Orientierungssatz
Rentenanspruch nach § 581 Abs 3 RVO:
Bei der Prüfung, ob ein Rentenanspruch nach § 581 Abs 3 RVO gegeben ist, kommt es darauf an, welcher Grad der MdE im Zeitpunkt der Rentenfeststellung noch von den Folgen der Wehrdienstbeschädigung verblieben war, nicht hingegen auf diejenige MdE, von deren Vorhandensein die Versorgungsbehörden bei ihren über ein Jahrzehnt zuvor erteilten Verwaltungsakten ausgegangen waren.
Normenkette
RVO § 581 Abs. 3
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 24.01.1967) |
SG Oldenburg (Entscheidung vom 07.12.1965) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 24. Januar 1967 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger erlitt durch den Arbeitsunfall vom 28. November 1963 eine Luxation des linken Ellenbogengelenks. Der Chirurg Dr. A schätzte in seinem Gutachten vom 3. September 1964 die durch Funktionsbehinderung des verletzten Gelenks bedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) auf 20 v.H. In demselben Gutachten äußerte sich der Sachverständige auch zu der Frage, wie hoch die MdE infolge der Wehrdienstbeschädigung (WDB) zu bewerten sei, die der Kläger im Jahre 1942 erlitten hatte. Wegen der hierdurch verursachten Gesundheitsstörungen - Stecksplitter in der Lunge und in der Brustwand, geringe Zwerchfellverklebung, Durchschußnarben am linken Oberarm und Oberschenkel - hatte der Kläger bis Mitte 1953 Rente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhalten. Der Entziehungsbescheid des Versorgungsamt war damit begründet worden, die durch Schädigungsfolgen bedingte MdE erreiche nicht mehr den gesetzlichen Mindestgrad von 25 v.H.; das Landesversorgungsamt (LVersorgA) hatte im Widerspruchsbescheid ausgeführt, die MdE infolge des reizlos im Lungengewebe eingelagerten Geschoßsplitters betrage nach den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen" (AHP) 10 v.H. Dr. A bezeichnete nunmehr die von der WBD verbliebene MdE als nicht meßbar. Die Beklagte gewährte dem Kläger eine vorläufige Unfallrente von 20 v.H. In seinem Gutachten vom 15. Mai 1965 bewertete Dr. A die unfallbedingte MdE mit 10 v.H.; die WDB-Folgen sah er wiederum als "nicht verwertbar" an. Durch Bescheid vom 28. Mai 1965 entzog die Beklagte die vorläufige Rente und lehnte für die Zeit vom 1. Juli 1965 an die Gewährung einer Dauerrente ab.
Der Kläger begehrt mit der hiergegen erhobenen Klage die Gewährung einer Dauerrente von 20 v.H. Das Sozialgericht (SG) Oldenburg hat den Chirurgen Dr. G als Sachverständigen gehört und durch Urteil vom 7. Dezember 1965 die Klage mit der Begründung abgewiesen, die unfallbedingte MdE erreiche für sich allein nicht mehr den gesetzlichen Mindestsatz von 20 v.H.; auch die Gewährung einer "Kleinrente" auf Grund des § 581 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (in der seit 1.7.1963 geltenden Fassung - RVO -) komme nicht in Betracht, weil die Folgen der WDB die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht mehr um wenigstens 10 v.H. minderten.
Mit seiner Berufung hat der Kläger die Gewährung der Dauerrente nach einer MdE um 10 v.H. beantragt und geltend gemacht, die Beklagte bleibe an die Feststellung des LVersorgA gebunden, daß die infolge des Lungenstecksplitters bestehende MdE 10 v.H. ausmache. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat durch Urteil vom 24. Januar 1967 (Breith. 1967, 387) die Berufung zurückgewiesen und die Revision zugelassen.
Gegen das am 14. Februar 1967 zugestellte Urteil hat der Kläger am 24. Februar 1967 Revision eingelegt mit dem Antrag,
unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger über den Monat Juni 1965 hinaus Unfallrente in Höhe von 10 v.H. der Vollrente zu zahlen.
Am 17. März 1967 hat er die Revision wie folgt begründet: Auch wenn zugestanden werde, daß die Beklagte zur Nachprüfung befugt war, welche MdE wegen der nach dem BVG zu entschädigenden Gesundheitsstörungen im Zeitpunkt des Entziehungsbescheides (28.5.1965) noch anzunehmen gewesen sei, habe das LSG doch verkannt, daß die MdE in den Bereichen der Unfallversicherung (UV) und der Kriegsopferversorgung (KOV) nach unterschiedlichen Grundsätzen beurteilt werde. Die Sachverständigen Dr. A und Dr. G hätten diese Unterschiede nicht hinreichend auseinandergehalten, das LSG hätte daher ihre Gutachten nicht seiner Entscheidung zugrunde legen dürfen.
Die Beklagte beantragt Zurückweisung der Revision; sie pflichtet dem angefochtenen Urteil bei.
II
Die Revision ist statthaft durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG); sie ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 SGG), daher zulässig. Sie hat jedoch keinen Erfolg.
Schon im Berufungsverfahren war unstreitig, daß der Kläger für die Zeit vom 1. Juli 1965 an keine Teilrente auf Grund des § 581 Abs. 1 Nr. 2 RVO beanspruchen konnte, weil seine Erwerbsfähigkeit seitdem nicht mehr um wenigstens ein Fünftel gemindert war. Eine Heranziehung des § 581 Abs. 2 RVO hat der Kläger nicht geltend gemacht. Seinen Anspruch auf Gewährung einer Dauerrente stützt er vielmehr auf § 581 Abs. 3 RVO. Nach dieser Vorschrift ist für Folgen eines Arbeitsunfalls, welche die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern, Verletztenrente zu gewähren, wenn die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Arbeitsunfälle gemindert ist und die Hundertsätze der hierdurch verursachten MdE zusammen wenigstens die Zahl 20 erreichen; den zur Stützung zu berücksichtigenden Arbeitsunfällen stehen u.a. Entschädigungsfälle nach dem BVG gleich. Damit ist im jetzt geltenden Recht der Inhalt der bis zum 30. Juni 1963 geltenden Vorschrift des § 559 a Absätze 3 bis 5 RVO aF insofern geändert worden, als nunmehr klargestellt ist, daß es für die Gewährung einer Verletztenrente von weniger als 20 v.H. auf die zeitliche Reihenfolge der einzelnen Arbeitsunfälle nicht ankommt (vgl. auch BSG 12, 58); ferner ist die Institution der "Gesamtrente" (§ 559 a Abs. 5 RVO aF) weggefallen. Von diesen - für den hier gegebenen Sachverhalt irrelevanten - Einzelheiten abgesehen, bestehen aber im übrigen keine Bedenken dagegen, zur Auslegung des § 581 Abs. 3 RVO die vom Reichsversicherungsamt mit Bezug auf § 559 a RVO aF aufgestellten Grundsätze zum Recht der kleinen Renten (AN 1939, 190 Nr. 5286) heranzuziehen, von denen hier die Grundsätze Nr. 3 und 8 in Betracht kommen. Diese besagen - auf den vorliegenden Sachverhalt bezogen -, daß es bei der im Mai 1965 erfolgten Feststellung der Dauerrente für den Arbeitsunfall des Klägers darauf ankam, welcher Grad der MdE in diesem Zeitpunkt noch von den Folgen der WDB verblieben war, nicht hingegen auf diejenige MdE, von deren Vorhandensein die Versorgungsbehörden bei ihren über ein Jahrzehnt zuvor (August 1953/November 1954) erteilten Verwaltungsakten ausgegangen waren. Zutreffend hat das LSG dargelegt, daß dieses Ergebnis dem Wortlaut und auch dem Sinn des § 581 Abs. 3 RVO entspricht. Insbesondere ist nicht etwa anzunehmen, daß die Verwaltungsakte der Versorgungsbehörden hinsichtlich der Höhe der WDB-bedingten MdE seinerzeit verbindliche, einer späteren Nachprüfung durch die Beklagte entzogene Feststellungen enthalten hätten (vgl. im übrigen das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des 2. Senats vom 7.3.1969 - 2 RU 121/66 - mit weiteren Nachweisen).
Die Revision meint allerdings, unbeschadet der Befugnis der Beklagten zu einer verantwortlichen Prüfung der Frage, ob die Verwundungsfolgen im Mai 1965 noch eine MdE um wenigstens 10 v.H. bedingten, sei bei dieser Prüfung insofern ein unrichtiger Maßstab angelegt worden, als die unterschiedliche Bewertung der MdE nach den Grundsätzen der UV und der KOV außer acht gelassen worden sei. Die Revision will hiermit offenbar geltend machen, bei Anwendung des § 581 Abs. 3 RVO sei eine gemäß Satz 3 dieser Vorschrift zu berücksichtigende WDB grundsätzlich nach den besonderen Richtlinien zu beurteilen, die für die Bemessung der MdE in der KOV maßgebend seien. Es kann unerörtert bleiben, ob dieser Auffassung etwa schon der Umstand entgegensteht, daß § 581 Abs. 3 Satz 1 RVO eine aus der Addition mehrerer Gesundheitsstörungen folgende Gesamt-MdE (wenigstens 20 v.H.) vorsieht, deren Errechnung möglicherweise die Anwendung einheitlicher Maßstäbe erfordern könnte. Denn das LSG hat gerade nach speziell versorgungsrechtlichen Gesichtspunkten geprüft, welche MdE für die Hauptfolge der Verwundung - reizlos eingeheilter Stecksplitter in der Lunge - in dem hier maßgebenden Zeitpunkt in Betracht kam. Dazu ist im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt worden, daß die hierfür in der AHP-Ausgabe von 1952 (S. 53) vorgesehene MdE von 10 v.H. in den Neuausgaben der AHP von 1954 (S. 153), 1958 (S. 176) und 1965 (S. 170) berichtigt und seither nur noch eine MdE von 0 v.H. als angemessen erachtet wurde. Sonstige Umstände, die ersichtlich machen könnten, daß das LSG bzw. die ärztlichen Sachverständigen, denen es gefolgt ist, spezielle versorgungsrechtliche Beurteilungsgrundsätze außer acht gelassen hätten, sind von der Revision nicht vorgetragen worden.
Hiernach hat das LSG mit Recht entschieden, daß der Kläger auch eine Dauerrente von 10 v.H. nicht beanspruchen kann, weil außer seiner in dieser Höhe bestehenden unfallbedingten MdE keine weitere Gesundheitsstörung zu berücksichtigen ist, mit deren Hilfe die Voraussetzungen des § 581 Abs. 3 RVO erfüllt wären. Die Revision ist demgemäß unbegründet und muß zurückgewiesen werden (§ 170 Abs. 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen