststellung auf eine Revisionsrüge hin grundsätzlich nur daraufhin überprüfen, ob das LSG die Grenzen des Rechts freier richterlicher Beweiswürdigung überschritten hat (vgl. BSG 6, 267), d.h. ob der Ermessensspielraum, der dem Gericht beim Schätzen des MdE-Grades eingeräumt ist, in unzulässiger Weise überschritten worden ist (vgl. BSG 4, 147; 6, 268). Die Schätzung selbst kann das Revisionsgericht nicht durch eigene Schätzung ersetzen (BSG 4, 149). Sie ist, soweit ihr nicht fehlerhafte rechtliche Erwägungen (oder eine Ermessensüberschreitung) zugrunde liegen, irrevisibel. Im Fall des Klägers geht es jedoch nicht nur um die Beurteilung von Tatfragen, vielmehr ist vor allem streitig, ob der in § 30 Abs. 1 BVG näher definierte Rechtsbegriff der Minderung der Erwerbsfähigkeit, der nicht allein auf die wirtschaftlichen Folgen der Schädigung (§ 1 Abs. 1 BVG), sondern auch auf seelische Begleiterscheinungen abstellt (vgl. BSG 8, 209, 211, 214), etwa beinhaltet, daß der Totalverlust eines Sinnesorgans - wie hier des Geruchssinnes (Anosmie) - stets durch Zuerkennung wenigstens des rentenberechtigenden Mindestgrades der MdE (25 v.H.) bewertet werden muß, wie das SG meint, oder ob die Verwaltungsvorschriften zu § 30 BVG, wenn sie für den Verlust des Geruchssinnes keinen Mindesthundertsatz der MdE festgesetzt haben, gegen das Gesetz verstoßen (vgl. § 30 Abs. 1 letzter Satz BVG idF des Zweiten Neuordnungsgesetzes - 2.NOG - vom 21. Februar 1964 (BGBl I 85) - aF - und Verwaltungsvorschriften Nr. 4 zu § 30 BVG idF vom 23. Januar 1965 - Bundesanzeiger Nr. 19 vom 29. Januar 1965 - sowie § 30 Abs. 1 BVG idF des Dritten Neuordnungsgesetzes - 3. NOG - vom 28. Dezember 1966 - BGBl I 750, der mit § 30 Abs. 1 BVG aF wörtlich übereinstimmt). Beides ist jedoch nicht der Fall.
§ 30 Abs. 1 Satz 1 BVG aF bestimmt, daß die MdE nach "der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben" zu beurteilen ist und dabei seelische Begleiterscheinungen und Schmerzen zu berücksichtigen sind. Hieraus ergibt sich zunächst, daß sich die MdE grundsätzlich danach bemißt, in welchem Ausmaß der durch die Schädigungsfolgen bedingte Zustand die Fähigkeit des Beschädigten, seine Arbeitskraft auf dem ihm zu Gebote stehenden Arbeitsmarkt wirtschaftlich zu verwerten, mindert (vgl. auch RVersorg.G Bd. 9, 251). Daran ändert der Umstand nichts, daß "dabei" auch seelische Begleiterscheinungen (und Schmerzen) zu berücksichtigen sind. Denn diese Bestimmung kann nur so verstanden werden, daß sich die seelischen Begleiterscheinungen im konkreten Fall für das allgemeine Erwerbsleben bemerkbar machen müssen; diese Regelung stellt somit keine Ausnahme, sondern nur eine Erweiterung und Ergänzung des Begriffs der Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben dar. Insoweit wird auf das Urteil des BSG vom 29. Oktober 1958 in BSG 8, 209, 214/215 verwiesen, wo hierzu ausgeführt worden ist, daß das Wort "dabei" nicht anders zu erklären sei und daß es im Gesetz hätte heißen müssen: "außerdem" sind auch seelische Begleiterscheinungen zu berücksichtigen, wenn seelische Beeinträchtigungen ohne Rücksicht auf ihre Bedeutung für das allgemeine Erwerbsleben für den Versorgungsanspruch Bedeutung hätten haben sollen. Wenn die Revision daher in ihrem nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist eingegangenen Schreiben vom 3. März 1969 u a betont, daß der Verlust des Geruchssinnes zu einer "Einschränkung des Lebensgefühls und der Lebensfreude" und zu einem "Gefühl von Unsicherheit" führe und der Geruchsverlust "alles in allem ... objektiv und subjektiv eine sehr erhebliche Rolle bei dem Betroffenen" spiele, so sind damit im wesentlichen nur Umstände geltend gemacht, die das persönliche Wohlbefinden des Beschädigten berühren, die aber eine wesentliche Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben noch nicht dartun. Daß die körperliche Beeinträchtigung im Erwerbsleben der wesentliche Gesichtspunkt für die MdE-Bemessung nach dem BVG ist, ergibt sich auch aus § 30 Abs. 2 BVG aF, der bestimmt, daß die MdE höher zu bewerten ist, wenn der Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen in seinem früher ausgeübten, begonnenen, angestrebten oder derzeitigen Beruf besonders betroffen ist (vgl. hierzu auch BSG 15, 208 ff, wo betont worden ist, daß damit eine individuelle Behandlung des einzelnen Beschädigten hinsichtlich der Feststellung des MdE-Grades wegen seiner beruflichen Beeinträchtigung bezweckt worden ist - BSG 15, 210 -). Zwar kommt es bei der besonderen beruflichen Betroffenheit nicht immer nur auf den Nachweis eines wirtschaftlichen Schadens, d.h. eines durch Schädigungsfolgen bedingten erheblichen Minderverdienstes an, es genügt vielmehr, wenn die jetzige Tätigkeit in der sozialen Wertung hinter der früheren Tätigkeit wesentlich zurückbleibt (BSG 10, 69) oder wenn der Beschädigte außergewöhnliche Tatkraft anwenden und außergewöhnliche Anstrengungen machen muß, um einen wirtschaftlichen Schaden und ein Abgleiten im Beruf zu verhindern (BSG 15,226; 13,20,23). Aber auch in diesen Fällen geht es um das Ausmaß der schädigungsbedingten Beeinträchtigung im Erwerbsleben.
Die Vorschrift des § 30 Abs. 1 letzter Satz BVG, die bestimmt, daß für erhebliche äußere Körperschäden Mindesthundertsätze festgesetzt werden können, gibt keinen Anlaß zu einer anderen Beurteilung. Diese Mindesthundertsätze sind zwar nicht im Gesetz, sondern nur in den Verwaltungsvorschriften Nr. 4 zu § 30 BVG aufgeführt, doch stellen sie nicht bloße verwaltungsinterne Anweisungen, sondern Vorschriften dar, denen die Bedeutung von Rechtsnormen zukommt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 26. November 1968 - 9 RV 262/66 - in SozR Nr. 35 zu § 30 BVG). Bei diesen Mindesthundertsätzen handelt es sich aber um Regelsätze, die ebenfalls der MdE nach der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben entsprechen (vgl. van Nuis/Vorberg, Das Recht der Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen 2. Aufl. 1961 IV. Teil S. 13). Es ist allerdings denkbar, daß Beschädigte, denen ein solcher Mindesthundertsatz nach den Verwaltungsvorschriften Nr. 4 zu § 30 BVG zugebilligt worden ist (etwa für den Verlust beider Hoden - MdE 50 v.H. - oder eines Auges - MdE 30 bis 50 v.H. -) in ihrem Beruf tatsächlich keine Erwerbseinbuße erleiden. Dies kann aber auch bei anderen Beschädigten, deren MdE in Anlehnung an die Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Neuausgabe 1965 (Anhaltspunkte) ermittelt worden ist, der Fall sein. Solche Abweichungen beruhen auf der im Interesse einer praktischen Durchführung der Beschädigtenversorgung unvermeidbaren Notwendigkeit, die MdE grundsätzlich nach einheitlichen, von den Besonderheiten des Einzelfalles losgelösten Maßstäben und unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung im Erwerbsleben festzusetzen; es genügt die generelle (theoretische) Möglichkeit einer solchen Beeinträchtigung. Denn auch das Ausmaß der Erwerbseinbuße läßt sich in der Regel nur nach Anhaltspunkten und damit nur annähernd feststellen, weil es ausreichende und für jeden Einzelfall zutreffende Erkenntnismittel für eine genaue MdE-Feststellung nicht gibt (vgl. BSG 13, 228). Diese praktischen Schwierigkeiten mögen den ärztlichen Sachverständigen Anlaß geben, den Verlust an körperlichem, seelischem und geistigem Vermögen durch entsprechende MdE-Grade zu erfassen und damit "die Auswirkungen des durch schädigende Vorgänge bedingten Verlustes der anatomischen und funktionellen Intaktheit" auszugleichen (so Anhaltspunkte S.15). Wenn jedoch Wilke unter Hinweis auf die MdE-Beurteilung aus ärztlicher Sicht die Auffassung vertritt, die Bezogenheit der MdE auf das allgemeine Erwerbsleben habe "wenig oder gar keinen Sinn", wenn ein Beschädigter trotz schwerer Schädigungsfolgen eine Erwerbstätigkeit wie ein Gesunder ausübe, und wenn er demgemäß meint, daß die MdE in der Kriegsopferversorgung praktisch ein Maß der Versehrtheit sei (vgl. Wilke Komm. zum BVG, 3. Aufl., Anm. I zu § 30 BVG S. 234), so kann dem angesichts des eindeutigen Gesetzeswortlauts und der ständigen Rechtsprechung des BSG nicht in dieser allgemeinen Form zugestimmt werden. Richtig daran ist nur, daß sich die nach der Behinderung im allgemeinen Erwerbsleben festgesetzte MdE in Einzelfällen als zu hoch erweisen und sich deshalb im Ergebnis wie eine Entschädigung des Grades der Versehrtheit auswirken kann (vgl. hierzu auch die Grunds. Entsch. des Reichsversorgungsgerichts vom 25. 11. 1930 Bd. 9, 248, 250 ff). Bei der rechtlichen Abgrenzung und Würdigung des Begriffs der MdE im Sinne des § 30 BVG muß aber stets von der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben ausgegangen werden. Das BSG hat demgemäß auch in dem Sonderfall des Verlusts der Zeugungsfähigkeit an diesem Erfordernis festgehalten und ausgeführt, daß das dadurch bedingte Gefühl des Beschädigten, im Kern seiner Persönlichkeit getroffen und geschädigt zu sein, insgesamt gesehen auch Leistung und Erfolg des Betroffenen im "Erwerbsleben" beeinflusse (vgl. BSG 9, 291, 294). Nach alledem können seelische Begleiterscheinungen nur dann zu einer Erhöhung der durch den körperlichen Befund bedingten MdE führen, wenn sie sich im allgemeinen Erwerbsleben oder im besonderen Beruf des Beschädigten in einem wirtschaftlich meßbaren Umfang nachteilig auswirken. Für die Annahme einer solchen Behinderung im Erwerbsleben bedarf es ausreichender medizinischer oder aus der Lebenserfahrung sich ergebender konkreter Anhaltspunkte; es genügt nicht das subjektive Empfinden des Beschädigten, daß er in seinem Wohlbefinden beeinträchtigt sei oder sich wegen eines eingeschränkten Lebensgefühls oder einer Unsicherheit "bis zu einem gewissen Grade ausgegliedert fühlt", wie es im Schriftsatz des Klägers vom 3. März 1969 heißt.
Das LSG ist daher im vorliegenden Fall mit Recht von der körperlichen Beeinträchtigung im allgemeinen Erwerbsleben ausgegangen und hat zutreffend festgestellt, daß durch den Verlust des Geruchssinnes im Durchschnittsberuf des Klägers ein erheblicher Körperschaden, der durch eine rentenberechtigende MdE entschädigt werden müßte, nicht eingetreten ist. Es hat nicht verkannt, daß ein solcher Geruchsverlust auch seelische Begleiterscheinungen zur Folge hat; es mußte aber diesen allein noch keine derart wesentliche erwerbsmindernde Bedeutung beimessen, daß sich deshalb im Falle des Klägers eine MdE von mindestens 25 v.H. ergeben hätte. Das LSG mußte auch nicht der Meinung sein, daß der Totalverlust des Geruchssinnes stets - und deshalb auch im Falle des Klägers, der als Büroleiter bei der Hamburger Hochbahn tätig ist -, wenigstens mit einer MdE um 25 v.H. bewertet werden müsse. Es hat insoweit zutreffend auf Liniger-Molineus, Der Unfallmann, 8. Aufl. S. 201 hingewiesen, wo der Verlust des Geruches beim gewöhnlichen Arbeiter mit 0 v.H. beurteilt wird. Auch die Anhaltspunkte 1965 S. 148 betonen, daß Geruchsminderungen gewöhnlich keine meßbare MdE bedingen, außer bei bestimmten Berufen. Im übrigen hat keiner der im vorliegenden Verfahren gehörten Sachverständigen eine rentenberechtigende MdE angenommen. HNO-Facharzt Dr. H hat für die von ihm festgestellte "Geruchsstörung" und die übrigen Schädigungsfolgen die MdE mit 0 v.H. eingeschätzt. Die im Klageverfahren gehörte Universitäts-Hals-Nasen-Ohrenklinik Hamburg Eppendorf hat im Gutachten vom 12. September 1966 festgestellt, daß wegen des Zustandes nach Kieferhöhlenoperation und des bestehenden "völligen" Geruchsverlustes eine MdE nur bei "außergewöhnlicher Disposition bei Spezialarbeitern "bestehe, "sonst 0 %". Dr. H hat danach die Gesamt-MdE mit 10 bis 15 v.H. beurteilt; dieser Schätzung hat sich Dr. H angeschlossen. Schließlich hat auch Dr. M die MdE nur auf 15 v.H. geschätzt. Er hat dabei ausgeführt, daß der Geruchssinn für den Menschen keineswegs bedeutungslos sei, sondern zumindest unterschwellig eine nicht unbedeutende Lebensfunktion habe. Das berechtige aber nicht, in Durchschnittsberufen, wo es auf den Geruchssinn nicht besonders ankomme, eine MdE von 25 v.H., anzusetzen. Er hat damit die Bedeutung seelischer Begleiterscheinungen für die Bemessung des MdE-Grades zutreffend erkannt. Das LSG konnte diesen übereinstimmenden ärztlichen Beurteilungen folgen und brauchte sich nicht veranlaßt zu sehen, mit Rücksicht auf die Angaben einiger Laien oder deshalb, weil für den Verlust eines Auges Mindesthundertsätze bzw. für andere Gesundheitsstörungen wie Sterilität, Stinknase, Verengerung der Naseneingänge mit Atembehinderung bestimmte MdE-Sätze festgesetzt worden sind, die MdE im vorliegenden Fall höher zu bemessen. Es ist auch nicht ersichtlich, daß irgendeiner der gehörten Sachverständigen die übrigen anerkannten Schädigungsfolgen bei der MdE-Bemessung unberücksichtigt gelassen hätte. Insbesondere haben sowohl Dr. H als auch Dr. M bei der MdE um 10 bis 15 v.H. alle anerkannten Schädigungsfolgen berücksichtigt; ersterer hat noch betont, daß der "abstrakte" Schaden des Geruchsverlustes dabei berücksichtigt sei.
Wenn in den Verwaltungsvorschriften Nr. 4 zu § 30 BVG für den Verlust des Geruchssinnes (Anosmie) kein Mindesthundertsatz festgesetzt worden ist, so ist dies schon deshalb nicht zu beanstanden, weil § 30 Abs. 1 letzter Satz BVG die Festsetzung von Mindesthundertsätzen nur für "erhebliche äußere Körperschäden" vorsieht. Dazu gehört die Anosmie nicht.
Schließlich mußte sich das LSG auch nicht zur Aufstellung eines Berufskatalogs gedrängt fühlen, der hätte ergeben sollen, daß das Riechvermögen in mindestens 25 v.H. aller Berufe wichtig sei. Denn selbst wenn dies zutreffen sollte, hätte das LSG nicht allein deswegen eine MdE von 25 v.H. auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt annehmen müssen. Die MdE-Höhe bemißt sich nämlich nicht nach der Zahl der Berufe, für die ein intaktes Geruchsvermögen von Bedeutung ist, sondern nach dem Grad der Behinderung des Beschädigten im allgemeinen Erwerbsleben oder im jeweiligen Beruf. Von Bedeutung wäre insoweit nur gewesen, wenn gerade die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit zu den Berufen, bei denen ein uneingeschränktes Geruchsvermögen benötigt wird, gezählt hätte. Die Feststellung des LSG, daß es sich bei dem vom Kläger ausgeübten Beruf in bezug auf den Geruchssinn um einen Durchschnittsberuf handele, der einen besonderen Gebrauch des Geruchssinnes nicht erfordere, ist jedoch von der Revision nicht angegriffen worden. Das LSG hat im übrigen die im Falle des Klägers durch den Verlust des Geruchssinnes bedingte MdE nicht, wie die Revision behauptet, mit 0 v.H. beurteilt, sondern für die anerkannten Schädigungsfolgen lediglich einen rentenberechtigenden Grad, also eine MdE von 25 v.H. verneint.
Da das LSG-Urteil somit nicht zu beanstanden war, mußte die Revision als unbegründet zurückgewiesen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen