Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerstbeschädigtenzulage. Zulässigkeit der Berufung

 

Leitsatz (redaktionell)

Die Schwerstbeschädigtenzulage nach BVG § 31 Abs 5 idF des KOVNOG 1 ist eine zusätzliche Leistung eigener Art, die es vor dem 1960-06-01 nicht gegeben hat und deren rechtliche Grundlagen erst durch dieses Gesetz geschaffen worden sind. Ist in einem Bescheid über diese Leistung erstmalig entschieden worden, so enthält dieser Bescheid somit nicht eine Neufeststellung der Schwerstbeschädigtenzulage wegen Änderung der Verhältnisse, sondern die erstmalige Feststellung einer bisher nicht vorhandenen und erst durch das KOVNOG 1 eingeführten Leistung. Das LSG darf daher die Berufung nicht als unzulässig verwerfen (SGG § 148 Nr 3).

 

Normenkette

BVG § 31 Abs. 5 Fassung: 1960-06-27; SGG § 148 Nr. 3 Fassung: 1958-06-25; KOVNOG 1 Fassung: 1960-06-27

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 12. Januar 1965 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Gründe

Mit Bescheid vom 21. September 1961 wurde dem Kläger vom 1. Juni 1960 an gemäß § 31 Abs. 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) in der Fassung des Ersten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (1. Neuordnungsgesetz - 1. NOG -) vom 27. Juni 1960 (BGBl I 453) die Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I bewilligt. Sein Widerspruch, mit dem er eine Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe II begehrte, hatte keinen Erfolg.

Das Sozialgericht (SG) Marburg hat weitere ärztliche Äußerungen eingeholt und die Klage auf Bewilligung einer Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe III mit Urteil vom 28. Februar 1963 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 12. Januar 1965 die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG als unzulässig verworfen, weil die Berufung eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) betreffe. Der Kläger erhalte bereits Versorgungsbezüge (Rente und Pflegezulage), streitig sei nur noch die Schwerstbeschädigtenzulage. Der Umfang der Beschädigtenrente werde in § 9 Nr. 3 BVG durch den Hinweis auf die §§ 30 bis 34 BVG bestimmt und umfasse daher auch die in § 31 BVG geregelte Schwerstbeschädigtenzulage. Die Änderung der Verhältnisse bestehe in einer Änderung der gesetzlichen Vorschriften, durch welche die Schwerstbeschädigtenzulage mit Inkrafttreten des 1. NOG neu eingeführt worden ist; diese Änderung stelle eine Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG dar (vgl. BSG 10, 202). Im vorliegenden Falle könne nicht nach den vom Bundessozialgericht (BSG) hinsichtlich der Pflegezulage getroffenen Entscheidungen verfahren werden, wonach eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG dann nicht vorliege, wenn noch nicht durch Bescheid über die Pflegezulage entschieden worden sei (BSG in SozR SGG § 148 Nr. 13 und 17). Die Pflegezulage sei in § 9 BVG neben der Beschädigtenrente besonders aufgeführt, die Schwerstbeschädigtenzulage dagegen gehöre nach § 9 Nr. 3 BVG zur Beschädigtenrente, die durch den Hinweis auf die §§ 30 bis 34 BVG auch die in § 31 Abs. 5 BVG geregelte Schwerstbeschädigtenzulage umfasse.

Das LSG hat die Revision zugelassen.

Der Kläger hat gegen das ihm am 22. Februar 1965 zugestellte Urteil des LSG mit Schriftsatz vom 25. Februar 1965, beim BSG eingegangen am 26. Februar 1965, Revision eingelegt und diese gleichzeitig begründet. Er beantragt,

den Rechtsstreit unter Aufhebung des Urteils des Hessischen LSG vom 12. Januar 1965 zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.

Mit der Revision rügt der Kläger in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine Verletzung der §§ 143, 148 Nr. 3 SGG. Er trägt hierzu vor, das LSG habe die Berufung zu Unrecht als unzulässig verworfen. Die Schwerstbeschädigtenzulage sei durch das am 1. Juni 1960 in Kraft getretene 1. NOG in § 31 Abs. 5 BVG eingeführt worden; vor diesem Zeitpunkt sei eine vergleichbare Leistung dieser Art im Gesetz nicht vorgesehen gewesen. Die Schwerstbeschädigtenzulage sei trotz ihrer Einordnung in den für die Grundrente maßgebenden § 31 BVG nicht Teil der Grundrente, sondern eine neue selbständige Leistung neben der Grundrente. Das Bayerische LSG (Urteil vom 24. 10. 1963 in Bayer. Amtsbl. 1964, S. B 25) und das Hessische LSG (Urteil vom 28. 8. 1963 - L 4/V 145/62 -) hätten die Zulässigkeit der Berufung bejaht, wenn über die Schwerstbeschädigtenzulage erstmals zu entscheiden sei. Im übrigen sei auch nach dem Urteil des BSG vom 12. Dezember 1957 (SozR SGG § 148 Nr. 17) eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse nur dann anzunehmen, wenn eine Vergleichsgrundlage vorhanden und eine frühere Feststellung gleichartiger Bezüge vorausgegangen sei, andernfalls handele es sich um eine Erstfeststellung.

Der Beklagte hat keinen Antrag gestellt und eine Äußerung zur Revisionsbegründung nicht abgegeben.

Die Revision ist durch Zulassung nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft und vom Kläger form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden (§§ 164, 166 SGG). Die Revision ist somit zulässig; sie ist auch begründet, weil das LSG die Berufung nach § 148 Nr. 3 SGG zu Unrecht als unzulässig verworfen und infolgedessen kein Sachurteil erlassen hat.

Nach § 148 Nr. 3 SGG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des SGG vom 25. Juni 1958 (BGBl I 409) ist in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung die Berufung nicht zulässig, soweit sie den Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) oder die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse betrifft, es sei denn, daß die Schwerbeschädigteneigenschaft oder die Gewährung der Grundrente davon abhängt. Für die Zulässigkeit der Berufung kommt es somit auf den mit ihr geltend gemachten Anspruch - den Beschwerdegegenstand - an. Mit Bescheid vom 21. September 1961 ist dem Kläger gemäß § 31 Abs. 5 BVG in der Fassung des 1. NOG vom 1. Juni 1960 an die Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe I bewilligt worden. Mit der Klage und nach ihrer Abweisung mit der Berufung hat er eine Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe III begehrt. Diese Berufung betrifft entgegen der Auffassung des LSG nicht die Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG.

Es kann dahinstehen, ob die durch § 31 Abs. 5 BVG mit Wirkung vom 1. Juni 1960 neu eingeführte Schwerstbeschädigtenzulage etwa deswegen zur Beschädigtenrente gehört - wie das LSG meint -, weil in § 9 Nr. 3 BVG in einem Klammerzusatz auf die §§ 30 bis 34 BVG hingewiesen wird, oder ob sie - wie die in § 9 Nr. 3 BVG ausdrücklich neben der Beschädigtenrente genannte Pflegezulage - selbständigen Charakter hat. Auf jeden Fall sind schon aus anderen Gründen die Voraussetzungen des § 148 Nr. 3 SGG nicht gegeben. Der Streit über die Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage nach § 31 Abs. 5 BVG betrifft nicht den Grad der MdE (vgl. Urteil des BSG vom 29. 4. 1965 in SozR SGG § 148 Nr. 30). Es handelt sich im vorliegenden Falle auch nicht um eine Neufeststellung der Versorgungsbezüge wegen Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 148 Nr. 3 SGG. Zwar kann eine solche Änderung der Verhältnisse auch im Falle einer Änderung der gesetzlichen Vorschriften in Betracht kommen. Das LSG hat aber verkannt, daß der Bescheid vom 21. September 1961, durch den dem Kläger die Schwerstbeschädigtenzulage gemäß § 31 Abs. 5 BVG vom Tage des Inkrafttretens dieser Vorschrift an bewilligt worden ist, keine Neufeststellung der Versorgungsbezüge enthält. Wie der erkennende Senat mehrfach entschieden hat, (vgl. Urteile des erkennenden Senats vom 12. 12. 1957 in SozR SGG § 148 Nr. 17 und vom 26. 9. 1961 in SozR SGG § 148 Nr. 25) setzt eine "Neufeststellung" voraus, daß die Versorgungsverwaltung bereits durch einen früheren Bescheid erkennbar zum Ausdruck gebracht hat, ob Anspruch auf eine bestimmte Versorgungsleistung besteht oder nicht. Von einer Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse kann ungeachtet dessen, daß der Begriff "Versorgungsbezüge" in § 148 Nr. 3 SGG alle in § 9 BVG aufgezählten Arten von Versorgungsleistungen erfaßt, wegen der nach Art und Voraussetzungen verschiedenen Leistungen nur dann die Rede sein, wenn eine Vergleichsgrundlage für die in Frage stehende Änderung vorhanden ist und die frühere Feststellung Ansprüche oder Leistungen gleicher Art betrifft. Es kann jeweils nur die Feststellung gleichartiger Versorgungsbezüge miteinander verglichen werden, weil verschiedenartige Versorgungsbezüge von verschiedenen gesetzlichen Tatbeständen abhängen (vgl. hierzu auch BSG in SozR SGG § 148 Nr. 30). Eine Neufeststellung der Schwerstbeschädigtenzulage würde daher nur dann vorliegen, wenn über diese Leistung schon einmal entschieden worden wäre und die tatsächlichen oder rechtlichen Grundlagen dieser Entscheidung sich nachträglich geändert hätten. Die Schwerstbeschädigtenzulage nach § 31 Abs. 5 BVG in der Fassung des 1. NOG ist aber eine Leistung, die es in dieser Art vor dem Inkrafttreten des 1. NOG am 1. Juni 1960 noch nicht gegeben hat und deren rechtliche Grundlagen erst durch dieses Gesetz neu geschaffen worden sind. Der angefochtene Bescheid enthält somit nicht eine Neufeststellung wegen Änderung der Verhältnisse, sondern die erstmalige Feststellung einer bisher nicht vorgesehenen und erst durch das 1. NOG eingeführten Leistung, deren Voraussetzungen bei den der früheren Feststellung der Beschädigtenrente zugrunde gelegten Verhältnissen nicht berücksichtigt worden sein kann. Die Gewährung und die Höhe der Schwerstbeschädigtenzulage sind gegenüber der Beschädigtenrente an selbständige Voraussetzungen geknüpft und nach anderen Gesichtspunkten zu beurteilen als die Beschädigtenrente. Insbesondere sind hinsichtlich der Schwerstbeschädigtenzulage durch das 1. NOG nicht die rechtlichen Grundlagen für ihre Gewährung geändert, sondern erst geschaffen worden. Im vorliegenden Falle hatte das LSG demnach nicht über eine Neufeststellung der Schwerstbeschädigtenzulage wegen Änderung der Verhältnisse, sondern über die erstmalige Bewilligung der am 1. Juni 1960 neu eingeführten Schwerstbeschädigtenzulage zu entscheiden.

Da somit die Voraussetzungen des § 148 Nr. 3 SGG nicht gegeben sind, hätte das LSG die Berufung nicht nach § 158 SGG als unzulässig verwerfen dürfen, sondern in der Sache selbst entscheiden müssen. Das auf einer unrichtigen Anwendung des § 148 Nr. 3 SGG beruhende Urteil des LSG war daher aufzuheben. Mangels tatsächlicher Feststellungen durch das LSG konnte der Senat aber in der Sache selbst nicht entscheiden; sie war daher nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2379948

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