Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Massenbeiladungen von Arbeitnehmern
Leitsatz (amtlich)
Zu einem Rechtsstreit zwischen zwei Krankenkassen über die Zuständigkeit zur Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung ist der Arbeitgeber gemäß § 75 Abs 2 SGG beizuladen.
Orientierungssatz
Die Beiladung der krankenversicherungspflichtigen und zur Mitgliedschaft bei einer der beiden am Rechtsstreit beteiligten Krankenkassen verpflichteten Arbeitnehmer ist nicht erforderlich. Diese sind zwar in gleicher Weise wie der Arbeitgeber an dem streitigen Rechtsverhältnis beteiligt, soweit es sich um die Aufbringung der Beiträge handelt. Ihre Beiladung ist jedoch deshalb nicht geboten, weil sie praktisch nicht durchführbar ist. Aufgrund des Umstandes, daß der Zweck der Beiladung in bezug auf die beteiligten Arbeitnehmer nicht erreicht werden kann, haben Massenbeiladungen nicht zu erfolgen (vgl BSG vom 29.6.1979 8b/3 RK 49/77 = BSGE 48, 238, 241 = SozR 2200 § 250 Nr 5.
Normenkette
SGG § 75 Abs 2 Alt 1; RVO § 381 Abs 1 S 1
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 10.10.1984; Aktenzeichen L 4 Kr 132/84) |
SG Augsburg (Entscheidung vom 20.10.1982; Aktenzeichen S 6 Kr 62/81) |
Tatbestand
Die beteiligten Krankenkassen streiten darüber, welche von ihnen die gesetzliche Krankenversicherung der im Werk L. der H. B. KG, H. (im folgenden mit B.-KG bezeichnet) beschäftigen Krankenkassen-Pflichtmitglieder durchzuführen hat; im Werk L. der B.-KG waren nach dem Stand vom 1. Dezember 1980 169 Arbeiter und 18 Angestellte beschäftigt.
Das Sozialgericht (SG) Augsburg hat die auf Feststellung der Zuständigkeit der Klägerin gerichtete Klage durch Urteil vom 20. Oktober 1982 abgewiesen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung durch Urteil vom 10. Oktober 1984 zurückgewiesen. Die Vorinstanzen haben übereinstimmend die Auffassung vertreten, das Werk L. der B.-KG sei ein unselbständiger Teil des Gesamtbetriebes der B.-KG, so daß die beklagte Betriebskrankenkasse die gesetzliche Krankenversicherung der Pflichtmitglieder durchzuführen habe.
Die Klägerin trägt zur Begründung ihrer Revision vor, das LSG habe den Begriff des Betriebs iS des § 245 der Reichsversicherungsordnung (RVO) fehlerhaft abgegrenzt. Seine Entscheidung verstoße zudem gegen Art 3, 20 Abs 1 und 28 des Grundgesetzes (GG).
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Oktober 1984 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 20. Oktober 1982 aufzuheben und festzustellen, daß die Klägerin für die im Werk Lindau der Firma H. B. KG beschäftigten Krankenkassen-Pflichtmitglieder die zuständige gesetzliche Krankenkasse ist.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die vom LSG vertretene Rechtsauffassung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Der erkennende Senat ist richtig besetzt, denn die mitwirkenden ehrenamtlichen Richter sind ordnungsgemäß berufen worden (vgl BSG, Beschluß vom 26. September 1985 - 1 S 12/85 -, zur Veröffentlichung bestimmt).
Die Revision der Klägerin führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils des LSG und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an dieses Gericht, weil das Verfahren vor dem LSG an einem vom Revisionsgericht von Amts wegen zu berücksichtigenden Mangel leidet, der fehlenden und im Revisionsverfahren nicht nachholbaren (§ 168 SGG) notwendigen Beiladung der B.-KG (BSG, ständige Rechtsprechung, vgl insbesondere SozR 1500 § 75 Nrn 1, 21, 49, 51).
Der zwischen den beteiligten Krankenkassen geführte Rechtsstreit betrifft nicht die Errichtung einer Betriebskrankenkasse (§ 245 RVO), sondern das Rechtsverhältnis der Krankenkassen-Mitgliedschaft der im Werk L. der B.-KG versicherungspflichtig beschäftigen Pflichtkassenmitglieder. An diesem Rechtsverhältnis ist die B.-KG derart beteiligt, daß die Entscheidung für die von der Klägerin erhobenen Feststellungsklage auch ihr gegenüber nur einheitlich ergehen kann (§ 75 Abs 2, 1. Alternative, SGG). Die B.-KG hat als Arbeitgeber gemäß § 381 Abs 1 Satz 1 RVO die Hälfte der Krankenversicherungsbeiträge zu tragen. Da jedoch die Festsetzung der Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung den Selbstverwaltungsorganen der einzelnen Krankenkasse zusteht, sind in der gesetzlichen Krankenversicherung - anders als in der gesetzlichen Rentenversicherung - unterschiedliche Beitragssätze der verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen - und insbesondere auch der an diesem Rechtsstreit beteiligten Krankenkassen - möglich. Die Festsetzung der Beitragshöhe durch die für die Durchführung der gesetzlichen Krankenversicherung zuständigen Krankenkasse berührt mithin also auch das gesetzliche Pflichtversicherungsverhältnis der Pflichtkassenmitglieder und damit die Beitragspflicht des Arbeitgebers dergestalt, daß die Entscheidung über die Zuständigkeit der Krankenkasse auch ihm gegenüber nur einheitlich ergehen kann. Zudem werden durch die Entscheidung darüber, welche der streitenden Kassen zuständig ist, auch die Beitragszahlungspflicht des Arbeitgebers (§ 393 RVO), die Zulässigkeit von Maßnahmen gegen den Arbeitgeber (§ 398 RVO) und schließlich die Befugnis der Einforderung von Vorschüssen der klagenden Allgemeinen Ortskrankenkasse (§ 403 RVO) grundsätzlich mitbestimmt.
Zwar hält der Senat daran fest, daß die Beiladung der krankenversicherungspflichtigen und zur Mitgliedschaft bei einer der beiden beteiligten Krankenkassen verpflichteten Arbeitnehmer der B.-KG nicht erforderlich ist. Diese sind zwar in gleicher Weise wie die B.-KG an dem streitigen Rechtsverhältnis beteiligt, soweit es sich um die Aufbringung der Beiträge handelt. Die Beiladung der im Werk L. der B.-KG beschäftigen Arbeitnehmer ist jedoch deshalb nicht geboten, weil sie praktisch nicht durchführbar ist. Der erkennende Senat hat wiederholt unter Inkaufnahme des Umstandes, daß der Zweck der Beiladung in bezug auf die beteiligten Arbeitnehmer nicht erreicht werden kann, entschieden, daß Massenbeiladungen nicht zu erfolgen haben (BSGE 48, 238, 241 = SozR 2200 § 250 Nr 5; SozR 2200 § 245 Nr 3). Da die B.-KG nach dem Stand vom 1. Dezember 1980 im Werk L. 169 Arbeiter und 18 Angestellte beschäftigte, würde es sich hier in jedem Falle um eine praktisch nicht durchführbare Massenbeiladung handeln. Die Gründe gelten jedoch nicht in gleicher Weise für die Beiladung des Arbeitgebers, die das LSG nachzuholen haben wird.
Das Berufungsgericht wird auch über die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu entscheiden haben.
Fundstellen