Leitsatz (amtlich)
NVG § 4 Abs 3 ist seit dem 1957-01-01 außer Kraft getreten (Anschluß an BSG 1967-05-09 1 RA 295/65 = BSGE 26, 251).
NVG § 4 Abs 4 ist - der seit dem 1957-01-01 bestehenden Rechtslage angepaßt - weiterhin geltendes Recht (Anschluß an BSG 1967-06-29 4 RJ 633/64 = BSGE 27, 49).
Ist glaubhaft gemacht, daß der politisch Verfolgte während der Verfolgungszeit ein Bruttoarbeitsentgelt bezogen haben würde, dessen Berücksichtigung zu einer höheren persönlichen Rentenbemessungsgrundlage führt, so ist dieses Entgelt bei der Berechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage zu berücksichtigen.
NVG § 4 Abs 5 ist - der seit dem 1957-01-01 bestehenden Rechtslage angepaßt - geltendes Recht.
Normenkette
NVG § 4 Abs. 4 Fassung: 1949-08-22, Abs. 5 Fassung: 1949-08-22, Abs. 3 Fassung: 1949-08-22
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 26. Februar 1964 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des erkennenden Senats neu zu berechnen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu zwei Dritteln zu erstatten.
Gründe
I
Der im Jahre 1906 geborene Kläger war vom 6. Februar 1922, dem Tag der Vollendung seines 16. Lebensjahres, bis zum 18. März 1930 in knappschaftlich versicherten Betrieben unter Tage (uT), zunächst als Bergklauber und Pferdeführer, dann als Schlepper, seit August 1926 als Schlepper und Lehrhauer und seit Oktober 1927 als Hauer beschäftigt. Am 19. März 1930 wurde er arbeitslos. Während der Arbeitslosigkeit leistete er vom 13. August 1931 bis zum 11. Februar 1932 Notstandsarbeiten; es wurden entsprechende Beiträge zur Invalidenversicherung entrichtet, Vom 27. Mai 1935 bis zum 7. November 1944 war er aus politischen Gründen inhaftiert. Während der politischen Haft war er vom 1. März bis zum 31. Juli 1937 invalidenversichert. Vom 8. November 1944 bis zum 31. Juli 1949 war er im Wehrdienst und in Kriegsgefangenschaft. Ab 1. Oktober 1952 bezog er Knappschaftsrente alten Rechts.
Im Juni 1955 beantragte der Kläger, ihm die Knappschaftsvollrente zu gewähren. Dieser Antrag wurde durch Bescheid vom 2. Januar 1956 abgelehnt. Der gegen diesen Bescheid gerichtete Widerspruch blieb erfolglos. In dem anschließenden Klageverfahren verpflichtete sich die Beklagte am 27. Juli 1960 durch Prozeßvergleich, dem Kläger ab 1. Januar 1957 die Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren und der Berechnung dieser Rente die anerkannte Verfolgtenzeit als rentensteigernde Ersatzzeit entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen anzurechnen. Durch Bescheid vom 2. September 1960 stellte die Beklagte diese Rente fest.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger Widerspruch, weil er der Auffassung war, die Beklagte habe die Rente zu niedrig berechnet. Der Widerspruch blieb erfolglos.
Gegen diese Bescheide richtet sich die Klage.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte den angefochtenen Bescheid durch einen Bescheid vom 4. April 1962 und diesen wiederum durch einen Bescheid vom 3. Oktober 1962 ersetzt.
Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat mit Urteil vom 1. Februar 1963 die Klage abgewiesen, weil die Beklagte in dem letzten Bescheid alle Beitrags-, Ersatz- und Ausfallzeiten des Klägers richtig berücksichtigt habe.
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Er ist der Ansicht, daß er als politisch Verfolgter den anderen Versicherten bei der Berechnung der Rente gleichgestellt werden müsse. Dies sei jedoch nicht geschehen.
Die Beklagte ist der Ansicht, sie könne die Verfolgtenzeiten nur als Ersatzzeiten in der Arbeiterrentenversicherung anrechnen, weil der Kläger vor der Verfolgung den letzten Versicherungsbeitrag zur Invalidenversicherung geleistet habe. Der eindeutige Wortlaut des § 50 Abs. 3 Reichsknappschaftsgesetz (RKG) lasse die Anrechnung von Ersatzzeiten in der knappschaftlichen Rentenversicherung nämlich nur dann zu, wenn der letzte Beitrag vor der Ersatzzeit zur knappschaftlichen Rentenversicherung tatsächlich entrichtet worden sei. Nach der seit dem 1. Januar 1957 geltenden gesetzlichen Regelung könne die Ersatzzeit im übrigen nur bei der Berechnung der Versicherungsjahre, nicht aber bei der Berechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage berücksichtigt werden. Die Zeit vom 1. März bis 31. Juli 1937 könne überhaupt nicht als Ersatzzeit berücksichtigt werden, weil für den Kläger in dieser Zeit Beiträge geleistet worden seien.
Durch Urteil vom 26. Februar 1964 hat das Landessozialgericht (LSG) entschieden:
1. Das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 1. Februar 1963, der Widerspruchsbescheid vom 23. Juni 1961 und die Bescheide der Beklagten vom 2. September 1960 und 4. April 1962 werden aufgehoben.
2. Der Bescheid der Beklagten vom 3. Oktober 1962 wird geändert.
3. Die Beklagte wird verurteilt, die Rente so zu berechnen, als habe der Kläger in der Zeit vom 27. Mai 1935 bis zum 7. November 1944 als Hauer Pflichtbeiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung geleistet.
4. ....
5. Die Revision wird zugelassen.
Das LSG ist der Auffassung, der Kläger habe Anspruch darauf, daß die Beklagte die Rente so berechnet, als habe er in der anerkannten Verfolgtenzeit als Hauer Pflichtbeiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet. Der Kläger sei, wie das Amt für Wiedergutmachung in Mönchen-Gladbach bescheinigt habe, in der Zeit vom 27. Mai 1935 bis zum 7. November 1944 als politisch Verfolgter in Haft gewesen. Er sei demnach Verfolgter des Nationalsozialismus im Sinne des § 1 des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949 ( VerfolgtenG ). Die Verfolgten des Nationalsozialismus nähmen in der gesamten Sozialversicherung eine Rechtsstellung eigener Art ein. Sie hätten ihre Sonderstellung in der Sozialversicherung durch das Verfolgtengesetz erhalten, das wiederum ein Bestandteil des Bundesentschädigungsgesetzes (BEG) sei. Das VerfolgtenG habe den Verfolgten in der Rentenversicherung nach dem damaligen Stand der Gesetzgebung eine völlige Wiedergutmachung gebracht. Die Verfolgtenzeiten seien Ersatzzeiten zur Erfüllung der Wartezeit und Erhaltung der Anwartschaft gewesen und erhöhten die Rente durch besondere Steigerungsbeträge; die Höhe der Steigerungsbeträge habe sich grundsätzlich nach der Beitragsklasse, zu der der letzte Beitrag vor der Verfolgung entrichtet worden war, gerichtet (§§ 3 Abs. 1, 4, Abs. 1 und 3 VerfolgtenG ). Das seit dem 1. Januar 1957 geltende Recht kenne zwar keine Steigerungsbeträge mehr, und § 51 Ziff. 4 RKG spreche nur davon, daß Zeiten der Freiheitsentziehung im Sinne des § 43 BEG als Ersatzzeiten anzurechnen sind. Ersatzzeiten aber hätten heute nur für die Erfüllung der Wartezeit und für die Zahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre Bedeutung, bei der Errechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage spielten sie dagegen keine Rolle. Dem Gedanken der Wiedergutmachung, d. h. des vollen Schadensersatzes, werde aber die Anrechnung der Zeiten der Freiheitsentziehung allein als Ersatzzeiten nicht gerecht. Da die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze jedoch keine Schlechterstellung der Verfolgten bezweckten, müßten die Ersatzzeiten des § 51 Ziff 4 RKG einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt werden. Sie seien so zu bewerten, als seien in ihnen Beiträge zur Rentenversicherung abgeführt worden. Diese fiktiven Beiträge seien bei der Berechnung der persönlichen Bemessungsgrundlage mit zu berücksichtigen. Nur so werde verhütet, daß der Verfolgte schlechtergestellt werde, als er ohne Verfolgungsmaßnahmen stehen würde. Im Falle des Kläger bestehe noch die besondere Schwierigkeit, daß der letzte Beitrag vor der Ersatzzeit zur Invalidenversicherung geleistet worden sei. Der Kläger sei nämlich von August 1931 bis Februar 1932 als ausgesteuerter Arbeitsloser mit Notstandsarbeiten beschäftigt worden. Deshalb wolle die Beklagte dem Kläger die Ersatzzeit nur in der Arbeiterrentenversicherung und nicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung anrechnen (§ 50 Abs. 3 RKG). Die Beitragsleistung auf Grund der kurzfristigen Beschäftigung als Notstandsarbeiter könne jedoch nicht maßgebend sein. Es dürften nur Beiträge auf Grund eines freigewählten Arbeitsverhältnisses des Verfolgten berücksichtigt werden.
Der Kläger sei Hauer gewesen. Er habe seinen Arbeitsplatz infolge der Wirtschaftskrise vorübergehend verlassen müssen. Es sei anzunehmen, daß er in den Jahren 1935 bis 1944 wieder als Hauer beschäftigt worden wäre, wenn er nicht politisch verfolgt gewesen wäre. Denn im Bergbau hätte man im Jahre 1935 geschulte Arbeitskräfte schon wieder gesucht. Die Arbeitslosigkeit sei insoweit zu dieser Zeit schon überwunden gewesen. Als Hauer wäre der Kläger auch wahrscheinlich während des Krieges zum Wehrdienst freigestellt worden. Es könne deshalb davon ausgegangen werden, daß der Kläger jedenfalls bis zum 7. November 1944 als Hauer gearbeitet und entsprechende Beiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung geleistet hätte. Die Beklagte habe deshalb dem Kläger die Zeit der Freiheitsentziehung als Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung anzurechnen und dabei die Ersatzzeit wie eine Beitragszeit zu behandeln, damit der Kläger die Rente erhalte, die er erhalten würde, wenn er nicht verfolgt gewesen wäre. Das gelte auch für die Beitragszeit vom 1. März bis zum 31. Juli 1937. Aus irgendwelchen nicht mehr feststellbaren Gründen seien in dieser Zeit für den inhaftierten Kläger Beiträge zur Invalidenversicherung abgeführt worden. Auch diese Beitragszeit müsse so behandelt werden, als sei der Versicherte in diesen Monaten als Hauer pflichtversichert beschäftigt gewesen. Nur so werde vermieden, daß der Kläger durch die Verfolgungsmaßnahmen schlechter gestellt werde, als es ohne diese Maßnahmen der Fall wäre.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung der §§ 50 Abs. 3, 51 Ziff. 4, 54 RKG sowie des § 123 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Streitig sei zunächst, ob bei der Berechnung der Rente des Klägers die Zeit der politischen Verfolgung als Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung oder in der Rentenversicherung der Arbeiter anzusetzen und weiter, ob die NS-Verfolgungszeit als Beitragszeit (§ 54 RKG, § 1255 RVO) zu berücksichtigen sei. Nach § 50 Abs. 3 RKG seien auf die Wartezeit die Ersatzzeiten nach § 51 RKG anzurechnen, wenn eine Versicherungspflicht vorher bestanden hat, während der Ersatzzeit keine Versicherungspflicht bestanden hat und der letzte Beitrag zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet worden ist. Der letzte Beitrag vor der Ersatzzeit sei hier aber unstreitig zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet worden, so daß aus diesem Grunde eine Anrechnung der Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung nicht erfolgen könne. Die Ersatzzeit sei vielmehr nach § 1251 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) in der Rentenversicherung der Arbeiter anzurechnen.
Das LSG folgere aus der Zielsetzung des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1949, daß die Zeiten der politischen Verfolgung nicht als Ersatzzeiten, sondern als fiktive Beitragszeiten in den gesetzlichen Rentenversicherungszweigen zu berücksichtigen sind. Es habe hierbei jedoch übersehen, daß nach § 51 Ziff. 4 RKG (§ 1251 Abs. 1 Ziff. 4 RVO) die Zeiten der politischen Verfolgung als Ersatzzeiten und nicht als fiktive Beitragszeiten anzusetzen sind. Bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage seien nach § 54 Abs. 1 RKG (§ 1255 Abs. 1 RVO) nur die tatsächlichen Beitragszeiten des Versicherten zugrunde zu legen. Die Berücksichtigung von Ersatzzeiten bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage sei daher nach dem klaren Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen nicht möglich.
Die persönliche Rentenbemessungsgrundlage des Versicherten sei von den tatsächlich entrichteten Beiträgen abzuleiten (§ 54 RKG, § 1255 RVO). Der Kläger habe in der streitigen Zeit aber keine Beiträge zu einem Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung geleistet. Folglich könnten für diese Zeit keine Beiträge mit Wirkung für die Feststellung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage angesetzt werden.
Hilfsweise macht die Beklagte geltend, das Berufungsgericht hätte von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus sowie zur Vermeidung eines weiteren Rechtsstreits in dem Urteil bestimmen müssen, welche Beitragsklassen (bis 31. Dezember 1942) bzw. welcher Arbeitsentgelt (ab 1. Januar 1943) anzusetzen sind (§ 54 Abs. 3 Buchst. a und b RKG). Das Gericht habe somit nicht in vollem Umfang über die vom Kläger erhobenen Ansprüche entschieden, so daß § 123 SGG verletzt sei.
Sie beantragt,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Koblenz vom 1. Februar 1963 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Der Wille des Gesetzgebers sei schon immer darauf gerichtet gewesen, die Verfolgten in versicherungsrechtlicher Hinsicht denen gleichzustellen, die - anstatt eine Verfolgung zu erleiden - eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt hätten. Auch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze hätten eine Schlechterstellung der Verfolgten nicht vornehmen wollen. Daraus folge aber, daß die Ersatzzeiten des § 51 Ziff. 4 RKG bei Verfolgten einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gleichgestellt werden müßten. Dem Gedanken der Wiedergutmachung im Sinne des vollen Schadensersatzes werde jedenfalls die Anrechnung der Zeiten der Freiheitsentziehung allein als Ersatzzeiten nicht gerecht. Nur bei der vom Berufungsgericht vorgenommenen Rechtsanwendung werde verhütet, daß der Verfolgte schlechter gestellt werde, als er ohne Verfolgungsmaßnahmen stehen würde. Das Berufungsgericht habe auch zutreffend festgestellt, daß diese Ersatzzeit in der knappschaftlichen Rentenversicherung anzurechnen sei. Die von der Beklagten gerügte Verletzung der Vorschrift des § 123 SGG könne nicht durchgreifen. Das Berufungsgericht sei nicht verpflichtet gewesen, für die streitigen Zeiten die Beitragsklassen bzw. die Arbeitsentgelte festzustellen.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nur zum Teil begründet.
Im Streit ist allein noch die Höhe der für die Zeit ab 1. Januar 1957 festgestellten Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit.
Der Kläger ist Wanderversicherter der knappschaftlichen Rentenversicherung und der Rentenversicherung der Arbeiter. Da er die Wartezeit für die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 1 RKG erfüllt hat, ist nach § 102 Abs. 2 RKG der zuständige Träger der knappschaftlichen Rentenversicherung, hier die Beklagte, für die Feststellung der Rente zuständig. Die Berechnung der Rente richtet sich nach § 101 RKG. Die Leistungen aus der Rentenversicherung der Arbeiter und aus der knappschaftlichen Rentenversicherung sind danach gesondert nach den jeweiligen Vorschriften zu berechnen.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann die Ersatzzeit wegen politischer Verfolgung vom 27. Mai 1935 bis zum 7. November 1944 nach § 53 Abs. 2 i. V. m. § 56 Abs. 1 und § 50 RKG nicht in der knappschaftlichen Rentenversicherung berücksichtigt werden, weil die Voraussetzungen des § 50 Abs. 3 RKG nicht erfüllt sind. Der letzte Beitrag vor der Inhaftierung des Klägers ist nämlich nicht zur knappschaftlichen Rentenversicherung, sondern zur Rentenversicherung der Arbeiter entrichtet worden. Der Umstand, daß es sich bei der Tätigkeit, die zu der letzten Beitragsentrichtung geführt hat, um eine Notstandsarbeit gehandelt hat, spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Derartige Zuordnungsvorschriften sind streng nach ihrem Wortlaut anzuwenden, damit von vornherein eindeutig feststeht, welcher Versicherungszweig zuständig ist. Der Umstand, daß auch nach § 4 Abs. 1 Satz 2 VerfolgtenG derjenige Versicherungszweig zuständig ist, zu dem der letzte Beitrag vor der Verfolgungszeit entrichtet worden ist, läßt erkennen, daß insoweit eine Sonderregelung auch für politisch Verfolgte nicht vorgesehen ist. Die anerkannte Ersatzzeit ist daher nach § 1253 Abs. 1 RVO i. V. m. §§ 1258, 1259, 1250 und 1251 RVO bei dem Leistungsanspruch aus der Rentenversicherung der Arbeiter zu berücksichtigen.
Weiter ist streitig, ob diese Ersatzzeit gemäß dem seit dem 1. Januar 1957 geltenden Recht bei der Berechnung der Rente nur insofern zu berücksichtigen ist, als sie die Anzahl der Versicherungsjahre erhöht, oder aber ob sie in Anwendung der Vorschriften des Gesetzes über die Behandlung der Verfolgten des Nationalsozialismus in der Sozialversicherung vom 22. August 1952 (WiGBl S. 263) darüber hinaus auch bei der Berechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage zu berücksichtigen ist.
Der Kläger ist Verfolgter im Sinne des § 1 des VerfolgtenG , auch handelt es sich bei der streitigen Zeit um eine Zeit der Haft im Sinne des § 3 aaO und ebenfalls hat vor der Verfolgungszeit ein Versicherungsverhältnis bei der Rentenversicherung der Arbeiter im Sinne des § 4 Abs. 1 aaO bestanden. Wie inzwischen der 1. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) entschieden hat, ist § 4 Abs. 3 durch die Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze außer Kraft getreten (Urteil des 1. Senats des BSG vom 9. Mai 1967 - 1 RA 295/65). Dem schließt sich der erkennende Senat an. In diesem Urteil ist offengelassen, ob § 4 Abs. 4 und 5 aaO weiterhin gültig sind. Der erkennende Senat ist zu dem Ergebnis gekommen, daß diese Vorschriften weiterhin gelten (vgl. auch Urteil des 4. Senats des BSG vom 29. Juni 1967 - 4 RJ 633/64). Nach Art. 3 § 2 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes (KnVNG) sind zwar mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes alle entgegenstehenden Vorschriften außer Kraft getreten. Davon sind jedoch die Absätze 4 und 5 des § 4 VerfolgtenG nicht betroffen, da sie spezielle Regelungen enthalten, die durch die neue allgemeine Ersatzzeitenregelung - anders als z. B. die allgemeine Ersatzzeitenregelung des § 4 Abs. 3 aaO - nicht außer Kraft getreten sind. Im Gegensatz zu dem alten und neuen allgemeinen Ersatzzeitenrecht wird nämlich in § 4 Abs. 4 aaO nicht schematisch auf irgendwelche letzten oder durchschnittlichen oder Mindest-Beiträge abgestellt (nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht) oder ein Bruttoarbeitsentgelt während der Ersatzzeit überhaupt nicht eingesetzt (nach den Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetzen) oder auf das durchschnittliche Arbeitsentgelt während der Beitragszeit (nach dem Rentenversicherungs-Änderungsgesetz), sondern es werden die glaubhaft gemachten konkreten Bruttoarbeitsentgelte, die der Versicherte während der Verfolgungszeit erworben haben würde, falls er nicht verfolgt worden wäre, als maßgebend angesehen. Anders als bei allen sonstigen Ersatzzeitenregelungen erfolgt also in § 4 Abs. 4 aaO die Berechnung der Rente nach dem, wenn auch nicht nachgewiesenen, so doch glaubhaft gemachten, d. h. wahrscheinlichen konkreten Bruttoarbeitsentgelt. Diese spezielle Regelung ist durch die allgemeine Regelung des Art. 3 § 2 KnVNG nicht außer Kraft getreten; es spricht nichts für die Annahme, daß der Gesetzgeber der Rentenversicherungs-Neuregelungsgesetze in diesen Fällen, in welchen der konkrete Schaden des Verfolgten glaubhaft gemacht werden kann, von dem das Bundesentschädigungsgesetz und das Verfolgtengesetz beherrschenden Grundsatz der Gewährung vollen Schadensersatzes abgehen wollte. Diese Vorschrift muß allerdings, wie bereits angedeutet, der neuen Rechtslage gemäß angewandt werden. Das bedeutet einmal, daß an Stelle der Steigerungsbeträge die persönliche Rentenbemessungsgrundlage tritt. Zum anderen bedeutet es, daß das wahrscheinliche Bruttoarbeitsentgelt während der Verfolgungszeit bei der Ermittlung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage mitzuberücksichtigen ist, wenn dies zu einer höheren persönlichen Rentenbemessungsgrundlage führt, als es ohne dessen Berücksichtigung der Fall ist. Denn es kann, da § 4 Abs. 3 VerfolgtenG außer Kraft getreten ist, nicht mehr auf das letzte Bruttoarbeitsentgelt, ein Mindestbruttoarbeitsentgelt oder das Durchschnittsbruttoarbeitsentgelt der letzten drei Monate vor der Ersatzzeit ankommen, wie es bei einem der heutigen Rechtslage angepaßten - weitergeltenden Abs. 3 der Fall sein würde. Vielmehr ist nun entscheidend, ob die Berücksichtigung der wahrscheinlichen Bruttoarbeitsentgelte während der Verfolgungszeit zu einer für den Versicherten günstigeren Rentenbemessungsgrundlage führt als es bei der bloßen Berücksichtigung der Bruttoarbeitsentgelte während der Beitragszeit der Fall ist. Vorliegend ist diese Voraussetzung erfüllt. Der Kläger ist nämlich, bevor er politisch verfolgt wurde, nur relativ kurze Zeit als Hauer im Gedinge tätig gewesen. Die vorhergehenden Jahre hat er zumeist niedriger entlohnte Arbeiten verrichtet, so daß sein Bruttoarbeitsentgelt während der Beitragszeit meist niedriger lag als das Bruttoarbeitsentgelt eines Hauers. Die Berücksichtigung des Bruttoarbeitsentgeltes eines Hauers während der Ersatzzeit führt also zu einer für den Kläger günstigeren persönlichen Rentenbemessungsgrundlage. Das Berufungsgericht hat festgestellt, daß der Kläger während der Zeit der Verfolgung wahrscheinlich Hauer gewesen wäre, wenn er nicht inhaftiert gewesen wäre. Da diese Feststellung nicht innerhalb der Revisionsbegründungsfrist angegriffen worden ist, ist der Senat an sie gebunden. Die persönliche Rentenbemessungsgrundlage des Klägers ist danach unter Berücksichtigung dieses Bruttoarbeitseinkommens während der Ersatzzeit neu zu berechnen. Hierbei ist von dem effektiven Hauerdurchschnittslohn des Tarifbezirks auszugehen, zu welchem die Zeche gehört, auf der der Kläger zuletzt vor der Verfolgungszeit als Hauer beschäftigt war.
Ob die kurze Zeit, für welche während der Verfolgung Beiträge entrichtet worden sind, als Ersatzzeit anerkannt werden kann, bleibt dahingestellt. Eine Zeit, für welche Pflichtbeiträge entrichtet worden sind, kann ihrem Wesen nach keine Ersatzzeit sein. Es ist aber im vorliegenden Fall nicht zu klären, ob es sich bei den in dieser Zeit entrichteten Beiträgen um wirksam entrichtete Pflichtbeiträge handelt. Selbst wenn hiernach diese Zeit nicht als Ersatzzeit angerechnet werden kann, kommt man durch Anwendung des § 4 Abs. 5 VerfolgtenG zu demselben Ergebnis. Diese Vorschrift ist ebenfalls eine Spezialregelung für den Fall, daß das ohne die politische Verfolgung erzielte höhere konkrete Bruttoarbeitsentgelt glaubhaft gemacht werden kann. Ebenso wie § 4 Abs. 4 aaO gilt Abs. 5 daher weiter. Hinzu kommt, daß diese Vorschrift überhaupt keine Ersatzzeitenregelung ist, so daß sie durch die neue Ersatzzeitenregelung nicht berührt wird. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt, weil der Kläger, durch die Verfolgung bedingt, ein niedriger entlohntes Arbeitsverhältnis eingehen mußte. Wenn auch das Gesetz nach seinem Wortlaut auf die Fälle abgestellt ist, in welchen der Versicherte sein vor der politischen Verfolgung bestehendes Arbeitsverhältnis aufgeben und unmittelbar ein anderes, niedriger entlohntes Arbeitsverhältnis eingehen mußte, so sind doch die Fälle der vorliegenden Art, in welchen der Versicherte erst nach einer längeren Zwischenzeit ein anderes, geringer entlohntes Arbeitsverhältnis eingehen mußte, gleichzubehandeln. Da die Interessenlage dieselbe ist, muß angenommen werden, daß der Gesetzgeber diese Fälle, hätte er ihre Besonderheit erkannt, den ersteren Fällen entsprechend behandelt hätte. Diese Vorschrift muß ebenfalls der seit dem 1. Januar 1957 bestehenden Rechtslage angepaßt angewandt werden. Das bedeutet, daß bei der Berechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage das Bruttoarbeitsentgelt, das der Versicherte aus dem vor der Verfolgungszeit bestehenden Arbeitsverhältnis, wäre es fortgesetzt worden, bezogen hätte, zugrunde gelegt werden muß. Insoweit kann allerdings nicht das aus den Notstandsarbeiten bezogene Bruttoarbeitsentgelt, sondern es muß das davor aus der Hauerarbeit bezogene Bruttoarbeitsentgelt als maßgebend angesehen werden. Denn die Notstandsarbeiten bieten ihrer Art nach keinen Anhalt dafür, welche Arbeit der Versicherte später verrichtete und welches Bruttoarbeitsentgelt er verdient haben würde, wenn er nicht verfolgt worden wäre. Da es sich hier, anders als bei § 50 Abs. 3 RKG, nicht um eine Zuordnungsvorschrift handelt, steht dieser freien, dem Sinn und Zweck der Vorschrift gemäßen Auslegung nichts entgegen. Das bedeutet, daß bei Anwendung des § 4 Abs. 5 VerfolgtenG der Effektivlohn des Hauers als Bruttoarbeitsentgelt während dieser Beitragszeit der Berechnung der persönlichen Rentenbemessungsgrundlage zugrunde gelegt werden muß.
Die Rüge der Beklagten, § 123 SGG sei verletzt, greift nicht durch. Die Beklagte verkennt, daß nach § 130 SGG auch bei Erhebung einer Klage, die sich nicht auf den Leistungsgrund beschränkt, die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit ein Grundurteil erlassen können.
Die Revision der Beklagten wird hiernach mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß die Beklagte verurteilt wird, die Gesamtleistung wegen Berufsunfähigkeit unter Berücksichtigung dieser Rechtsauffassung des erkennenden Senats neu zu berechnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen