Entscheidungsstichwort (Thema)

Kosten der nuklearmedizinischen Leistungen. Honorarbegrenzung. Berufsausübungsregelung. Vertrauen in Fortbestand einer Norm

 

Orientierungssatz

1. Die Bestimmung des § 368f Abs 1 S 5 RVO ermächtigt die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) durch normative Regelung das Honorar des Kassenarztes zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung seiner Tätigkeit zu begrenzen. Als Berufsausübungsregelungen sind sie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie rechtfertigen, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und die durch sie bewirkte Beschränkung den Betroffenen zumutbar ist. Ferner müssen sie, um Art 3 Abs 1 GG gerecht zu werden, die Unterschiede berücksichtigen, die typischerweise innerhalb einer Berufsgruppe bestehen.

2. Die Begrenzung der kassenärztlichen Vergütung ist geeignet und erforderlich, um den angestrebten Zweck zu erreichen, denn es bietet sich keine andere wirksame und weniger einschneidende Möglichkeit an, die kassenärztliche Tätigkeit von außen her in Grenzen zu halten.

3. Mit dem Gleichheitssatz ist es nicht vereinbar, wenn der der Honorarberechnung zugrunde liegende Unkostensatz für nuklearmedizinische Leistungen erheblich höher wäre als die durchschnittlichen Kostensätze aller ärztlichen Praxen zuzüglich der 35 %.

4. Es kommt dabei nicht auf die individuelle Kostensituation an, sondern auf die der Honorarberechnung nach den Punktzahlen des E-BMÄ zugrunde liegenden Kostenansätze. Insbesondere ist es unerheblich, ob der Kläger im Verhältnis zu seinen Fachkollegen mit neueren und teureren Geräten arbeitet. Die Bestimmung eines höheren Unkostensatzes für Nuklearmediziner wäre auch insoweit nicht geboten, als die Kosten durch den überdurchschnittlichen Einsatz von Hilfspersonal entstehen.

5. Die Ausweitung einer ärztlichen Praxis aufgrund von Zeitersparnissen durch den Einsatz moderner Geräte ist auch eine Ausdehnung der Tätigkeit iS des § 368f Abs 1 S 5 RVO.

6. Das Vertrauen in den Fortbestand einer Norm ist nicht schutzwürdig, wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge nach der Norm rückbezogen wird, mit dieser Regelung rechnen mußte.

 

Normenkette

RVO § 368f Abs 1 S 5; BMV-Ä; GG Art 3 Abs 1; GG Art 12 Abs 1; GG Art 14; GG Art 20 Abs 3

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 11.02.1987; Aktenzeichen L 7 Ka 947/85)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 29.05.1985; Aktenzeichen S 5 Ka 28/84)

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Honorarkürzungen wegen übermäßiger Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit.

Zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Kassenarztes unterliegen die Honoraranforderungen nach Leitzahl (LZ) 503 der Grundsätze der Beklagte die durchschnittliche Zahl der ambulanten und stationären kurativen Behandlungsfälle pro Arzt und Quartal für Versicherte der RVO-Kassen, Knappschaft, Ersatzkassen und sonstigen Kassen in vier aufeinanderfolgenden Abrechnungsquartalen und den durchschnittlichen RVO-Fallwert sowie das Gesamthonorarvolumen, das sich aus der Multiplikation der Durchschnittsfallzahl mit dem durchschnittlichen RVO-Fallwert ergibt. Das um 100 % erhöhte Gesamthonorarvolumen bildet den Grenzwert, bei dessen Überschreitung eine übermäßige Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit angenommen wird. Bei den Honorarbegrenzungen in den streitigen Quartalen IV/82 bis III/83 ging die Beklagte von einem Grenzwert von 135.000,-- DM aus. Das individuelle Honorarvolumen des Arztes wird nach LZ 503 Buchst e durch Multiplikation seiner Gesamtfallzahl, vermindert um 10 % seiner Ersatzkassenfallzahl, mit seinem RVO-Fallwert gebildet. Um den Praxisbesonderheiten in den einzelnen Fachgruppen Rechnung zu tragen, ist in LZ 503 Buchst e weiter bestimmt, daß bei der Berechnung des individuellen Honorarvolumens für unkostenintensive Leistungen vor Errechnung des RVO-Fallwertes "folgende Unkostensätze in Abzug zu bringen" sind. Wenn das individuelle Honorarvolumen den Grenzwert des Gesamthonorarvolumens überschreitet, wird das Honorar gekürzt. Die Honorarkürzung richtet sich nach der Höhe der Überschreitung; gekürzt wird bei Überschreitung bis 20 % um 10 % des Überschreitungsbetrages, über 20 bis 40 % um 20 % des weiteren Überschreitungsbetrages, über 40 bis 60 % um 30 % des weiteren Überschreitungsbetrages und über 60 % um 40 % des weiteren Überschreitungsbetrages.

Am 14. August 1982 änderte der Vorstand der Beklagten die HVG mit Wirkung vom 1. Oktober 1982 unter Berufung auf die Bestimmung der LZ 103 - danach ist er ermächtigt, in dringenden Fällen vorläufige Regelungen der Honorarverteilung zu treffen, die der nächsten Abgeordnetenversammlung zur Beschlußfassung vorzulegen sind. Der Vorstand senkte den Unkostensatz für nuklearmedizinische Leistungen gemäß LZ 503 Buchst e, der vorher 65 % betragen hatte, auf 35 %. Am 4. Dezember 1982 bestätigte die Abgeordnetenversammlung diese Änderung.

Der Kläger ist als niedergelassener Radiologe zur kassenärztlichen Versorgung zugelassen und zur Erbringung nuklearmedizinischer Leistungen befugt. Wegen übermäßiger Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit kürzte die Beklagte sein Honorar für die Quartale IV/82 bis III/83. Der Kläger hat mit der dagegen gerichteten Klage geltend gemacht, die massiven Kürzungen stellten die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit seiner Praxis in Frage. Die LZ 503 HVG werde den Besonderheiten seiner Praxis nicht gerecht. Bei nuklearmedizinischen Praxen müsse mindestens ein überwiegender Prozentsatz für abzugsfähige Kosten eingeräumt werden, während ihm nach LZ 503 Buchst e HVG - unter Einschluß des allgemein im Grenzwert von 135.000,-- DM enthaltenen Satzes - ein Unkostensatz von 43 % seines Honorarvolumens zugestanden werde. Die Beklagte habe 1982 eine zwölfjährige Praxis mit einem differenzierten Honorarverteilungsmaßstab gehabt, es handele sich bei der Änderung nicht mehr um eine Anfangsregelung. Für die Änderung der HVG sei nicht eine Überlastung der Nuklearmediziner ausschlaggebend gewesen. Vielmehr habe die Beklagte damit einer Änderung der Ertragslage im Bereich der Nuklearmedizin Rechnung tragen wollen. Dieses Motiv sei durch § 368f Abs 1 Satz 5 der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht gedeckt. Für die Änderung der HVG sei das Benehmen mit den Verbänden der Krankenkassen nicht hergestellt worden. Der im Januar 1983 veröffentlichte Beschluß der Abgeordnetenversammlung vom 4. Dezember 1982 verstoße gegen das Rückwirkungsverbot.

Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, der Senat gehe davon aus, daß die Honorarbegrenzungsbescheide betreffend die Quartale II und III/83 ohnehin im Berufungsverfahren insofern letztlich nicht mehr im Streit seien, als auch der Berufungskläger von der grundsätzlichen Rechtsstaatlichkeit und dem ordnungsgemäßen Zustandekommen der HVG ausgehe. Die Anwendung der neuen Grundsätze bereits für die Quartale IV/82 und I/83 verstoße nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip. Mit der Änderung der HVG habe die Beklagte nicht in schon abgewickelte und der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen. Mit dem Beschluß vom 14. August 1982 habe der Vorstand zu erkennen gegeben, daß die Regelung für nuklearmedizinische Leistungen in den HVG nicht mehr den Gegebenheiten entspreche und geändert werden müsse; es sei nicht notwendig gewesen, daß die Beklagte den besonders "dringenden Fall" gemäß LZ 103 HVG im einzelnen begründete.

Mit der Revision bringt der Kläger vor, das LSG habe zu Unrecht wesentliche Streitpunkte übergangen. Er habe in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG seine Anträge in vollem Umfang aufrechterhalten. Die nach den HVG der Kürzung zugrundeliegenden Berechnungen nach fixen Grenzwerten und Kostenpauschalen werden dem Beziehungszusammenhang von kostenintensiver technischer Ausstattung und individueller Leistungsfähigkeit des Arztes nicht gerecht. Die Intensivierung seiner Tätigkeit könne er gegenüber den Patienten vertreten, da der gestiegene technische Standard Zeitersparnisse bringe. Durch die Orientierung an der Art der Leistung unabhängig von der Praxisausstattung gemäß HVG würden technisch hochwertig ausgestattete Praxen gegenüber solchen mit veralteter Ausstattung benachteiligt. Die Kosten dürften nicht in ihrer Entwicklung als unmittelbares Steuerungselement des Behandlungsverhaltens im Rahmen des § 368f Abs 1 Satz 5 RVO eingesetzt werden.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 11. Februar 1987 - L 7 Ka 947/85 - und des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 29. Mai 1985 - S 5 Ka 28/84 - sowie die Bescheide der Beklagten vom 14. Juni 1983, 14. September 1983, 14. Dezember 1983 und 14. März 1984 in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 20. März 1984, 20. Juni 1984 und 3. Juli 1984 aufzuheben und die Beklagte zur Zahlung von 239.516,52 DM zu verurteilen, hilfsweise die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, den Kläger auf der Grundlage des vor dem Änderungsbeschluß vom 4.Dezember 1982 angewendeten Honorarverteilungsmaßstabes der Beklagten und unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das LSG zu neuer Verhandlung und Entscheidung begründet. Anhand der Feststellungen des LSG im angefochtenen Urteil kann der Senat nicht abschließend in der Sache entscheiden. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide betreffend die Honorarbegrenzung in den Quartalen IV/82 bis III/83 und die Verurteilung zur Zahlung des Kürzungsbetrages. Der in der Revisionsinstanz gestellte Antrag des Klägers ist in diesem Umfang zulässig. Entgegen der Meinung des LSG sind die Bescheide für die Quartale II und III/1983 im Streit geblieben.

Die angefochtenen Bescheide sind auf die HVG gestützt. Über die Rechtmäßigkeit der HVG hat das LSG nicht entschieden. Die von ihm getroffenen Feststellungen genügen nicht für die Entscheidung darüber.

Nach den Feststellungen des LSG bestehen keine Zweifel daran, daß die im vorliegenden Fall maßgebende Änderung der HVG wirksam zustande gekommen ist. Die Abgeordnetenversammlung der Beklagten hat sie im Benehmen mit den Landesverbänden beschlossen. Unstreitig haben die Landesverbände ihr Einverständnis mit der Regelung im November 1982 erklärt. Die Landesverbände haben damit die erforderliche Einwirkungsmöglichkeit auf die inhaltliche Gestaltung der HVG (vgl BSGE 29, 111, 113) gehabt. Entgegen der Meinung des Klägers war diese Möglichkeit nicht wegen des Vorstandsbeschlusses vom 14. August 1982 ausgeschlossen. Der Vorstand hat ihn als vorläufige Regelung nach LZ 103 der HVG bezeichnet. Durch Regelungen nach LZ 103 HVG wird die nächste Abgeordnetenversammlung, der sie zur Beschlußfassung vorzulegen sind, nicht gebunden. Es kann dahingestellt bleiben, ob das nach § 368f Abs 1 Satz 2 RVO erforderliche Benehmen auch zu Beschlüssen des Vorstandes nach LZ 103 HVG herzustellen ist. Die Beklagte kann nämlich auch hinsichtlich der Quartale IV/82 und I/83 die HVG idF des Beschlusses der Abgeordnetenversammlung zugrunde legen. Auf den Beschluß des Vorstandes braucht sie sich nicht zu stützen, er geht inhaltlich nicht über den Beschluß der Abgeordnetenversammlung hinaus. Eine andere Frage ist es, ob diesem Beschluß Rückwirkung zukommt, so daß er deshalb unwirksam wäre; darauf ist später einzugehen. Das Benehmen mit den Ersatzkassenverbänden war entgegen der Meinung des Klägers schon deshalb nicht herzustellen, weil nach LZ 503 HVG nur RVO-Honoraranforderungen gekürzt werden.

Zu entscheiden ist, ob LZ 503 HVG idF des Beschlusses vom 4. Dezember 1982 mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Die Bestimmung des § 368f Abs 1 Satz 5 RVO ermächtigt die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV), durch normative Regelung das Honorar des Kassenarztes zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung seiner Tätigkeit zu begrenzen; über die Zulässigkeit derartiger Regelungen hat der Senat mehrfach entschieden (BSG SozR 2200 § 368f RVO Nr 14 mwN). Als Berufsausübungsregelungen sind sie verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls sie rechtfertigen, die gewählten Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und die durch sie bewirkte Beschränkung den Betroffenen zumutbar ist. Ferner müssen sie, um Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) gerecht zu werden, die Unterschiede berücksichtigen, die typischerweise innerhalb einer Berufsgruppe bestehen.

Die Bestimmung der LZ 503 HVG dient dem Interesse des Gemeinwohls, soweit damit verhindert werden soll, daß der an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmende Arzt aufgrund einer Überbeschäftigung für die Versorgung und ärztliche Betreuung der einzelnen Kassenpatienten nicht mehr ausreichend zur Verfügung steht. Die Begrenzung der kassenärztlichen Vergütung ist geeignet und erforderlich, um den angestrebten Zweck zu erreichen, denn es bietet sich keine andere wirksame und weniger einschneidende Möglichkeit an, die kassenärztliche Tätigkeit von außen her in Grenzen zu halten. Dagegen wendet der Kläger zu Unrecht ein, er komme erst mit hohen Umsätzen in die Gewinnzone; die HVG seien nicht geeignet, eine Änderung seines Verhaltens zu bewirken. Es ist nicht entscheidend, ob der einzelne Arzt die Honorarbegrenzung in Kauf nehmen kann. Vielmehr kommt es auf die allgemeine Eignung der Norm an. Im Hinblick darauf, daß nur das den Grenzwert überschreitende Honorar gekürzt wird, und zwar beginnend mit einer Kürzung von 10 %, sowie daß dem Arzt selbst bei sehr hoher Überschreitung des Grenzwerts noch ein Honorar in Höhe von 60 % des letzten Spitzenbetrages und ein wesentlich größerer Anteil des insgesamt abgerechneten Honorars verbleibt, ist die Regelung auch als zumutbar anzusehen.

Dem Gebot der Berücksichtigung von Unterschieden, die innerhalb der Berufsgruppe der Kassenärzte bestehen, widersprechen die HVG nicht schon deshalb, weil für alle Kassenärzte ein einheitlicher Grenzwert festgesetzt ist. Ein einheitlicher Grenzwert ist mit dem Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG vereinbar, wenn er entsprechend hoch bemessen wird und/oder Sonderregelungen für bestimmte Fachgebiete oder Leistungsarten den unterschiedlichen Verhältnissen ausreichend Rechnung tragen (BSG SozR 2200 § 368f RVO Nr 6 = S 10). Mit der Berechnung nach der durchschnittlichen Gesamtfallzahl aller der Beklagten angehörenden Kassenärzte multipliziert mit dem durchschnittlichen RVO-Fallwert und der Erhöhung der Summe um 100 % gemäß LZ 503 HVG ist der Grenzwert angemessen festgesetzt. Es entspricht dem Ziel, die übermäßige Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit zu verhüten, wenn die Beklagte bei der Fallzahl die Behandlungen insbesondere der Ersatzkassenpatienten einbezieht; ohne diese Einbeziehung wäre die Regelung der HVG unbefriedigend (vgl BSG SozR 2200 § 368f RVO Nr 14).

Die HVG verstoßen auch insoweit nicht gegen den Gleichheitssatz, als sie zur Berücksichtigung der Besonderheiten bei den nuklearmedizinischen Leistungen pauschale Unkosten absetzen. Zur Berücksichtigung der unterschiedlichen Kosten der Leistungsarten kann die KÄV unterschiedliche Grenzwerte bei den Arztgruppen festsetzen (BSG aaO), aber auch wie die Beklagte in den HVG prozentuale Abschläge vom Honorar nach der Art der erbrachten Leistungen vorsehen (vgl BSG SozR 2200 § 368f RVO Nr 6). Die durchschnittlichen Kosten der Leistungen aller Kassenärzte sind nach LZ 503 bereits im Grenzwert enthalten. Die überdurchschnittlichen Kosten bei nuklearmedizinischen Leistungen berücksichtigt die Beklagte durch einen pauschalen Abschlag vom gesamten für die Leistungen anfallenden Honorar. Mit der pauschalen Festsetzung hält sie sich im Rahmen der zulässigen Typisierung. Der Kläger verlangt zu Unrecht eine Berücksichtigung seiner individuellen Kosten. Bei der Honorarbegrenzung zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit geht es darum, den Umfang der Dienstleistungen des Arztes zu ermitteln. Dieser wird nach dem Honorar für die abgerechneten Leistungen bestimmt, das sich aus der Zahl der Leistungen sowie dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab für kassenärztliche Leistungen (E-BMÄ) und dem Gesamtvertrag ergibt. Mit der danach festgesetzten Vergütung wird aber nicht nur die Tätigkeit des Arztes abgegolten, sie enthält auch die allgemeinen Praxiskosten und die durch die Anwendung von ärztlichen Instrumenten und Apparaten entstehenden Kosten. Der Punktwert für die Leistung berücksichtigt nicht die individuellen Kosten. Deren Höhe gehört zum Risikobereich des Arztes bei der Ausübung seines freien Berufes.

Der Senat kann hingegen nicht entscheiden, ob der Unkostensatz von (zusätzlich) 35 % den besonderen Bedingungen der nuklearmedizinischen Leistungen ausreichend Rechnung trägt. Die Höhe des Unkostensatzes konnte die Beklagte im Rahmen der zulässigen Pauschalierung schätzen. Das Gericht müßte aber die Höhe des Unkostensatzes beanstanden, wenn die Festsetzung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar und mangels einleuchtender Gründe als willkürlich zu beurteilen wäre. Mit dem Gleichheitssatz wäre es nicht vereinbar, wenn der der Honorarberechnung zugrundeliegende Unkostensatz für nuklearmedizinische Leistungen erheblich höher wäre als die durchschnittlichen Kostensätze aller ärztlichen Praxen zuzüglich der 35 %. Das Gericht muß den Sachverhalt insofern insbesondere deshalb aufklären, weil für nuklearmedizinische Leistungen vor dem 1. Oktober 1982 ein Unkostensatz von 65 % anerkannt war und weil die Angaben der Beteiligten zu den Unkosten erheblich voneinander abweichen. Die Beklagte hat vorgetragen, bei nuklearmedizinischen Leistungen würde nach LZ 503 HVG insgesamt einschließlich des allgemeinen Kostenanteils bei allen Arztpraxen in Höhe von 35 % ihrer Umsätze ein Kostenanteil von 70 % zugestanden. Dem hat der Kläger entgegengehalten, die ersten 35 % bezögen sich auf den Grenzwert und nur die zweiten auf sein individuelles Honorarvolumen; bezogen auf dieses ergebe sich in Anwendung der LZ 503 ein Unkostensatz von insgesamt nur 43 %, während die Unkosten tatsächlich sogar bei 77 bis 85 % lägen. Dem muß nachgegangen werden. Es kommt dabei allerdings, wie dargelegt, nicht auf die individuelle Kostensituation beim Kläger an, sondern auf die der Honorarberechnung nach den Punktzahlen des E-BMÄ zugrundeliegenden Kostenansätze. Insbesondere ist es unerheblich, ob der Kläger im Verhältnis zu seinen Fachkollegen mit neueren und teureren Geräten arbeitet. Die Bestimmung eines höheren Unkostensatzes für Nuklearmediziner wäre auch insoweit nicht geboten, als die Kosten durch den überdurchschnittlichen Einsatz von Hilfspersonal entstehen. Gerade einer solchen, berufsrechtlich vielleicht noch zulässigen Verlagerung von an sich ärztlichen Leistungen auf nicht ärztliche Hilfspersonen und einer damit verbundenen Ausweitung der Praxiskapazität, soll die Honorarbegrenzung nach § 368f Abs 1 Satz 5 RVO entgegenwirken, um auch für die Versicherten eine im wesentlichen persönliche Behandlung durch den Kassen-/Vertragsarzt sicherzustellen (BSG SozR 2200 § 368f RVO Nr 6 = S 12). Aus denselben Gründen kann der Kläger nicht mit seinem Einwand durchdringen, der gestiegene Standard bringe Zeitersparnisse und ermögliche deshalb die Behandlung von mehr Patienten im selben Zeitraum. Die Mehrkosten für diesen technischen Standard muß die Beklagte nicht als Unkosten im Sinn der LZ 503 Buchst e HVG ansetzen. Vielmehr ist auch die Ausweitung einer ärztlichen Praxis durch den Einsatz solcher Geräte eine Ausdehnung der Tätigkeit iS des § 368f Abs 1 Satz 5 RVO.

Die Beklagte konnte bei der Schätzung des der Honorarberechnung zugrundeliegenden Unkostenanteils nicht davon ausgehen, daß es sich noch um eine Anfangsregelung handelte - zumindest sprechen dafür keine Anhaltspunkte -. Dem Normgeber kann bei der Regelung komplexer Sachverhalte zunächst eine angemessene Zeit zur Sammlung von Erfahrungen eingeräumt werden. Die Beklagte hatte aber mit der speziellen Regelung des (zusätzlichen) Unkostensatzes für nuklearmedizinische Leistungen mindestens seit 1976 Erfahrungen sammeln können.

Der Kläger hat geltend gemacht, bei der Herabsetzung des Unkostensatzes für nuklearmedizinische Leistungen sei es nicht darum gegangen, eine Überbeschäftigung der Nuklearmediziner zu verhüten, sondern darum, ihr Einkommen zu kürzen und einer angeblich geänderten Ertragslage bei diesen Leistungen Rechnung zu tragen. Dem hat die Beklagte nicht widersprochen, sondern dagegen vorgebracht, auch der Honorarverteilung sei eine soziale Komponente eigen, denn es sei auch Aufgabe der KÄV, daß den Kassenärzten ermöglicht wird, für ihre kassenärztliche Tätigkeit ein angemessenes Entgelt zu erzielen. Wenn im Ergebnis das Einkommen des Kassenarztes dadurch erheblich gesteigert werden könne, daß durch die Anschaffung immer kostenaufwendigerer Geräte und die Einstellung einer immer größeren Zahl von Mitarbeitern sein Anteil an der zu verteilenden Gesamtvergütung vergrößert wird, führe dies zu einer sinkenden Vergütung für primärärztliche Leistungen, ja sogar möglicherweise zu einem ruinösen Wettbewerb.

Bei einer derartigen Zielsetzung der Änderung der LZ 503 Buchst e HVG würde § 368f Abs 1 Satz 5 RVO als Rechtsgrundlage in den Hintergrund treten. Wenn sich nach den anzustellenden Ermittlungen des LSG die Herabsetzung des Unkostensatzes für nuklearmedizinische Leistungen von 65 % auf 35 % nur aus einer Veränderung der Ertragslage rechtfertigen ließe, wäre sie nicht als Maßnahme zur Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Kassenarztes geeignet. Eine günstigere Ertragslage allein spricht noch nicht für eine übermäßige Ausdehnung der kassenärztlichen Tätigkeit. Erhöht sich der Gewinn, der sich in einer kassenärztlichen Praxis durch bestimmte Leistungen erzielen läßt, so kann dies Anlaß für eine Herabsetzung der Punktzahlen für die Leistungen im E-BMÄ sein. Die Veränderung der Ertragslage kann aber auch eine andere Verteilung der Gesamtvergütung nach § 368f Abs 1 Satz 2 bis 4 RVO rechtfertigen.

Die Änderung der HVG kann rechtmäßig sein, auch wenn sie nicht der Verhütung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Kassenarztes dient. Allerdings ist dieser Zweck der Honorarbegrenzung nach LZ 503 HVG in Buchst a ausdrücklich vorgegeben. Der Normgeber der HVG, der diesen Zweck bestimmt hat, ist daran aber nicht selbst in der Weise gebunden, daß er die Honorarbegrenzung nicht auch auf andere Ziele richten könnte. Eine Systemwidrigkeit verstößt für sich allein nicht gegen Art 3 Abs 1 GG (BSGE 60, 134, 139 mwN).

Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 27. Januar 1965 - 6 RKa 15/64 - offengelassen, ob eine Honorarbegrenzung mit dem Ziel, möglichst vielen Kassenärzten einen angemessenen Anteil an der Gesamtvergütung zu sichern, eine Beschränkung der Berufsausübung rechtfertigen könnte (BSGE 22, 218, 221). Indessen ist die Zielsetzung der LZ 503 HVG nach dem Wortlaut der Bestimmung nicht in dieser Weise beschränkt. Die Änderung der LZ 503 Buchst e HVG knüpft nach dem Vorbringen der Beteiligten vielmehr an die besondere Ertragslage bei nuklearmedizinischen Leistungen an.

Der Verteilung der Gesamtvergütung nach § 368f Abs 1 Satz 4 RVO legt die Beklagte grundsätzlich den Bewertungsmaßstab für kassenärztliche Leistungen (BMÄ'78) zugrunde. Sie kürzt das Honorar nach LZ 503 HVG nur, soweit es den Grenzwert übersteigt. Damit hält sich die Beklagte auch im Rahmen der Ermächtigungsnorm des § 368f Abs 1 Sätze 2 bis 4 RVO. Der Bestimmung des § 368f Abs 1 Satz 4 RVO kann nicht etwa die Forderung entnommen werden, daß die Leistungen nach ihrem Umfang und ihrer Art in der Weise gleichmäßig vergütet werden müßten, daß die KÄV von den Abrechnungen nur einheitliche prozentuale Abschläge machen dürfte. Die KÄV darf die Honorarverteilung anstelle einer gleichmäßigen Honorierung der einzelnen Leistungen auch nach anderen Zwecken und Zielen ausrichten. Auch insoweit unterliegen die HVG den Anforderungen an eine Berufsausübungsregelung; die Unterschiede innerhalb der Berufsgruppe sind zu beachten (BSG SozR 2200 § 368f RVO Nr 9). Mit der geänderten Bestimmung der LZ 503 Buchst e HVG ist die Menge der zu vergütenden nuklearmedizinischen Leistungen nach dem Vortrag der Beklagten im Hinblick auf die erhebliche Steigerung der Einkommen der Nuklearmediziner begrenzt worden. Die Bestimmung konnte insoweit daran anknüpfen, daß die Kosten für den Einsatz teurer Geräte pro Einzelleistung mit der Menge der Leistungen insgesamt tendenziell sinken. Dadurch würde eine entsprechende Kürzung des Honorars je nach der Zahl der Leistungen ohne weiteres gerechtfertigt (vgl BSG aaO). Soweit aber bei der Begrenzung des Honorars für nuklearmedizinische Leistungen nach LZ 503 HVG zwangsläufig entstehende Kosten offensichtlich außer Betracht bleiben würden oder gegenüber anderen Facharztgruppen mit ähnlich günstiger Entwicklung der Ertragslage einseitig nur Nuklearmediziner benachteiligt worden sein sollten, könnte die Regelung gegen den Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG verstoßen. Dies bedarf der Aufklärung, wenn nach den weiteren Ermittlungen des LSG die Ertragslage als Rechtfertigungsgrund der streitigen Herabsetzung des Unkostensatzes heranzuziehen ist.

Mit dem Inkrafttreten der Änderung der HVG bereits zum 1. Oktober 1982 hat die Beklagte nicht gegen das Gebot der Rechtsstaatlichkeit verstoßen. Es kann dahingestellt bleiben, ob bereits die Regelung durch den Beschluß des Vorstands vom 14. August 1982 wirksam war. Auch wenn vom Beschluß der Abgeordnetenversammlung vom 4. Dezember 1982 ausgegangen wird und wenn deshalb eine echte Rückwirkung anzunehmen wäre, würde die Regelung Bestand haben. Das Vertrauen in den Fortbestand einer Norm ist nämlich nicht schutzwürdig, wenn der Bürger nach der rechtlichen Situation dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge nach der Norm rückbezogen wird, mit dieser Regelung rechnen mußte. Der Kläger mußte jedenfalls nach der Bekanntgabe des Vorstandsbeschlusses mit der Herabsetzung des Unkostensatzes rechnen. Möglicherweise hätte er seine Praxis nicht in der Zeit vom August bis zum 1. Oktober 1982 im Hinblick auf die neue Regelung umstellen können. Er hat aber nicht vorgetragen, daß er wegen der kurzen Zeit gehindert gewesen wäre, konkrete Maßnahmen zur Einschränkung der Praxis rechtzeitig zu treffen.

Die Sache war aus allen diesen Gründen an das LSG zurückzuverweisen, damit es die erforderlichen Feststellungen nachholen kann. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens mitzuentscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1653076

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