Entscheidungsstichwort (Thema)
Fortsetzungsfeststellungsklage. Darlegung des berechtigten Interesses sachlicher, wirtschaftlicher und ideeller Natur. Rehabilitationsinteresse
Orientierungssatz
Geht der Kläger im Revisionsverfahren von der Aufhebungs- und Verpflichtungsklage (Vornahmeklage) nach § 54 Abs 1 S 1 SGG zur Fortsetzungsfeststellungsklage über, weil infolge einer Gesetzesänderung das ursprüngliche Klagebegehren gegenstandslos geworden ist, so ist die Revision nur zulässig, wenn er hinreichend darlegt, daß er ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat, daß der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist (§ 131 Abs 1 S 3 SGG iVm § 164 Abs 2 S 3 SGG).
Normenkette
SGG § 54 Abs 1 S 1, § 131 Abs 1 S 3, § 164 Abs 2 S 3
Verfahrensgang
SG Osnabrück (Entscheidung vom 07.11.1984; Aktenzeichen S 12 Vs 337/84) |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Versorgungsbehörde, ihm kostenlos eine Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personennahverkehr auszugeben.
Bei dem im Jahre 1939 geborenen Kläger sind mehrfache Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 vH anerkannt; außerdem sind bei ihm die Vergünstigungsmerkmale "G", "RF" und "B" festgestellt. Er lebt im Wohnheim der Heilpädagogischen Hilfe e. V. O. und arbeitet in den Gemeinnützigen Werkstätten des O. Landes GmbH. Das Sozialamt der Stadt O. gewährt ihm Eingliederungshilfe nach §§ 39 ff Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Die Versorgungsverwaltung lehnte den Antrag des Klägers ab, ein mit einer unentgeltlichen Wertmarke versehenes Beiblatt zum Ausweis für Schwerbehinderte auszustellen (Bescheid vom 8. Mai 1984; Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1984).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen; es hat zur Begründung ua ausgeführt: Die kostenlose Ausgabe der Wertmarke sei davon abhängig, daß der Schwerbehinderte laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem BSHG oder ergänzende Hilfe nach § 27a Bundesversorgungsgesetz (BVG) erhält. Solche Leistungen beziehe der Kläger nicht. Das Sozialamt gewähre ihm Hilfe in besonderen Lebenslagen. Diese Unterstützungsart unterscheide sich deutlich von den laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt.
Mit der - vom SG zugelassenen - Revision macht der Kläger eine Verletzung des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG geltend. Diese Vorschrift - meint der Kläger - rechtfertige es nicht, die Empfänger von "Hilfen in besonderen Lebenslagen" von der begehrten Vergünstigung auszuschließen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des SG sowie der angefochtenen Verwaltungsbescheide zur Ausstellung eines Beiblatts mit unentgeltlicher Wertmarke zum Schwerbehindertenausweis zu verurteilen, hilfsweise festzustellen, daß der Beklagte verpflichtet war, dem Kläger ein Beiblatt zum Schwerbehindertenausweis mit einer unentgeltlichen Wertmarke auszustellen.
Zur Begründung des Hilfsantrages führt der Kläger aus, das Versorgungsamt habe ihm aufgrund der am 1. Oktober 1985 in Kraft getretenen Gesetzesänderung die begehrte Wertmarke kostenlos ausgegeben; die angefochtenen Verwaltungsakte seien daher erledigt; er habe an der beantragten Feststellung ein berechtigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein könne; auch reiche hierzu ein Rehabilitationsinteresse bei Verwaltungsakten mit diskriminierender Wirkung aus.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision ist hinsichtlich des Hauptantrages unbegründet; im übrigen ist sie in bezug auf den Fortsetzungsfeststellungsantrag unzulässig.
Der Hauptantrag des Klägers, den Beklagten zur Ausstellung eines Beiblattes mit unentgeltlicher Wertmarke zum Schwerbehindertenausweis zu verurteilen, hat sich erledigt. Das Versorgungsamt hat dem Kläger nach seinem eigenen Sachvortrag zwischenzeitlich die zur unentgeltlichen Beförderung im Personennahverkehr erforderliche Wertmarke (§ 57 Abs 1 Satz 2 SchwbG) kostenlos ausgegeben. Dies beruht auf der mit Wirkung vom 1. Oktober 1985 eingetretenen Rechtsänderung des § 57 Abs 1 Satz 4 Nr 2 SchwbG durch das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 18. Juli 1985 (BGBl I 1516). Nach der nunmehr geltenden Gesetzesfassung erhalten auch Heimbewohner, die nach dem BSHG Leistungen beziehen, kostenlos eine Wertmarke. Mit der Ausgabe der Wertmarke hat der Kläger die Befugnis erhalten, die Beförderung im Personennahverkehr unentgeltlich in Anspruch zu nehmen. Das Verwaltungshandeln hat mithin eine zukunftsorientierte Gestaltung bewirkt. Die fragliche Vergünstigung läßt sich hingegen nicht rückwirkend gewähren. Sie könnte für die Vergangenheit nichts mehr bewirken. Dazu fehlt es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage. Infolge dessen ist auch das erstinstanzliche Urteil gegenstandslos.
Auch ist der Hauptantrag des Klägers nicht etwa in einen auf eine Geldentschädigung gerichteten Herstellungsanspruch (ua BSGE 49, 76, 79f; 50, 12 ff, 15) umzudeuten. Dafür bietet die Revision keine Handhabe. Der Kläger hat nicht vorgetragen, zusätzlich finanzielle Aufwendungen im Zusammenhang mit der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel vor dem 1. Oktober 1985 gehabt zu haben.
Die Unzulässigkeit der Revision in bezug auf den Hilfsantrag ergibt sich allerdings nicht daraus, daß der Kläger im Revisionsverfahren von der Aufhebungs- und Verpflichtungsklage (Vornahmeklage) nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGG zur Fortsetzungsfeststellungsklage übergegangen ist. Dieser Umstellung der Klage steht das Verbot der Klageänderung (§ 168 SGG) nicht entgegen (BSGE 8, 178, 180). Sie war geboten, weil mit der angeführten Gesetzesänderung das ursprüngliche Klagebegehren gegenstandslos geworden ist; der Kläger ist - wie ausgeführt - nunmehr im Besitz einer ihm kostenlos ausgegebenen Wertmarke. In einem solchen Fall der Erledigung des Klageziels (BSGE 42, 212, 216 = SozR 1500 § 131 Nr 3; BVerwG Buchholz 448.0 § 18 WPflG Nr 10) spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat (§ 131 Abs 1 Satz 3 SGG).
Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsaktes hat der Kläger nicht dargelegt; die Revision ist deswegen unzulässig. Der Kläger hat zwar ausgeführt, daß das in einer besonderen Erscheinungsform des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses ausgestaltete Feststellungsinteresse (Eyermann/Fröhler, Kommentar zur Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl, RdNr 12 zu § 43 VwGO) rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein kann. Diese Ausführungen stehen mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Einklang (BSGE 42, 212, 217 f mwN). Indessen hat der Kläger nicht vorgetragen, worauf er im einzelnen sein berechtigtes Interesse stützt. Ein Eingehen darauf ist jedoch unverzichtbar. § 164 Abs 2 Satz 3 SGG gebietet, daß die Revision sorgfältig und nach Umfang und Zweck zweifelsfrei begründet wird. Die Darlegungspflicht für die Rüge von Verfahrensverstößen ist in der genannten Vorschrift dahin umschrieben, daß die Tatsachen zu bezeichnen sind, die den Mangel ergeben. Für die sachlich-rechtliche Revisionsrüge hat das entsprechend zu gelten (BSG SozR 1500 § 164 Nr 5). In Ermangelung einer ausreichenden Begründung vermag der Senat nicht zu beurteilen, inwieweit die begehrte Feststellung für ihn von Bedeutung sein kann. Ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten gerichtlichen Feststellung läßt sich somit nicht annehmen.
Desweiteren ist auch ein Rehabilitationsinteresse, das bei Verwaltungsakten mit diskriminierender Wirkung bestehen könnte (BVerwGE 53, 134, 138), nicht ausreichend dargetan. Der Hinweis des Klägers, er sei als Beschädigter innerhalb einer beschützenden Werkstatt und als Heimbewohner durch die angefochtenen Bescheide verletzt und er brauche eine durch die alte Fassung des § 57 Abs 1 SchwbG geschehene Ungleichbehandlung nicht hinzunehmen bezieht sich lediglich auf die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Verwaltungsakte und die dadurch nach seiner Ansicht eingetretene Beschwer iS des § 54 Abs 2 Satz 1 SGG. In welcher Weise etwa in den angefochtenen Verwaltungsbescheiden ein diskriminierender Vorwurf zu sehen ist und der Kläger etwa dadurch derzeit noch in seinen Persönlichkeitsrechten objektiv beeinträchtigt ist (vgl BVerwGE 53, 134, 138), trägt der Kläger nicht vor. Er ist somit seiner Darlegungspflicht gemäß § 164 Abs 2 Satz 3 SGG auch insoweit nicht nachgekommen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen