Leitsatz (amtlich)
1. In einer auf das Sozialgericht nach SGG § 215 Abs 6 übergegangenen Sache ist nicht zu prüfen, ob der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten nach dem vor 1954 geltenden Recht zulässig war.
2. Eines Vorverfahrens bedarf es in den Fällen des SGG § 215 Abs 6 nicht.
3. In den Fällen des SGG § 215 Abs 6 ist die Rechtzeitigkeit der Klageerhebung bei einem Verwaltungsgericht der früheren britischen Besatzungszone nach der MRV 165 zu beurteilen.
4. Die RVO §§ 1256 Abs 4 und 1272 Abs 4 sind in der knappschaftlichen Rentenversicherung ungeachtet des NV Kn RV 1942 § 18 Abs 1 in der Zeit vom 1943-01-01 bis zum 1956-12-31 entsprechend anzuwenden.
5. Ist in einem Falle des RVO § 1256 Abs 4 der Versicherte zur Zeit der Geltung des Ehegesetzes vom 1938-07-06 gestorben, so richtet sich der Unterhaltsanspruch der geschiedenen Frau auch dann nach den Vorschriften dieses Ehegesetzes, wenn es zur Zeit der Entscheidung über die Rente nach RVO § 1256 Abs 4 bereits außer Kraft getreten war.
6. Der Versicherte hatte nach den Vorschriften des EheG 1938 seiner geschiedenen Frau zur Zeit seines Todes keinen Unterhalt zu leisten, wenn diese in der Lage war, durch eine ihr zumutbare Erwerbstätigkeit den ihr zustehenden angemessenen Unterhalt in vollem Umfang selbst zu verdienen.
Normenkette
SGG § 215 Abs. 6 Fassung: 1953-09-03; KnRVNV § 10 Fassung: 1942-10-04; KnRVNV 1942 § 10 Fassung: 1942-10-04; KnRVNV § 18 Abs. 1 Fassung: 1942-10-04; KnRVNV 1942 § 18 Abs. 1 Fassung: 1942-10-04; RVO § 1256 Abs. 4 Fassung: 1949-06-17, § 1272 Abs. 4 Fassung: 1942-06-22; EheG § 66 Fassung: 1938-07-06; EheG 1938 § 66 Fassung: 1938-07-06; MRV BrZ 165
Tenor
1) Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 26. Juli 1955 wird zurückgewiesen, soweit der Erlaß eines Bescheides auf Gewährung von Geschiedenen-Witwenrente für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 begehrt wird.
2) Im übrigen wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
3) Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts W. im Verfahren vor dem Bundessozialgericht wird auf ...DM festgesetzt.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Ehe der am 10. Juli 1900 geborenen Klägerin mit dem Bergmann V G wurde durch Urteil des Landgerichts Bochum vom 26. April 1944 aus alleinigem Verschulden des Ehemannes geschieden. Aus der Ehe ist ein Kind, geb. am 24. April 1928, hervorgegangen. In den Jahren 1941 bis 1945 war die Klägerin bei der Reichspost mit einem Monatsverdienst von RM 181,50 beschäftigt. Nach der Scheidung machte sie einen Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann nicht geltend. Dieser starb am 5. November 1944.
Am 27. Februar 1951 beantragte die Klägerin die Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente nach § 1256 Abs. 4 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 17. März 1951 ohne Rechtsmittelbelehrung ab. Hiergegen erhob die Klägerin am 11. September 1953 Klage beim Landesverwaltungsgericht Gelsenkirchen, das die Sache im März 1954 an das Sozialgericht in Dortmund abgab. Das Sozialgericht wies die Klage durch Urteil vom 15. April 1954 ab, weil die Klägerin keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann gehabt habe.
Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung beim Landessozialgericht ein; sie beantragte in der mündlichen Verhandlung vom 12. Mai 1955, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils der Vorinstanz zur Zahlung der Witwenrente zu verurteilen. Später stellte sie in ihrem Schriftsatz vom 16. Juli 1955 den Antrag, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Beklagte für verpflichtet zu erklären, einen ermessensfehlerfreien Bescheid zu erteilen. In dem Termin vom 26. Juli 1955 war die Klägerin weder erschienen noch vertreten. Auf Antrag der Beklagten entschied das Landessozialgericht nach Lage der Akten; es wies die Berufung zurück und ließ die Revision zu. Nach § 1256 Abs. 4 RVO stehe der Klägerin ein Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente nicht zu, weil sie bei einem eigenen Einkommen von ca. 180,- RM nach § 66 des Ehegesetzes von 1938 keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann zur Zeit seines Todes gehabt habe.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 18. August 1955 zugestellt wurde, hat die Klägerin durch ihren Prozeßbevollmächtigten, Rechtsanwalt W in H, mit Schriftsatz vom 9. September 1955 am 12. September 1955 Revision eingelegt und diese durch Schriftsatz vom 22. September 1955 am 23. September 1955 begründet. Sie ist der Ansicht, daß die Ermessensentscheidung der Beklagten fehlerhaft sei. Zu Unrecht sei angenommen worden, daß der Klägerin kein Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann zur Zeit dessen Todes zugestanden habe. Insbesondere hätte nicht das Ehegesetz von 1938, sondern das von 1946, welches den Richter in der Beurteilung des Unterhaltsanspruchs viel freier stelle, Anwendung finden müssen. Das Einkommen der Klägerin könne ihr deshalb nicht angerechnet werden, weil ihr die Verrichtung dieser Arbeit nicht zuzumuten gewesen sei; sie habe die Arbeit nicht freiwillig, sondern nur auf Drängen der Arbeitsbehörden angenommen.
Sie hat beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den zuletzt in der Berufungsinstanz gestellten Anträgen zu erkennen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, daß die Klägerin keinen Unterhaltsanspruch gegen ihren geschiedenen Ehemann gehabt habe, weil ihr Unterhalt durch ihre Erwerbstätigkeit voll gesichert gewesen und ihr früherer Ehemann außerdem zur Unterhaltsleistung auch nicht in der Lage gewesen sei. Er habe im Jahre 1943 monatlich durchschnittlich 121,- RM und im Jahre 1944 durchschnittlich 137,- RM verdient. Außerdem sei er verpflichtet gewesen, dem am 30. Oktober 1944 geborenen unehelichen Kind U I B einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von 30,- RM zu leisten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist und das Landessozialgericht sie zugelassen hat.
Sie konnte keinen Erfolg haben, soweit der Erlaß eines Verwaltungsaktes auf Gewährung der Geschiedenen-Witwenrente für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 begehrt wird. Soweit dagegen der Erlaß eines derartigen Verwaltungsaktes für die Zeit nach dem 31. Dezember 1956 Gegenstand des Rechtsstreits ist, mußte das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden.
Die zu entscheidende Rechtssache ist, da es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit im Sinne des § 51 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) handelt, eine Entscheidung des Oberversicherungsamts nicht vorliegt und die Sache bei Inkrafttreten des SGG beim Landesverwaltungsgericht rechtshängig war, nach § 215 Abs. 6 SGG auf das Sozialgericht, zu dem nunmehr der Rechtsweg eröffnet ist, übergegangen. Es bedurfte keiner Untersuchung, ob bis zu diesem Zeitpunkt der Rechtsweg zu den allgemeinen Verwaltungsgerichten nach dem vor dem 1. Januar 1954 geltenden Verfahrensrecht gegeben war, weil es nur darauf ankommt, ob der Rechtsweg zu dem die Sachentscheidung treffenden Gericht, d. h. hier dem Gericht der Sozialgerichtsbarkeit, nach dem zur Zeit des Schlusses der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung geltenden Verfahrensrecht gegeben ist (vgl. dazu Urteil des 3. Senats des BSG. vom 16.6.1955, BSG. 1 S. 82, und Urteil des 1. Senats des BSG. vom 8.5.1956, SozR. SGG § 215 Bl. Da 6 Nr. 23). Schwebende Verfahren werden grundsätzlich von neuem Prozeßrecht erfaßt. Dies gilt insbesondere für die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges (Rosenberg, Lehrbuch des Deutschen Zivilprozeßrechts, 7. Aufl., § 6 I).
Die Klage ist, obwohl sie erst über zwei Jahre nach Zustellung des angefochtenen Bescheides erhoben wurde, noch als fristgerecht erhoben anzusehen. In Ausnahme von dem Grundsatz, daß schwebende Verfahren von neuem Verfahrensrecht erfaßt werden, ist die Wirksamkeit der vor Inkrafttreten des neuen Rechts bereits abgeschlossenen Prozeßhandlungen, hier der Klageerhebung, noch nach altem Recht zu beurteilen (Baumbach, Kommentar zur Zivilprozeßordnung (ZPO), 22. Aufl., Einl. IV 9). Da es sich um eine Klage vor einem Verwaltungsgericht der früheren britischen Besatzungszone handelt, ist die Militärregierungsverordnung (MRVO) Nr. 165 maßgebend. Nach § 35 dieser Verordnung aber hat eine Rechtsmittelfrist nicht zu laufen begonnen, da der angefochtene Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung nicht enthält (- vgl. Urteil des 1. Senats des BSG. vom 8.5.1956, SozR. SGG § 215, Da 6 Nr. 23 -).
Der Umstand, daß die Frist, welche die Klägerin bis zur Klageerhebung hatte verstreichen lassen, unangemessen lang war, gab Veranlassung, zu prüfen, ob diese Rechtsausübung nicht wegen Verstoßes gegen den Grundsatz von Treu und Glauben als unzulässig angesehen werden mußte. (vgl. Forsthoff, Lehrbuch des Verwaltungsrechts I, 6. Aufl. S. 154 f.) Der Senat hat dies im vorliegenden Falle jedoch, - ohne daß es einer Entscheidung der Frage bedurfte, ob die Annahme einer unzulässigen Rechtsausübung wegen Klageerhebung nach unangemessen langer Zeit überhaupt statthaft ist - schon deshalb verneint, weil angesichts der vor dem Inkrafttreten des SGG bestehenden allgemeinen Unklarheit über die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel aus dem Abwarten des Versicherten keine für ihn in dieser Hinsicht nachteiligen Schlüsse gezogen werden können.
Es mangelt hier an einem Vorverfahren. Es war daher zu prüfen, ob die Klage nicht aus diesem Grunde unzulässig war. Der Senat hat dies jedoch verneint. Auch diese Prozeßvoraussetzung richtet sich nach dem zur Zeit des Schlusses der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz geltenden Verfahrensrecht. Ob die vor dem Inkrafttreten des SGG nach der RKG oder der MRVO Nr. 165 vorgeschriebenen Vorverfahren stattgefunden haben, ist somit ohne Bedeutung. Allein entscheidend ist, ob das nach dem SGG (§§ 78 ff.) vorgeschriebene Vorverfahren stattgefunden hat. Dies ist zwar nicht der Fall; es ist aber davon auszugehen, daß der Gesetzgeber in den Übergangsfällen dieser Art von der Durchführung dieses Vorverfahrens absehen wollte, weil es vor den bei Inkrafttreten dieser Vorschriften bereits anhängigen Klagen noch nicht durchgeführt werden konnte. Zwar ist dies ausdrücklich nur in § 215 Abs. 4 SGG hinsichtlich der als Klage übergehenden Berufungen und Beschwerden festgelegt, es muß aber gleichermaßen auch für die Übergangsfälle des § 215 Abs. 6 SGG gelten, da auch in diesen Fällen bei Klageerhebung das Vorverfahren nach §§ 78 ff. SGG noch nicht durchgeführt werden konnte, die Interessenlage also dieselbe ist wie bei den in § 215 Abs. 4 SGG geregelten Fällen.
Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen somit nicht. Die Zulässigkeit der Berufung ergibt sich aus § 143 SGG.
Die Klage stützt sich auf § 1256 Abs. 4 RVO a. F. Es fragt sich, ob diese Vorschrift auch für die knappschaftliche Rentenversicherung gilt. Das Knappschaftsrecht enthält keine Vorschrift, durch welche § 1256 Abs. 4 RVO a. F. für anwendbar erklärt wird. Es darf aber nicht übersehen werden, daß durch § 3 des Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 19. Juni 1942 (RGBl. I S. 407) die Geschiedenen-Witwenrente in der gesamten Rentenversicherung, also nicht nur in der Invaliden- und Angestelltenversicherung, sondern auch in der knappschaftlichen Pensionsversicherung eingeführt wurde. In Durchführung dieser Vorschrift erhielt § 39 Abs. 1 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG) durch § 8 der Verordnung vom 22. Juni 1942 (RGBl. I S. 411) folgenden Satz 2: "Für den Anspruch auf Witwenrente im Falle der Trennung der Ehe gelten die §§ 1256 Abs. 4 und ... 1272 Abs. 4 RVO entsprechend." Anläßlich der Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung durch die Verordnung vom 4. Oktober 1942 (RGBl. I S. 569) wurde diese Vorschrift im Zuge der Außerkraftsetzung der gegenstandslos gewordenen Vorschriften der knappschaftlichen Pensionsversicherung wieder aufgehoben (§ 18 Abs. 7), ohne daß eine entsprechende Vorschrift für das Recht der knappschaftlichen Rentenversicherung erlassen worden wäre. Es kann nicht angenommen werden, daß der Gesetzgeber bewußt diese erforderlich gewordene Regelung unterlassen hat, zumal § 3 des Zweiten Gesetzes über die Verbesserung der Leistungen in der Rentenversicherung vom 19. Juni 1942, durch welche die Geschiedenen-Witwenrente in allen Rentenversicherungszweigen gleicherweise eingeführt wurde, weiter in Kraft war. Der erkennende Senat ist der Auffassung, daß die hier vorliegende Gesetzeslücke sinnvoll nur dadurch geschlossen werden kann, daß §§ 1256 Abs. 4 und 1272 RVO a. F. in der knappschaftlichen Rentenversicherung für die Zeit vom 1. Januar 1943 bis zum 31. Dezember 1956 entsprechend angewandt werden.
Nach dem bis zum Ablauf des Jahres 1956 geltenden § 1256 RVO a. F. bestand kein Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente, es lag vielmehr im Ermessen des Versicherungsträgers, ob er sie - bei Vorliegen der Voraussetzungen - gewähren wollte. Dieser Rechtslage entsprach der von der Klägerin zunächst gestellte Antrag auf Verurteilung zur Gewährung einer Geschiedenen-Witwenrente nicht; er hätte schon aus diesem Grunde abgewiesen werden müssen. Die Klägerin hat diesen Antrag aber mit Schriftsatz vom 16. Juli 1955 dadurch geändert, daß sie die Verurteilung der Beklagten zum Erlaß eines ermessensfehlerfreien Bescheides begehrte. Dieser Antrag ist, obwohl er nicht mehr Gegenstand einer mündlichen Verhandlung geworden ist, maßgebend, weil eine Entscheidung nach Lage der Akten ergangen ist (§ 126 SGG) und hierbei auch das nur schriftsätzlich Vorgetragene zu berücksichtigen ist.
Wie das Landessozialgericht ohne Rechtsirrtum entschieden hat, sind die Voraussetzungen des § 1256 Abs. 4 RVO a. F. schon deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin zur Zeit des Todes ihres früheren Ehemannes keinen Anspruch auf Unterhaltsleistung nach den Vorschriften des Ehegesetzes vom 6. Juli 1938 hatte. Im Gegensatz zu der Auffassung der Klägerin ist hier nicht das Ehegesetz vom 20. Februar 1946 maßgebend, da der frühere Ehemann der Klägerin bereits im Jahre 1944, also vor Inkrafttreten dieses Gesetzes, gestorben ist, Da es nach § 1256 Abs. 4 RVO a. F. allein darauf ankommt, ob zur Zeit des Todes des Versicherten ein Unterhaltsanspruch bestand, kann nur das zu dieser Zeit geltende Unterhaltsrecht maßgebend sein.
Nach § 66 Abs. 1 des Ehegesetzes von 1938 hatte die Klägerin nur dann einen Anspruch gegen ihren früheren Ehemann, wenn dieser allein oder überwiegend für schuldig an der Scheidung erklärt worden ist, wenn er zur Leistung des Unterhalts fähig gewesen ist und wenn ihre eigenen Einkünfte aus Vermögen und die Erträgnisse einer Erwerbstätigkeit, die von ihr den Umständen nach erwartet werden konnte, nicht ausreichten, um den ihr nach den Lebensverhältnissen der Ehegatten angemessenen Unterhalt sicherzustellen. Das Landessozialgericht hat ohne Rechtsirrtum eine Unterhaltsverpflichtung des früheren Ehemannes zur Zeit seines Todes schon deshalb verneint, weil die monatlichen Erträgnisse aus der Erwerbstätigkeit der Klägerin in Höhe von 181,50 RM ausreichten, um den ihr zustehenden angemessenen Unterhalt sicherzustellen. Auszugehen ist bei der Beurteilung des angemessenen Unterhalts von den Lebensverhältnissen der Ehegatten zur Zeit der Scheidung. Das Einkommen der Klägerin betrug 181,50 RM. Hinsichtlich des Einkommens des früheren Ehemannes der Klägerin hat das Landessozialgericht zwar keine Einzelfeststellungen getroffen, ist aber davon ausgegangen, daß der frühere Ehemann der Klägerin Bergmann gewesen ist. Selbst wenn man zu Gunsten der Klägerin annimmt, daß er im Gedinge gearbeitet hat, würde sein monatliches Einkommen nach den damaligen Verdienstspannen 300,- RM nicht überstiegen haben, so daß das Gesamteinkommen der Eheleute bestenfalls 480,- RM betragen hat. Davon würden der Klägerin, wenn man von einem ihr zustehenden Anteil von 1/4 bis 1/3 des Gesamteinkommens ausgeht, höchstens 160,- RM als angemessener Unterhalt zustehen. Da sie aber selbst schon ein Einkommen von 181,50 RM hatte, stand ihr ein Unterhaltsanspruch gegen ihren früheren Ehemann schon aus diesem Grund nicht zu, ohne daß es einer Prüfung bedurfte, ob ihr früherer Ehemann überhaupt zur Unterhaltsleistung fähig gewesen ist. Die von der Klägerin ausgeübte Tätigkeit war ihr zuzumuten, da gesundheitliche Bedenken zur damaligen Zeit nicht bestanden und diese Tätigkeit auch ihrem Ausbildungsstand und ihren sozialen Verhältnissen entsprach. Im übrigen mußte ihr, da sie diese Tätigkeit bereits im Jahre 1941, also lange vor der Ehescheidung, freiwillig - wie das Landessozialgericht bindend für das Revisionsgericht festgestellt hat - aufgenommen hat, auch schon aus diesem Grunde die Weiterverrichtung dieser Tätigkeit nach der Ehescheidung zugemutet werden, zumal das aus der Ehe hervorgegangene Kind sich nunmehr in Berufsausbildung befand und damit der Klägerin genügend Zeit zur Ausübung einer eigenen Tätigkeit zur Verfügung stand. Der Umstand, daß eine frühere Ehefrau ihren Unterhalt selbst voll bestreiten kann, berührt den Unterhaltsanspruch nicht etwa nur der Höhe nach - wie es dann der Fall ist, wenn die geschiedene Frau nur einen Teil ihres Unterhalts selbst verdienen kann -, sondern der Anspruch entfällt damit dem Grunde nach; denn die Bedürftigkeit der früheren Ehefrau ist Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs (Enneccerus-Nipperdey - Wolff, Familienrecht, 7. Aufl., S. 133; RGR-Komm., 9. Aufl., Anm. 3 zu § 66 Ehegesetz; Staudinger Komm. zum BGB, 9. Aufl., Anm. 3 zu § 1578; a. A. Hoffmann - Stephan, Komm. zum Ehegesetz Anm. Ba zu § 58). Es stand der Klägerin somit ein Unterhaltsanspruch zur Zeit des Todes ihres früheren Ehemannes nicht zu.
Ob bei der Prüfung der Fähigkeit der Frau, ihren Unterhalt selbst zu verdienen, nur auf die sehr eng begrenzte Zeit des Todes des früheren Ehemannes abzustellen ist - was die Entscheidung vielfach von allzu großen Zufälligkeiten abhängig machen würde - oder ob ein etwas größerer Zeitraum vor oder gegebenenfalls auch nach dem Tode des früheren Ehemannes maßgebend zu sein hat, bedurfte hier keiner Entscheidung, da die Fähigkeit der Klägerin, sich selbst zu unterhalten, auch während einer solchen größeren Zeitspanne gegeben war. Die Tatsache, daß sie 1945 ihre Tätigkeit aufgeben mußte, weil ihre Stelle von einem heimkehrenden Wehrmachtsangehörigen besetzt wurde, ist in dieser Hinsicht ohne Bedeutung, da die Fähigkeit, sich selbst - gegebenenfalls durch andere Tätigkeit - zu unterhalten, dadurch nicht berührt wurde.
Die Klägerin meint zwar, es sei unbillig, ihr jetzt, nachdem sie erwerbsunfähig sei, die Geschiedenen-Witwenrente deshalb zu versagen, weil sie sich zur Zeit des Todes ihres geschiedenen Ehemannes selbst unterhalten habe. Hier irrt die Klägerin insofern, als es nach § 66 des Ehegesetzes von 1938 nicht darauf ankommt, ob sie sich zu jener Zeit tatsächlich selbst unterhalten hat, sondern nur, ob sie dazu in der Lage war. Wäre sie damals keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen, stände ihr bei sonst gleichen Umständen ein Anspruch ebenfalls nicht zu.
Die Regelung des Gesetzes widerspricht auch nicht, wie die Klägerin meint, dem Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Die rechtliche Beziehung zwischen Ehemann und Ehefrau in einer bestehenden Ehe ist eine andere als die zwischen früheren Ehegatten aus einer geschiedenen Ehe. In der Ehe besteht ein Unterhaltsanspruch der Frau, bei geschiedener Ehe dagegen besteht er nur unter bestimmten Voraussetzungen. Dieser Unterschied berechtigt den Gesetzgeber, auch die Witwenrente und die Geschiedenen-Witwenrente an verschiedene Voraussetzungen zu knüpfen (Urteil des 1. Senats des BSG. vom 23.8.1956, SozR. RVO 1256 A a 1 Nr. 1).
Das Begehren der Klägerin, die Beklagte zum Erlaß eines Verwaltungsaktes auf Gewährung der Geschiedenen-Witwenrente für die Zeit vor dem 1. Januar 1957 zu verurteilen, war nach alledem unbegründet. Das Landessozialgericht hat daher die Berufung insoweit ohne Rechtsirrtum zurückgewiesen.
Soweit der Antrag den Erlaß eines Verwaltungsaktes für die Zeit nach dem 31. Dezember 1956 betrifft, richtet sich das Begehren der Klägerin nach § 65 RKG in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der knappschaftlichen Rentenversicherung (Knappschaftsrentenversicherungs-Neuregelungsgesetz - KnVNG -) vom 21. Mai 1957 (BGBl. I S. 533). Bei Vorliegen der Voraussetzungen besteht nunmehr ein Anspruch auf Geschiedenen-Witwenrente. Voraussetzung des Anspruchs ist entweder, daß der frühere Ehemann zur Zeit seines Todes eine Unterhaltsverpflichtung (nach dem Ehegesetz oder aus sonstigen Gründen) gegenüber seiner Ehefrau hatte oder daß er im letzten Jahr vor seinem Tode tatsächlich Unterhalt geleistet hat. Diese letztere, gegenüber dem bisherigen Recht neue Anspruchsvoraussetzung kommt dann zum Zuge, wenn die erste Anspruchsvoraussetzung - bestehende Unterhaltsverpflichtung - nicht erfüllt ist. Dadurch soll auch der ohne Unterhaltsverpflichtung freiwillig gewährte Unterhalt berücksichtigt werden, wenn er im letzten Jahre vor dem Tode geleistet worden ist, wenn also von einer gewissen Beständigkeit der Unterhaltsleistung ausgegangen werden kann. Nach Art. 2 § 14 KnVNG gilt § 65 RKG n. F. auch, wenn der frühere Ehemann vor dem 1. Januar 1957, aber nach dem 30. April 1942 gestorben ist. § 65 RKG n. F. ist demnach für die Zeit nach dem 31. Dezember 1957 auf den vorliegenden Fall anzuwenden (vgl. Art. 2 § 32 a. a. O). Da es zum Teil an den für die Anwendung des § 65 RKG n. F. erforderlichen Feststellungen mangelt, mußte das Urteil, soweit sich das Klagebegehren auf die Zeit nach dem 31. Dezember 1956 bezieht, aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen werden. Das Landessozialgericht wird zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 65 RKG n. F. vorliegen. Insbesondere wird es zusätzlich zu untersuchen haben, ob der Versicherte, obwohl er keine Unterhaltsverpflichtung hatte, dennoch der Klägerin während der Zeit von der Ehescheidung bis zu seinem Tode Unterhalt geleistet hat. Obwohl nach § 65 RKG n. F. die Frist von einem Jahr vor dem Tode maßgebend ist, kommt hier doch höchstens die kürzere Zeit von der Scheidung bis zum Tode des Versicherten in Frage; denn ausschlaggebend können, ebenso wie bei der Rentengewährung wegen bestehender Unterhaltsverpflichtung, nur die Verhältnisse nach der Scheidung, nicht aber die zur Zeit bestehender Ehe sein. Aus der Unterhaltsleistung zur Zeit bestehender Ehe kann, weil grundsätzlich die Verpflichtung zum Unterhalt besteht, kein Schluß darauf gezogen werden, ob der Unterhalt auch ohne Unterhaltsverpflichtung gewährt worden wäre. Wenn auch der Gesetzgeber die tatsächliche Unterhaltsleistung im letzten Jahre vor dem Tode des Versicherten verlangt, so muß doch in Fällen, in denen diese Frist durch den frühzeitigen Tod des Versicherten noch nicht abgelaufen ist, diese kürzere Frist ausreichen, wenn der Wille, der früheren Ehefrau beständig Unterhalt zu leisten, mit ausreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen ist. Die Voraussetzungen des § 65 RKG n. F. sind nicht nur dann erfüllt, wenn der frühere Ehemann den gesamten Unterhalt der Klägerin während der maßgebenden Zeit bestritten hat, sondern auch schon dann, wenn er einen wesentlichen Teil gewährt hat. Aus dem Vorbringen der Klägerin geht hervor, daß der Versicherte angeblich in gewissem Umfang Unterhalt geleistet haben soll. Das Landessozialgericht wird insbesondere zu ermitteln haben, ob dies der Fall ist und ob dieser Unterhalt als ausreichend in diesem Sinne gelten kann. Die Klägerin wird zu prüfen haben, ob sie nicht ihren Klageantrag nunmehr zweckmäßigerweise wieder in einen solchen nach § 54 Abs. 4 SGG auf Aufhebung des ablehnenden Bescheides und Verurteilung zur Gewährung der Geschiedenen- Witwenrente ändern will.
Nach alledem war, wie geschehen, zu entscheiden. Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten. Die Gebühr für die Berufstätigkeit des Rechtsanwalts Walter wurde nach § 196 SGG festgesetzt.
Fundstellen