Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Urteil vom 08.12.1994; Aktenzeichen L 14 Ar 382/92)

 

Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1994 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Der Kläger begehrt die Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU). Streitig ist insbesondere, ob der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt hat bzw noch erfüllen muß.

Der 1934 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Er hat in seinem Heimatland eine Pflichtbeitragszeit von 765 Tagen zurückgelegt. Von Januar 1960 bis April 1977 arbeitete er mit Unterbrechungen versicherungspflichtig in der Bundesrepublik Deutschland. Für die Monate Mai bis August 1977 entrichtete er noch vier freiwillige Beiträge und kehrte dann in die Türkei zurück, wo er eine vorgezogene Altersrente aus der türkischen Rentenversicherung bezog.

Am 19. September 1990 beantragte der Kläger Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) oder EU. Die Beklagte kam nach ärztlicher Überprüfung zu dem Ergebnis, daß der Kläger seit Antragstellung nur noch über ein unter zweistündiges Leistungsvermögen verfüge. Gleichwohl lehnte sie den Rentenantrag ab, weil die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen des § 1247 Abs 1 und 2a iVm § 1246 Abs 2a der Reichsversicherungsordnung (RVO) nicht erfüllt seien (Bescheid vom 21. August 1991). Widerspruch, Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 30. Dezember 1991; Urteil des Sozialgerichts Bayreuth ≪SG≫ vom 7. April 1992; Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts ≪LSG≫ vom 8. Dezember 1994).

Das LSG hat die Auffassung der Beklagten bestätigt, daß die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen EU nicht erfüllt seien: Nach § 1247 Abs 1 und 2a iVm § 1246 Abs 2a RVO sei Voraussetzung eines Anspruchs auf EU-Rente, daß der Kläger in den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt des Versicherungsfalles mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt habe. Diese Voraussetzungen erfülle der Kläger nicht, weil er zuletzt im Jahre 1977 eine versicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt habe und vor Rentenantragstellung kein Versicherungsfall eingetreten sei. Aufschubzeiten iS von § 1246 Abs 2a RVO, welche die Verschiebung des maßgeblichen Fünfjahreszeitraums bewirken würden, seien nicht erkennbar; türkische Rentenbezugszeiten begründeten keinen Aufschub. Auch die erleichterten Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) lägen nicht vor. Weder sei der Versicherungsfall bis 30. Juni 1984 eingetreten noch sei die Zeit ab 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalls im September 1990 mit Beiträgen belegt. Eine nachträgliche Entrichtung freiwilliger Beiträge scheitere an § 1418 Abs 1 RVO.

Mit der vom erkennenden Senat zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, die Einführung besonderer versicherungsrechtlicher Voraussetzungen stelle in bezug auf sein Versicherungsverhältnis einen Verstoß gegen Art 14 des Grundgesetzes (GG) dar. Er sei zwar berechtigt gewesen, freiwillige Beiträge zur deutschen Rentenversicherung zu entrichten und sich damit gemäß Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG den Anspruch auf EU-Rente zu erhalten. Hierzu sei er aber im Hinblick auf die Einkommensverhältnisse in der Türkei nicht in der Lage gewesen. Eine Beitragsentrichtung zur türkischen Sozialversicherung sei im Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1989 (Ende des Jahres vor Eintritt des Versicherungsfalls) wegen des Bezuges der Altersrente nicht möglich gewesen.

Im übrigen stehe ihm ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch zu, weil die Beklagte die türkische Bevölkerung und so auch ihn nicht über die deutsch-türkische Verbindungsstelle auf die Möglichkeit der Bereiterklärung zur Beitragsentrichtung nach § 1420 Abs 1 Nr 2 RVO hingewiesen und keine den Schwierigkeiten der in ihr Heimatland zurückgekehrten türkischen Arbeitnehmer angemessene großzügige Frist für eine Beitragsentrichtung eingeräumt habe.

Der Kläger beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 8. Dezember 1994 und des Sozialgerichts Bayreuth vom 7. April 1992 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 21. August 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. Dezember 1991 zu verurteilen, ihm ab 1. Oktober 1990 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt ergänzend vor: Für einen Herstellungsanspruch gebe es keine Grundlage, da der Kläger aufgrund seiner vor der Rückkehr in sein Heimatland entrichteten freiwilligen Beiträge auch ab 1. Januar 1984 zur Entrichtung freiwilliger Beiträge berechtigt gewesen sei und von den in diesem Zusammenhang bestehenden gesetzlichen Möglichkeiten habe Gebrauch machen können.

Die Beteiligten haben sich damit einverstanden erklärt, daß der Rechtsstreit durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫) entschieden wird.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist zulässig. Sie ist auch im Sinne der Zurückverweisung begründet. Für eine Entscheidung der Sache sind vor allem noch Ermittlungen zum Umfang der realen Belastung eines türkischen Durchschnittsverdieners durch die Zahlung von deutschen Mindestbeiträgen sowie dazu erforderlich, inwieweit die persönlichen Verhältnisse des Klägers in der Zeit ab 1984 eine Entrichtung von Mindestbeiträgen zur deutschen Rentenversicherung erlaubt hätten.

Der Rentenanspruch des Klägers richtet sich noch nach den Vorschriften der RVO (iVm dem ArVNG), weil der Antrag bis zum 31. März 1992 gestellt worden ist und die Rente auch für Zeiten vor dem 1. Januar 1992 begehrt wird (vgl § 300 Abs 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch ≪SGB VI≫). Rechtsgrundlage für die begehrte EU-Rente ist danach § 1247 RVO in der bis zum 31. Dezember 1991 geltenden Fassung (nF). Diese setzt voraus

  • die Erfüllung der Wartezeit (§ 1247 Abs 1 und 3 RVO nF),
  • den Eintritt des Versicherungsfalles der EU (§ 1247 Abs 1 und 2 RVO nF) und
  • die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung oder Tätigkeit, zuletzt vor
  • Eintritt des Versicherungsfalles (§ 1247 Abs 1 und 2a iVm § 1246 Abs 2a RVO nF).

Die letztgenannte besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung ist erst durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG 1984) zusätzlich eingeführt worden. Dazu regelt Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG, in welchen Fällen noch die bis zum 31. Dezember 1983 geltende frühere Fassung des § 1247 RVO (aF) anzuwenden ist, die das Erfordernis von versicherungsfallnahen Pflichtbeitragszeiten noch nicht kannte. Auf das Vorliegen der Voraussetzungen dieser Übergangsvorschrift kommt es nur an, wenn der Kläger zwar nicht die Tatbestandsmerkmale des § 1247 Abs 1 RVO nF, wohl aber die Wartezeit erfüllt hat und erwerbsunfähig ist.

Nach den nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen angefochtenen und damit für den erkennenden Senat bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG hat der Kläger die Wartezeit für eine Rente wegen EU erfüllt. Ebenso ist der Versicherungsfall der EU angesichts des unter zweistündigen Leistungsvermögens des Klägers im September 1990 eingetreten. Dies hat die Beklagte auch bereits zugestanden.

Das LSG ist nach seinen Feststellungen zutreffend davon ausgegangen, für einen Anspruch auf Rente wegen EU fehlten die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Nach § 1246 Abs 2a Satz 1 RVO nF, auf den § 1247 Abs 2a RVO nF für die EU-Rente verweist, ist eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübt worden, wenn

  1. von den letzten 60 Kalendermonaten vor Eintritt der EU mindestens 36 Kalendermonate mit Beiträgen für eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind oder
  2. die EU aufgrund eines der in § 1252 RVO genannten Tatbestände eingetreten ist.

Die erste Alternative ist nicht erfüllt, weil in der maßgeblichen Rahmenfrist von 60 Kalendermonaten vor Eintritt der EU (hier also September 1985 bis August 1990) keine Pflichtbeiträge nachgewiesen werden konnten. Das LSG hat zudem festgestellt, daß auch keine Tatbestände ersichtlich sind, die gemäß § 1247 Abs 2a iVm § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO nF zur Streckung der Rahmenfrist führen würden. Dem LSG ist dabei darin zu folgen, daß nach den genannten Vorschriften der Bezug einer türkischen Altersrente nicht als ein solcher Streckungstatbestand angesehen werden kann (vgl dazu BSGE 75, 199, 205 = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48). Für die zweite Alternative des § 1246 Abs 2a Satz 1 RVO nF besteht nach dem vom LSG festgestellten Sachverhalt kein Anhalt.

Einer Erfüllung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen bedürfte es allerdings nicht, wenn die Übergangsregelung des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG eingriffe. Nach dieser Vorschrift gilt § 1247 Abs 1 RVO aF auch für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1983, wenn der Versicherte

  1. vor dem 1. Januar 1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt und
  2. jeden Kalendermonat in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles mit Beiträgen oder den bei der Ermittlung der 60 Kalendermonate nach § 1246 Abs 2a RVO nicht mitzuzählenden Zeiten belegt hat.

Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 ArVNG gilt für Versicherungsfälle in der Zeit bis zum 30. Juni 1984, auch ohne daß die Voraussetzungen der Nr 2 gegeben sind. Für Versicherungsfälle in der Zeit vom 1. Juli bis 31. Dezember 1984 gilt Satz 1 auch, wenn die Voraussetzungen der Nr 2 im ersten Kalenderhalbjahr 1984 vorliegen.

Neben der Erfüllung der Wartezeit vor dem 1. Januar 1984 sieht diese Regelung somit je nach dem Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfalles weitere Belegungserfordernisse vor. Da der Kläger nach den Feststellungen des LSG die Wartezeit bereits bei Beendigung seiner versicherungspflichtigen Beschäftigung im Jahre 1977 erfüllt hatte und vor September 1990 weder berufs- noch erwerbsunfähig geworden ist, kommt es für ihn darauf an, ob die Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs 2 Satz 1 Nr 2 ArVNG vorliegen. Das ist jedoch (bislang) nicht der Fall. Das LSG hat bindend (§ 163 SGG) festgestellt, daß in der Zeit vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1989 weder freiwillige Beiträge entrichtet wurden noch Streckungstatbestände im Sinne von § 1246 Abs 2a Satz 2 RVO eingetreten sind.

Es bleibt allerdings die Frage, ob der Kläger die ab 1. Januar 1984 nicht belegten Kalendermonate in dem gemäß Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG erforderlichen Umfang ggf noch mit freiwilligen Beiträgen auffüllen darf.

Zur Entrichtung von freiwilligen Beiträgen zur deutschen Rentenversicherung war der Kläger zwar im fraglichen Zeitraum grundsätzlich berechtigt (vgl Art 26 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit ≪Abk Türkei SozSich≫ vom 30. April 1964 ≪BGBl 1965 II, 1170≫ idF des Änderungsabkommens vom 28. Mai 1969 ≪BGBl 1972 II, 2≫ und des Zwischenabkommens vom 25. Oktober 1974 ≪BGBl 1975 II, 374≫; Art 2 Abs 5 des Zusatzabkommens vom 2. November 1984 ≪BGBl 1986, II, 1040≫). Nach den in Betracht kommenden gesetzlichen Bestimmungen kann eine solche Beitragsentrichtung hier jedoch grundsätzlich nicht mehr nachgeholt werden. Gemäß § 1418 Abs 1 RVO in der im Jahre 1984 geltenden Fassung konnten freiwillige Beiträge nur bis zum Ende des Jahres entrichtet werden, für das sie gelten sollten. Der Ablauf dieser Frist ist im vorliegenden Fall auch nicht durch eine rechtzeitige Bereiterklärung (vgl § 1420 Abs 1 Nr 2 RVO) oder ein laufendes Rentenverfahren (vgl § 1420 Abs 2 RVO) berührt worden. Auch das SGB VI enthält keine Regelung, die unter den vorliegenden Umständen eine Beitragszahlung für das Jahr 1984 zulassen würde (vgl §§ 197 ff SGB VI; vgl dazu auch BSG SozR 3-2600 § 197 Nr 1).

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auf Zulassung zur Nachentrichtung der erforderlichen Beiträge wegen unzureichender Beratung durch die Beklagte bei Eingang des Rentenantrags im Jahre 1990 kommt ebenfalls nicht in Betracht. In diesem Zeitpunkt war eine Beitragsentrichtung für das Jahr 1984 bereits nicht mehr zulässig; damit hätten auch bei entsprechender Beratung die Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG nicht mehr erfüllt werden können. Andere Kontakte zur deutschen Rentenversicherung haben in der vorangegangenen Zeit (nach Verkündung des HBegleitG 1984) – soweit ersichtlich – nicht stattgefunden. Der festgestellte Sachverhalt bietet keinen Anlaß, darüber hinaus die Frage zu prüfen, ob ein Herstellungsanspruch auch auf unzureichende, falsche oder verzögerte Beratung durch türkische Stellen gestützt werden könnte. Ein (unterlassener) Hinweis auf die Abgabe einer Bereiterklärung, wie ihn der erkennende Senat etwa für in Jugoslawien lebende Versicherte in vergleichbarer Lage für erforderlich gehalten hat (vgl BSG SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 15), wäre hier nur erheblich, wenn der Kläger überhaupt in absehbarer Zeit in der Lage gewesen wäre, die für die Belegung erforderlichen Beiträge (für immerhin 5 Jahre) aus eigenen Mitteln zu entrichten. Hierzu liegen keine Feststellungen des LSG vor.

Nach Art 27 Satz 1 Ziffer 1 Abk Türkei SozSich hätte der Kläger die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen grundsätzlich auch durch Entrichtung freiwilliger Beiträge zur türkischen Sozialversicherung erfüllen können. Dies war aber nach Angaben beider Beteiligter aufgrund des Art 85 des Türkischen Gesetzes Nr 506 Anl 4 und 5 ausgeschlossen, weil der Kläger in der Zeit zwischen Januar 1984 und Dezember 1989 eine türkische Altersrente bezog. Das LSG hat insoweit indes noch keine Feststellungen getroffen.

Bereits im Hinblick auf die danach bestehende Notwendigkeit weiterer Ermittlungen ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Je nach dem Ergebnis seiner ergänzenden Feststellungen wird das LSG zu prüfen haben, inwiefern die sich aus den hier einschlägigen Tatbestandsmerkmalen von § 1247 Abs 1 und 2a, § 1246 Abs 2a RVO nF, Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG ergebenden Anforderungen für türkische Arbeitnehmer, die – wie der Kläger – nach Erfüllung der Wartezeit für eine Rente wegen EU oder BU vor 1984 in ihre Heimat zurückgekehrt sind, mit dem GG vereinbar sind. Für die Beantwortung dieser Frage ist es nach den vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in seinem Beschluß vom 8. April 1987 aufgestellten Grundsätzen (BVerfGE 75, 78, 97ff = SozR 2200 § 1246 Nr 142) entscheidend, ob dem Kläger eine nach seinen Einkommens- und Vermögensverhältnissen zumutbare Möglichkeit offenstand oder sogar noch offensteht, für die Zeit ab 1. Januar 1984 freiwillige Beiträge zur deutschen oder türkischen Rentenversicherung zu entrichten (vgl dazu im einzelnen BSGE 75, 199, 210 ff = SozR 3-2200 § 1246 Nr 48). Da eine Berechtigung des Klägers zur freiwilligen Versicherung in der Türkei hier fernliegt, während sie in bezug auf die deutsche Rentenversicherung bestand, wird es im wesentlichen darauf ankommen, ob der Kläger durch das Erfordernis, zur Erhaltung seiner Anwartschaft deutsche Mindestbeiträge zu zahlen, in verfassungswidriger Weise belastet war oder – falls eine Nachentrichtung auch jetzt noch zulässig sein sollte – belastet ist.

Das BVerfG hat nicht entschieden, wo die Höchstgrenze der zumutbaren Belastung liegt. Seinem Beschluß vom 8. April 1987 (BVerfGE 75, 78, 104 = SozR 2200 § 1246 Nr 142) ist lediglich zu entnehmen, daß für Versicherte, die in Deutschland lebten, der Mindestbeitrag zur Erhaltung des Anspruchs auf Versichertenrente unter Berücksichtigung der mit der Regelung verfolgten Zwecke zumutbar war. Eine Grenzziehung kann mangels näherer Anhaltspunkte auch vom erkennenden Senat noch nicht vorgenommen werden. Die dazu erforderlichen Feststellungen, insbesondere inwieweit ein Durchschnittsverdiener in der Türkei durch das Erfordernis laufender Entrichtung von Mindestbeiträgen zur deutschen Rentenversicherung ab 1984 überfordert war und ob dies auch für den Kläger galt, können im Revisionsverfahren nicht getroffen werden (§ 163 SGG).

Das LSG wird insoweit insbesondere zu ermitteln haben, wie sich das Lohn- und Kaufkraftgefälle sowie der Wechselkurs zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei auf die Belastungen des Klägers auswirken, und dies an den Ausführungen des BVerfG zur Belastbarkeit deutscher Durchschnittsverdiener messen müssen (vgl dazu BVerfGE 75, 78, 97 ff = SozR 2200 § 1246 Nr 142). Es bleibt dem LSG überlassen, ob es nach Klärung der Belastungssituation des Klägers die Zumutbarkeitsgrenze als überschritten ansieht und deshalb eine Vorlage an das BVerfG für geboten hält.

Hierzu ist im übrigen darauf hinzuweisen, daß es dem deutschen Gesetzgeber durchaus möglich gewesen wäre, den höheren Belastungen, die im Ausland wohnende Versicherte durch Mindestbeiträge zur deutschen Rentenversicherung erfuhren, in geeigneter Weise Rechnung zu tragen, zB dadurch, daß nicht für jeden Monat, sondern nur für jeden zweiten (dritten oder vierten) Monat ein Beitrag gefordert wird, wie dies in der Handwerkerversicherung vorgesehen war (vgl § 4 Abs 5 des Handwerkerversicherungsgesetzes ≪HwVG≫ vom 8. September 1960, ≪BGBl I 737≫).

Das LSG wird auch über die Kosten des Verfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1173133

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