Entscheidungsstichwort (Thema)
Beitragsfreiheit pauschalbesteuerter Bezüge
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage, ob die Zulassung der Pauschalbesteuerung nach LStDV 1957 § 35b eine Zulassung iS des RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn 1 Nr 4 (AN 1944, 281) ist.
Leitsatz (redaktionell)
Zur Beitragsfreiheit pauschalbesteuerter Bezüge:
Die Befreiung pauschalbesteuerter Bezüge von der Beitragspflicht in der Sozialversicherung nach RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn 1 Nr 4 setzt voraus, daß die Pauschalbesteuerung rechtssatzmäßig - und damit einheitlich und allgemein, nicht beschränkt auf konkrete Einzelfälle - zugelassen ist; bei einer Pauschalbesteuerung nach LStDV § 33b Abs 1 Nr 1 Buchst a ist diese Voraussetzung erfüllt.
Normenkette
RFM/RAMErl 1944-09-10 Abschn. 1 Nr. 4; LStDV § 35b Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a
Tenor
Auf die Revision der Klägerin werden das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. Dezember 1963, das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 8. Februar 1961, soweit dieses die Zahlung der Knappschaftsbeiträge für die gewährten Darlehen betrifft, der Widerspruchsbescheid der Widerspruchsstelle der Beklagten vom 8. Juni 1959 und der Bescheid der Beklagten vom 23. März 1959 aufgehoben.
Es wird festgestellt, daß für die von der Klägerin anläßlich der Stillegung des Steinkohlenbergwerks B den ausgeschiedenen, aber auf anderen Bergwerken der Klägerin weiterbeschäftigten Arbeitnehmern im Jahre 1956 gewährten und im Jahre 1957 niedergeschlagenen Darlehen von je etwa 500,- DM - in einem Gesamtbetrag von 192 450,- DM - keine Beiträge an die Beklagte zu entrichten sind.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens und des Berufungsverfahrens in vollem Umfang und die des sozialgerichtlichen Verfahrens zur Hälfte zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin gewährte den bei dem Steinkohlenbergwerk B infolge Stillegung ausgeschiedenen Arbeitnehmern im Jahre 1956 Übergangsbeihilfen, die zunächst als Darlehen in Höhe von je etwa 500,- DM und im Gesamtbetrag von 192 450,- DM gewährt wurden, und schlug diese im Jahre 1957 für diejenigen Arbeitnehmer lohnsteuer- und beitragsfrei nieder, die seitdem in anderen Bergwerken der Klägerin beschäftigt waren.
Auf Antrag der Klägerin ließ das zuständige Finanzamt im Januar 1958 für diese Beträge die Pauschalbesteuerung nach § 35 b Abs. 1 Nr. 1 a der Lohnsteuerdurchführungsverordnung (LStDV) 1957 zu und erhob von ihr die Lohnsteuer zu einem Pauschsatz von 13 %.
Die Beklagte verlangte mit Schreiben vom 23. März 1959 die Zahlung der Knappschaftsbeiträge für diese Beträge. Den hiergegen eingelegten Widerspruch der Klägerin wies die Widerspruchsstelle der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 1959 zurück.
Gegen diese Bescheide richtet sich die Klage. Die Klägerin ist der Auffassung, daß sich die Beitragsfreiheit aus Abschnitt 1 Ziff. 4 des Gemeinsamen Erlasses des Reichsministers der Finanzen und des Reichsarbeitsministers vom 10. September 1944 (RStBl 1944, S. 580 = AN 1944 S. 281) - Gem.Erl. - in Verbindung mit § 35 b der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung vom 13. Mai 1958 (BGBl I 343) - LStDV 1957 - ergebe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage durch Urteil vom 8. Februar 1961 abgewiesen. Es ist der Auffassung, daß die Zulassung der Pauschalbesteuerung durch ein Finanzamt keine Zulassung im Sinne des Abschn. 1 Nr. 4 Gem.Erl. sei.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung mit dem Antrage eingelegt,
das angefochtene Urteil und die angefochtenen Bescheide aufzuheben und festzustellen, daß sie für die ihren Belegschaftsmitgliedern im Jahre 1957 erlassenen Darlehen keine Beiträge zur knappschaftlichen Versicherung schuldet.
Das Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 17. Dezember 1963 die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Es ist der Auffassung, daß die Darlehen, welche die Klägerin ihren Belegschaftsmitgliedern gewährt hat, mit dem Erlaß der Darlehnsschulden im Jahre 1957 Arbeitslohn im Sinne des § 2 der LStDV 1957 geworden sind. Demgemäß müßten auch die Beiträge zur Sozialversicherung nach Abschn. 1 Satz 1 Gem.Erl. von dem Betrage berechnet werden, welcher für die Berechnung der Lohnsteuer maßgebend sei. Die Ausnahmeregelung in Abschn. 1 Nr. 4 Gem.Erl. greife nicht Platz, weil § 35 b LStDV 1957 keine Zulassung im Sinne des Abschn. 1 Nr. 4 Gem.Erl. sei. Diese letztere Vorschrift habe generelle Anordnungen des Reichsfinanzministers (RFM) im Auge gehabt, welche die Voraussetzungen der Pauschalierung tatbestandsmäßig genau festlegten und der Ausübung eines Ermessens keinen Spielraum ließen. Demgegenüber stelle § 35 b LStDV 1957 eine Regelung dar, welche die Pauschalierung von der Auslegung einer Anzahl unbestimmter Rechtsbegriffe abhängig mache.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Revision eingelegt. Sie rügt rechtsirrige Auslegung des Gem.Erl. Die Pauschalierung nach § 35 b LStDV könne das angefochtene Urteil nicht rechtfertigen. Diese sei durch eine Rechtsverordnung geregelt, die mit Zustimmung des Bundesrates von der Bundesregierung erlassen worden ist. Der Gem.Erl. spreche zwar von Anordnungen des RFM. Dies stehe der Anwendung des Gem.Erl. auf die Pauschalbesteuerung gem. § 35 b LStDV aber nicht entgegen. Das Berufungsurteil gehe davon aus, daß die im Abschn. 1 unter Ziff. 4 Gem.Erl. erwähnte Zulassung der Pauschalbesteuerung gemäß § 35 b LStDV durch die Finanzämter erfolge. Die Entscheidung über die Pauschalbesteuerung im Einzelfall beruhe aber nicht auf der freien Entscheidung des Finanzamtes, sondern dieses sei, gebunden an die Verwaltungsanordnungen des RFM bzw. die Rechtsverordnungen der Bundesregierung, nur rechtsanwendend tätig. Die Zulassung der Pauschalbesteuerung i.S. des Gem.Erl. könne nicht in der Einzelentscheidung des Finanzamtes, sondern nur in der generellen Zulassung durch die LStDV gesehen werden. Sie beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts, das Urteil des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufzuheben und festzustellen, daß sie für die ihren Belegschaftsmitgliedern im Jahre 1957 erlassenen Darlehen keine Beiträge zur knappschaftlichen Versicherung schuldet.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. § 35 b LStDV 1957 enthalte keine Zulassung der Pauschalbesteuerung im Sinne von Abschn. 1 Nr. 4 Gem.Erl., weil die Pauschalbesteuerung nur auf Antrag des Arbeitgebers zugelassen werden könne. Eine andere Auffassung würde dazu führen, daß die Beitragspflicht von der Zustimmung bzw. dem Antrag des jeweiligen Arbeitgebers abhängig wäre. Dann läge aber keine bundeseinheitliche Regelung vor. Nur eine solche könne aber eine Beitragsfreiheit für die pauschalbesteuerten Zuwendungen bewirken.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist begründet. Entsprechend dem Antrag der Klägerin auf S. 3 des angefochtenen Urteils hat das Berufungsgericht nur darüber entschieden, ob die anläßlich der Stillegung des Steinkohlenbergwerkes B Belegschaftsmitgliedern im Jahre 1956 gewährten und im Jahre 1957 niedergeschlagenen Darlehen beitragsfrei sind. Nur hierüber hat daher auch das Revisionsgericht zu entscheiden, zumal auch der Revisionsantrag nur diesen Streitgegenstand betrifft.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sind für diese Beträge keine Beiträge zur Knappschaftsversicherung zu entrichten. Die an sich bestehende Beitragspflicht entfällt nach Abschn. 1 Nr. 4 Gem.Erl. i.V. mit § 35 b LStDV 1957. Wie der 3. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) bereits entschieden hat, ist der Gem.Erl. - mit den notwendigen Anpassungen an die inzwischen eingetretenen staatsrechtlichen Veränderungen - in Kraft geblieben. Somit ist Abschn. 1 Nr. 4 des Gem.Erl. sinngemäß auf die heutigen Verhältnisse zu übertragen. Dem ursprünglichen Erfordernis, daß die Zulassung der Pauschalbesteuerung für bestimmte Bezüge vom RFM ausgesprochen sein mußte, entspricht heute, daß die Pauschalbesteuerung für bestimmte Bezüge rechtssatzmäßig - und damit einheitlich und allgemein, nicht beschränkt auf konkrete Fälle - zugelassen ist, daß diese auch tatsächlich pauschal besteuert werden und daß der Arbeitgeber diese Lohnsteuer für Bezüge einer Gruppe von Arbeitnehmern in Gestalt eines Pauschbetrages übernimmt, der ohne Berücksichtigung der sonst steuerrechtlich erheblichen Verhältnisse der einzelnen Arbeitnehmer bestimmt wird (BSG 24, 71 -74-; 24, 281 -284-; SozR RVO Nr. 19 zu § 160). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Es handelt sich im vorliegenden Fall allerdings nicht um eine nach § 35 a LStDV 1957, sondern um eine nach § 35 b aaO zugelassene Pauschalbesteuerung. Die Beklagte vertritt die Auffassung, daß die Rechtslage hier anders sei als in den Fällen nach § 35 a aaO, weil es sich um eine Ermessensentscheidung handele, so daß die Zulassung in Wirklichkeit nicht durch rechtssatzmäßige Regelung, sondern durch das Finanzamt im Einzelfall erfolge. Eine solche Zulassung falle nicht unter Abschnitt 1 Nr. 4 des Gem.Erl. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Sowohl in den Fällen des § 35 a LStDV 1957 als auch in denen des § 35 b aaO erfolgt die Zulassung durch Verwaltungsakt des Finanzamts. Der Unterschied zwischen beiden Gruppen von Fällen liegt nur darin, daß in den Fällen des § 35 a aaO das Finanzamt lediglich eine Subsumtion des Sachverhalts unter die gesetzlichen Vorschriften vornimmt, während es in den Fällen des § 35 b aaO darüber hinaus auch sein Ermessen ausübt. Der Unterschied bei beiden Entscheidungsarten ist aber lediglich gradueller Natur. In Wirklichkeit sind auch in den Fällen des § 35 b aaO die wichtigsten Richtlinien zentral erlassen, so daß dem Finanzamt nur ein geringer Spielraum für die Ausübung seines Ermessens verbleibt. § 35 b aaO enthält selbst schon einige wesentliche rechtssatzmäßige Richtlinien. Darüber hinaus aber ist das Finanzamt nach Art. 3 des Grundgesetzes (GG) verpflichtet, gleichartige Fälle gleichzubehandeln, so daß es bei gleichgelagerten Fällen nicht in einem Fall die Pauschalbesteuerung zulassen und im anderen Fall diese versagen kann, so daß auch insoweit eine Bindung vorliegt. Der in den Fällen des § 35 b aaO dem Finanzamt gewährte Ermessensspielraum fällt jedenfalls gegenüber den zentralen rechtssatzmäßigen Richtlinien nicht so stark ins Gewicht, daß man von einer grundsätzlichen Verlagerung der Zulassung in dem oben angeführten Sinne von der zentralen auf die örtlichen Stellen sprechen könnte. In beiden Fällen ist jedenfalls der wesentliche Inhalt der Zulassungsvorschriften in diesem Sinne zentral geregelt.
Da die Revision der Klägerin somit begründet ist, muß das angefochtene Urteil, das Urteil des Sozialgerichts, soweit in ihm über diesen Streitgegenstand entschieden ist, der Widerspruchsbescheid der Widerspruchsstelle der Beklagten vom 8. Juni 1959 und der Bescheid der Beklagten vom 23. März 1959 aufgehoben und festgestellt werden, daß die Klägerin nicht verpflichtet ist, Sozialversicherungsbeiträge für diese nachträglich niedergeschlagenen Darlehen an die Beklagte zu entrichten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen