Entscheidungsstichwort (Thema)
Neufeststellung bei anerkanntem Berufsbetroffensein
Leitsatz (amtlich)
1. Für die Annahme einer wesentlichen Änderung (BVG § 62 Abs 1) reicht es aus, wenn der einer Anerkennung eines besonderen beruflichen Betroffenseins (BVG § 30 Abs 2) zugrunde liegende Minderverdienst ausgeglichen wurde.
2. Es bedarf keiner Einkommensverbesserung von etwa 20 vH gegenüber dem früheren Einkommen (Abgrenzung zu BSG 1969-02-19 10 RV 561/66 = BSGE 29, 139, Anschluß an BSG 1967-04-26 9 RV 820/64 = BSGE 26, 213).
Leitsatz (redaktionell)
Bei der Neufeststellung nach BVG § 62 Abs 1 S 1 sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Erst- und der Neufeststellung miteinander zu vergleichen. Unerheblich ist dabei, ob etwa die Erstanerkennung zu Unrecht vorgenommen worden ist, solange sie nicht gemäß KOVVfG § 41 berichtigt wurde. Eine nachträglich andere Beurteilung der früheren Verhältnisse ist nicht angezeigt.
Normenkette
BVG § 30 Abs. 2 S. 1 Fassung: 1971-12-16, S. 2 Buchst. a Fassung: 1966-12-28, § 62 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1966-12-28; KOVVfG § 41 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1975-12-18
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 25.03.1977; Aktenzeichen L 2 V 174/76) |
SG Itzehoe (Entscheidung vom 15.10.1976; Aktenzeichen S 5 V 27/76) |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 25. März 1977 aufgehoben.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 15. Oktober 1976 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob das beklagte Land berechtigt gewesen ist, die Rente des Klägers nach § 62 Abs 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) herabzusetzen.
Der Kläger bezog zuletzt aufgrund des Ausführungsbescheides vom 23. September 1971 wegen "1. Verlust des rechten Unterschenkels, 2. erbsgroßer Stecksplitter im Brustbein" als Schädigungsfolgen iS der Entstehung unter Einschluß eines besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs 2 BVG (MdE hierfür 10 vH) ab 1. Februar 1969 Rente nach einer MdE von 70 vH. Er hatte nach der Volksschule eine Landwirtschaftsschule abgeschlossen und war sodann bis zur Einberufung zur Wehrmacht im Jahre 1941 als Jungbauer im elterlichen Anwesen in Pommern tätig gewesen. Nach Verwundungen 1941 und 1943 ist er 1944 aus der Wehrmacht entlassen und zum Verwaltungsangestellten umgeschult worden. Nach der Vertreibung ist der Kläger mehrere Jahre als selbständiger Gewerbetreibender tätig gewesen und 1959 als Angestellter in den Dienst der Versorgungsverwaltung getreten.
Da er in dieser Beschäftigung als Angehöriger der Vergütungsgruppe BAT VII wesentlich weniger verdiente als es dem Durchschnittseinkommen eines selbständigen Landwirts mit Volksschulbildung und abgeschlossener landwirtschaftlicher Lehre entsprochen hätte (Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 plus Zuschläge nach § 5 Abs 1 der DVO zu § 30 Abs 3 und 4 BVG), gewährte ihm das Versorgungsamt (VersorgA) mit Zugunstenbescheid vom 9. Mai 1968 rückwirkend ab 1. Oktober 1960 wegen einer besonderen beruflichen Betroffenheit eine entsprechend einer MdE von 10 vH erhöhte Rente. Der Widerspruch, mit dem der Kläger eine Erhöhung der MdE um insgesamt 20 vH gefordert hatte, blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 20. Januar 1969). Die Klage wurde zurückgenommen.
Nachdem das VersorgA 1976 ermittelt hatte, daß der Kläger inzwischen in die Vergütungsgruppe BAT VIb (Bewährungsaufstieg) eingestuft worden war und dadurch ein höheres Einkommen als das eines Beamten der Besoldungsgruppe A 7 erzielte, setzte es die MdE des Klägers nach § 62 BVG mit Bescheid vom 22. März 1976 ab 1. März 1976 um 10 vH herab. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen (Urteil vom 15. Oktober 1976). Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil sowie den Neufeststellungsbescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, dem Kläger über den 28. Februar 1976 hinaus Rente nach einer MdE von 70 vH zu gewähren (Urteil vom 25. März 1977).
Der Beklagte hat gegen dieses Urteil die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 62 BVG.
Der Beklagte beantragt,
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das Urteil des LSG aufzuheben und die Klage abzuweisen. |
Der Kläger beantragt,
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die Revision zurückzuweisen. |
Die Beteiligten sind damit einverstanden, daß der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG ist zurückzuweisen.
Das LSG hat die vom Beklagten angenommenen Voraussetzungen des § 62 Abs 1 Satz 1 BVG verneint, wonach der Anspruch auf Versorgung entsprechend neu festzustellen ist, wenn in den Verhältnissen, die für die Feststellung des Anspruchs auf Versorgung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eintritt. Das Berufungsgericht hat die in dem Bescheid vom 9. Mai 1968 rückwirkend ab 1. Oktober 1960 festgestellte besondere berufliche Betroffenheit des Klägers trotz der zwischenzeitlichen Erhöhung seines Einkommens als Verwaltungsangestellter - Dienstbezüge der Vergütungsgruppe BAT VI b (Fallgruppe 2) anstelle der Vergütungsgruppe BAT VII - weiterhin für gegeben erachtet. Es hat die Auffassung vertreten, von einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse könne in einem Falle des beruflichen Betroffenseins (§ 30 Abs 2 BVG) nur gesprochen werden, wenn im Vergleich zum Endgrundgehalt eines Beamten der Besoldungsgruppe A 7 eine Verbesserung der Einkommensverhältnisse des Klägers um 20 vH bestehe. Davon könne indes keine Rede sein: Das Einkommen des Klägers habe 1967 901,- DM monatlich betragen. Dagegen habe ein Beamter der Besoldungsstufe A 7 in der Endstufe 1.018,90 DM verdient. Das sei ein Minderverdienst von 11,57 vH gewesen; nach der Einstufung des Klägers in die Vergütungsgruppe BAT VI b (1975) hätten sich die Einkommensverhältnisse zugunsten des Klägers verändert. Während er als Archivangestellter jetzt monatlich 1.996,- DM verdient habe, habe das Endgrundgehalt eines Beamten der Besoldungsgruppe A 7 nur 1.870,- DM betragen. Der Kläger habe also 6,7 vH mehr als ein Beamter der Besoldungsgruppe A 7 verdient. 1976 sei die Einkommensdifferenz wieder etwas geringer geworden, weil nur noch ein Mehrverdienst von 5,6 vH erzielt worden sei. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19. Februar 1969 - 10 RV 561/66 -, BSGE 29, 139) sei eine besondere berufliche Betroffenheit (§ 30 Abs 2 BVG) nur dann anzunehmen, wenn der Beschädigte in dem nach der Schädigung ausgeübten Beruf gegenüber dem früher ausgeübten oder nachweisbar angestrebten Beruf einen Minderverdienst von etwa 20 vH hinnehmen müsse. Hier habe aber der Minderverdienst nur 11,57 vH ausgemacht. Der Beklagte habe daher bereits bei der Anerkennung der besonderen beruflichen Betroffenheit des Klägers zu Unrecht die Voraussetzungen des § 30 Abs 2 BVG angenommen.
Dem ist nicht zu folgen. Das LSG hat nicht hinreichend die Voraussetzungen des § 62 Abs 1 Satz 1 BVG beachtet, indem es die für eine Erstanerkennung geltenden Maßstäbe herangezogen hat, bei denen abzuwägen ist, welche Faktoren iS der Kausalitätsnorm ursächlich für einen bestimmten Erfolg (§ 30 Abs 2 BVG) gewesen sind (BSGE 30, 21). Die Rechtmäßigkeit eines Neufeststellungsbescheids hängt entscheidend davon ab, ob und wie sich die Verhältnisse, die für die Erstanerkennung des Versorgungsanspruchs maßgebend gewesen sind, verändert haben. Demnach sind die Verhältnisse im Zeitpunkt der Erst- und der Neufeststellung miteinander zu vergleichen. Dabei ist aber allein auf die objektiv maßgebliche Lage abzuheben (BSG SozR Nr 20 zu § 62 BVG). Unerheblich ist, ob etwa die Erstanerkennung zu Unrecht vorgenommen worden ist, solange sie nicht gem § 41 KOVVfG berichtigt wurde. Eine nachträgliche andere Beurteilung der früheren Verhältnisse ist entgegen der Auffassung des LSG nicht angezeigt. Auszugehen ist beim Erstfeststellungsbescheid von den damaligen Beurteilungsgrundlagen (BSG SozR Nr 23 zu § 62 BVG). Diese sind in dem Bescheid vom 9. Mai 1968 zu finden. Darin werden miteinander rechnerisch verglichen das Endgrundgehalt der Besoldungsgruppe A 7 - als Anhalt für die Einkünfte des erstrebten Berufs eines selbständigen Landwirts - und das Bruttoeinkommen eines Angestellten nach BAT VII. Ob die aus der Einkommensminderung von 11,57 vH damals gezogene Folgerung, daß der Kläger deshalb besonders beruflich betroffen und daher seine Versorgungsrente um 10 vH zu erhöhen sei, richtig war oder nicht, ist hier unerheblich. Denn es kommt allein auf die damals maßgeblichen Verhältnisse an. Unerheblich ist daher auch entgegen der Rechtsauffassung des LSG, ob die in BSGE 29, 139 niedergelegten Maßstäbe bei der Erstanerkennung des beruflichen Betroffenseins hätten angewendet werden müssen, ganz abgesehen davon, daß dieses Urteil erst ein Jahr nach dem Bescheid vom 9. Mai 1968 ergangen ist. Auszugehen ist also für die Neufeststellung gemäß § 62 Abs 1 Satz 1 BVG, wie bei der Erstfeststellung der angestrebte Beruf eines Landwirts gegenüber dem eines Angestellten unter Vergleich des Durchschnittsverdienstes mit dem tatsächlichen Bruttoeinkommen bewertet worden ist.
Daran vermag auch der Inhalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Januar 1969 nichts zu ändern. Der Widerspruch des Klägers gegen den Erstbescheid richtete sich nämlich dahin, die Rente wegen der besonderen beruflichen Betroffenheit um weitere 10 vH anzuheben. Mit diesem Begehren hat sich der Beklagte in der Begründung des Widerspruchsbescheids auseinandergesetzt. Die Grundlagen der Anerkennung des beruflichen Betroffenseins und der dadurch bedingten Anhebung der Rente um 10 vH hat er aber unangetastet gelassen. Die dagegen erhobene Klage hat der Kläger zurückgenommen.
Das LSG hat nicht in Zweifel gezogen, daß sich seit der früheren Feststellung des Versorgungsanspruchs die damaligen maßgeblichen Verhältnisse inzwischen dadurch geändert haben, daß der Kläger gegenüber dem Vergleichsberuf heute mehr verdient. Es hat insoweit eine Änderung in den Verhältnissen nicht geleugnet. Allerdings hat es, indem es die jeweiligen Zahlen exakt verglichen hat, gemeint, die dabei festgestellte Differenz rechtfertige es nicht, eine wesentliche Änderung iS des § 62 Abs 1 Satz 1 BVG festzustellen. Es hat vielmehr unter irriger Berufung auf BSGE 29, 139 für die Feststellung einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen verlangt, daß eine Verschiebung zugunsten des Klägers von etwa 20 vH bestehe, während 1976 diese beispielsweise nur 17,17 vH betragen habe. Richtigerweise ist aber eine Änderung in den Verhältnissen iS des § 62 Abs 1 Satz 1 BVG schon dann wesentlich, wenn ein früher vorhandener Minderverdienst, der zur Anerkennung einer beruflichen Betroffenheit (§ 30 Abs 2 BVG) geführt hat, ausgeglichen wird. Um so eher muß dies gelten, wenn nicht nur ein Ausgleich, sondern darüber hinaus sogar ein Mehrverdienst erzielt worden ist. Eine Änderung nach § 62 BVG kann zwar auch dann bejaht werden, wenn der nach der Schädigung ausgeübte Beruf durch allgemeine wirtschaftliche, gesellschaftliche oder politische Veränderungen aufgewertet wird (BSGE 26, 213) und ein schädigungsbedingter Berufswechsel ohne Minderverdienst (sozialer Abstieg) zugrunde gelegen hatte (BSGE 10, 69; 12, 212). So stellt sich der Sachverhalt hier aber nicht dar, so daß entgegen der Auffassung des Beklagten auch nicht das LSG von BSGE 26, 213 abgewichen ist. Hier war zur Feststellung, ob sich inzwischen die damals maßgebend gewesenen Verhältnisse wesentlich geändert haben, nur der jeweilige Einkommensstand miteinander zu vergleichen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang daher, ob der Kläger schon 1968 oder später Archivangestellter geworden ist. Ein sozialer Abstieg, die Entwicklung des Landwirtsberufs und die Feststellung des konkreten Einkommens in diesem Beruf waren nicht Gegenstand des anzustellenden Einkommensvergleichs.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen