Entscheidungsstichwort (Thema)
Abteilungssteiger. technischer Angestellter über Tage. Zumutbarkeit. Verweisbarkeit. offener Arbeitsmarkt. Vollzeitarbeitskraft
Orientierungssatz
1. Ein Abteilungssteiger, der nach der Gehaltsgruppe 04 des Tarifvertrages für Angestellte des Rheinisch-Westfälischen Steinkohlenbergbaus entlohnt wurde und von seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit her noch in der Lage ist, Arbeiten auszuführen, wie sie in den Gruppen T 13 der technischen und K 44 der kaufmännischen Angestellten des genannten Tarifvertrages vorkommen, kann auf diese Tätigkeiten verwiesen werden (vgl BSG 31.1.1984 5a RKn 25/82 = SozR 2200 § 1246 Nr 114 und BSG 5.6. 1986 5a RKn 18/85).
2. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG gelten die Grundsätze, die der Große Senat des BSG in seinem Beschluß vom 10.12.1976 GS 2/75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13 für die nur noch zu Teilzeitarbeiten fähigen Versicherten entwickelt hat, von Ausnahmen abgesehen, nicht für Vollzeitarbeitskräfte.
Normenkette
RKG § 46 Abs 2 Fassung: 1957-05-21; RVO § 1246 Abs 2 Fassung: 1957-02-23
Verfahrensgang
LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 12.03.1985; Aktenzeichen L 15 Kn 69/83) |
SG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 19.05.1983; Aktenzeichen S 11 Kn 16/82) |
Tatbestand
Der 1936 geborene Kläger arbeitete seit 1951 im deutschen Steinkohlenbergbau. Er war zunächst Berglehrling, dann Knappe, Hauer, Aufsichtshauer und danach Schießmeister. Ab April 1960 war er als Lehrsteiger tätig. Von November 1960 bis September 1964 wurde er als Grubensteiger und darauf von Oktober 1964 bis Dezember 1972 als Abteilungssteiger beschäftigt. Seitdem war er zunächst in der Gruppe 03 unter Tage, ab Oktober 1981 in der Gruppe 04 unter Tage. Seit Oktober 1983 ist er in der Gruppe T 12 über Tage beschäftigt. Von der Bergbau-Berufsgenossenschaft erhält der Kläger seit 1974 eine Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 vH; außerdem bekommt er ab Mitte 1979 wegen der Berufskrankheit Lärmschwerhörigkeit Rente nach einer MdE von 10 vH.
Auf seinen ersten Rentenantrag von 1980 gewährte die Beklagte dem Kläger Bergmannsrente wegen verminderter bergmännischer Berufsfähigkeit (Bescheid vom 28. März 1981). Im Oktober 1981 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Gewährung von Knappschaftsrente wegen Erwerbsunfähigkeit. Die Beklagte lehnte sowohl die Gewährung von Erwerbsunfähigkeitsrente wie auch von Berufsunfähigkeitsrente ab (Bescheid vom 13. Januar 1982; Widerspruchsbescheid vom 8. März 1982). Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 19. Mai 1983). Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 12. März 1985 die Berufung des Klägers zurückgewiesen und im wesentlichen ausgeführt:
Als Abteilungssteiger sei der Kläger somit nicht mehr verwendbar, doch könne er noch Tätigkeiten der Gehaltsgruppe 13 und höher der technischen Angestellten über Tage sowie der Gehaltsgruppe 44 und höher der kaufmännischen Angestellten des Tarifvertrages für Angestellte des rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbaues ausführen. Diese Tätigkeiten seien ihm zumutbar. Bei 60 Arbeitsstellen, die allein im Ruhrbergbau für eine Verweisung in Betracht kämen, habe der Kläger eine reale, wenn auch schlechte Chance, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit der vom LSG zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 46 Abs 2 Reichsknappschaftsgesetz (RKG). Nach Sinn und Zweck der Rentengewährung, nämlich durch Krankheit oder Gebrechen ausfallendes Erwerbseinkommen zu ersetzen, müßten die Grundsätze, die der Große Senat des Bundessozialgerichts (BSG) für Versicherte entwickelt habe, die nur noch auf Teilzeitarbeit verwiesen werden könnten, auch auf solche gesundheitlich nur beschränkt verwendbaren Arbeitnehmer angewendet werden, die noch vollschichtig einsetzbar seien. Das Beschäftigungsrisiko beider Personenkreise sei heute - angesichts der Arbeitsmarktlage - gleichermaßen gesundheitsbedingt und daher von der Rentenversicherung zu tragen.
Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil sowie das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19. Mai 1983 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide zu verurteilen, dem Kläger ab Antragstellung (Oktober 1981) die Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Knappschaftsrente wegen Berufsunfähigkeit.
Nach § 46 RKG hat der Versicherte Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente, wenn er weder seinen bisherigen Beruf noch einen Beruf ausüben kann, der ihm nach seiner bisherigen beruflichen Stellung zumutbar ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die von der Revision des Klägers nicht mit Verfahrensrügen angegriffen sind und an die das Revisionsgericht daher gebunden ist (§ 163 SGG), war der Kläger seinem Hauptberuf nach Abteilungssteiger und wurde nach der Gehaltsgruppe 04 des Tarifvertrages für Angestellte des rheinisch-westfälischen Steinkohlebergbaues entlohnt. Von seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit her ist er noch in der Lage, Arbeiten auszuführen, wie sie in den Gruppen T 13 der technischen und K 44 der kaufmännischen Angestellten des genannten Tarifvertrages vorkommen. Zwar kann der Kläger nicht alle Arbeiten dieser Gruppe ausführen. Doch ist ihm deswegen der Arbeitsmarkt nicht verschlossen. Wie der Senat mit Urteilen vom 31. Januar 1984 - 5a RKn 25/82 - und vom 5. Juni 1986 - 5a RKn 18/85 - entschieden hat, kann der Abteilungssteiger auf Tätigkeiten verwiesen werden, die unter die Tarifgruppen T 13 oder K 44 fallen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Urteil des Senats vom 14. Januar 1986 (5a RKn 1/85). Der Senat hat dort wegen der veränderten Ausbildungsgänge Ermittlungen tatsächlicher Art für notwendig erachtet, um die Verweisbarkeit eines Grubensteigers beurteilen zu können. Es ist denkbar, daß das Ergebnis der Ermittlungen auch Auswirkungen auf die Auffassungen des Senats zur Verweisbarkeit eines Abteilungssteigers hat. Solange jedoch keine Tatsachen bekannt sind, die den Senat zur Überprüfung seiner Rechtsprechung veranlassen, hält er daran fest.
Wie das LSG festgestellt hat, hat es 1982 insgesamt 60 Arbeitsplätze mit Vergütungen nach den Gruppen T 13 oder K 44 und höher für Arbeitnehmer gegeben, die - wie der Kläger - nur noch beschränkt einsetzbar sind. Gerade wegen der Leistungseinschränkungen, die beim Kläger bestehen, hat das LSG sich nämlich gehalten gesehen, die Zahl der für ihn verfügbaren Stellen zu ermitteln. Diese Feststellungen des LSG sind nicht mit Verfahrensrügen angegriffen und daher für die Revisionsinstanz bindend (§ 163 SGG). Daraus hat das LSG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise auf einen offenen Arbeitsmarkt geschlossen. Denn die Zahl der möglichen Bewerber ist - wie es festgestellt hat - ebenfalls beschränkt.
Anders als die Revision meint, kann die Entscheidung des LSG auch nicht deswegen beanstandet werden, weil Versicherte, die nur noch in Teilbereichen ihres Berufes einsetzbar sind, ebenso wie Versicherte, die nur noch Teilzeitarbeiten leisten können, als berufsunfähig anzusehen seien, wenn sie nach einem Jahr noch nicht vermittelt werden könnten (vgl GS BSG 2/75, BSGE 43, 75 = SozR 2200 § 1246 Nr 13). Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 44,39 = SozR 2200 § 1246 Nr 19 sowie aaO Nrn 22 und 30) gelten nämlich die Grundsätze, die der Große Senat des BSG für die nur noch zu Teilzeitarbeiten fähigen Versicherten entwickelt hat, von Ausnahmen abgesehen (vgl hierzu BSG SozR 2200 § 1247 Nr 33, § 1246 Nr 82), nicht für Vollzeitarbeitskräfte. Einen Ausnahmefall im Sinne der genannten Rechtsprechung des BSG hat das LSG indes unter Zugrundelegung der von ihm getroffenen, nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Tatsachenfeststellungen mit dem Hinweis auf die Zahl der offenen Stellen zutreffend verneint.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen