Leitsatz (redaktionell)
Zur Erfüllung der Voraussetzung eines bestimmten Antrages nach SGG § 109 genügt es, den Antrag schriftlich und auch hilfsweise zu stellen (vergleiche BSG 1958-04-02 4 RJ 23/58 = SozR Nr 17 zu § 109 SGG ).
Wenn der Kläger bei seinem Beweisantrag kein bestimmtes Beweisthema deutlich gemacht hat, dann kann sein Hilfsantrag nur dahin verstanden werden, daß der benannte Arzt auf Grund des Inhalts der Prozeßakten sich darüber äußern soll, ob und inwieweit der gegenwärtige Leidenszustand wahrscheinlich Folge eines Wehrdienstes ist.
Hat das Gericht Zweifel, ob der Hilfsantrag nach SGG § 109 aufrechterhalten bleibt, dann muß es den Kläger (schriftlich oder auf Grund mündlicher Verhandlung) darüber befragen (SGG §§ 106, 112).
Sind die Beteiligten zum Verhandlungstermin erschienen und haben sie übereinstimmend Entscheidung ohne mündliche Verhandlung beantragt, weshalb das LSG mit dem in SGG § 112 Abs 1 vorgesehenen Sachvortrag durch den Berichterstatter gar nicht begonnen hat und die Beteiligten auch keine Anträge gestellt haben - diese auch nicht stellen konnten -, kann auch der frühere Antrag in einer vorausgegangenen mündlichen Verhandlung nicht abgeändert worden sein, noch kann der Kläger das Rügerecht nach ZPO § 295 iVm SGG § 202 verloren haben.
Das Gericht verstößt gegen SGG § 109, wenn es den Beweisantrag übergeht und weder durch einen selbständigen Beschluß (SGG §§ 142, 177) noch in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu dem Antrag Ausführungen macht, insbesondere nicht dartut, aus welchen Gründen es den unter Bezeichnung eines bestimmten Arztes gestellten Beweisantrag nicht beachtet hat.
Normenkette
SGG § 109 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1953-09-03, § 106 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 112 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 2 S. 2 Fassung: 1953-09-03, § 142 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, § 177 Fassung: 1953-09-03, § 202 Fassung: 1953-09-03; ZPO § 295 Abs. 1
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 15. Dezember 1958 aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der 1914 geborene Kläger war von Oktober 1939 bis Februar 1941 und von März 1942 bis Mai 1945 Soldat. Er bringt vor, im Mai 1940 an Bord eines Flugsicherungsbootes gestürzt zu sein und seitdem Blutungen der rechten Niere zu haben. Im Mai 1942 sei er in Rußland an einer Feldnephritis erkrankt. Während des zweiten Weltkrieges war der Kläger wegen Krampfadern, Gallenblasenentzündung, Harnröhrenkatarrh und Nebenhodenentzündung und wegen einer Schußverletzung an der Hand sowie wegen Nierenerkrankungen in Lazarettbehandlung. Im Reservelazarett Füssen ist bei einem Aufenthalt vom 2. bis 13. Februar 1945 eine Nieren-Tbc festgestellt worden. Am 19. Oktober 1951 wurde die rechte Niere operativ entfernt.
Die Verwaltung lehnte mit Bescheid des Versorgungsamts II Hannover vom 5. August 1952 den Antrag auf Versorgung ab, weil der festgestellte Körperschaden durch den Wehrdienst weder entstanden noch verschlimmert worden sei. Der Einspruch war erfolglos. Im Verfahren vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg beantragte der Kläger, Beschädigtenrente ab Antragstellung (1. Dezember 1951) zuzusprechen für folgende Schädigungsfolgen:
1. Mangelnde Blutgerinnungsfähigkeit nach Unfall,
2. Verlust der rechten Niere mit Einschränkung der Funktion der linken Niere,
3. Leberschädigung und operative Entfernung der Milz,
4. Gelenkrheuma mit nachfolgendem Herzmuskelschaden,
5. Verlust des linken Hodens und Nebenhodens.
Nach dem Gutachten des Universitäts-Krankenhauses Hamburg-Eppendorf (Prof. Dr. W... und Dr. ...) vom 10. Februar 1956 wurde ein ursächlicher Zusammenhang der angeführten Gesundheitsstörungen mit dem Wehrdienst nicht für wahrscheinlich gehalten, weshalb das SG Lüneburg mit Urteil vom 18. Oktober 1956 die Klage als unbegründet abwies. Im Berufungsverfahren beantragte der Kläger mit Schriftsatz vom 28. November 1956, ein Gutachten der Chirurgischen Universitäts-Klinik Mainz -Dr. H... einzuholen, um eine weitere medizinische Klarstellung zu erreichen. Der Kläger fügte hinzu: "Notfalls gilt dieser Antrag auch als nach § 109 SGG gestellt". Mit Urteil vom 15. Dezember 1958 - auf gemeinsamen Antrag der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) - wies das Landessozialgericht (LSG) die Berufung des Klägers als unbegründet zurück. Es führte in den Urteilsgründen aus, der behauptete Unfall des Klägers während des Wehrdienstes sei nicht erwiesen; im Krankenblatt des Reservelazaretts Kolberg, worin sich der Kläger vom 28. Mai bis 5. August 1940 aufhielt, sei von einem Unfall oder Sturz von der Treppe nichts erwähnt und die Vorgeschichte über den Unfall anders berichtet. Der Verlust der rechten Niere mit Niereninsuffizienz links und des 1955 operativ entfernten linken Hodens sei ohne Zusammenhang mit dem Wehrdienst. Ein Gelenkrheumatismus sei nicht feststellbar, auch in den Krankenblättern sei eine solche Krankheit nicht erwähnt. Der 1956 im EKG festgestellte Herzmuskelschaden sei bei der Untersuchung 1949 noch nicht vorhanden gewesen und hänge deshalb mit dem Wehrdienst nicht zusammen. Das LSG ließ die Revision nicht zu.
Gegen dieses Urteil legte der Kläger form- und fristgerecht Revision ein.
Er beantragt, das Berufungsurteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Kläger rügt Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften (§§ 103, 106, 109, 128, 153 SGG). Durch seinen Antrag nach § 109 SGG habe er rechtzeitig und erkennbar zum Ausdruck gebracht, daß er den medizinischen Sachverhalt nicht für hinreichend geklärt erachte. Die Universitäts-Klinik habe den Krankheitsfall als ganz außergewöhnlich bezeichnet und sich nicht in der Lage gesehen, "mit Wahrscheinlichkeit eine Diagnose zu stellen". Das LSG hätte daher dem Beweisantrag nach § 109 SGG stattgeben müssen. Infolge Nichterfüllung dieser Pflicht sei das Gesetz verletzt und der Revisionsantrag begründet. Hilfsweise rügt der Kläger noch Verfahrensmängel, welche dartun sollen, daß das LSG die Grenzen seines Beweiswürdigungsrechts (§ 126 SGG) überschritten habe.
Der Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen. Er hält § 109 SGG nicht für verletzt, weil der Kläger "den Eventualantrag nach § 109 SGG in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht aufrechterhalten habe". Damit habe der Kläger sein Rügerecht verloren (vgl. SozR SGG § 162 Bl. Da 11 Nr. 50).
Die nicht zugelassene Revision ist nach § 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG statthaft. Zu Recht rügt der Kläger, das LSG habe dadurch gegen § 109 SGG verstoßen, daß es den Antrag auf Anhörung eines bestimmten ärztlichen Sachverständigen übergangen hat.
Nach § 109 Abs. 1 SGG, einer Sondervorschrift im Rahmen der nach § 103 SGG dem Gericht allgemein obliegenden Sachaufklärungspflicht, hat das Gericht auf Antrag des Versorgungsberechtigten einen bestimmt bezeichneten Arzt gutachtlich zu hören. Der Kläger hat in der Berufungsschrift hilfsweise beantragt, ein Gutachten des Arztes Dr. H... von der Chirurgischen Universitäts-Klinik Mainz beizuziehen, um eine weitere medizinische Klarstellung zu erreichen. Auf diesen Hilfsantrag hat er im Laufe des Berufungsverfahrens nicht verzichtet. Das Vorbringen des Beklagten, der Kläger habe seinen Eventualantrag nach § 109 SGG in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG nicht aufrechterhalten, trifft nicht zu; das LSG hat zwar mit Verfügung vom 2. Dezember 1958 die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 1958 geladen. Die Beteiligten waren auch zum Verhandlungstermin erschienen. Aber sie haben übereinstimmend Entscheidung ohne mündliche Verhandlung beantragt, weshalb das LSG mit dem in § 112 Abs. 1 SGG vorgesehenen Sachvortrag durch den Berichterstatter gar nicht begonnen hat und die Beteiligten auch keine Anträge gestellt haben - diese auch nicht stellen konnten. Bei dieser Sachlage kann auch der frühere Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht abgeändert worden sein noch kann der Kläger das Rügerecht gemäß § 295 der Zivilprozeßordnung (ZPO) in Verbindung mit § 202 SGG verloren haben. Das LSG hat noch in der Sitzung vom 15. Dezember 1958 gemäß § 124 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Sachurteil entschieden. Hat aber der Kläger seinen Beweisantrag nach § 109 SGG nicht zurückgezogen, so war das LSG verpflichtet, diesem Antrag, wenn er beweiserheblich war, stattzugeben, zumal im bisherigen Verfahren (im ersten Rechtszug) kein ärztlicher Sachverständiger nach § 109 SGG gehört worden war. Daß es zur Erfüllung der Voraussetzung eines bestimmten Antrages nach § 109 SGG genügt, den Antrag schriftlich und auch hilfsweise zu stellen, hat das Bundessozialgericht bereits ausgesprochen (SozR SGG § 109 Bl. Da 10 Nr. 17). Hätte das LSG Zweifel gehabt, ob der Hilfsantrag nach § 109 SGG aufrechterhalten blieb, so hätte es den Kläger (schriftlich oder auf Grund mündlicher Verhandlung) darüber befragen müssen (§§ 106, 112 SGG). Dies hat das LSG nicht nur unterlassen, sondern es ist auf diesen Antrag gar nicht eingegangen. Das LSG hat somit zumindest deshalb gegen § 109 SGG verstoßen, weil es diesen Beweisantrag übergangen hat. Es hat weder durch einen selbständigen Beschluß (§§ 142, 177 SGG) noch in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils zu dem Antrag Ausführungen gemacht, insbesondere nicht dargetan, aus welchen Gründen es den unter Bezeichnung eines bestimmten Arztes gestellten Beweisantrag nicht beachtet hat. Das LSG hat auch eine Sachentscheidung getroffen, bei der es zur Feststellung der Ursache der verschiedenen geltend gemachten Leiden des Klägers auf den medizinischen Sachverhalt (Gutachten, Krankengeschichte, Befunde und Schlußfolgerungen daraus) ankam. Wenn auch der Kläger bei seinem Beweisantrag kein bestimmtes Beweisthema deutlich gemacht hat, so kann sein Hilfsantrag nur dahin verstanden werden, daß der benannte Arzt auf Grund des Inhalts der Prozeßakten sich darüber hätte äußern sollen, ob und inwieweit der gegenwärtige Leidenszustand wahrscheinlich Folge eines Wehrdienstes ist. Schließlich sind auch sonst keine besonderen Umstände aus dem Akteninhalt erkennbar, welche dem Vollzug des Beweisantrages nach § 109 SGG entgegengestanden hätten. In jedem Falle war das LSG verpflichtet, über den Antrag des Klägers durch Beschluß oder in den Urteilsgründen zu entscheiden (BSG 7, 241; SosR SGG § 109 Bl. Da 18 Nr. 26). Unterbleiben Ausführungen des Gerichts über die Behandlung des Antrags, so wird der höheren Instanz die Möglichkeit genommen, die (stillschweigende) Ablehnung des Beweisantrages auf ihre Zulässigkeit oder Begründetheit nachzuprüfen. Durch Nichtbeachtung des Beweisantrages hat das LSG auch dem Kläger das gebotene rechtliche Gehör versagt. Ein Verstoß gegen die zum Schutz des Klägers bestehende Vorschrift des § 109 SGG bedeutet eine Verletzung der dem Gericht obliegenden besonderen Sachaufklärungspflicht und damit einen wesentlichen Verfahrensmangel (§ 162 Abs. 1 Nr. 2 SGG).
Der Kläger hat den Verfahrensmangel unter Bezeichnung der Tatsachen und Beweismittel, also in der Form des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG, gerügt. Auf diesem Mangel beruht auch die angefochtene Entscheidung (§ 162 Abs. 2 SGG); denn es ist nicht auszuschließen, daß das beantragte ärztliche Gutachten bezüglich eines der mehreren geltend gemachten Einzelleiden den ursächlichen Zusammenhang mit dem Wehrdienst bejaht und das Gericht hiervon überzeugt hätte. Da sonach der in bezug auf § 109 SGG gerügte Verfahrensmangel durchgreift, brauchte der Senat nicht mehr auf die hilfsweise vorgebrachten Verfahrensrügen einzugehen. Die mithin statthafte Revision ist auch begründet (§ 169 Satz 1 SGG). Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben.
Da die Feststellungen des LSG auf einer ungenügenden Sachaufklärung beruhen, und es auf diesen medizinischen Sachverhalt für die Entscheidung ankommt, konnte der Senat nicht in der Sache selbst entscheiden. Der Rechtsstreit war daher zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen (§ 170 Abs. 2 SGG).
Der Kostenausspruch bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen